Quote mit Shakespeare

von Rudolf Mast

Hamburg, 27. November 2010. Über Theater wird wieder geredet! In Kantinen, auf Podien und im Feuilleton, über Städte wie Dessau und Halle, Leipzig und Wuppertal. Leider geht es dabei nur ums Geld. Anlass sind zum wiederholten Male Sparmaßnahmen, die viele Theater in ihrer Existenz gefährden. Der Tenor ist dabei stets derselbe: "Finger weg von unseren Bühnen!" Der Aufschrei ist berechtigt, denn zwar stimmt, dass vor allem die Kommunen, die ja die meisten Theater unterhalten, sparen müssen. Fakt ist aber auch, dass es gute Gründe gibt, die deutsche Theaterlandschaft zu erhalten.

Wie hießen sie noch gleich? Antworten gibt es etwa so viele, wie es Theater gibt, und die sind es auch, die stets aufs Neue eine Antwort finden müssen – auf der Bühne. Doch Achtung: Die, die über die Subventionen entscheiden, urteilen, sofern sie überhaupt ins Theater gehen, selten mit Sachverstand. Vielmehr gelten auch in der Kulturbürokratie längst die Kriterien, die auch für das öffentlich-rechtliche Fernsehen gelten, das wie das Theater von Subventionen lebt. Trotz des gesellschaftlichen "Auftrages", der damit verbunden ist, hat die ARD zuletzt zugunsten der Quote das Programm geändert und statt etwas Neues zu versuchen einen alten "Tatort" wiederholt.

Aberwitzige Geschlechts- und Liebeswirren
"Was ihr wollt" heißt eine Komödie von Shakespeare, und der genannten Logik nach könnte der Titel fürs Fernsehen programmatisch sein. Seit Samstag läuft im Hamburger Thalia Theater eine Inszenierung von "Was ihr wollt", die solche Fragen auch für das Theater aufwirft. Denn so schwer ein gebührenfinanziertes Fernsehen zu rechtfertigen ist, das dem "Audience Flow", wie das Zuschauerverhalten in der zynischen Sprache der Marktforschung heißt, mehr Bedeutung beimisst als der Qualität, so sehr muss, nicht nur in Zeiten drastischer Kürzungen, die Frage erlaubt sein, was das subventionierte Theater programmatisch will.

Die Inszenierung von Jan Bosse liefert eine denkbar unbefriedigende Antwort, weil sie die Bedürfnisse des Publikums auf eine Weise bedient, die dem Vorgehen der ARD-Granden vom letzten Wochenende erschreckend gleicht. "Twelfth Night", wie das Stück bei Shakespeare heißt, spielt in der letzten der zwölf Raunächte "zwischen den Jahren", in denen, analog zum Karneval, gesellschaftliche Regeln und Konventionen für einen Wimpernschlag der Geschichte ihre Gültigkeit verlieren. Shakespeare nutzt das für die Schilderung von aberwitzigen Geschlechts- und Liebeswirren, die sich am Ende nur mühsam jener Ordnung fügen, die ab dem nächsten Morgen wieder Gültigkeit besitzt.

Keine Wendung ins Wesentliche
Doch wie der Karneval heute zur Schunkelei verkommen ist, so ist auch die Inszenierung von Jan Bosse zu sehr um Lustigkeit bemüht, um an den shakespeareschen Aberwitz heranzureichen. Das zeigt sich bereits im Bühnenbild (Stephane Laimé), eine Mittelgebirgslandschaft im Vorgartenformat. Zwischen den Nicht-Farben Schwarz und Weiß der Kostüme für die Gräfin Olivia (Bibiana Beglau) und ihren Haushofmeister Malvolio (Jens Harzer) stehen die anderen Darsteller in farblich abgestimmten Zwischentönen. Immerhin reicht der Effekt für spontanen Beifall des Publikums, das in der Folge reichlich Gelegenheit hat, auch über Dinge zu lachen, die an die Grenze dessen gehen, was der bürgerliche Humor verträgt.

