Des Gutmenschen Nachtlied

von Esther Slevogt

Berlin, 23. Oktober 2010. Am Anfang tritt ein Mann im Frack auf. Das schulterlange Haar adrett gescheitelt. Irgendwie sieht er dem französischen Satiriker Honoré Daumier ähnlich. Allerdings muss er lange Zeit unter deutschen Biertrinkern gelebt haben. Betont unpathetisch und lapidar liest er dann auf seiner rot bevorhangten Kasperletribüne Karl Kraus' berühmte Einleitungssätze zu seinem Monumentaldrama über den Ersten Weltkrieg "Die letzten Tage der Menschheit" vor. Dass nämlich eine Aufführung dieses Dramas nach irdischer Zeitrechnung zehn Abende umfassen müsste und daher einem Marstheater zugedacht sei. Ohnehin könnten Theatergänger dieser Welt nicht standhalten.

Damals nämlich, im Jahr 1917, war das Theater formal noch nicht auf der Höhe, die Karl Kraus mit diesem etwa 800 Druckseiten umfassenden Dokumentarstück als erster erklommen hatte, in dem er die Gegenwartsgeräusche, -fetzen und - stimmen zu einem Hieronymus-Bosch-haften Tableau des Schreckens und des verlogenen Sprechens darüber gesampelt hat. Kraus wollte auch gar kein Theaterstück schreiben. Nur schien ihm dessen Prinzip der direkten Rede am geeignesten für seinen Zweck zu sein, kurze Straßen- und Schlachtszenen, Schnitte in Machtzentralen oder bürgerliche Wohnzimmer mit Textfetzen aus der Werbung, Zeitungsartikeln und klassischem Dichtungsgut zu verschneiden.

Sampler von Gegenwartsabfällen

So hat das genialische Ekelpaket aus Wien aus Versehen das Dokumentartheater erfunden. Ist nicht nur Ahn von Piscator und Brecht (was er sich natürlich verbeten hätte), sondern auch jüngerer Stimmenimitatoren und Sampler von Gegenwartsabfällen wie etwa Rainald Goetz, der am Ende des Abends im Berliner HAU auch zu Wort kommen wird. Aber fangen wir von vorne an.

Der Mann im Frack, der hier eingangs von seinem mit viel rotem Stoff zu einen enormen Kasperletheater verwandelten Gerüst zu uns spricht, ist Patrick Wengenroth. Auch er einer, der sich die Parole "Keine Dichtung, nur noch Wahrheit!" auf die Fahnen geschrieben hat und einst mit "Planet Porno" ein Theatertrash-Format erfand, das die medial verwurstete und unkenntlich gewordene Wirklichkeit in ihrer Fratzenhaftigkeit noch mal überdrehte und sie in Fetzen zu schrill-schrägen Theatershows zusammenbaute. Keine Frage, irgendwann musste er auf Karl Kraus als einen Verwandten in Geist und Methode stoßen.

Und dann begegnen wir ihnen natürlich auch recht schnell, den üblichen Wengenroth-Verdächtigen: Bart Simpson, Ernie, Bert und Muppet-Show-Charakteren. Dazu ein paar komische Männer mit Bundeswehrhemden und Stahlhelmen, die als Soldaten-Karikaturen den Abend über permanent Eulen nach Athen tragen. Weil wir ja längst wissen: Jawoll, Soldaten sind doof. Das ist sozusagen des Gutmenschen Nachtlied schlechthin. Bloß dass es sich bislang kaum als friedensfördernd bewiesen hat.

Das Sprechen vom Krieg

Des Weiteren treten auf zwei verfettete Hofräte, die Goethes Gedicht "Wanderers Nachtlied" kriegstauglich umdichten, die Kriegsreporterin Alice Schalek im netten Club-Blazer, die uns mit pädagogischem Sesamstrassen-Ton über den großen Gleichmacher und Demokratisierer Krieg belehrt und das große Sterben cool findet. Und dann ist da noch ein onanierender Seppel.

All diese bösen Kinderfernsehfiguren geben nun, rasant auf zwei Stunden herunter gekürzt, das vielstimmige Kraus-Drama als fieses Kasperle-Stück über das Sprechen vom Krieg. Zünftig werden manchmal Bilder aus dem Ersten Weltkrieg auf den Vorhang projiziert, was aber eher für historische Patina als für Erkenntnis sorgt. Zwischen den Akten spielt die Berliner Rockband "Die Türen" auf. Das ist immer wieder mal ganz lustig und unterhaltsam.

