Hell erleuchtete Gefühlsräume

von Hartmut Krug

Potsdam, 27. November 2010. Nebelschwaden ziehen durch einen dunklen Stangenwald, und Lektor Meno sucht sich seinen Weg mit der Taschenlampe, wartend auf seinen Neffen. Schüler Christian kehrt zum 50. Geburtstag seines Vaters in das Dresdner Villenviertel über der Elbe zurück. Christoph Hohmann spielt diesen Meno als eine Art Zeremonienmeister. Er bringt die Menschen zusammen, doch leider schleudert er dabei mit aufgedreht lauter Bedeutungshuberei und monotonem Pathos Tellkamps Texte hinaus.

Anders als bei der ersten Bühnenversion von Tellkamps Roman am Staatstheater Dresden, als Regisseur Wolfgang Engel das Leben einer Dresdner Gesellschaftsschicht aus Wissenschaftlern, Literaten, Funktionären, Ärzten, Soldaten und Stasi-Leuten in der Endzeit der DDR in einem mehrstöckigen Turm ausstellte, wird mit Alexander Wolfs Bühne am Potsdamer Hans Otto Theater kein realer Ort, sondern ein innerer Zustand von zerrissenen Menschen vorgeführt. Von Menschen, die desorientiert herum irren, und denen in hell erleuchteten Vitrinen immer wieder ihre Lebens- und Erlebnisbereiche, ihre Leidensorte und Gefühlsräume herein gefahren werden.

Erziehungs- und Entwicklungsroman
John von Düffel hat, anders als Jens Groß und Armin Petras in Dresden, das immer noch 21 Personen umfassende Figurenpersonal des Romans kräftig verkleinert und aus dem ausgreifenden Gesellschaftspanorama einen Erziehungs- und Entwicklungsroman des jungen Christian heraus gearbeitet. Holger Bülow spielt mit beeindruckender Kraft, mit nervöser Heftigkeit und sensiblen Suchbewegungen, wie dieser Christian seine Erfahrungen in Schule, NVA, Stasi, Knast und bei der Strafarbeit im Chemiewerk macht. Und der tödliche Unfall bei der Panzerübung wird, ganz anders als in Dresden, als das gezeigt, was er ist: ein großes, entsetzliches Ereignis. Während dieser Christian, ein viel lesender und beobachtender, anfangs seine Meinung sagender junger Mann, zum resignierten Mitmacher zerstört wird, gruppieren sich die anderen Menschen um ihn herum als Schlupflochsucher.

Jeder hier sucht seinen eigenen Weg, sich gesellschaftlichem Druck zu entziehen oder zu entsprechen, und jeder verändert sich dabei oder wird deformiert. Christians Vater (Jon Kaare-Koppe) verrennt oder verrettet sich in amouröse Abenteuer, und seine Mutter (Marianna Linden) findet ihren Lebenssinn in sozial integrativem Verhalten, bis sie am Ende am Dresdner Hauptbahnhof den prügelnden "Ordnungskräften" als selbstbewusstes Opfer gegenüber steht. Als sie sich mit ihrem Mann in der Veranda zusammenkuschelt, begeben sich zwei Stasimitarbeiter in einer schrecklich komischen Szene als neue Mitmieter mitten hinein in ihren intimsten Lebensbereich. Später werden die beiden, die Kaminski-Zwillinge, die anfangs in ihren silbernen Glitzeranzügen wie Karikaturen von Siegfried und Roy wirken, als ganz normal gezeigt und kommen mit sachlicher Aggressivität in Zivil oder Uniform daher.

Sinnliche Konzentration
Tobias Wellemeyer inszeniert mit viel Trubel eine Menschenschar, die in und mit den erleuchteten Vitrinen wie Insassen eines Museums der ausgestellten Charakterbilder und Deformationen wirken. Es ist ein demonstrierendes, erklärendes Theater, bei dem die Darsteller oft wie Vortragende nach vorn kommen. Die Inszenierung wirkt in ihren mehr als drei langen Aufführungsstunden durch die Notwendigkeit, die Handelnden und ihre szenischen Orte immer wieder durch den Stangenwald nach vorn herein fahren zu müssen, etwas langatmig. Doch mit dem Verzicht auf das große Gesellschaftspanorama und mit der Konzentration vor allem auf die Entwicklung Christians bekommt die sinnlich konzentrierte Inszenierung ihre Dynamik und szenische Kraft.

