Mit Charme und Charge durch's Dixieländl

von Wolfgang Behrens

Berlin, 28. November 2010. Als man hörte, dass der Operndekonstruktionsmeister Sebastian Baumgarten an der Komischen Oper Ralph Benatzkys Wohlfühl-Operette "Im Weißen Rößl" inszenieren würde, da sah man im Geiste bereits die Fassade des so überaus fidelen Hotels am Wolfgangsee bröckeln. Diskursbomben würden einschlagen und tiefe Krater im schönen Rößl-Putz hinterlassen, und der Kaiser mit seiner restaurativen Weisheit "Schweige und begnüge dich, lächle und füge dich!" würde nackt stehen.

Um dreieinhalb Stunden Baumgarten-"Rößl"-Erfahrung reicher, könnte man noch immer sagen, der Regisseur habe sich am kritischen Potential dieses so sehr auf Erfolg kalkulierten Kunstgewerbeprodukts aus dem Jahr 1930 abgearbeitet. Denn, ja, da sind diese tollen Videoprojektionen von Stefan Bischoff seitlich der Bühne, in denen ein wundersam animiertes Postkartenalbum aufgeblättert wird: In ihm ist nicht zuletzt die Brüchigkeit der nostalgischen Idylle eingefangen. Und, ja, da sind diese Szenen, in denen den Darstellern plötzlich der Hitlergruß in den Armen zuckt, in denen unheilvoll dräuend die Leni-Riefenstahl-Ästhetik im Gewand der rhythmischen Sportgymnastik um die Ecke lugt oder in denen sich der freudlose Zwang und der selbstzerstörerische Alptraum des touristischen Amüsierbetriebs offenbaren.

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Zum Schreien komisch: Max Hopp und Kathrin Angerer im Weißen Rößl © Marcus Lieberenz

"Operette, bis es kracht"

Auf das alles könnte man verweisen, und es wäre doch an der Sache vorbei. Denn was in Baumgartens "Rößl"-Aufführung an kritischem Impetus steckt, das läuft nur so nebenher mit. Was man aber vor allem zu sehen bekommt, ist das, was der Regisseur in einem Interview vorher angekündigt hatte und was man ihm nicht zu glauben geneigt war: "Operette, bis es kracht." Und es kracht ordentlich.

Das fängt bei der Musik an. Das Team der Komischen Oper hat sich dafür entschieden, der Berliner Uraufführungsfassung des "Weißen Rößls" mit ihrem überraschend gewaltigen Apparat so nahe wie möglich zu kommen. Was keine Selbstverständlichkeit ist, da süßliche Bearbeitungen des ohnehin süßlichen Stücks Legion sind. Nun aber tönt es ungewohnt farbig (und manchmal vielleicht auch etwas pastos-schwerfällig) aus dem als Swimmingpool gestalteten Orchestergraben und aus einigen eigens für die Sonderensembles freigeräumten Logen. Dixieland-Klänge mischen sich mit Schrammelmusik, Blaskapellen marschieren vorüber, und man begreift, dass das "Rößl" der Großen Berliner Revue der 1920er Jahre viel näher steht als jeder Lehár-Operette.

Süffigstes Volkstheater

Auf der Bühne spuckt dazu ein Multifunktions-Chalet mit ausklappbaren Zimmern und Toilettenhäuschen-Herz im Giebel eine Revue-Truppe nach der nächsten aus: Feudelschwingende, als antike Liebesgöttinnen kostümierte Stubenmädchen verbinden sich zur Chorus Line, amüsierwütige Badegäste formieren sich zu ein paar neckischen Choreographien. Der Friedrichstadtpalast lässt grüßen, und wenn es trotzdem etwas ganz Anderes ist, dann liegt das an der exzessiven Lust, mit der Sebastian Baumgarten jedes Bild zuspitzt.

Es ist im Grunde prallstes, süffigstes Volkstheater, was Baumgarten hier veranstaltet; vor dem Absturz in die Trivialität wird es nur von einer wilden, parodistischen Energie bewahrt – die aber hat sich gewaschen! Was Baumgartens (überwiegend aus dem Sprechtheater mitgebrachten) Darsteller an anarchischem Chargentum auf die Bretter knallen, das kann einen auch dreineinhalb Stunden lang im Sitz aufrecht halten. Dieter Montag knattert sich herrlich durch seine Rolle des dauermeckrigen Berliner Trikotagefabrikanten Giesecke. Kathrin Angerer als seine verzogene Tochter Ottilie gibt einige Kostproben ihres oft bewährten Eskalationstalents: keine nölt schöner. Dagmar Manzel kann dafür schöner singen, erstaunlich schön sogar, ansonsten spielt sie die Rößlwirtin als eine wie aufgezogen durch ihren Betrieb irrlichternde Oberzicke. Und auch die Sänger aus dem Ensemble der Komischen Oper – Christoph Späth als Rechtsanwalt Siedler und Peter Renz als Sigismund, um nur zwei zu nennen – lassen sich von der karikierenden Spielwut ihrer Schauspielerkollegen nur zu gerne anstecken.

Max Hopp im Slapstikfuror - furios!