Und genau das ist das Problem des Abends, der weder Reibung noch Widerstand produziert und nur gerade so viel "Ungehöriges" riskiert, dass sich das Publikum in seiner mitgebrachten Haltung bestätigt fühlen darf. Hinzu kommen handwerkliche Unzulänglichkeiten der Regie, denn obwohl fast ständig Musik ertönt, findet die Inszenierung in knapp drei Stunden keinen Rhythmus, und trotz vieler Witze will das Ganze nicht komisch werden. Neben Streichungen, Raffungen und der Verringerung des Personals wurde auch der Schluss geändert.

Im Audience Flow nach Berlin fließen
Doch dass sich keine Liebespaare finden, weil Mirco Kreibich Viola und Sebastian spielt, verleiht dem Abend keine Wendung ins Wesentliche mehr. Das Zeug dazu hätte allenfalls das Lied vom Ende der Welt, das Karin Neuhäuser zum fallenden Vorhang singt. Zuvor hatte sie den Narren, die Maria und weitere Rollen übernehmen müssen, die bei ihr allerdings gut aufgehoben waren.

Wie sie sind alle sieben Schauspieler famos, und es ist immer wieder faszinierend, dass Regie und Schauspiel derart auseinanderklaffen können. Doch mögen sich die Darsteller mit einem Gedanken trösten, der ebenfalls ans Fernsehen erinnert. Da wie die Politik unterdessen auch die Kritik vom "Audience Flow" meist mehr versteht als von Qualität, wird die Inszenierung bestimmt zum nächsten Theatertreffen eingeladen. Wetten, dass?

Was ihr wollt
von William Shakespeare
deutsche Fassung von Gabrielle Bußacker und Jan Bosse
Regie: Jan Bosse, Bühne: Stéphane Laimé, Musik: Rocko Schamoni, Jonas "Jones" Landerschier, Reverend Ch. Dabeler.
Mit: Bibiana Beglau, Bruno Cathomas, Jens Harzer, Mirco Kreibich, Karin Neuhäuser, Jörg Pohl, Alexander Simon.

www.thalia-theater.de


Mehr Shakespeare? Vor einer Woche kam am Staatstheater Stuttgart Christian Weises spielwütige Slapstick-Version von Was ihr wollt heraus.

 

Kritikenrundschau

In dieser abgerockten Gesellschaft sehe fast jeder nach knapp sechs Uhr morgens aus, "nach dem Moment, in dem die Kräfte, der Elan und die Phantasie verloren gehen, aber noch niemand so recht nach Hause gehen will", so Volker Corsten in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (29.11.2010). Dieses Illyrien werde zur Kalauerhölle, in der alle schon so viel gefeiert haben, "dass es ihnen schwerfällt, sich noch einmal der alten Sucht hinzugeben, nach der Liebe zu suchen". Besonders erwähnenswert für Corsten ist Bruno Cathomas, mit dem "meistgezeigten Bauarbeiterdekolleté im deutschen Theater", der an diesem Abend im Hamburger Thalia Theater mal wieder ganz bei sich sei. Fazit insgesamt: "So instabil wie die Identitäten ist auch diese Inszenierung, die zwar großen Spaß bietet und allerhand rasenden Stillstand, aber - es ist ein musikalischer Abend - nie den Rhythmus, den richtigen Beat findet."

"Shakespeare für Stadtneurotiker - der Regisseur Jan Bosse entzückt mit 'Was ihr wollt'", so titelt die Kurzkritik von Stefan Grund in der Welt (29.11.2010). Bosse konzentriere alles auf die im Stück hochaktuell verhandelte Frage nach der Instabilität der Identität. Bosse vertraue seinen Schauspielern völlig, "ein siebenköpfigen Ensemble ohne Schwachstellen", und setzt alles auf eine Regietheater-Karte, die sich als Trumpf erweist. "Mit diesem Erfolg ist der Geist des Burgtheaters in Hamburg angekommen."