Wunderbar die Szene, in der sich alle enthusiastisch über Fritz Löfflers Fotoband "Das alte Dresden" beugen und daraus ihre Identität zu ziehen suchen. Leider gibt Roland Kuchenbuch, wenn auch schauspielerisch souverän, mehrere Einflussträger nur als Karikaturen, wie den Chefarzt und Baron von Arbogast alias Manfred von Ardenne, und die Frauenfiguren flattern wie bei Tellkamp vor allem emotional dekorativ durchs Geschehen. Dennoch: es ist eine starke, ernsthafte Inszenierung, die gerade in Potsdam, einer Stadt voller ehemaliger Funktionsträger, am richtigen Ort ist.

Wenn am Schluss Christian in Uniform am Dresdner Hauptbahnhof hinter der Schilderreihe der Soldaten steht und erlebt, wie seine Mutter nieder geknüppelt wird, wirkt der Schluss mit den hilflosen Offizieren, die mit einem "Wir sind doch gar nicht so" Christian Urlaub geben, weil sie wissen, hier ist ein Staat, ihr Staat, am Ende, so wunderbar beiläufig, wie er sein muss.

 

Der Turm
von Uwe Tellkamp in der Bearbeitung von John von Düffel
Regie: Tobias Wellemeyer, Bühne: Alexander Wolf, Kostüme: Ines Burisch, Musik: Gundolf Nandico, Dramaturgie: Remsi Al Khalisi.
Mit: Jon-Kaare Koppe, Marianne Linden, Holger Bülow, Christoph Hohmann, Roland Kuchenbuch, Wolfgang Vogler, Eddie Irle, Meike Finck, Friedemann Eckert, Nele Jung, Andrea Thelemann, Franziska Melzer, Philipp Mauritz, Marcus Kaloff, Friederike Walke, Elzemarieke de Vos, Florian Schmidtke, Simon Brusis, René Schwittay, Bernd Geiling, Franca Özkan/Marie Pauline Wiebe

www.hansottotheater.de

 

Die erste West-Inszenierung des Tellkamp-Romans vor einer Woche am Staatstheater Wiesbaden ging ebenfalls auf John von Düffels Bearbeitung zurück.

 

Kritikenrundschau

Zunächst laste undurchdringlicher Nebel auf der Szene, beschreibt Florian Kessler den Abend in der Süddeutschen Zeitung (4.12.2010). So müssten die Dresdner Bildungsbürger aus Uwe Tellkamps Romanvorlage bisweilen zur Taschenlampe greifen, die ansonsten als "bloße Schemen" durch den Dunst irrten. "Beeindruckend trist ist dieser deutsche Nebelwald, den Alexander Wolf auf die Bühne des Hans Otto Theaters Potsdam gestellt hat." Dennoch erreicht der Abend bei Kessler nur mittlere Werte. Denn zunächst wirkt er gehetzt auf den Kritiker. In Serie sieht er immer neue Personenkonstellationen aus dem Nebel auftauchen. Auch den "Stimmungserklär-Soundtrack vom Band" findet der Kritiker "nervtötend". Statt Besinnung und Abwägung von Argumenten des Romans werde "exaltiert nach vorne gespielt". Das könne das Ensemble allerdings "ganz schön gut", so Kessler, für den im fliegenden Rollenwechsel "die Romaninterpretation zu einem Geistertanz all der Schergen, Bürger und Arbeiter" wird, der sich "immer schneller um Christian und seine Familie dreht."

"'Der Turm' ist triftig wie lange kein Abend im Hans-Otto-Theater", schreibt Christian Rakow für die Märkische Allgemeine Zeitung (29.11.2010). Anders als die Dresdner Welturaufführung sei die Potsdamer Inszenierung kein "gefälliger Heimatabend im Format eines szenischen Bilderbogens". Mit John von Düffels Bühnenadaption, die sich auf die "Entwicklungsgeschichte Christians" konzentriere, gewinne sie an Konflikt und erobere dem Roman seine "bildungsgeschichtliche Tiefe" zurück: "Denn das Niedergangspanorama Ost ist bei Tellkamp ein Lied vom deutschen Geist. Es schildert die Traditionen einer Bürgerlichkeit, in der die Freiheiten des Individuums zumeist aus der Untertanenstellung heraus erträumt werden mussten." Wellemeyer erhebe insbesondere die Wehrdienstjahre in der NVA zur "großen expressiven Leidensschilderung" des Protagonisten Christian. Nach anfänglichen "hohen, teils auch hohlen Deklamationen" in den Gesellschaftsszenen liegen hier für den Kritiker schauspielerische Glanzmomente: "Mit diesem egozentrischen Träumer und Literaturnarren, der im Panzerstahl gehärtet werden soll, legt der junge Holger Bülow sein Meisterstück ab."