Man ahnt manchmal leise, Wengenroth wollte seinen Finger in die Wunde legen, dass diese ausufernde Sprachorgie, mit der Kraus den Zynismus moderner Kriege hier vorführt, in ihrer existenziellen feuilletonistischen Stahlgewitter-Wucht sich möglicherweise affirmativer zum Krieg und seinem medialen Echo verhält, als ihm selber je bewusst geworden ist. Hat Kraus' Drama doch immer wieder Künstler dazu gebracht, sich höchst aufgerüstet im Antikriegspathos zu suhlen, das letztlich seine Reize just der kritisierten Ästhetik des Krieges verdankt. 1999 zum Beispiel Hans Kresnik, der das Stück in einem Bremer Kriegsbunker in Szene setzte.

Kampf des Dichters mit den Windmühlen

Wengenroth nun setzt dialektisch wie brav auf betontes Antipathos. "Schau her, bleibt dumm!" krakeelen "Die Türen" und versprechen reinstes Wohlgefühl und existenzielle Thrills satt schon in der Popkultur. Am Ende reißt Wengenroth mit großer Geste die roten Vorhänge vom Gerüst. Nackt steht es jetzt da, das Theater. Aber dieser Abend irgendwie auch. Obendrauf noch mal Wengenroth, der aus Rainald Goetz' berühmtem Text "Subito" liest, mit dem sich der damals 29-Jährige 1983 in Klagenfurt verbal auf die literarische Bühne gebombt hatte (und zur Bekräftigung mit einer Rasierklinge seine Stirn aufschlitzte).

Kein Kaiser also, der als Gott die letzten Tage der Menschheit mit "Ich habe es nicht gewollt!" endet, nachdem die vermessenen Erdenwürmchen von einer außerplanetarischen Macht besiegt worden sind. Sondern ein Dichter, der mit Blut und wilden Worten in den heldenlosen achtziger Jahren gegen die Windmühlen des Großfeuilletons und ihre Papierheroen zu Felde zog. Aber wozu?



Die letzten Tage der Menschheit
von Karl Kraus
Regie: Patrick Wengenroth, Bühne: Mascha Mazur, Kostüme: Ulrike Kuhlbrodt/ Lisa Kentner, Lichtdesign: Hans Leser, Dramaturgie: Georg Scharegg, Musik: Die Türen.
Mit: Vivien Mahler, Annika Meier, Verena Unbehaun, Knut Berger, Christoph Gawenda, Patrick Wengenroth, Burak Yigit. Musiker: Ramin Bijan, Chris Imler, Michael Mülhaus, Maurice Summen, Omega Jan.

www.hebbel-am-ufer.de

 

Mehr zu Patrick Wengenroth im nachtkritik-Lexikon.

 

Kritikenrundschau

"Die letzten Tage der Menschheit" von Patrick Wengenroth seien "ein zwischen Kabarett und Dada, Poptheater und Performance angesiedeltes Stück Kommentartheater aus lässig hingewürfelten Nummern", schreibt Dirk Pilz sowohl in der Berliner Zeitung als auch – verlegerischen Synergieeffekten geschuldet – in der Frankfurter Rundschau (jeweils 25.10.2010). "Alle gemeinsam suchen sie, uns davon zu überzeugen, woran Kraus keinen Zweifel ließ: Dass der Krieg neben Toten und Lügnern vor allem Menschen-Karikaturen produziert." Durch Wengenroths "grell komische Regiebrille" erscheine "die ganze Welt wie ein Karikaturenstadl, nicht nur die des Krieges. Es gibt bei ihm keine hehren Orte des Wahren, Schönen, Guten, sondern: Scherz, Satire, Ironie - und durchaus auch tiefere Bedeutung, nur dass Tiefe und Bedeutung immer als Zitat und Querverweis erscheinen, also wie ein Stück glitschige Seife durch die Szenen schlittern."

