Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes - Martin Kušejs deutsche Erstaufführung des Stücks von Roland Schimmelpfennig
Die Stehlampe Mitgefühl
von Georg Kasch
Berlin, 19. November 2010. Eine Katastrophe, dieser Abend – behauptet der erste Satz: Zwei Paare treffen sich zum Essen und stolpern in die Abgründe, die sich nach sechs Jahren Trennung und verschiedenen Lebenswegen auftun. Die einen retteten in Afrika Menschen, die anderen machten in Deutschland Karriere. Beide sind schuldig, auf ihre Weise.
Damit der Einstünder von den vier Personen, die nach einer moralischen Entschuldigung suchen und keine finden, nicht gar zu sehr nach den Erfolgspsychobohrungen à la "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" und "Der Gott des Gemetzels" riecht (beide grüßen dennoch vernehmlich), hat Roland Schimmelpfennig in seinem neuesten Stück "Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes" die klassische Dramaturgie – erst wird geplaudert, dann geht's ans Eingemachte – durch Wiederholungen und Einschübe der aus dem Rahmen fallenden Protagonisten aufgebrochen.
Erbarmungsloses Vergrößerungsglas
Das dicke Ende, in dem uns die vier unsere verlogene Gutmenschigkeit und unseren dummdreisten Egoismus so richtig vorführen, kommt natürlich trotzdem erst am Schluss – als moralische Keule, gerade weil es ein klares Urteil verweigert. Die Uraufführung fand im Sommer im Volcano Theatre Toronto statt, in dessen Auftrag das Stück auch entstand. Und zwar als einer von drei kurzen Texten zum Thema Afrika.
Bei Martin Kušejs Erstaufführungs-Stehempfang am Deutschen Theater ist die Katastrophe von Anfang an schon dagewesen: Plötzlich sind die vier Mittelschichtsmenschen da, kühl ausgeleuchtet im kahlen Kasten, der an die vielen großartigen Schimmelpfennig-Exkursionen des Jürgen Gosch erinnert. Wo aber Gosch noch in den flacheren Vorlagen die Menschheitsgeschichte entdeckte, auch das große Gefühl, und beides vorsichtig herausschnitt, zwingt Kušej das Stückchen, das ein veritables Drama sein will über Tod und keine Liebe, von Anfang an unter ein erbarmungsloses Vergrößerungsglas.
Dass Liz und Frank, Carol und Martin lügen, wenn sie nicht gerade stehen und schweigen, sieht man sofort: an ihren viel zu lauten Gesten, dem aufgesetzten Lachen, der Betonung. Eine gute Stunde lang: verkrampfte Wesen, die neben sich stehen, beziehungslos. Maren Eggert und Sophie von Kessel knipsen Liebenswürdigkeit und Hysterie an und aus wie eine Stehlampe, Ulrich Matthes grinst sein Joker-Lächeln auf Abruf bis in die letzte Reihe des zweiten Rangs und Norman Hacker verkneift Gesicht und Gefühle, bis er im Monolog wild das Gewissen der Weltöffentlichkeit agitieren darf.
Die Dialogmaschen fallen
Sie alle können das, dieses ständige Rein und Raus in Stimmungen, Gesten und Blicke, dieses verlorene Panthern entlang der imaginären Gitterstäbe ihres Bühnenknasts, das tierische Sich-Krümmen, bereit zu Schlag und Gegenschlag. Alle Schauspielertricks, auch die ganz raffinierten der Maren Eggert (sie allein schmuggelt hin und wieder so etwas wie Menschlichkeit ins Spiel, als melancholisch Wissende), gehen ins Leere: Kušej lässt – wohl aus Angst vor den Reza'schen Pointen, und auch so wird noch ordentlich gekichert im Parkett – die Dialogmaschen fallen, dehnt Pausen ins Unerträgliche, schlägt uns nicht nur mit Moral, sondern auch mit Langeweile ins Gesicht.
Dass der Westen heillos überfordert mit Afrika und kein Engagement auch keine Lösung ist, stimmt ebenso wie der Befund, dass jeder vor seiner eigenen Tür kehren sollte. Wenn sich aber plötzlich hinter dem offenen Lichtkasten ein Müllregen zum Haufen türmt, auf dem die vier versuchsweise zum Weltverbesserer-Song "We are the world" herumstaksen, dann ist das weniger Selbstzitat (in Kušejs Münchner Woyzeck waren die Mülltüten allerdings noch geschlossen) als die ziemlich platte Umsetzung einer Binse.
