Schreit auf, wenn ihr Hamburger Bürger seid!

von Katrin Ullmann

Hamburg 12. Oktober 2010. Das Foyer ist brechend voll. Einen Sitzplatz hat nur, wer Glück hat, oder zu den Podiumsgästen gehört. Wegen der großen Nachfrage war die Diskussionsrunde von der beschaulichen Probebühne ins großzügige Kampnagel-Foyer verlegt worden. Veranstalter ist das Kulturforum Hamburg, ein Zusammenschluss und Verein "kulturell interessierter und engagierter Hamburger Bürger". Zentrales Thema sind die jüngsten, fatalen Kürzungen im Kulturetat des Hamburger Senats, die gerne auch Sparmassaker genannt werden.

Die Hamburger Kulturpolitik: eine Katastrophe

1,2 Millionen Euro, also die Hälfte des künstlerischen Etats, soll das Deutsche Schauspielhaus einsparen. Das Altonaer Museum, das als bedeutendstes Haus für norddeutsche Kulturgeschichte gilt, soll geschlossen werden. Die öffentlichen Bücherhallen stehen vor dem Kollaps, die Hamburger Kunsthalle ist strukturell unterfinanziert und überdurchschnittlich oft geschlossen, derweil sich die Kosten für die Elbphilharmonie, das Renommierprojekt des Senats, mit gegenwärtig über 320 Millionen Euro fast verfünffacht haben.

Bisher gab es aus Protest gegen diese Politik Flashmobs, Unterschriftensammlungen, Menschenketten, Demonstrationen, Protestveranstaltungen und bundesweite Solidaritätsgrüße. Heute Abend also wird diskutiert. Darüber, wie viel gespart werden kann, wo das Sparen aufhört und das Kürzen anfängt und wo der Anfang vom Ende beginnt.

Zur Diskussion geladen sind die Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard, Jürgen Flimm (Intendant der Berliner Staatsoper und langjähriger Intendant des Thalia Theaters), Torkild Hinrichsen (Direktor des Altonaer Museums), Florian Vogel, Mitglied der Interims-Intendanz am Schauspielhaus, sowie als einziger Vertreter aus der Politik: Willfried Maier, GAL-Mitglied und Senator a.D..

Lasst uns die Regisseure einsparen

Zunächst sprechen Torkild Hinrichsen und Florian Vogel ein bisschen für sich und vor allem ihr Haus, beschreiben ihre Situation, ihre dahinschmelzende Vision. "Das Hamburger Modell ist eine fatale Reklame für die Stadt", signalisiert der Museumsdirektor, für den die Sparmaßnahmen das Aus für das 109 Jahre alten kulturhistorischen Museums bedeuten. Absurd an diesem Beschluss ist vor allem, dass dabei tatsächlich kaum Gelder gespart werden, da die Mitarbeiter in Auffanggesellschaften weiterbeschäftigt, die 650.000 Ausstellungsstücke anderweitig untergebracht werden müssen.

Florian Vogel wiederum erzählt von ersten Gesprächen mit Kultursenator Reinhard Stuth, in denen dieser sich dafür ausspach, dass trotz der Kürzung von 1,2 Millionen Euro, das Junge Schauspielhaus nicht angegriffen werden dürfe. Wie soll das gehen? Wenn durch die Kürzung 50 % des künstlerischen Etats flöten gehen? Man könne die Regisseure einsparen, wird Stuth zitiert. Das Gelächter ist groß.

Und gefrotzelt wird viel. Doch nur so lange bis Jürgen Flimm sich mit einem so scharfen wie charmanten "mit dem Witze machen, kommt man nicht weiter" einschaltet. "Es muss ein Aufschrei durch die Stadt gehen, wir müssen eine Strategie entwickeln, Herr Ahlhaus, so nich'!" fordert er. Und ist an diesem Abend schließlich auch der Einzige (zumindest auf dem Podium), der sich deutlich erregt und laut wird. Alle anderen wiederholen ihre Klage – noch in der Schockstarre der Betroffenheit.

Kein Zusammenhang?

Willfried Maier verweist politikergemäß auf das große Ganze, auf die vom Bundestag Anfang 2009 beschlossene Schuldenbremse, die beinhaltet, dass alle Bundesländer ab 2020 keine Kredite mehr aufnehmen dürfen. An den "laufenden Ausgaben" muss also gespart werden. Zwischen den Senatsbeschlüssen und dem Millionengrab Elbphilharmonie (aktuelle Kosten rund 323 Millionen Euro) bestehe kein Zusammenhang.

Zeit-Redakteur Ulrich Greiner moderiert geschickt zwischen Kultur, Kunst und Politik. Er insistiert auf die ein oder andere unbequeme Frage und lässt später ironisch lächelnd den im Publikum sitzenden Olaf Scholz, Vorsitzender der SPD in Hamburg und ehemaliger Innensenator, zu Wort kommen. Natürlich ist es Jürgen Flimm, der diesem smarten Politiker und potenziellen Bürgermeisterkandidat für die Wahlen in 2012 das öffentliche Versprechen abnimmt, im Falle seiner Wahl, die Kürzungen zurückzunehmen.

Es wird viel gedacht und gelacht an diesem Abend, ein bisschen polemisiert und natürlich auch Politik gemacht. Und – überraschenderweise – wird der aktuelle Hamburger Senatsbeschluss sogar ein bisschen gelobt: Aus der Kulturtaxe, sofern sie überhaupt realisierbar sei, könne einen Topf mit projektbezogenen Geldern entstehen, um die sich alle Kunst- und Theaterschaffenden der Stadt bewerben könnten. Amelie Deuflhard befürwortet die Idee, Florian Vogel wirft die Pflicht der "kulturellen Grundsicherung" dazwischen.

Grundsatzdiskussion vertagt

"Ist denn das Stadttheatersystem überhaupt noch auf der Höhe der Zeit?" Jürgen Flimm, der charismatische, feinsinnig-ironische und redegewandte Star des Abends regt eine Strukturdebatte an. Dieses Fass aufmachen? Nein, dieses Fass bleibt zu, entscheidet Greiner zugunsten der brennenden Tagesdebatte.

Ein paar wütende Publikumsbeiträge später ist die Veranstaltung zu Ende, eine Petition wird verlesen und später kann man Postkarten erwerben, die an Herrn Stuth formuliert, adressiert und frankiert sind. Initiator ist das Schauspielhaus, das Stuth auffordert, seinen Kürzungsbeschluss zurückzunehmen. Hoffentlich bekommt er Tausende, Millionen. Vielleicht geht dann ein Aufschrei durch die Stadt. Aus dem Rathaus.

 

Alles wunderbar? Notstand Kultur
Eine Diskussionsrunde mit Amelie Deuflhard (Intendantin Kampnagel), Jürgen Flimm (Intendant der Berliner Staatsoper und langjähriger Leiter des Thalia Theaters), Torkild Hinrichsen (Direktor des Altonaer Museums), Florian Vogel (künstlerischer Leiter des Schauspielhauses) und Willfried Maier (GAL, Senator a. D. und Autor des Projektes "Die kreative Stadt").
Moderator: Ulrich Greiner (Die Zeit).

 

Mehr zur abgründigen Hamburger Kulturpolitik im Herbst 2010? Hier gibt es eine Stellungnahme von Ulrich Khuon, bis 2009 Intendant des Thalia Theaters. Und hier eine ausführliche Chronik der gesamten Debatte um das Deutschen Schauspielhaus.

 

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