Quote mit Shakespeare

von Rudolf Mast

Hamburg, 27. November 2010. Über Theater wird wieder geredet! In Kantinen, auf Podien und im Feuilleton, über Städte wie Dessau und Halle, Leipzig und Wuppertal. Leider geht es dabei nur ums Geld. Anlass sind zum wiederholten Male Sparmaßnahmen, die viele Theater in ihrer Existenz gefährden. Der Tenor ist dabei stets derselbe: "Finger weg von unseren Bühnen!" Der Aufschrei ist berechtigt, denn zwar stimmt, dass vor allem die Kommunen, die ja die meisten Theater unterhalten, sparen müssen. Fakt ist aber auch, dass es gute Gründe gibt, die deutsche Theaterlandschaft zu erhalten.

Wie hießen sie noch gleich? Antworten gibt es etwa so viele, wie es Theater gibt, und die sind es auch, die stets aufs Neue eine Antwort finden müssen – auf der Bühne. Doch Achtung: Die, die über die Subventionen entscheiden, urteilen, sofern sie überhaupt ins Theater gehen, selten mit Sachverstand. Vielmehr gelten auch in der Kulturbürokratie längst die Kriterien, die auch für das öffentlich-rechtliche Fernsehen gelten, das wie das Theater von Subventionen lebt. Trotz des gesellschaftlichen "Auftrages", der damit verbunden ist, hat die ARD zuletzt zugunsten der Quote das Programm geändert und statt etwas Neues zu versuchen einen alten "Tatort" wiederholt.

Aberwitzige Geschlechts- und Liebeswirren
"Was ihr wollt" heißt eine Komödie von Shakespeare, und der genannten Logik nach könnte der Titel fürs Fernsehen programmatisch sein. Seit Samstag läuft im Hamburger Thalia Theater eine Inszenierung von "Was ihr wollt", die solche Fragen auch für das Theater aufwirft. Denn so schwer ein gebührenfinanziertes Fernsehen zu rechtfertigen ist, das dem "Audience Flow", wie das Zuschauerverhalten in der zynischen Sprache der Marktforschung heißt, mehr Bedeutung beimisst als der Qualität, so sehr muss, nicht nur in Zeiten drastischer Kürzungen, die Frage erlaubt sein, was das subventionierte Theater programmatisch will.

Die Inszenierung von Jan Bosse liefert eine denkbar unbefriedigende Antwort, weil sie die Bedürfnisse des Publikums auf eine Weise bedient, die dem Vorgehen der ARD-Granden vom letzten Wochenende erschreckend gleicht. "Twelfth Night", wie das Stück bei Shakespeare heißt, spielt in der letzten der zwölf Raunächte "zwischen den Jahren", in denen, analog zum Karneval, gesellschaftliche Regeln und Konventionen für einen Wimpernschlag der Geschichte ihre Gültigkeit verlieren. Shakespeare nutzt das für die Schilderung von aberwitzigen Geschlechts- und Liebeswirren, die sich am Ende nur mühsam jener Ordnung fügen, die ab dem nächsten Morgen wieder Gültigkeit besitzt.

Keine Wendung ins Wesentliche
Doch wie der Karneval heute zur Schunkelei verkommen ist, so ist auch die Inszenierung von Jan Bosse zu sehr um Lustigkeit bemüht, um an den shakespeareschen Aberwitz heranzureichen. Das zeigt sich bereits im Bühnenbild (Stephane Laimé), eine Mittelgebirgslandschaft im Vorgartenformat. Zwischen den Nicht-Farben Schwarz und Weiß der Kostüme für die Gräfin Olivia (Bibiana Beglau) und ihren Haushofmeister Malvolio (Jens Harzer) stehen die anderen Darsteller in farblich abgestimmten Zwischentönen. Immerhin reicht der Effekt für spontanen Beifall des Publikums, das in der Folge reichlich Gelegenheit hat, auch über Dinge zu lachen, die an die Grenze dessen gehen, was der bürgerliche Humor verträgt.

Und genau das ist das Problem des Abends, der weder Reibung noch Widerstand produziert und nur gerade so viel "Ungehöriges" riskiert, dass sich das Publikum in seiner mitgebrachten Haltung bestätigt fühlen darf. Hinzu kommen handwerkliche Unzulänglichkeiten der Regie, denn obwohl fast ständig Musik ertönt, findet die Inszenierung in knapp drei Stunden keinen Rhythmus, und trotz vieler Witze will das Ganze nicht komisch werden. Neben Streichungen, Raffungen und der Verringerung des Personals wurde auch der Schluss geändert.