Patrick Wengenroth hätte "das Überdrama zerschlagen, die Handlung verdrehen, die Schauspielerinnen und Schauspieler sich wild austoben lassen können", meint Jörg Sundermeier in der tageszeitung (25.10.2010). Wengenroth nehme jedoch den Text ernst und ringe "dem Stück viele Gegenwartsbezüge ab", traue der Aktualität seines Stücks am Ende aber doch nicht. Wengenroth befürchte, "mit einem zu klassischen Theater durchzufallen, daher eröffnet er nicht nur das Stück mit Krausens Anmerkungen zum Stück, sondern tritt auch am Ende wieder auf, (...) um zuletzt Rainald Goetz' Text 'Subito' vorzutragen." Das "halbgare Ende" aber lasse "die Frage aufkommen, warum Wengenroth sich eigentlich dieses Dramas angenommen hat. Doch Wengenroth stellt seine Schwierigkeiten mit diesem Stück aus, es ist theaterinterne Reflektion, allerdings nicht L'art pour l'art. So kommt es zu gelungenen und weniger gelungenen Szenen. Wengenroth drängt sich schlussendlich sogar vor sein Ensemble. Das klingt egozentrisch. Doch es ist dem Thema, mit dessen Bewältigung schon Kraus Schwierigkeiten hatte, angemessen. Und also überhaupt nicht schlecht."

Ernie rufe "Endsieg", und dazu spiele die Band "Die Türen" live einige Hits, berichtet Patrick Wildermann in einer Kurzkritik im Tagesspiegel (25.10.2010). "Warum? Das steht in den Sternen."

 

Kommentare  
Die letzten Tage der Menschheit in Berlin: Smiley
"sei schlau – bleib dumm!" :-)
Die letzten Tage der Menschheit in Berlin: von einem Klamaukeffekt zum nächsten
Selten hat ein(e) Nachtkritiker(in) eine solch neutrale Kritik geschrieben, die quasi ohne Wertung auskommt und sich aufs Referieren des Inhalts beschränkt.
Beim roten Vorhang hatte ich nicht die Assoziation eines Kasperletheaters. Erst durch die auftretenden Figuren aus der Muppet-Show und ähnlichen Sendungen stieg in mir diese Vorstellung auf, weil eben viel herumgekaspert wird. Das ist auch das Problem des Stücks. Wengenroth, der Verena Unbehaun aus „Was! Ist das episches Theater?“ mitgenommen hat, scheint vor allem von einem alles andere zurückdrängenden Impuls geleitet zu sein: „Wir wollen Spaß!“ Und so hetzt er von einem Klamaukeffekt zum nächsten, Hauptsache, der showartige Charakter bleibt erhalten und der Trash triumphiert. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema findet überhaupt nicht statt, die Anklage besteht offensichtlich in der sinnlosen Glorifizierung des Krieges und der Verrohung der Soldaten, die durchweg als geistig regressiv dargestellt werden.
Natürlich durfte die „Wacht am Rhein“ ebenso wenig fehlen wie die Verherrlichung des Militarismus in Friedenszeiten. „Serbien muss Sterbien“ und ähnliche Floskeln halten die aneinandergereihten Nummern in Gang, die teilweise sinnlos zusammengeklebt sind und auch einer Figur Platz geben, die in bayrischer Tracht hemmungslos onaniert. Was die beiden gegen Ende eingefügten Gestalten mit Sklaven-Masken für eine Funktion erfüllen, entzog sich meinem Verständnis.
Im Übrigen steht Hieronymus Bosch nicht nur für Bilder des Schreckens, bei denen sich Todgeweihte gegenseitig martern. Er hat auch Bilder wie „Im Garten der Lüste“ gemalt.
Was ich nicht ganz verstehe, ist, warum Frau Slevogt Kraus als „Ekelpaket“ bezeichnet. Zugegeben, Karl Kraus schrieb sehr polemisch und attackierte gelegentlich Kollegen, Journalisten und andere Skribenten. Das Zeitungsdeutsch war damals nicht auf dem höchsten Stand und ist es heute erst recht nicht. Das damalige Großfeuilleton, das nicht immer sein Handwerk verstand, brauchte nun einmal jemanden, der ihm auf die Finger schaute. Insofern war Kraus ein Anwalt der deutschen Sprache und ein Meister seines Fachs.
Die letzten Tage der Menschheit in Berlin: hingehen und tanzen!
Wer, wie, was - Wieso, weshalb, warum - Sei schlau, bleib lieber dumm!