Ob in Schimmelpfennigs Puppenmassaker (Peggy Pickit ist das blonde Spielzeug von Liz' und Franks Tochter, dem Liz einen Dialog mit dem ebenhölzernen Afrika-Mitbringsel von Carol und Martin andichtet) mehr steckt als Routine, dramaturgische Inversion und Zeigefinger, werden Wilfried Minks am Thalia Hamburg und Schimmelpfennig höchstselbst an der Wiener Burg klären. Am Deutschen Theater hat's nicht mal zu einer Katastrophe gereicht.
Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes (DEA)
von Roland Schimmelpfennig
Regie: Martin Kušej, Bühne: Annette Murschetz, Kostüme: Werner Fritz, Musik: Bert Wrede, Dramaturgie: Anika Steinhoff.
Mit: Maren Eggert, Ulrich Matthes, Sophie von Kessel, Norman Hacker.
www.deutschestheater.de
Mehr zu Martin Kušej im nachtkritik-Lexikon. Mehr zu Schimmelpfennig und seinem preisgekrönten Stück Der goldene Drache hingegen hier.
Stück und Inszenierung wirken auf Hartmut Krug im Deutschlandfunk (20.11.2010) so banal wie zeigefingrig, so routiniert wie absehbar. Wie mit den Puppen, von denen die Rede sei, werde auch mit den Sätzen und überdeutlichen Metaphern hantiert. Die Figuren des Stücks verkörpern zum Bedauern des Kritikers ebenfalls kaum mehr als Haltungsklischees, "die nicht aus ihnen heraus psychologisch begründet, sondern ihnen einfach nur zugewiesen und angeheftet sind. Gelegentlich äußern sie im Off, was sie wirklich denken, und immer wieder werden einzelne Passagen wiederholt oder vorweg genommen. Das könnte durchaus witzig sein oder auch mit Ernsthaftigkeit wirken, wenn, ja wenn nicht Regisseur Martin Kusej alles Tempo aus den Dialogen genommen hätte, um die zugrunde liegende tiefere Bedeutung dieses zutiefst problembewussten wie dabei äußerst problematischen Konversationsstückes auszustellen."
Die intelligenteste Geistlosigkeit seit langem, stellt Peter von Becker im Berliner Tagesspiegel (21.11.2010) fest. Schimmelpfennig, Deutschlands meistgespielter Gegenwartsdramatiker, sei ein Könner darin, "scheinbar unverbundene Figuren durch ein mysteriöses oder kurioses Motiv wie durch ein Virus anzustecken und miteinander zu verspinnen. Das hat er zuletzt wieder wunderbar in seinem 2010 zum Stück des Jahres gewählten 'Goldenen Drachen' gezeigt. Bei 'Peggy Pickit' aber bricht das nur ab." Jede Infektion hätten nun auch Martin Kusej und seine Bühnenbildnerin Annette Murschetz gescheut. Maren Eggert , Ulrich Matthes, Sophie von Kessel und Norman Hacker agierten "im aseptisch leeren Zimmer. Man besäuft sich bloß trocken, kein Requisit, alles ist Rede im abstrakten Gedankenraum. Nur gibt es darin kaum einen Gedanken, weil die 90-minütige Geschichte nach einer Viertelstunde restlos begriffen ist. Die einzige Spannung liefern die Spieler – indem sie all die Handlungslöcher mit brillanten Nuancen füllen."
Christine Dössel von der Süddeutschen Zeitung (22.11.2010) fühlt sich an Albee und Reza erinnert. Schimmelpfennig öffne den Horizont allerdings auf "die Frage nach dem Wohlleben, Schuldbewusstsein und Gutmenschentum der westlichen Welt". Einmal mehr erweise sich der Dramatiker "als enorm versierter und disziplinierter Szenenkondensator", der sich "knappster Dialoge", "Stummelsätzen, Wiederholungsschleifen und Off-Kommentaren" bediene. "So richtig zünden und brennen" wollten die aufgerissenen Konfliktherde jedoch nicht, dazu sei das Stück "zu dünn, zu deutlich, zu abseh- und in seinem Wirkungsmechanismus durchschaubar". Auch leiste Kusej in seiner "sterilen Kunstanstrengung", einer "Bedeutungshuberei mit schwerem Moralkeulenzuschlag", kaum "szenische Entwicklungshilfe". Annette Murschetz' leere Bühne gebe dem Ganzen einen "nüchternen, distanzierten Laborcharakter, der dem Stück nicht bekommt", es werde "tatsächlich langweilig". Die Schauspieler blieben "ausgestellt und stehen gelassen im abstrakten Disputationsraum", nutzten aber jede Gelegenheit, "sich mit ihren Figuren zu behaupten". Eggert spiele dabei "so wunderbar fahrig, traurig und zerbrechlich", dass einem Liz mit ihrem "Lebensstandardschuldkomplex" tatsächlich nahe gehe. Das "Tollste an dem Abend" sind für Dössel aber die echten Ohrfeigen. Der Knalleffekt mit dem Zivilisationsmüll zu "We Are The World" sei hingegen "kein Wink mit dem Zaunpfahl, sondern mit einer ganzen Menschenkette".