Im Audience Flow nach Berlin fließen
Doch dass sich keine Liebespaare finden, weil Mirco Kreibich Viola und Sebastian spielt, verleiht dem Abend keine Wendung ins Wesentliche mehr. Das Zeug dazu hätte allenfalls das Lied vom Ende der Welt, das Karin Neuhäuser zum fallenden Vorhang singt. Zuvor hatte sie den Narren, die Maria und weitere Rollen übernehmen müssen, die bei ihr allerdings gut aufgehoben waren.

Wie sie sind alle sieben Schauspieler famos, und es ist immer wieder faszinierend, dass Regie und Schauspiel derart auseinanderklaffen können. Doch mögen sich die Darsteller mit einem Gedanken trösten, der ebenfalls ans Fernsehen erinnert. Da wie die Politik unterdessen auch die Kritik vom "Audience Flow" meist mehr versteht als von Qualität, wird die Inszenierung bestimmt zum nächsten Theatertreffen eingeladen. Wetten, dass?

Was ihr wollt
von William Shakespeare
deutsche Fassung von Gabrielle Bußacker und Jan Bosse
Regie: Jan Bosse, Bühne: Stéphane Laimé, Musik: Rocko Schamoni, Jonas "Jones" Landerschier, Reverend Ch. Dabeler.
Mit: Bibiana Beglau, Bruno Cathomas, Jens Harzer, Mirco Kreibich, Karin Neuhäuser, Jörg Pohl, Alexander Simon.

www.thalia-theater.de


Mehr Shakespeare? Vor einer Woche kam am Staatstheater Stuttgart Christian Weises spielwütige Slapstick-Version von Was ihr wollt heraus.

 

Kritikenrundschau

In dieser abgerockten Gesellschaft sehe fast jeder nach knapp sechs Uhr morgens aus, "nach dem Moment, in dem die Kräfte, der Elan und die Phantasie verloren gehen, aber noch niemand so recht nach Hause gehen will", so Volker Corsten in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (29.11.2010). Dieses Illyrien werde zur Kalauerhölle, in der alle schon so viel gefeiert haben, "dass es ihnen schwerfällt, sich noch einmal der alten Sucht hinzugeben, nach der Liebe zu suchen". Besonders erwähnenswert für Corsten ist Bruno Cathomas, mit dem "meistgezeigten Bauarbeiterdekolleté im deutschen Theater", der an diesem Abend im Hamburger Thalia Theater mal wieder ganz bei sich sei. Fazit insgesamt: "So instabil wie die Identitäten ist auch diese Inszenierung, die zwar großen Spaß bietet und allerhand rasenden Stillstand, aber - es ist ein musikalischer Abend - nie den Rhythmus, den richtigen Beat findet."

"Shakespeare für Stadtneurotiker - der Regisseur Jan Bosse entzückt mit 'Was ihr wollt'", so titelt die Kurzkritik von Stefan Grund in der Welt (29.11.2010). Bosse konzentriere alles auf die im Stück hochaktuell verhandelte Frage nach der Instabilität der Identität. Bosse vertraue seinen Schauspielern völlig, "ein siebenköpfigen Ensemble ohne Schwachstellen", und setzt alles auf eine Regietheater-Karte, die sich als Trumpf erweist. "Mit diesem Erfolg ist der Geist des Burgtheaters in Hamburg angekommen."

Das Stück werde in einem illyrischen Urwald präsentiert, "in dem blaue, grüne und rote Blätter über putzigen Tieren und einer Hammond-Orgel wuchern, die mal Chillout-, mal Animations-Musik bietet", schreibt Armgard Seegers im Hamburger Abendblatt (29.11.2010). "Die zwölfte Nacht" heißt das Stück im Original. "Zwölfnächte sind die Zeit der Feiern, die Zeit, in der Narrenfreiheit herrscht. Man merkt's dieser Inszenierung an. Und wie bei allen Feiern gehören Melancholie und Katzenjammer mit dazu." Bosse inszeniere einen "derben Spaß voller Witz und praller Pointen". Das ausnahmslos hervorragende Ensemble präsentiere sich "so spielfreudig-burlesk, dass es ansteckend wirkt, auch wenn man am Anfang nicht so richtig weiß, ob man das gut finden soll." Fazit: "Auf jeden Fall ein amüsanter Abend mit einem hochspannenden Ensemble. Junge Zuschauer werden es lieben. Am Ende gab's jubelnden Applaus."