Ich kann mich des Eindrucks nicht ganz erwehren, das die hoch geschätzte Kritikerschar seit Neuestem zum Lachen in den Keller geht. Sich dort ordentlich auf die Schenkel haut und danach erst in die Tasten. Aber es ist schon stark, was man dann so zu lesen bekommt. Das meiste davon steht wohl in den Sternen. Der Rezensent des Tagesspiegels, sollte doppelten Eintritt nachbezahlen und sein Honorar der Kriegsgräberhilfe spenden. Der Herr von der taz hätte vielleicht lieber die Hälfte seines zunehmend faselnden Textes dem Tagesspiegel zusenden sollen, damit es dort wenigstens für eine Spalte reicht. Frau Slevogt kann weder mit Kraus noch mit Wengenroth irgendetwas anfangen. Den Hang zum Pathos scheinen aber zunehmend alle Kritiker wieder für sich entdeckt zu haben. Dirk Pilz befindet sich wohl immer noch auf der Dessauer Kanzel und muss aufpassen, dass er beim Suchen des Wahren, Schönen, Guten nicht auf einem Stück Seife ausrutscht oder auf der Bananenschale, die Patrick Wengenroth in seiner unnachahmlichen Art lässig hinter sich geworfen hat. Der Spiegel, den er hier allen vorhält, zeigt ein pervers grinsendes Bild. Das reicht von der Schalek und dem FAZ lesenden Sam the Eagel, oder waren es vielleicht doch Eva Herman und Frank Schirrmacher, über die Kochtopfsoldaten, fanatischen Seppelkasper und einer stahlgewitternden Hitler- oder Ernst-Jünger-Parodie als Bodybilder bis zu den als Sado-Maso-Duo auftretenden Gasmaskenträgern und Totenkopfhusaren. Da mal ein Hoch auf all die glänzenden Darsteller, es ist sicher nicht einfach mit geknebeltem Mund noch ein schneidiges „Schnedderereng, schnedderedeng!“ herauszubekommen. Querverweise gibt es tatsächlich jede Menge, aber man muss ja nicht immer mit dem steifen Zeigefinger durch die Gegend laufen. Das ist nicht die Pfeffermühle der Therese Giehse und sicher auch nichts für Kraus-Puristen. Ernie sagt lakonisch frech zu allem „Leck mich“. Ein Kommentar der schließlich kulminiert in dem Auftritt Wengenroths, den Subito-Text von Rainald Goetz verlesend. Treffender kann man das nicht mehr kommentieren. „Ich schneide ein Loch in meinen Kopf, in die Stirne schneide ich das Loch. Mit meinem Blut soll mir mein Hirn auslaufen.“ Und wo haben wir dann den Sinn? „Gehe weg, du blöder Sausinn, ich will von dir Dummem Langweiligen nie nichts wissen.“ Das kommt heute so dröge daher wie eine talentlose Castingshow bei RTL. Vom medial inszenierten Protest zur totalen Eigenvermarktung schlechthin. Die Karikatur ist damit perfekt und das nicht ohne einige Selbstironie. Das mediale Ende der Menschheit ist nah, Patrick Wengenroth hat den Vorhang für die letzten Tage schon mal für zwei kurzweilige Stunden aufgezogen. Und jetzt los, ihr Ärsche, hingehen und tanzen.

hochachtungsvoll Paul-Karl Stefan Kraus
Wengenroths Letzten Tage der Menschheit in Berlin: Karl Kraus und Brecht
Wieso hätte sich Kraus verbeten, ein Ahne Brechts genannt zu werden? Sowas schreibt der Herr Journalist natuerlich schnell und flott hin, aber in Wahrheit war Kraus einer der fruehen Verehrer und Foerderer Brechts. Er brachte bei seinen Vorlesungen Brechts Gedichte zu Gehoer und war Brecht eng freundschaftlich verbunden. Nicht, dass das hier irgendwen interessieren wuerde, ich weiss.

Andere Frage noch. Ein Mann tritt auf der dem franzoesischen Satiriker Honore Daumier ähnlich sieht? Wow, nicht schlecht, Herr Kritiker. Sie wissen genau, wie Honore Daumier aussah, das ist Ihnen so ganz flott praesent? Bin sehr beeindruckt. Ich bin Kunsthistoriker, kenne Daumiers Arbeiten, aber so genau wüsste ich jetzt nicht zu sagen, wie Daumier eigentlich aussah. Hut ab.