"Wellemeyer sind Bilder von großer Ausdrucksintensität gelungen", befindet auch Klaus Büstrin in den Potsdamer Neuesten Nachrichten (29.11.2010). Lob erhält John von Düffel, der "eine übersichtliche und nachvollziehbare Erzählstruktur auf die Bühne brachte", deren einziges Manko es sei, dass sie "der wichtigen Figur des Meno, Literaturwissenschaftler, Opportunist", zu "wenig Aufmerksamkeit" schenke. Wellemeyers Regie wolle die "psychische Beschaffenheit von Menschen" durchleuchten. "Da werden aber immer wieder seltsam lang gestreckte oder wie Türme wirkende Vitrinen in den Wald gefahren. Sie outen sich als Orte der inneren und vielfältigen Erlebniswelt der Personen, mit ihren Kunst- und Liebeserlebnissen oder Leidenserfahrungen." Durchweg werden die schauspielerischen Leistungen gewürdigt, die eine "gefeierte dreistündige, nie ermüdende Premiere" ergäben.

"Leichtfüßigkeit" bescheinigt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (29.11.2010) dem "schnellen Spiel" des Potsdamer Theaters. "Angesichts der zähen Zeit, von der es handelt, gerät es nur schon wieder zu munter und äußerlich." Das sei ein Effekt der Fassung von John von Düffel, die "Tellkamps ausuferndes Beschreibungsmeer" auf ein "Minimum trocken legte und das Riesenpersonal auf wenige Protagonisten reduzierte." Mit der Figur des Meno aber, der in einer für die Kritikerin zentralen Szene über der "Gegenwartsflucht" seiner kultivierten Zeitgenossen vom "Turm" verzweifele, lege der Abend seinen Kern frei: "Das Kulturwissen und seine Genauigkeit, auf das sich die "Türmer" so viel einbilden, schlägt um in Besessenheit, wird tumbe Tümelei. Diese Szene – Parodie und Drama zugleich – trifft wunderbar ins Herz des eigentümlich überspannten Romans wie auch dieser entspannten Theaterfassung."

"Ein großer Roman ist in Potsdam zu einem großen Theaterabend geworden", berichtet der Musikkritiker des Berliner Tagesspiegels Frederik Hanssen (29.11.2010). Gegen "alle aktuellen Schauspielmoden" verteidige Wellemeyer "mit berührendem Engagement die kathartische Kraft der traditionellen Bühnenkunst" und liefere "klares, gradliniges Erzähltheater". John von Düffels Fassung präpariere Christians Geschichte, die "Lehr- und Wanderjahre eines sensiblen Jungen aus gutem Hause" heraus, wobei sich der Abend dabei nicht allein "zu einer packenden Erzählung vom Erwachsenwerden" zusammenfüge, "sondern eben auch zu einem Panorama der bleiernen Vorwendezeit".

 