Lustig geht es laut Till Briegleb von der Süddeutschen Zeitung (30.11.2010) im "Stil kindsköpfiger Improvisationen" durch den ganzen Shakespeare. "Bis zu den vulgärsten Inspirationen" strapaziere Bosse die beliebte Komödie und lasse seine Schauspieler "ihren ganzen Schalk aufwenden, um einen richtig großen Schmarrn zu produzieren". Shakespeares Plot liefere dazu das Gerüst, seine Figuren agierten "als Klamauk-Avatare", sein Text komme "in Spurenelementen auch vor". In diesem "großen Unsinn", der von "so begabten Schauspielern aufgeführt wird", spiele lediglich Mirco Kreibich auch Zwischentöne und gebe das Gender-Thema des Stücks: In der Doppelrolle Viola/Sebastian, "die der Welt beweisen, dass sexuelle Anziehungskraft oft nichts mit den primären Geschlechtsorganen zu tun hat, zeigt Kreibich alle schönen Eigenschaften libidinöser Verwirrung", "ein faunisches Konversationsgenie mit ständig taufeuchten Augen", sei er "die einzige Komödienfigur unter lauter Komödianten". Ansonsten werde die "Frage nach der sexuellen Identität (...) einfach zeitgenössisch nichtbehandelt". So könne "das sinnfreie Geblödel (...) ohne Tiefgang überleben".

Einen Abend "voller albernster Drolligkeiten, böser Komödie und himmelhochjauchzender Melodramatik", der sich "hemmungslos im Kabarett und bei den Figurendaseinsweisen höllentiefer Tragödien" bediene, hat Dirk Pilz von der Frankfurter Rundschau (30.11.2010) gesehen. Bei der Zusammenrührung von "Kalauern, schlimmen Schluchzereien und herzschmerzendem Liedgut" entstehe überraschenderweise "kein Effekt- und Emotionsmatsch, sondern eine knallvolle Bühnenwelt, für die die Schubladen noch nicht erfunden sind, in die man sie stecken könnte". In diesem "Sommernachtstraumwald" finde von Anfang an "alles auf offener Bühne, unter allgemeiner Beobachtung" statt: "Alle wissen hier alles, wissen von den Geschlechterverdrehungen und Identitätsinstabilitäten, kennen das Stück und die Schlitterwege ihrer Figuren - und spielen, als wären sie von Stück, Figuren und dem ganzen Geschlechterkuddemuddel immer wieder überrascht. Sie überrumpeln sich selbst, und sie sind sich dabei für nichts zu schade." Beeindruckt ist Pilz u.a. von Neuhäusers "trockenem Sarkasmus" und Kreibichs Kunst, von der einen Figur in die andere "hinüberzuzittern". Diese "Dramaturgie der Selbstüberraschung" feiere vor allem "das Theater als Hochamt der Verwandlungskunst". Hier gebe es "nicht nur knallkomische Nummern", sondern "auch unerhört berührende Szenen" - ein "die Sinne und Begriffe sprengendes Theater".

 