Was sich Kraus uebrigens verbeten hätte, aber das nur ganz nebenbei, ist Wengenroths Inszenierung.
Wengenroths Letzten Tage der Menschheit: Brecht & Kraus II
Das Problem an Karl Kraus ist, das sich jeder Depp heute auf ihn berufen kann, das hätte er sich wahrscheinlich eher verbeten.
Übrigens war die erste Station die Brecht in Wien nach der Machtergreifung der Nazis 1933 anlief tatsächlich Karl Kraus. Der Dramaturg, Regisseur und Freund von Kraus Heinrich Fischer hatte die beiden bekannt gemacht. Brecht hat sich immer wieder auf Kraus berufen und Kraus hatte ihm auch einen gewissen Sprachwert bescheinigt, was schon etwas heißen will. Der Chor der Hyänen aus der letzen Nacht: „Wir trinken das Blut / Wir treten mit Mut./ Wir trinken es heiß./ Wir treiben das Blut./ Wir treiben den Preis!“ hätte Brecht nicht besser dichten können. Dann wird es allerdings kryptisch, wie bei einem Passionsspiel ohne Erlösung „Und die gekreuzigt hatten,/ wir treten aus dem Schatten / mit gutem Judaslohn!/ Mich schickt ein andrer Vater!/ Von seinem Schmerztheater / tritt ab der Menschensohn.“ Eine Beschwörung des Antichristen in Form des Kapitals, allerdings bekommt dann doch noch die ganze Menschheit die Schuld und wird vom oben herab ausgemerzt.
Hans Eisler hat vor der Maßnahme von Brecht auch 1930 „Die letzte Nacht“ von Karl Kraus am Theater am Schiffbauerdamm in der Regie von Heinrich Fischer aufgeführt. Kraus sah seinen Text sogar selbst als Operette. Und so liegt Wengenroth ja nicht vollkommen verkehrt mit seiner Version. Die Musik Eislers zu seinem Epilog der letzen Tage der Menschheit hat Kraus aber nicht sonderlich gefallen, da Eisler zum Teil Marschmusik verwendete. Kraus sah sich von den Kommunisten und Sozialdemokraten nicht ernst genommen und setzte dann lieber auf Dollfuß als das „kleinere Übel“.
Übrigens versucht sich demnächst Frank Castorf nach Brecht auch noch mit einem anderen Satiriker den Eisler vertont hat, nämlich Walter Mehring. An der Volksbühne läuft ab November „Der Kaufmann von Berlin“. Da kann dann Esther Slevogt wieder über den Abschied Castorfs vom Kommunismus schreiben.
Wengenroths Letzten Tage der Menschheit: Brecht & Kraus III
Über den schnellen Fall des Guten Unwissenden

Als wir den Beredten seines Schweigens wegen entschuldigt hatten
Verging zwischen der Niederschrift des Lobs und seiner Ankunft
Eine kleine Zeit. In der sprach er.

Er zeugte aber gegen die, deren Mund verbunden war
Und brach den Stab über die, welche getötet waren.
Er rühmte die Mörder. Er beschuldigte die Ermordeten.
Den Hungernden zählte er die Brotkrusten nach, die sie erbeutet hatten.
Den Frierenden erzählte er von der Arktis.
Denen, die mit den Stöcken der Pfaffen geprügelt wurden
Drohte er mit den Stahlruten des Anstreichers.

So bewies er
Wie wenig Güte hilft, die sich nicht auskennt
Und wie wenig der Wunsch vermag, die Wahrheit zu sagen
Bei dem, der sie nicht weiß.
Der da auszog gegen die Unterdrückung, selber satt
Wenn es zur Schlacht kommt, steht er
Auf der Seite der Unterdrücker.

Wie unsicher ist die Hilfe derer, die unwissend sind!
Der Augenschein täuscht sie. Dem Zufall anheimgegeben
Steht ihr guter Wille auf schwankenden Beinen.

Welch eine Zeit, sagen wir schaudernd
Wo der Gutwillige, aber Unwissende
Noch nicht die kleine Zeit warten kann mit der Untat
Bis das Lob seiner guten Taten ihn erreicht!
So daß der Ruhm, den Reinen suchend
Schon niemand mehr findet über dem Schlamm
Wenn er keuchend ankommt.