Kommentare  
Der Turm, Potsdam: starke, gewaltige Bilder
Mein Kompliment an das Ensemble des HOT für diesen grandiosen Abend.Mitreißend und voller Energie wurde hier "Der Turm" mit Fokus auf den jungen Christian auf die Bühne gebracht. Mit eindringlichem Spiel haben die zahlreichen Schauspielerinnen und Schauspieler ein Stück deutsche Geschichte eindringlich, sehenswert und mitfühlend präsentiert. Gerade im zweiten teil nach der pause dominieren starke, gewaltige, aussagestarke Bilder. Es ist für mich als ehemaliger Potsdamer sehr erfreulich,daß am HOT nun endlich wieder relevantes Theater mit aktuellem Bezug gemacht wird.
Der Turm, Potsdam: beglückend und besonders
Es ist dem TAGESSPIEGEL nur zuzustimmen. Ein großes Buch, ein großer Theaterabend. Für mich als Dresdner im Potsdamer Exil war dieser Abend ein besonderes Erlebnis und ich danke den Schauspielern für diesen mich sehr beglückenden Theaterabend.Ich habe mich erinnert gefühlt an meine Jahre in den 80ern und 90ern, dank der intensiven Darstellung und der bildgewaltigen Darbietung.Natürlich vermißte ich einige mir sehr interessante Aspekte in der literarischen Vorlage, aber man muß sich eben entscheiden,wenn man den TURM nicht an drei Tagen in mehreren Teilen spielen möchte.Doch war ich schon sehr beeindruckt von der hiesigen Präsentation
Der Turm, Potsdam: auf der Stelle tretend
Wie dieser Abend sich vehement die Seele aus dem Leib brüllt, mehr als drei lange rasende Stunden auf der Stelle tritt - das ist alles sehr mühsam. Überwältigungstheater par excellence. Und das Ende empfinde ich nicht als "wunderbar beiläufig", wie Herr Krug schreibt - in seiner Verkürzung hat es mich geradezu peinlich berührt.
Der Turm, Potsdam: Berauschungstheater
hm,da frage ich mich doch, ob wir dasselbe stück am selben theater gesehen haben, herr ender.wo entdecken sie nur das brüllen der schauspieler oder war das im übertragenen sinne gemeint? viel eher agiert hier ein grandioses schauspielensemble, vor allem auch in leisen tönen. ja,sicher, die wirkung ist vbei jedem zuschauer anders, für mich jedoch gab dieser abend keinen anlaß, um peinlich berührt zu sein. eher war ich angenehm überrascht von der umsetzung dieser dicken romanvorlage. für mich war es in keinem fall ein überwältigungstheater, sondern ein berauschungstheater,je ein bildergewaltiges, getragen von hervorragenden schauspielern.aber zum glück erreicht theater ja unterschiedliche gefühle und sichtwqeisen
Der Turm, Potsdam: opernhaft pathetisch
Selbstverständlich, Herr Speer, wenn Sie sich an diesem, lassen Sie es mich als opernhaft-pathetisches oder Cinemascope-Theater bezeichnen -, wenn sie sich also an so einem Theater berauschen können, dann ist das doch wunderbar für Sie. Und daß gerade die Hauptdarsteller die Gefühlslage und Seelenzustände ihrer Figuren die meiste Zeit lautstark veräußern mußten, empfinde ich eben auch als einen Versuch mich zu überwältigen. Im Prinzip habe ich nichts dagegen. Nur gerade bei einem Ausflug in die Vergangenheit hätte ich es doch gerne subtiler, forschender, zuhörender - und das geht eben so gut wie nie in dieser Inszenierung. Das meine ich damit, wenn ich sage, daß es mühsam war. Und daß die meisten Schauspieler des HOT so einiges vermögen, habe ich in letzter Zeit schon erleben dürfen. Nur hier durften sie eben sehr wenig davon zeigen. Darüber hinaus spielten sie so gut wie nie miteinander, sondern jeder isoliert am anderen vorbei - und das war sicher kein inszenatorisches Konzept, sondern fehlende Schauspiel-Regie.
Ich bin ziemlich genauso alt wie 'Christian', die Hauptfigur des Romans und der Inszenierung durch Wellemeyer. Und ich habe wie Zehntausende anderer in 'unserem' Alter ähnliches erlebt - vielleicht ein wenig informierter, da ich in Ost-Berlin aufgewachsen bin. 'Christians' Biographie, bzw. das was wir davon erfahren, ist ja auch der seines Erfinders Tellkamp sehr nahe. In der Verdichtung durch von Düffel und Wellemeyer entspricht sie aber m.E. nicht mehr dem authentischen, sehr künstlerischem, Kaleidoskop von Tellkamp - und diese, tja, was? - Zuspitzung wirkt auf mich banal und berührt mich eben peinlich. 'Christians', hier nun, solitäre Position ist eine billige Idealisierung und verfälscht nicht nur den Roman sondern es verklärt auf billige Art die Vergangenheit.
Der Turm, Potsdam: sehr eigenwillig
was da verklärt wird würde mich aber doch konkret interessieren.
ich habe die inszenierung auch gesehen konnte davon aber nichts entdecken.
und warum verwenden sie eigentlich cinemascope um etwas herabzuwürdigen?gehen sie nie ins kino?