Kommentare  
Was ihr wollt, Hamburg: Sex & Gender = Bildungsgut
Versteh ich recht? Eine Inszenierung, die nicht komisch werden will, bedient die Bedürfnisse des fernsehverdorbenen Publikums? Irgendwie kommt mir die Rezension quälend bekannt vor. Die Komödie - zu komisch und nicht komisch genug. Bei manchen Kritikern scheint es jedenfalls Reibung und Widerstand zu produzieren, wenn man Shakespeare komischer findet als Yasmina Reza und wenn man ihn auch so auf die Bühne bringt. Nachhilfe in Geschlechterrollentiefsinn braucht nicht jeder. Jedenfalls dürfte auch sie kaum noch Reibung und Widerstand produzieren. Heute gehört der Unterschied von Sex und Gender zum allgemeinen Bildungsgut. Dank einem Fernsehen, dessen Vorabendserien weder Reibung, noch Widerstand produzieren, wohl aber haufenweis pseudopsychologische und pseudosoziologische Banalitäten. Der Regen regnet jeglichen Tag.
Was ihr wollt, Hamburg: die scharf beobachtenden Kritiker
na, ein glück, dass es die scharf beobachtenden kritiker gibt, die wie herr mast eine ganz klare trennlinie ziehen können zwischen "schlechter regie" und "ganz toll spielenden schauspielern". der deutsche begriff für regisseur ist "spielleiter" und wenn die schauspieler "sehr gut spielen" halte ich es für sehr vermessen, dieses nicht auch in teilen der regiearbeit zuzuschreiben. aber wahrscheinlich war herr mast auf den proben dabei und weiß, dass die "armen tolen schauspieler" sich ganz dolle gegen den "schlechten regisseur" gewehrt haben... omannomannomann...
Was ihr wollt, Hamburg: zwei Arten der Komik
@ Th. Rothschild
Wollen Sie eigentlich die Rezension nicht verstehen, oder verstehen Sie sie wirklich nicht? Rudolf Mast trennt doch ganz klar zwischen zwei Arten der Komik: "Lustigkeit" und, auf Shakespeares Seite, "Aberwitz". Ich würde es vielleicht anders nennen, bin aber ganz auf der Seite Masts. Es gibt eine Comedy-Lustigkeit, die absolut ohne Reichtum ist, ohne Hintersinn, ohne Anspielungsraum, ohne Öffnung zu irgendetwas hin - eine fernsehgerechte Komik halt, mit der man Quote machen kann, weil viele Leute es mögen, nur zu lachen, ohne zu denken. Das ist aber nicht der Witz Shakespeares.
Jan Bosses Inszenierung von Viel Lärm um nichts wurde ja vor ein paar Jahren tatsächlich zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Das war ein einziges Sich-Suhlen in solcher Comedy-Lustigkeit. Man konnte damals den Eindruck gewinnnen, dass Bosse damit gerade die Dämlichkeit des Comedy-Formats ausstellen wollte, aber er entwickelte daraus nichts, er begnügte sich mit der bloßen Reproduktion des RTL-Gagniveaus. Und diese Gags waren halt leider auch nicht wirklich vergnüglich, weil sie nichts aufdeckten, nichts aus ihnen folgte. Es war also letzlich genauso langweilig wie eine beliebige TV-Comedy. Und TV-Comedys sind langweilig. Aber sie machen Quote.
Was ihr wollt, Hamburg: kompliziertes Wechselspiel aus Tragik und Komik
Auch ich habe schon bessere Kritiken gelesen, vor allem tiefgründigere. Die oberflächlige Betrachtungsweise, die hier vorliegt, kann nicht im entferntesten konkurrieren mit dem ernsthaften Bemühen der Regie, das komplizierte Wechselspiel aus Tragik und Komik möglichst unangestrengt auf die Bühne zu bringen. Im Gegensatz zum Kritiker erscheinen mir diese Wechsel sehr deutlich und gelungen, das Tieftraurige und extrem Einsame jeder einzelnen Figur sehr glaubhaft vermittelt und die ordinären Rüpelszenen Shakespeares, an die sich nicht jeder Regisseur auf diese Weise herantrauen würde, bestens umgesetzt! Die Schauspieler, in der Tat, einfach hervorragend, und... die Kostüme (vielleicht ist der Herr Kritiker farbenblind) sind bei Viola sehr wohl farbig und Herr Malvolio trägt auch nicht Weiß, sondern elegantes Creme, was semiotischen Sinn macht (Kontrast zu lächerlichem Gelb..?) Wenn die Bedürfnisse des Publikums hätten befriedigt werden sollen, dann hätte es hier geendet, wie so oft: zwei Paare hätten sich gefunden und einer geht leer aus. Hier aber schauen alle in die Röhre und die Welt geht unter. Publikumsanbiederei?? Ich weiß nicht so recht, es sei denn, man geht von einem grundsätzlich nihilistischen Publikum aus.
Was ihr wollt, Hamburg: näher am Zirkus als am Pseudotiefsinn
@Golwenberg: "Aberwitz" ist das deutsche Wort für "Absurdität". Was ist absurd an der Tatsache, dass Olivia eine als Mann verkleidete Viola für einen Mann hält? Shakespeares Komödien sind geradezu Lehrbeispiele einer Logik, die gemeinhin verdrängt wird. Mit RTL-Blödeleien, die in der Tat weder aberwitzig noch witzig sind, haben sie so viel zu tun wie Woody Allen mit Stefan Raab. Und wenn TV-Comedies das Niveau von Jan Bosses "Viel Lärm um nichts" hätten, ließe ich mich wieder zum Fernsehen bekehren. Warum will man in Deutschland, wo "Clown" mit "Narr" übersetzt wird, nicht begreifen, dass Shakespeare in seine Stücke Szenen eingebaut hat, die dem Zirkus näher sind als dem Pseudotiefsinn einer theaterfernen Dramatik? Shakespeare war im besten Sinne Populist. Das deutsche Fernsehen ist allenfalls tümlich.
Was ihr wollt, Hamburg: Zustimmung
Danke, wollte eben das selbe schreiben!
Was ihr wollt, Hamburg: Comedy?!
karin neuhäuser "singt ein lied zum fallendem vorhang"?? wie darf man sich das nun vorstellen? welches lied singt sie und warum fällt der vorhang grad dann. was hat das nun mit comedy zutun? (...) mal bischen genauer hinsehen und hinhören wäre ja nicht so verkehrt. (...)
Was ihr wollt, Hamburg: Was ist RTL-Humor?
@th.rothschild:
hallo !definieren sie "rtl-humor"was genau meinen sie damit ?
Was ihr wollt, Hamburg: nö
@klaus: Gehorsam verweigert, Herr Lehrer. Mast, übernehmen Sie.
Was ihr wollt, Hamburg: satirisch
DIE AKTUELLE THEATERKRITIK
Heute: "Was ihr wollt" v. William Shakespeare, Schauspielhaus Hamburg