Bertolt Brecht, Wien 1933. Über Karl Kraus

(Bertolt Brecht, Die Gedichte, Frankfurt/Main 1981, S. 505)
Wengenroths Letzten Tage der Menschheit: Überfall des Comedy-Haufens
Als ich in Wengenroths Inszenierung hockte, kam mir ein Zitat von Karl Kraus: „In keiner Sprache wird ja so schlecht gesprochen und geschrieben wie in der deutschen und in keiner deutschen Region wieder so schlecht wie in der österreichischen.“ Aber des Regisseurs Truppe konnte sich, wie Kraus festgestellt hätte, auch noch in „gebrochenem Deutsch“ verständigen. Nichts gegen Wengenroth – aber warum musste er sich mit seinem Comedy-Haufen ausgerechnet auf Karl Kraus stürzen? Würde Kraus heute noch leben, so hätte diese Aufführung sein Leben um ein paar Jahre verkürzt. (...)
Bei der taz gehen vermutlich bald die Lichter aus, (...) in der Herstellung bizarrer Zusammenhänge ist Sundermeier ein Genie ungewöhnlichen Ranges. Man braucht nicht einmal zu kommentieren, hier reicht es zu zitieren: „Überhaupt traut Wengenroth der Aktualität seines Stücks am Ende nicht, obgleich etwa der Monolog eines versoffenen Vaterländers, der nach einer lustigen Pinkelorgie von der Vergewaltigung und Ermordung einer serbischen Frau erzählt, dazu passt, dass die Bundeswehr heute im Kosovo den Frieden bringt.“
Nach Sundermeier hat Wengenroth das Drama sehr ernst genommen – wahrscheinlich haben deshalb die Anwesenden so viel über das Kostümfestival gelacht.
(...)
Wengenroths Letzten Tage der Menschheit: zum Gedicht
@ Esther Slevogt
Das Gedicht ist bekannt, als Reaktion Brechts auf das Schweigen von Karl Kraus nach der Machtübernahme durch die Nazis in Deutschland. Es wird immer gesagt, Kraus wäre da missverstanden worden, ich glaube das übrigens nicht. Auf sein zwiespältiges Verhältnis zu den Bestrebungen in Österreich sich Nazideutschland anzuschließen, habe ich schon hingewiesen. Ich habe auch nicht behauptet, dass Brecht Kraus bis zu dessen Lebensende freundschaftlich verbunden war. Brecht war wie Kraus kein Feiner und hat genauso ausgeteilt. Worüber Kurt und ich geschrieben haben, bezieht sich auf die Zeit vor 1933. Brecht war 33 nach Wien gekommen, um eine Lesung zu halten, die Karl Kraus noch selber angekündigt hatte. Die Lesung viel leider aus und Brecht reiste weiter, da er ja auf der Flucht war. Das kann man nachlesen, ich habe aber leider gerade nicht Brechts gesammelte Werke dabei. Nun, Sie können uns aber sicher noch die Reaktion von Karl Kraus auf das Gedicht von Brecht aus dem Ärmel zaubern, wenn es die gibt. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe kein Interesse daran Sie zu ärgern, aber Sie können auch keine Feindschaft zwischen Brecht und Kraus aus einem Gedicht konstruieren.
Wengenroths Letzten Tage der Menschheit: gegen Zerstückeln
Sehr geehrte Ape,

bevor Sie einen Kommentar durch Zensur dermaßen zerstückeln, lassen Sie ihn lieber ganz weg.
Herr Wengenroth teilt, wie ich bislang mitbekommen habe, sehr gerne aus - also sollte er auch etwas einstecken können. Meine Kritik an ihm war eher harmlos und bestimmt nicht justiziabel.
Ich kann es auch verstehen, dass Sie über die taz, für die Sie früher Kritiken geschrieben haben (oder immer noch?), keine schlechten Worte hören wollen.
Aber im Stück selber kam "das Lande der Richter und Henker" ebenso vor wie das mit Goethe- und Schiller-Zitaten geschmückte Klopapier. Warum zensieren Sie?
Wengenroths Letzten Tage der Menschheit: greisenhaft verbohrt
Was ist denn in diesem Thread hier los? So was Verbissenes wie von Stefan oder Flohbär habe ich ja schon lange nicht gelesen. Die zwei sind in ihrer greisenhaften Verbohrtheit und ihrem Oberlehrertum ja unerträglich. Es sollte eine Altergrenze für Kommentatoren geben, oder wenigstens eine gewisse Fähigkeit zu Selbstironie. Lassen Sie sich doch als Nachfolger für die Opern-Opas in der Muppet-Show casten. Aber wahrscheinlich sind Sie dafür nicht lustig genug.
Wengenroths Letzten Tage der Menschheit: zur Zerstücklung
Lieber Flohbär,

es macht einen entscheidenden Unterschied, ob Patrick Wengenroth persönlich mit seinem Namen für das einsteht, was er austeilt, oder ob Sie als anonymer Poster außerhalb dieses Forums keinerlei Verantwortung für Ihre Äußerungen übernehmen und auch keine Konsequenzen tragen müssen. Deshalb haben die Diskussionen hier gewisse Grenzen, die Sie entweder selbst einhalten oder für deren Einhaltung die Redaktion sorgt, indem sie bestimmte Dinge streicht.

