Brandstiftende Obertöne

Berlin, 22. September 2010. Hamlet für Blöde? Ein Theaterabend, mit dem man aufs Existenzielle zielte, eine Smalltalkvorlage für Besserverdienende? Klar, so etwas will keiner über sich und sein Theater lesen. Und deshalb holt Joachim Lux, Intendant des Hamburger Thalia Theaters, jetzt in seinem offenen Brief Keulen wie Volksverhetzung, Kristallnacht, Islamophobie und Verunglimpfung anderer Religionen hervor, haben die letzten Wochen schließlich gezeigt, wie man eine Öffentlichkeit gezielt aufhetzen kann.

Alan Posener hätte in seiner Hamlet-Kritik in der WELT von "Muezzin jodeln" geschrieben, dabei komme ein Muezzin gar nicht vor. Er behaupte, Zaimoglu/Senkels Fassung verhalte sich in ihrer Plattheit wie der Koran zur Bibel. Dabei komme der Koran gar nicht vor. Und nebenbei werde noch eine "harmlose, buddhistische Weltsicht" in den Boden gestampft, weil der flämische Regisseur Luk Perceval sein Interesse für den Buddhismus bekundet habe.

All dies erfüllt für Lux den Tatbestand der Volksverhetzung. Hallo? Kann der zuletzt als Chefdramaturg des Burgtheaters aktive Lux nicht lesen? Wo doch das genaue Lesen die Königsdisziplin aller Dramaturgen sein sollte. Alan Posener beschwert sich, dass aus seiner Sicht der wüste Shakespeare hier in einer Wellnessversion gegeben wird, und benutzt das Wort buddhistisch im Zusammenhang mit dem Begriff harmlos. Ist harmlos eine Verunglimpfungsvokabel? Wird sie es im Zusammenhang mit "Buddhismus"?

Mongolen- und Bayernverunglimpfung

Auch jodelnde Muezzine kommen in Poseners hochpolemischer Kritik gar nicht vor. Vielmehr lästert er über die musikalische Begleitung des Abends: "da die Leute vor lauter Chargieren nicht zum Spielen kommen und ihnen der hechelnde Text ohnehin nichts zu sagen gibt, sitzt vor der Bühne ein Mann am Klavier und deutet mit einer Mischung aus mongolischem Obertongesang, Muezzin-Ruf und Jodeln deren Gemütslage an. Die ist oft verzweifelt, also geht es obertonmäßig ziemlich oft zur Sache. Entsetzlich."

Posener fühlt sich also lediglich von der Musik an einen Muezzin-Ruf erinnert. Unter anderem. Aber Lux verschweigt uns die Verunglimpfung der Mongolen und der Bayern im selben Satz. Warum? Weil es sich eben überhaupt gar nicht um Verunglimpfung von Minderheiten, sondern einer Theateraufführung seines Hauses handelt? Oder weil man mit einem Verweis auf Mongolen- und Bayernverunglimpfung hierzulande keine Öffentlichkeit skandalisieren kann?

Deutsche Opfersehnsucht?

Wenn Posener von Katzenjammer geschrieben hätte, hätte Lux sich dann zeternd an den Tierschutzbund gewandt? Und warum würzt Lux seinen Protestbrief auch noch mit dem Wort Kristallnacht, obwohl eine Kristallnacht in Poseners Kritik ebensowenig vorkommt, wie der Koran in Percevals Hamlet? Hält er sein Theater für eine Synagoge? Henryk Broder hat in ähnlichen Fällen eine deutsche Opfersehnsucht diagnostiziert. Aus dessen publizistischem Netzwerk Die Achse des Guten ist Posener übrigens herausgeflogen, weil er nicht islamophob genug war. Im Fall von Alan Posener ist die Kristallnacht-Assoziation von Joachim Lux auch deshalb grotesk, weil Posener Sohn eines aus Nazideutschland geflohenen deutschen Juden ist. Und was muss man von einem Intendanten halten, der einen unliebsamen Kritiker bei seinem Chef anschwärzt, statt beherzt ein Hausverbot auszusprechen? Oder sich offen mit ihm auseinanderzusetzen.

"Shakespeares Geist geht in Hamburg umher und schreit nach Rache," schreibt Posener am Schluss seiner Hamletkritik. Kann es sein, dass er Recht hat? Obwohl man ihm angesichts der Hammerschläge, die er auf einen Theaterabend niederprasseln lässt, eigentlich gar nicht Recht geben will. Kann es sein, das dieser Geist Joachim Lux heißt?