Wenn der alte Shakespeare von dieser Aufführung wüßte, er würde in seinem Grab rotieren. Vor Freude! Vor Freude darüber, daß das Stück nur 90 Minuten geht. Denn so kann man noch schneller zu seinen Freunden und Verwandten eilen und von der Inszenierung schwärmen! Bzw. schimpfen über das miserable Ensemble, das zum Glück nicht in diesem Stück mitspielt. Sondern von einem noch miserableren Ensemble ersetzt worden ist. Lobenswert sind zumindest das Stück selbst (ist ja auch von Shakespeare!) und die Minuten 40 bis 45, da ist nämlich Pause. Auch die Kulissen können sich sehen lassen. Auf dem Sperrmüll. Über die Akustik konnte man hingegen nichts Negatives sagen. Das hätte nämlich eh niemand gehört, so laut und übersteuert wie es dort war. Ganze Arbeit geleistet haben auch die Beleuchter – sofern es ihre Absicht war, die Augen des Publikums zu zerstören. Aber auch hier gab es vereinzelte Höhepunkte; wenn abgeblendet wurde, konnte man die Erleichterung der Zuschauer förmlich spüren. Fazit: trotz einiger Schwächen glatte 10 Punkte. Von 1000!
Was ihr wollt, Hamburg: von Fernseh-Comedy keine Spur
Es ist schon witzig wie dieser Abend polarisiert, obwohl er doch in erster Linie nur unterhalten will und das tut er dann auch auf relativ hohem Niveau, von Fernseh-Comedy keine Spur. Rudolf Mast scheint dann auch eher von der Sorte Kritiker ohne Humor zu sein, der zum Lachen in den Keller geht. Aber auch andere Kritiker fühlten sich nicht wohl und Till Briegleb, letzte Woche noch an einem Tisch im Schauspielhaus vereint mit Dirk Pilz, hat nun eine völlig andere Wahrnehmung und sieht nur einen großen Schmarrn, in dem jeder mal die Rampensau durchs Dorf treiben darf. Wohingegen Dirk Pilz, sonst eher ein präziser und realistischer Beobachter, von himmelhochjauchzender Melodramatik spricht. Ob diese unterschiedlichen Meinungen sich in Wahrheit in der Mitte treffen, wäre ebenso ein Kalauer wie der von Pils und Pilz, Stößchen. Selbst Die Welt stimmt diesmal in einen Ausruf der Verzückung ein. Regie ist plötzlich Trumpf und das liegt wohl daran, das diesmal kein türkischer Literat neu übersetzt hat, Illyrien nicht von dänischen Karikaturisten bevölkert wird und uns Jan Bosse auch keine eigene neue Weltsicht verkaufen möchte, sondern einfach nur den puren Spaß am Theater.
Er mixt gekonnt altbekannte Philosophien und einige Klischees über die Geschlechter bunt durcheinander, bis keiner mehr wirklich weiß, ob er Männchen oder Weibchen ist und wundersame lang verdrängte Vorlieben an sich entdeckt, wie z.B. eine nun fast kindlich ausgelebte Analfixierung. Im Grunde aber bleibt die Inszenierung doch sehr nah an Shakespeare trotz der von Gabriella Bußacker und Jan Bosse radikal modernisierten Sprache. Die zwölfte Nacht, wie das Stück auch heißt, als Beginn des Karnevals zu Shakespeares Zeiten ist geprägt von Masken und Rollenspielen, außerdem bezieht dieses Stück auch seinen Reiz daraus, dass zu den Rollenwechseln im Stück damals alle Darsteller Männern waren. Das greift Bosse in seiner Inszenierung konsequent auf mit vielen Wortspielen und Doppeldeutigkeiten, die ja auch in Shakespeares Text enthalten sind. Die Bühne ist ein Zauberwald mit Fabelwesen, eine Art Diorama, wie im Museum, nur das es dieses Museum nur hier in Illyrien geben kann, eine komplette Illusion und Scheinwelt an dessen Rand die Protagonisten lungern und auf ihren Einsatz warten.