Was die taz angeht, so wurde - als Ihr Posting einging - über den Umfang der Zensur redaktionsintern noch beratschlagt. Die Kritik am Medium geht in Ordnung, nicht aber eine zur persönlichen Beleidigung tendierende Kritik am einzelnen Autor.

Die Redaktion
Wengenroths Letzten Tage der Menschheit: Machen Sie Witze!
Roter Kakadu, ich habe nichts gegen Humor und habe mir mittlerweile den dritten Wengenroth angesehen.
Ich bin nicht so alt, wie Sie vermutlich glauben. Im Übrigen finde ich es schade, wenn Sie ältere Jahrgänge ausgrenzen wollen.
Wengenroths Scherze sind manchmal tatsächlich amüsant - nur er und Karl Kraus, das passt einfach nicht.
Da Sie von "Oberlehertum" sprechen...In Karl Kraus haben Sie den Oberlehrer par excellence. Lesen Sie doch einmal die Kompilation "Die Sprache" (Suhrkamp Taschenbuch).
Selbstironie habe ich durchaus - wenn es Ihnen ein gutes Gefühl verschafft, können Sie auch einen - geistreichen - Witz über mich machen.
Wengenroths Letzten Tage der Menschheit: holde Amazonen?
@ Flohbär
Was haben Sie den nur an Patrick Wengenroth zu bemäkeln, dass das jetzt schon zensiert werden muss? Wie würden Sie denn Kraus aufführen? Man muss doch nicht sklavisch vor dem Original erstarren. Ein paar Sklaven in Sado-Maso-Kostümen sind doch sehr passend. Ich glaube ja immer noch, dass Wengenroth Karl Kraus durchaus sehr ernst genommen hat. Sie ergänzen sich meiner Meinung nach fast perfekt. Aber vielleicht sieht man das nicht auf den ersten Blick, wenn man sich nur auf den Klamauk konzentriert. Das Verarschen der Armee, vor allem des österreichischen Bundesheeres, kann man gar nicht genug übertreiben. Die Flaggen die im Stück ausgerollt werden, zeigen ja eine Montage der österreichischen Fahne mit dem Symbol der deutschen Bundeswehr. Wenn man mal auf die Internetseite des Bundesheeres geht, bekommt man dann auch die blanken Fragen. Da wird tatsächlich zur Werbung von Frauen fürs Heer die gute Alice Schalik hergenommen. Der nette junge Magister Christoph H., Kurator für Uniformen, Fahnen und Mannesausrüstung im Heeresgeschichtliches Museum Wien, hat hier unter der Rubrik „Ich werde Soldatin“ ein Sammelsurium der Merkwürdigkeiten zusammengestellt, um den Drang der österreichischen Frau zur Waffe nachzuweisen. Er träumt wahrscheinlich noch immer von der Isonzofront und möchte am liebsten mit der Schalik zur Großwildjagd nach Afrika fahren. Man kann ihm sogar eine Email schicken und ihn zu diesem Unfug beglückwünschen. Hier ein kleiner Auszug: „Neben ihr (einer anderen holden Amazone) muss aber auf jeden Fall auch die berühmte Kriegsberichterstatterin Alice Schalek (1874- 1956) genannt werden, die seit 1903 als Feuilletonredakteurin bei der Neuen Freien Presse in Wien beschäftigt war und im Verlaufe des Ersten Weltkrieges die einzige Frau blieb, die zur Kriegsberichterstattung "offiziell" an der Front zugelassen worden war. Für ihren unermüdlichen Einsatz, vor allem im Bereich der "Isonzofront", wurde sie schließlich am 18. Februar 1917 mit dem Goldenen Verdienstkreuz mit der Krone am Band der Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet.“ Na, da hätte Karl Kraus vor Freude in die Hände geklatscht und gleich eine Extraausgabe der Fackel fabriziert. Wenn das keine echte Realsatire ist? Ich hoffe Wengenroth fährt mit dem Stück noch nach Wien, der Erfolg ist ihm jetzt schon sicher.