"Schwerblutregisseur" Kusej lasse Peggy Pickit "direkt in die Visagen Gottes", also die seiner menschlichen Abbilder sehen, schreibt Gerhard Stadelmaier in der Frankfurter Allgemeinen (22.11.2010). Jeder Schauspieler zeige "eine diesbezügliche Offenbarungsversion in tiefenscharfer Nahaufnahme": Eggert die "zickig sentimentale", Matthes die "zynisch dämonische", von Kessel die "bitter frustrierte", Hacker die "bös wurstige". Das Stück sei hier in Blickwechsel gegliedert – "das Abendessen als Apokalypse entblößter Gesichter". Dass zwei Paare der Ersten Welt "peinsam hilflos vor den Problemen der Dritten Welt" stünden, sei "der Vorwurf von Schimmelpfennigs Stück", der hier wieder nach seinem Prinzip 'das Größte im Kleinsten' verfahre. Als "dramatischer Elendsveredler" bringe er diesmal "das Elend der Dritten Welt bei einem sarkastischen Abendessen in der Ersten Welt unter". Witz und Wert des Stücks lägen darin, "dass hier nicht von außen den beiden Paaren etwas unter den Füßen und über den Hirnen weggezogen wird, sondern dass sie das selbst erledigen". Daraus werde bei Kusej "eine große Sprechoper" mit "tröpfelnden Minimalmusik" von Bert Wrede. "Kusej zeigt: Es ist alles noch viel schrecklicher, als ich es euch unmenschlich zeige."
Die "eigentlich wohlbekannte Form der Wohnzimmerschlacht" wirke hier "erst einmal ungewohnt", findet Simone Kaempf in der tageszeitung (22.11.2010). Schimmelpfennig werde vor allem für "sein kompositorisches Bewusstsein" geschätzt, "mit dem seine Stücke dem Lauf des Schicksals beiwohnen". Sein neues Drama speise sich "aus der Enge eines aufgesetzt freudigen Wiedersehens" und sei ein "Sammelsurium an Motiven". "Umso überraschender, was auf der Bühne an Symbolkraft herauszuholen ist": bei Kusejs sei "schon das Bühnenbild suggestiv aufgeladen". Hier gewinne jedes Detail, jede Geste "Aufmerksamkeit in dem ausbalancierten Spiel" der vier Darsteller. "In der Welt draußen" ist diesen Figuren "etwas entglitten, und das greift sehr glaubhaft ihr Selbstverständnis an". Trotzdem fehle dem Abend etwas, und das müsse man dem Autor anlasten. Er lege seine Figuren "lebensnah und unspektakulär an (...), und wo es bei großen Themen unglaubwürdig zu werden droht, lässt er erzählen, statt psychologisch realistisch herzuleiten". "Peggy Pickit" mangele es jedoch "an Einbettung, einer anderer Perspektive als die der desillusionierten und verunsicherten Ärztepaare".