(Esther Slevogt)


Mehr zu der Kontroverse zwischen Joachim Lux und Alan Posener, die sich zu einem Streit mit dessen Zeitung Die Welt ausweitet: ein Radio-Interview des NDR mit Joachim Lux (22.09.2010).

 

Presseschau

In einem Kommentar für die taz Nord (23.09.2010) von Friederike Gräff heißt es: "Bemerkenswert ist, dass Posener in keinster Weise Hinweise für irgendeine Art von Islamophobie gibt." Aufgefallen sei er, als er in seinem Weblog die Bild-Zeitung für das Bedienen "niedrigster Instinkte" angriff und dabei auch Chefredakteur Diekmann anging. Für die Jüdische Allgemeine setzte er sich 2009 kritisch mit der Islamophobie in Deutschland auseinander." Auch zitiert Gräff aus einer Stellungnahme Poseners der taz gegenüber, dass sein Text nicht misszuverstehen sei. Dass der Koran in weiten Teilen versuche, die Widersprüche zwischen Altem und Neuem Testament zu glätten, sei "eine Binsenweisheit der Islamwissenschaft". Die Analogie sei also: Shakespeare gleich Bibel, geglättete Version gleich Koran. Ihm Islamophobie vorzuwerfen sei abwegig. Dennoch bleibe er dabei: Die Verunglimpfung jeglicher Religion sei "ein Menschenrecht".

In einer Kolumne für die Frankfurter Rundschau (23.09.2010) schreibt Peter Michalzik, der Fall zeige, "was die Islam-Erregung mittlerweile angerichtet hat". Er kritisiert Posener als "offenbar verwirrtes Opfer des Aufregungsjournalismus". Michalzik begrüßt, dass Lux sich diesen "Schwachsinn" nicht gefallen lasse, findet aber, Posener habe nirgendwo geschrieben oder auch nur nahegelegt, dass Zaimoglu wahrscheinlich Islamist sei.

Dirk Pilz gibt in der Berliner Zeitung (23.09.2010) zu bedenken: "Kristallnacht, Volksverhetzung, Islamophobie. Größere, gefährlichere Fässer" könne Lux "in diesem Land in diesen Zeiten kaum aufmachen." Allerdings - es seien die falschen. Man könne Posener allenfalls eine Form von vorsätzlicher Ungenauigkeit und Provokationspose vorwerfen. "Dies aber mit dem Donnerwort Volksverhetzung zu belegen, ist so unsachlich wie lächerlich."

Cornelius Tittel, Kulturchef der Tageszeitung Die Welt (23.09.2010), in der Poseners Verriss erschienen war, findet, Lux sei zwar Dramaturg, könne aber trotzdem nicht lesen und verstehen. Posener Bibel-Koran-Vergleich sei "gewiss zugespitzt formuliert - jedoch von einem Autor, der sowohl die Bibel als auch den Koran studiert hat". Wenn er den Hamburger "Hamlet" und Shakespeares Original mit Koran und Bibel vergleiche, sei der Tonfall zwar polemisch, doch betreibe er "klassische Textkritik". "Ausgerechnet" Alan Posener als Vorbereiter einer neuen Kristallnacht hinzustellen - "diese mit Bildungsferne gepaarte Dreistigkeit hätte man einem deutschen Theaterintendanten dann lieber doch nicht zugetraut".

Nachdem erst Friedrich Schirmer seinen Job beleidigt hingeschmissen und damit sein Ensemble im Stich gelassen habe, schreibt Gerhard Stadelmaier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (24.9.2010), zeige nun auch Joachim Lux, indem er "empörungsschäumend von Volksverhetzung und Aufruf zu Brandstiftung faselt", dass "Hamburgs Theaterchefs zurzeit nicht mehr alle Tassen in ihrem Hanseschrank haben".

Ulrich Gutmair in der taz (24.9.2010) findet, die Affäre sei ein "kurioser Schlagabtausch zwischen einem politisch besonders korrekten Intendanten und einem Kritiker, der Hamletland gegen die Türken verteidigen will." Poseners Kritik nicht als Ausweis einer "Obesession" zu lesen, falle schwer. "Wenn sie aber den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen würde, müsste man viele Zeitungen und auch Theater schließen."

Auf seinem Blog starke-meinungen.de forderte Alan Posener (28.9.2010), Joachim Lux müsse sich für seine "Kristallnacht-Anspielung" entschuldigen. Nicht bei Posener: "Es geht um die tatsächlichen Opfer der Nazis."