Ach, übrigens:
Lieber roter Kakadu,
mach doch flugs den Schnabel zu.
Wenn sich Erwachsene unterhalten.
Wengenroths Letzten Tage der Menschheit: entfesselter Klamauk
@Stefan:
Was in „Festung“ und „Was! Ist das episches Theater“ noch seine berechtigte Kmik hatte, wird im neuen Stück einfach übertrieben. Hier wird mir zu viel „pilawer...palavert“, wie eine Figur zum Besten gibt. In „Festung“ konnte Theaterdiscounter-Boss Scharegg, der diesmal die Dramaturgie übernommen hat, noch einen Bowle-Sketsch nach Peter Frankenfeld beisteuern und Etliches mehr, das zum Schmunzeln anregte. Auch die Verballhornungen von Kachelmann und Helene Hegemann im „epischen Theater“ hatten ebenso ihren Reiz wie Wengenroths Boxeinlagen.
Die Rezension von Pilz in der Berliner Zeitung entspricht so etwa meiner Meinung. Dem war es auch etwas zu lustig – aber natürlich ist das letztlich Geschmackssache. Während des Stückes hatte ich die Befürchtung, dass sich Wengenroth demnächst den „Werther“ oder „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ vornimmt, um diese Stücke mit einer Welle entfesselten Klamauks zu überziehen. Das Personal dazu hat er jedenfalls: Verena Unbehaun kann gut singen und Kabarett spielen – aber ist sie einer ernsthaften Tragödie gewachsen?
Doch ich möchte nicht weiter auf diesem Stück herumreiten, sonst fühlt sich wieder jemand von Wengenroths PR-Abteilung auf den Plan gerufen.
Wengenroths Letzten Tage der Menschheit: neue Brecht-Verulkung?
@ Flohbär
Na zumindest könnten die uns dankbar sein für die zusätzliche PR.
ich freue mich schon auf den nächsten Streich von Wengenroth an der Schaubühne, aber den Werther hat doch Ostermeier schon verulkt. Von mir aus kann sich Wengenroth vornehmen was er will, aber warum sollte er ernsthaft werden? Brecht ist gar keine so schlechte Idee, vielleicht die Rundköpfe und die Spitzköpfe und dazu spielt dann wieder die Band Kante, die haben damit schon Erfahrung. Was auch immer, Premiere ist jedenfalls im Februar 2011.
Wengenroths Letzten Tage der Menschheit: Bleib dumm?!?
Sei schlau - bleib dummm?! Wahrlich, eine schlapp anmutende, pseudodialektische Erkenntnis. Ich aber will wissen! Und erst daraus entsteht das Tragische. Aber die Ärsche, die sollen/wollen bloß weiter tanzen. Nee, oder? Nicht wirklich.
Wengenroths Letzten Tage der Menschheit: Verena Unbehaun
Sie ist einer ernsten Tragödie gewachsen.
Ich habe sie bei Christian Weises "Schroffenstein" in Dessau gesehen.
Wengenroths Letzen Tage der Menschheit: schrecklich!
janz ehrlich: ick fands schrecklich!
warum werden an allen fronten (ha!) die klamaukwellenreiter bejubelt???
ick kann da nur vermutungen anstellen. wahrscheinlich sind "ernsthafte" inszenierungen nicht unterhaltsam genug,um dem druck des gnadenlos marktwirtschaftlich umstruckturierten kunstbetriebes standzuhalten. das publikum will spass, also wird er geliefert.
anstatt dieses werk von 1915 zu adaptieren und in die gegenwart zu transportieren, wird das ganze in den landesweiten blödelwettbewerb eingereiht. das ist weder provokativ noch innovativ. es ist dem mainstream gewidmet. und der will lachen. nun gehöre ich wohl zu der randgruppe der allgemein fröhlichen menschen an, die im theater nicht zwangsläufig entspannung suchen, sondern tatsächlich belastbar sind.
also, lieber herr Wengenroth: bittebitte kratzen sie das nächste mal allen mut zusammen. zeigen sie dem establishment den finger und überraschen sie mich mit einer inszenierung, die mich fordert.
und wenn ich dann der einzige zuschauer sein sollte, der so etwas heutzutage sehen möchte, dann jehn wir danach inne nächste kneipe. ick jeb een aus. versprochen !!!
greetz
der norri
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