Im Bücherkerker

von Ute Grundmann

Altenburg, 26. September 2010. Er hat nicht nur Philosophie und, leider auch, Theologie studiert, sondern auch Ethnologie, Informatik und BWL. Die folgenden Sätze, "Hier steh ich nun..." und "bin so klug als wie..." spricht er gar nicht zu Ende, sondern fragt sich lieber, wie es mit dem Universum wohl weitergeht. Zu seiner ganzen Seelenpein wird leise ein Kontrabass gezupft, ehe er aus der Höhe seiner Bibliothek auf eine Matratze plumpst. Da ist Faust dann im irdschen Jammertal angekommen, das diesmal im Theater Altenburg liegt.

Hier hat sich das Duo Amina Gusner (Regie) und Anne-Sylvie König (Dramaturgie) Goethes "Faust" vorgenommen, und so lange geschüttelt, gerührt und aufgemischt, bis vom eigentlichen Drama so gut wie nichts mehr übrig ist. Dafür sind sie mit "der Tragödie erstem Teil" denn auch in zwei Stunden durch.

"Hallöchen, Herr Nachbar"-Gewusel

Hatten Gusner/König in der Inszenierung von Friedrich Hebbels Nibelungen vor allem die Sprache aufgepeppt, haben sie nun in "Faust I" kaum einen Stein auf dem anderen gelassen. Bruchstücke aus dem Faustmonolog wechseln mit heutigem Sprech, irgendwie philosophiert Faust (Heiko Senst) über die Welt, während Mephistopheles (Frank Voigtmann) stumm daneben sitzt und dem Bemühen zuschaut. Der Famulus Wagner tritt gleich dreifach auf im vergeblichen Versuch, synchron zu sprechen. Ihnen klagt Faust weinerlich, dass er den Göttern nicht gleiche – dann wird die auf ein Gestänge projizierte Bibliothek ausgeblendet und erstmal eine Runde getanzt, Mephisto mittendrin.

Das plätschert so dahin, das Publikum hat eine Menge zu kichern. Aber warum Gusner hier "Faust" und nicht irgendwas anderes spielen lässt, bleibt ziemlich unklar. Der Osterspaziergang ist ein "Hallöchen, Herr Nachbar"-Gewusel, Mephisto schickt den Pudel husch, husch ins Körbchen. Ihren Pakt verhandeln Faust und Mephisto wie am Küchentisch bei einem Glas Wein, im "gut-dass-wir-drüber geredet-haben"-Tonfall und wenn Mephisto sich "Ich bin ein Teil von jener Kraft..." erklärt, pennt Faust einfach ein.

Quietschfröhlich wie Lena Meyer-Landrut

Das könnte alles so oder auch ganz anders sein, Ausstrahlung haben beide Protagonisten wenig, sie bewegen sich irgendwie durch Text und Szenen, mal als überforderter Motivationstrainer (Mephisto), mal als gewollt, aber nicht gekonnt schleimiger Verführer (Faust). Da ist Faust dann schon – in einer nicht vorhandenen Hexenküche – wie Mephisto in grauen Anzug und gelbes Shirt gekleidet; aber dass eine der ach, zwei Seelen Fausts der Teufel ist, ist so neu nicht mehr, dass es eine Inszenierung tragen würde.

Die hakt stattdessen die notwendigen Stationen irgendwie ab: Margarete (Vanessa Rose) wird platt angebaggert, ohne dass sie ein Wort zu sagen hat. Ihr König-von-Thule-Lied trällert sie so quietschfröhlich wie Lena Meyer-Landrut und aus dem Kästchen, das in ihr Zimmer gekommen ist, ohne dass Faust oder Mephisto es betreten hätten, quellen Geldscheine. In Nachbarins Garten tummeln sich dann gleich vier qualmende, quasselnde Marthes, so dass es kein Wunder ist, dass Mephisto Reißaus nimmt.

Rollschuh-Ringelreihen der Angst

Und doch kommt mit diesem Gretchen von Vanessa Rose eine andere Farbe in diese eher ärgerliche Inszenierung. Sie hat dieses Wollen zu und zugleich Fürchten vor den Gefühlen, ist ernst- und mädchenhaft zugleich. Wenn Mephisto sich zwischen das Paar auf dem Sofa drängt und Faust von der Religion zu dozieren beginnt, zieht sie sich zurück (und Shirt und Jacke wieder an, die sie schon abgelegt hatte).

Zwar macht Amina Gusner Gretchens Angst-Szene, in der sie von den Mädchen hört, wie es ihr ledig und schwanger ergehen wird, zum Rollschuh-Ringelreihen; aber die Angst bleibt spürbar. Und im Kerker – einem Sitzungssaal in der Bibliothek – ist sie dann nicht wahnsinnig, sondern ernst, ganz bei sich, nicht von ihrem Weg abzubringen. Faust dagegen will und kann sie nicht selbst retten, sondern jammert Mephisto an, sie da rauszuholen. Gretchen findet ihren Weg selbst – und deutet an, was eine "Faust"-Inszenierung hätte erzählen können. Diese tut's nicht.

Faust
nach Johann Wolfgang von Goethe
in einer Fassung von Amina Gusner und Anne-Sylvie König
Regie: Amina Gusner, Bühne: Johannes Zacher, Kostüme: Inken Gusner, Dramaturgie: Anne-Sylvie König.
Mit: Heike Senst, Frank Voigtmann, Vanessa Rose, Anne Keßler, Judith Mauthe, Helen Schröder, Eva Verena Müller.

www.tpthueringen.de

 

Mehr zu Amina Gusner, Schauspielchefin am Theater Altenburg-Gera, erfahren Sie im nachtkritik-Lexikon.

 

Kritikenrundschau

Amina Gusner verpasse dem klassischen Faust verbal und optisch eine Umgangssprache, "die an manchen Stellen zwar grenzwertig ist, aber kraftvoll wie lebendig wirkt", findet Sabine Wagner in der Ostthüringer Zeitung (28.9.2010). "Beim Osterspaziergang treffen sich Nachbarn und plaudern ungeniert, Mephisto schickt den Pudel 'husch, husch' ins Körbchen, in Auerbachs Keller kreisen die Bierkrüge der sonnenbebrillten Zecher, und die Hexenküche wird zum Flughafen." Das alles gehe so temporeich über die klug gebaute Bühne (Johannes Zacher), dass manchmal kaum Zeit zum Nachdenken bleibt. Wie sich Heiko Senst als Faust aus dem philosophischen Kokon schäle, "neugierig unters Volk mischt, verzweifelt dem gleich dreifach agierenden Famulus Wagner das Maul verbietet und immer weiter, immer höher steigen will, ist eindrucksvoll gespielt und nimmt gefangen."

 

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