die möglichkeit sich mit dem bühnengeschehen zu identifizieren ist doch an sich noch nichts schlechtes.
das brüllen hab ich so auch nicht gesehen,meno hat eine sehr eigenwillige sprachbehandlung die ich aber nach anfänglicher irritation eine seltsame,besondere übersetzung dieser figur fand.
Der Turm, Potsdam: vitales Ensemble im Stück zur Einheit
"Der Turm" war auch gestern wieder in Potsdam zu sehen und kann von meiner Warte aus durchaus empfohlen werden (daß hinzu kam, diesen Abend am Tag der Deutschen Einheit zu sehen, gab überdies dieser Erfahrung noch eine spezielle Rahmung). Vieles, was ihn auszeichnet bzw. charakterisiert, die annährend durchgehend bemerkenswerten Leistungen des HOT-Ensembles (schon von der "Romeo- und Juliapremiere" im Frühjahr ergab sich der Eindruck von einem vitalen Ensemble, auch wenn Herr Bülow nach Köln gegangen ist), die Konzentration auf eine "Entwicklungsgeschichte" Christians, wurden genannt. Mir sind die drei Stunden nicht lang geworden: ich habe die Inszenierung als eine aus einem Guß erlebt, wenngleich der erste Teil vor der Pause atmosphärischer, ruhiger, mehr Zeit lassend, die Situationen zu erfassen, geraten ist meineserachtens, der zweite mit stärkeren und geballteren Effekten arbeitet und die Erzählung langsam aber sicher sogar ein wenig gehastet erscheinen läßt. Dennoch halte ich diese Roman-Bearbeitung durch Herrn von Düffel für die bislang überzeugendste seiner Roman-Bearbeitungen !
Ich sehe keine Verklärung, jedenfalls keine, die nicht dadurch erheblich an Schärfe verlöre, daß der Abend auf Christian zugeschnitten ist, Christian uns aber eigentlich nicht als Identifikationsfigur angedient erscheint -dafür reichen die ersten Szenen aus dem Ärzte- und "Weißer Hirsch"-Milieu in ihrer intensiv ausgespielten Art (!)-die sich im Laufe der Effektfülle des zweiten Teils ein wenig verliert und möglicherweise jenen Cinemascopeeffekt begünstigt, währenddessen gerade die Glaskastenfahrten Bühneneffekte pur sind, geradezu eine phänomenologische Breite entfalten, was so eine solche "Glasvitrine" so alles "spielen" kann, von der Dresden-Straßenbahn über den Brutkasten, ich sah sogar ein Separee im Stile der Herbertstraße angedeutet in der ersten Fremdgehszene Christians, bis hin zum Beispiel zur Einzelhaftzelle oder dem Klohäuschen- hin , auch Christians Akte vom "Großen Menschen"
schaffen diesen gewissen Abstand. Freilich kann man das mit dem Ende auch ein wenig anders sehen als Herr Krug. Ich habe so ein "Wir sind doch garnicht so" in diesem Zusammenhang auch eher als flapsig empfunden, gerade vor dem Hintergrund, daß das jetzt 22 Jahre nach 1989 gegeben wird: für mein Empfinden dann doch ein wenig "siegerjustizhaft", gerade eingedenk dessen, daß mancherlei an den heutigen Gegebenheiten der Bundesrepublik frappant an 1989 erinnert und auch hin und wieder daran, daß die Marxsche Würdigung des Konzentrationsprozesses bzw. Autolyseprozesses des "Kapitalismus" offensichtlich doch einige Züge für sich hat. Allerdings gibt es andererseits ebenso eine mehr als nur peinlich berührende Verklärung der DDR-Wirklichkeit, die schlicht und ergreifend von Schußbefehl, Bautzen, Bitterfeld oder Hohenschönhausen, vom Spitzelsystem nichts hören und sehen will.
Daran gemessen ruft so ein Abend von einem wahrscheinlich garnicht so exemplarischen Einzelschcksal (der Abstand zur Figur kommt gewissermaßen von der Figur selbst her, und Holger Bülow spielt so facettenreich und kraftvoll, daß es keinen Grund gäbe, sich ihn nicht gegenüberzustellen sondern (Einigungsprozeß !) einzuverleiben quasi) eher wohltuend: "Halt, das ist ein weites Feld, ganz so von ungefähr kommt das mit dem "Unrechtsstaat" nun auch wieder nicht, abgesehen davon, wer hier den ersten Stein wirft; warum soll , nachdem ich es hier feststelle, wie mir das Jungsein verstellt erschien, jetzt, wo ich das feststellen kann und darf, wieder an die zweite Stelle geraten, weil es wieder einmal soweit ist, sich mit übergeordneten Systemfragen und nicht meiner vielleicht garnicht exemplarischen "Jugend" zu beschäftigen ?!"
Der "Turm", so verrät es ein Interview mit Uwe Tellkamp im Programmheft, wird aus der Sicht einer anderen Figur möglicherweise noch eine (Berliner !?) Fortsetzung finden, vielleicht auch am HOT, das gestern ein wenig an der Elbe zu liegen schien..
Der Turm, Potsdam: ein toller Abend
ein toller abend, der sogwirkung hat. bildgewaltig, mitreißend. schöne inszenierungsideen und ein starker hauptdarsteller.
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