Peter Michalzik von der Frankfurter Rundschau (22.11.2010) beschreibt zunächst Schimmelpfennigs "in eigenartige Schwebe gebrachte Sprache": "Er nimmt sehr einfache Sätze, die wir alle dauernd sagen, und macht sie sozusagen nackt." Niemand könne solche Sätze, "gewöhnlich bis zur totalen Banalität, vieldeutig bis zur tragischen Abgründigkeit, so ausstellen wie Schimmelpfennig". Dadurch gelängen ihm "Einblicke in Hirnzonen, die bisher unausgeleuchtet waren". Überdies versuche er in "Peggy Pickit", "unser glattgebügeltes Gerede zu knacken", indem er die Figuren "neben sich stehend sich selbst kommentieren" und also "Handlung und reingeschnittenen Subtext" nebeneinander her laufen lasse. Schimmelpfennig sei ein "postmoralischer Autor", die "starke Stimme einer vor allem sich selbst gegenüber skeptischen Generation". "'Peggy Pickit' hält die moralische Verunsicherung aus und gibt keine falschen Antworten." Bei Kusej stünden die Schauspieler "erdrückend oft (...) neben sich". Auch wenn das Spiel vor allem bei Matthes momentweise ins Komödiantische kippe, könne sich dies nicht durchsetzen. Im "handelsüblich weißen Kasten inklusive Neonlicht" stünde er, der Mensch: "starr, isoliert, festgefroren im Ungesagten. Oh weh." Kusej gebe so "den Unter-, nicht aber den Vordergrund. (...) Man sieht die Risse, nicht aber die Oberfläche."
Schimmelpfennigs neues Stück sei "das schlechteste seit seinem letzten Stück", meint hingegen Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (22.11.2010). Weil es nämlich "wahllos zusammengesammelte Kitschpartikel aus dem weiten Feld der Weltbild- und Beziehungskonflikte benutzt, wenn nicht missbraucht, um das Szenenzusammenschrauben als Virtuosität zu feiern". Gesprochen werde "in Stummelsätzen, wichtig sollen die Pausen dazwischen sein". Auch Pilz denkt öfter an Albee, ein bisschen an Richard Yates, "oft auch an das berühmte Milchkaffee-Philosophieren, wie es vor allem in Berliner Berg-Bezirken liebevoll gepflegt wird. An Konflikte denkt man eigentlich nie." Kusej habe versucht, "den Figuren so etwas wie ein tragisches Geheimnis, also einen veritablen Spielgrund, hinzuzuerfinden". Die Schauspieler "rammen jeden Satz wie einen Zaunpfahl in die Luft. Die Wechsel zwischen bös-kalten Blicken und heiß gekochten Emotionsausbrüchen (...) sind gesucht schneidend." Alles sei hier "tragisch scharf geschliffen", alle umlagerten einander wie Raubkatzen. "Wahrscheinlich wollte Kusej mit seinen verkrampften Verfremdungs- und Verkünstelungstricks dem Stück beweisen, dass es als Weltbild- und Beziehungsgroßdrama taugt." Dabei entlarvt er es jedoch "als eines, bei dem es nichts zu verfremden und verkünsteln gibt, weil es weder stofflich noch formal Substanz besitzt" – im Gegensatz etwa zu Schimmelpfennig-Stücken wie "Idomeneus" oder "Hier und jetzt".
Schimmelpfennig sei "mit Fug und Recht Deutschlands meistgespielter Dramatiker", finden wiederum Monika Nellissen und Ulrich Weinzierl in der Welt (22.11.2010). "Mittels sparsamer Sprache lässt er plastische Figuren entstehen, die befremden, weil sie uns im Grunde sehr nahe sind." Er urteile nicht, sondern schaue genau hin und huldige dabei "keineswegs einem platten Realismus", schreibe stattdessen "ungemein kunstfertig", "auch und gerade im musikalischen Sinn". Diesmal treffe "ramponiertes Gutmenschentum (...) auf satte Mittelklasse". "Das Problem des etwas schwerfälligen Abends sind keineswegs die vortrefflichen Schauspieler", liege eher in einer "Tendenz zum Überdeutlichen, zum gewollt Bedeutsamen". So laste auf Kusejs Versuchsanordnungs-Inszenierung "das ganze Gewicht (...) des schlechten Gewissens". Er tue alles, "um dem Verdacht einer Nähe zum Boulevard auszuweichen". Die "an- und abschwellend wummernde Klangtapete und bewussten Dialogpausen verstärken den Effekt des Zeigens. Aber eben der konterkariert die Machart des Stücks, in dem Schweres, Bedrückendes mit leichter Hand, fast beiläufig serviert wird." "Und auch bei Symbolen à la Müll von oben empfiehlt sich dann doch eine feinere Dosierung."