Das Stück werde in einem illyrischen Urwald präsentiert, "in dem blaue, grüne und rote Blätter über putzigen Tieren und einer Hammond-Orgel wuchern, die mal Chillout-, mal Animations-Musik bietet", schreibt Armgard Seegers im Hamburger Abendblatt (29.11.2010). "Die zwölfte Nacht" heißt das Stück im Original. "Zwölfnächte sind die Zeit der Feiern, die Zeit, in der Narrenfreiheit herrscht. Man merkt's dieser Inszenierung an. Und wie bei allen Feiern gehören Melancholie und Katzenjammer mit dazu." Bosse inszeniere einen "derben Spaß voller Witz und praller Pointen". Das ausnahmslos hervorragende Ensemble präsentiere sich "so spielfreudig-burlesk, dass es ansteckend wirkt, auch wenn man am Anfang nicht so richtig weiß, ob man das gut finden soll." Fazit: "Auf jeden Fall ein amüsanter Abend mit einem hochspannenden Ensemble. Junge Zuschauer werden es lieben. Am Ende gab's jubelnden Applaus."

Lustig geht es laut Till Briegleb von der Süddeutschen Zeitung (30.11.2010) im "Stil kindsköpfiger Improvisationen" durch den ganzen Shakespeare. "Bis zu den vulgärsten Inspirationen" strapaziere Bosse die beliebte Komödie und lasse seine Schauspieler "ihren ganzen Schalk aufwenden, um einen richtig großen Schmarrn zu produzieren". Shakespeares Plot liefere dazu das Gerüst, seine Figuren agierten "als Klamauk-Avatare", sein Text komme "in Spurenelementen auch vor". In diesem "großen Unsinn", der von "so begabten Schauspielern aufgeführt wird", spiele lediglich Mirco Kreibich auch Zwischentöne und gebe das Gender-Thema des Stücks: In der Doppelrolle Viola/Sebastian, "die der Welt beweisen, dass sexuelle Anziehungskraft oft nichts mit den primären Geschlechtsorganen zu tun hat, zeigt Kreibich alle schönen Eigenschaften libidinöser Verwirrung", "ein faunisches Konversationsgenie mit ständig taufeuchten Augen", sei er "die einzige Komödienfigur unter lauter Komödianten". Ansonsten werde die "Frage nach der sexuellen Identität (...) einfach zeitgenössisch nichtbehandelt". So könne "das sinnfreie Geblödel (...) ohne Tiefgang überleben".

Einen Abend "voller albernster Drolligkeiten, böser Komödie und himmelhochjauchzender Melodramatik", der sich "hemmungslos im Kabarett und bei den Figurendaseinsweisen höllentiefer Tragödien" bediene, hat Dirk Pilz von der Frankfurter Rundschau (30.11.2010) gesehen. Bei der Zusammenrührung von "Kalauern, schlimmen Schluchzereien und herzschmerzendem Liedgut" entstehe überraschenderweise "kein Effekt- und Emotionsmatsch, sondern eine knallvolle Bühnenwelt, für die die Schubladen noch nicht erfunden sind, in die man sie stecken könnte". In diesem "Sommernachtstraumwald" finde von Anfang an "alles auf offener Bühne, unter allgemeiner Beobachtung" statt: "Alle wissen hier alles, wissen von den Geschlechterverdrehungen und Identitätsinstabilitäten, kennen das Stück und die Schlitterwege ihrer Figuren - und spielen, als wären sie von Stück, Figuren und dem ganzen Geschlechterkuddemuddel immer wieder überrascht. Sie überrumpeln sich selbst, und sie sind sich dabei für nichts zu schade." Beeindruckt ist Pilz u.a. von Neuhäusers "trockenem Sarkasmus" und Kreibichs Kunst, von der einen Figur in die andere "hinüberzuzittern". Diese "Dramaturgie der Selbstüberraschung" feiere vor allem "das Theater als Hochamt der Verwandlungskunst". Hier gebe es "nicht nur knallkomische Nummern", sondern "auch unerhört berührende Szenen" - ein "die Sinne und Begriffe sprengendes Theater".

 

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