Der Narr von Karin Neuhäuser scheint hier als einziger den Überblick zu behalten und treibt einerseits mit Lust an Spiel und Bosheit die Verwirrung voran oder bremst schon mal den Übermut von Bruno "Rülp" Cathomas, wischt die Bühne wieder frei und verspottet den tumben Bleichenwang des Jörg Pohl. "Komm Junge, enttäusch mich nicht" sagt sie und legt ihm demonstrativ die Bananenschale hin. Bruno Cathomas und Jörg Pohl sind hier Rampensäue im besten Sinne, ein Duo Infernale, das keinen Slapstick oder Kalauer auslässt und schließlich als strauchgewordenes Paar seinen Höhepunkt findet. Die Ernüchterung der beiden notorisch Erfolglosen kommt um so drastischer, zusammengeprügelt von Viola/Sebastian, man weiß es nicht genau, denn dieses Doppel wird nie ganz aufgelöst. Zu Beginn steht Mirco Krebich im blauen Kleid da und wird dann vom Narren erst zum Manne umgezogen. Erst switcht Krebich noch unsicher und dann immer gekonnter in den Rollen hin und her. Und so sehen die beiden Melancholiker Orsino und Olivia auch in ihm was sie wollen, ganz besoffen von ihrer eigenen Selbstverliebtheit. Alexander Simon drückt dem Sebastian schon mal einen Kuss auf den Mund und Bibiana Beglau steht plötzlich die Lüsternheit im Gesicht geschrieben. Um so größer auch hier die Ernüchterung, als sich das Objekt der Begierde als indifferentes Zwitterwesen herausstellt. Als wenn ihnen ein Puck den Zauber von den Augen genommen hätte, schrecken sie zurück. Eine Doppelhochzeit findet nicht statt, das schmalzige Happy End fällt aus, melancholisch singt man das Lied vom Ende dieser Welt. Aber in seligen Popkitsch rutscht die Inszenierung nie ab. Das ist auch ein Verdienst des Musik-Teams Landerschier, Dabeler und Schamoni. Ihr Sound ist ganz Lo-Fi, nicht aufdringlich und peppt das Ganze nicht noch zusätzlich unnütz auf.
Wäre da nur noch vom tragischen Helden Malvolio zu berichten. Jens Harzer gibt ihn als besserwisserischen, hochnäsigen Snob, um so grandioser ist seine Narrheit in gelber Strümpfen und bis an die Lenden gewickelten Strumpfbändern, die im wohl das Blut in Kopf und Genital geschnürt haben. Als Bunny Häschen wirft er sich seiner angebetenen und völlig verdatterten Olivia auf den Schoss. Aber als wenn es Jan Bosse nicht schon geahnt hätte, das man ihm seinen Spaß übel nehmen könnte, lässt er Malvolio als den großen Spielverderber selbst das Urteil der Kritik vorwegnehmen und die Drohung nach Rache zum Schluss aussprechen. Wer sich davon einschüchtern lässt, sollte fernbleiben, allen anderen sei die Inszenierung in dieser eisigen Zeit warm ans Herz gelegt, ganz wie ihr wollt.
Was ihr wollt, Hamburg: reine Freude
William S. hätte sich VOR FREUDE über diese Inszenierung im Grabe umgedreht!
Alexander Simon, Bruno Cathomas und Jens Harzer sind zum Totlachen!
von Karin Neuhäuser ganz zu schweigen.
das Schönste: neben mir im Publikum eine 80-jährige Dame, vor mir ein 10-jähriges Mädchen. Beide haben vor Vergnügen gequiekt.
Eine einzige Freude diese ganze Angelegenheit.
und ganz nebenbei noch eine gelungene Anspielung auf unsere unsäglich oberflächliche Gesellschaft.
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