Für Werner Theurich von Spiegel-online (21.11.2010) ist die biegsame Plastikpuppe Peggy Pickit nicht nur innerhalb des Stückes ein Symbol, sondern auch eines "dafür, wie der Autor mit dem Thema umgeht": "Auf lauten Sohlen und mit der ganzen Wucht kabarettreifer Pointen schreitet Schimmelpfennig durch sein Thema". Die Puppen dürften hier "schon mal mitreden, gewissermaßen aus dem Bauch der Protagonisten". Die eingezogene "auktoriale Erzählebene" wertet Theurich als "routinierten Kunstgriff, der immer wieder erlaubt, die Handlung zu bespiegeln - wenn ein Regisseur damit umgehen kann". "Regie-Star" Kušej trete "der schmalen Statur und den Klischees des Textes (...) mit der ganzen Wucht seiner Mittel entgegen" und inszeniere "ein hochartifizielles Ballett", in dem sich die Figuren "steif und vorsichtig" umkreisen. Er traue der Sprache und den Formulierungen des Textes, lasse die Wiederholungen "in Duktus, Betonung und Körperausdruck variieren, was ihnen die (...) Komik nimmt, dafür aber mehr Bedeutung verleiht". Das "Allstar-Ensemble" erleichtere überdies das "Text-Ballett mit darstellerischer Grandezza".
Martin Kušej gehöre zu den "unerbittlichen Regisseuren", schreibt Peter Kümmel (Die Zeit, 25.11.2010)." Sein Impetus als Regisseur sei: "Man darf die Leute nicht ungeschoren davonkommen lassen." "Sie sind schlecht und haben nichts Gutes verdient." Deshalb sei selbst eine Komödie bei ihm ein "Strafgericht". Die "dünne Geschichte" in Roland Schimmelpfennigs Stück habe er "donnernd exekutiert". Nebenbei vergrößere der Regisseur die "individuelle Paarschuld zur gesellschaftlichen Schuld". Schimmelpfennigs "Konversationskomödie" wirke in Kušejs Regie, "als habe der Menschenkonservator Gunther von Hagens eine leibhaftige Theaterstunde in Plastilin konserviert und den Zeitblock dann in Dutzende transparente Scheiben zersägt".
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manchmal dachte ich, herr schimmelpfennig hat damals zu viel in den schliengensiefschen nachtkritkik-afrika-operndorfkommentaren herumgelesen und dauraus eine berliner- afrikanische geschichte gebaut... es ist trotzdem ein kleine , gute spiegelung zweier suchender paare unserer gesellschaft, anfang vierzig, die merken, daß ihr zug in die hofffnung und zufriedenheit langsam ohne sie abfährt... und sie können nicht einmal benennen, warum sie keine kraft haben, etwas wirkliches zu bewirken: so, wie herr schlingensief bei seinem gastspiel in einem interview in amsterdam sagte: ich habe erkannt, daß wir europäer in afrika nichts zu tun haben, wir sollen uns einfach heraushalten...
Schimmelpfennig nimmt sich nach seiner preisgekrönten Parabel von Grille, Ameise und chinesischem Zahn mit einem eher dürftigen Text eine geistige Auszeit und die hochdotierten Schauspieler sowie der Regisseur Martin Kušej sind sichtlich unterfordert mit diesem platten Stück Weltsicht. Ulrich Matthes spielt seine Rolle aus den Kindern der Sonne einfach weiter, es wäre nicht verwunderlich wenn Katharina Schüttler anstatt Maren Eggert um die Ecke biegen würde, Sophie von Kessel kommt wahrscheinlich geradewegs von einem Filmset über einen UN-Blauhelm-Einsatz und wenn Norman Hacker mal die Hände aus der Tasche bekommt, dann nur um nach einem neuen imaginären Drink zu greifen.
Warum in letzter Zeit immer wieder Zivilisationsmüll als Bild für das Versagen der westlichen Welt vom Bühnenhimmel fallen muss, weiß Gott allein und die BSR. Nachdem dann alle Contenance gefallen ist und die Puppen auf dem Müllberg gelandet sind, stapfen die Protagonisten noch einmal suchend durch eben jenen, bis sich alles in einer Entschuldigungsarie von dem von Ulrich Matthes gespielten Frank entlädt. Er hat doch nichts getan, beteuert er und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Im Hintergrund läuft durch ein monotones Geräusch gestört die Live-Aid-Melodie. Allerdings ist das als große Dramatik zu wenig, und wer sich da ertappt fühlt, hat bestimmt schon den Überweisungsschein für Unicef oder Brot für die Welt ausgefüllt.
Das ist so banal und ärgerlich, das man kotzen möchte, aber nicht wegen der ausgestellten Blödheit, sondern wegen der Einfallslosigkeit von Autor und Regie. Letztendlich kommt lediglich ein weiteres Drama bürgerlichen Elends auf die Bühne des Deutschen Theaters, das Gesicht Gottes als fremde afrikanische Fratze zeigt wieder mal nur die Hilflosigkeit des Westens gegenüber den Problemen dieser Welt. Diesen geistigen Tiefflug auch noch in die Nähe von Schlingensief zu rücken ist schon dummdreist. Das es Schimmelpfennig mit diesem Unsinn gleich auf drei große deutschsprachige Bühnen geschafft hat, ist schon ein starkes Stück.
Doch er endet hier. Nicht, weil in dem Wiedersehen zweier befreundeter Paare nach sechs Jahren, in denen eines der Paare in Afrika Entwicklungshilfe geleistet hat, keine Konflikte auftreten, keine verdrängten Agressionen aufbrechen, keine Leichen aus den Schränken hervorquellen. Von alldem gibt es genug: Die Ehe der Daheimgebliebenen kriselt, das Afrika-Paar hat einander betrogen, ein aufgenommenens Mädchen wurde zurück- und dem wahrscheinlichen Tod überlassen, was ihnen die Hiergebliebenen auch vorwerfen, während diesen ihr Dableiben angelastet wird, jedem ist sein eigenes Handeln suspekt und vergrabene Ressentiment aller Beteiligter gegeneinander gibt es zuhauf.
Und trotzdem bleibt das Stück ebenso blass und blutleer wie Martin Kušejs Inszenierung. Zunächst zum Stück: Viel soll hier verhandelt werden, es geht um nichts weniger als die Schuld des Westens gegenüber Afrika, die neokolonialistische Selbstherrlichkeit, der Egoismus der Helfer, das Überlegenheitsgefühl - all das wird angesprochen und verpuft doch in erschreckend banalen Phrasen und Argumenten. Es bleibt bei der plumpen Karikatur, beim Kratzen an der Oberfläche, Tiefgründigkeit oder ernsthafte Auseinandersetzung sucht der Zuschauer vergebens.
Da hilft auch nicht, dass Schimmelpfenning eben nicht realistisch erzählt. Die Szenen werden von Kommentaren der Figuren durchbrochen, Sätze, Szenenfragmente werden wiederholt, zum Teil in unterschiedlicher Betonung, aus der anfänglich linearen Chronologie wird zunehmend eine Art Kreisbewegung. Da traut einer -zu Recht -seiner eigenen Geschichte nicht, schaft eine Distanz, wo ein Eindringen in die angekratzten Themen nötig wäre. Das ist "L'Art pour l'art" und weniger enthüllend als ablenkend.
Kušej verschlimmert die Sache noch: Anstatt Schimmelpfennigs gewollter Künstlichkeit zu folgen, lässt er fast naturalistisch spielen, als wäre man bei Reza oder Albee. Gleichzeitig akzentuiert er die Künstlichkeit durch absurd lange Pausen, die keinerlei Erzählfluss oder Rhythmus aufkomme lassen. Inmittel von alldem versuchen sich die allesamt auf verlorenem Posten befindlichen großartigen Darsteller in psychologisierendem Realismus, der am prästenziösen Korsett von Autor und Regisseur scheitert. Einzig Maren Eggert vermag in kurzen Momenten - entwa in den "Zwiegesprächen" der titelgebenden Plastikpuppe mit einer afrikanischen Holzpuppe - so etwas wie emotionale Tiefe anzudeuten.
Ansonsten bleibt ein - gerade vor dem Hintergrund eines durchaus diskssionswürdigen Themas - erschreckend sinnfreier Abend, der beweist, wie lang 80 Minuten sein können.
http://stage-and-screen.blogspot.com/
Kann man das Thema "Entwicklungshilfe" tatsächlich allein vom humanistischen Standpunkt bzw. den daraus entstehenden Widersprüchen ausgehend betrachten?
Hier ein Link zu Linda Polmans Buch "Die Mitleidsindustrie":
http://www.youtube.com/watch?v=GbN8chDoAv8
ein mittlerer dramatiker
um den jetzt wind gemacht wird
nacht kritik
lässt nur durchgehen
was nachtkritik
in den ramen passt
wie einfach ist das!!!!
und so manipuliert macht-kritik
die kommentare!
Mich interessiert Machtkritik und Nachtkritik.
Schimmelpfennig weniger.
Oder doch auch -
des Erfolges wegen.
ich verstehe aber das ganze nicht wirklich
und spende einen glückspfennig ohne schimmel