Zuallererst aber ist es der Abend des Max Hopp. Sein Zahlkellner Leopold ist eine eigentlich ganz und gar unmögliche, völlig verrückte Konstruktion: Die Figur scheint aus unzähligen Brüchen zusammengesetzt, alte Rollenvorbilder scheinen durch – Hopp gelingt zwischendurch etwa eine unglaublich präzise, hochkomische Peter-Alexander-Imitation –, dann plötzlich wird sie vom Slapstickfuror ergriffen, verwandelt sich in einen schmachtenden Operettentenor oder steigert sich in eine Hitler-Parodie hinein. Aus alledem entsteht eine virtuose Studie der Getriebenheit, in der Hopp dann auch noch Raum für melancholische, ja existentielle Abgründe lässt. Es ist das wohl eine der tollsten schauspielerischen Leistungen, die man derzeit in Berlin besichtigen kann.

Die Diskursbomben also sind ausgeblieben. Aber – Max Hopp und dem großartigen Ensemble sei Dank! – gekracht hat's trotzdem. Und am Ende hat die Komische Oper gebebt.

P.S. Natürlich hat die parodistische "Rößl"-Lesart in Berlin Tradition, seit 1994 eine schlagkräftige Truppe um die Geschwister Pfister herum das "Rößl" in der "Bar jeder Vernunft" witzig und grenzkitschig auf die Bühne brachte. Es war eine schöne Reverenz, dass die Recken von damals nun fast vollzählig im Publikum saßen. Gesichtet wurden: Ursli und Toni Pfister, Fräulein Schneider, Otto Sander, Gerd Wameling und der damalige musikalische Leiter Johannes Roloff.


Im Weißen Rößl
Singspiel von Ralph Benatzky
Libretto von Hans Müller und Erik Charell
Gesangstexte von Robert Gilbert
Regie: Sebastian Baumgarten, Musikalische Leitung: Koen Schoots, Bühnenbild: Janina Audick, Kostüme: Nina Kroschinske, Choreographie: Brigitte Cuvelier, Dramaturgie: Ingo Gerlach, Chöre: André Kellinghaus, Licht: Franck Evin, Video: Stefan Bischoff, Jana Findeklee.
Mit: Dagmar Manzel, Max Hopp, Dieter Montag, Kathrin Angerer, Christoph Späth, Peter Renz, Thorsten Merten, Julia Giebel, Miguel Abrantes Ostrowski, Irm Hermann, Mirka Wagner, Hannah Elisabeth Sußmann, Matthias Spenke, Frank Baer, Eberhard Krispin, Julia Bossen, Hans-Jörg Bertram, Daniel Regenberg (Klavier), BVG-Orchester e.V., Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin.

www.komische-oper-berlin.de

 

Mehr zu Theatermachern auf Opernbühnen? Im Juni 2010 inszenierte Nicolas Stemann an der Komischen Oper Berlin La Périchole. Von Christoph Schlingensiefs Musiktheatervisionen künden die Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna, 2008 in Abwesenheit des Künstlers an der Deutschen Oper Berlin aufgeführt, und sein Regienachlasswerk Metanoia, das nach Schlingensiefs Tod im Oktober 2010 an der Staatsoper Berlin herauskam. Und mehr zu Sebastian Baumgarten gibt es im nachtkritik-Lexikon.

 

Kritikenrundschau

Die vier Stunden seien "deutlich zu lang", befindet Uwe Friedrich im Deutschlandradio Kultur (Fazit, 28.11.2010). Der Regisseur verweigere sich mit diesem "dramaturgisch überfrachteten Abend" dem Genre und wende "die allzu gut bekannten Volksbühnenversatzstücke auch auf die Operette an. Überdehnte Slapsticknummern, immer gleich erzählte Witze und pseudospontane Texthänger der Darsteller sowie von einem nervtötenden Pianisten verklimperte Dialoge", was vor allem den zweiten Teil "zur Publikumsfolter" mache. Nur Renz und Späth behaupteten "das Recht des gut platzierten Witzes gegen diese bleierne Schwere". Der "hochvirtuose" Hopp gebe einen Zahlkellner, "dem jede Melancholie fremd ist", die "grandiose" Manzel eine Rößlwirtin von "preußischer Resolutheit". So fehle dem Abend gen Schluss "jene leicht süßliche Melancholie, durch die eine Operette erst genießbar wird, und die allen Volksbühnen-Adepten wie auch Sebastian Baumgarten zutiefst suspekt ist". Zudem müsse der Zuschauer bei Angerer "regelrecht Angst vor der nächsten Gesangsnummer" haben.

Baumgarten habe sich nicht so sehr für den Paarungstrieb, als z.B. für das "Rößl"-Verbot der Nazis interessiert, meint Jan Brachmann von der Frankfurter Allgemeinen (30.11.2010). Die Kapelle der Komischen Oper verteidige "mit rauhbeiniger Kraft ihren Ruf als Berlins vielseitigstes Opernorchester". In der hier gespielten Uraufführungsfassung dränge sich klangbildlich "das Industriell-Luxuriöse, Aggressiv-Metropolitane" in den Vordergrund und lasse sich die Musik "als Kritik am Antiurbanismus der Urlaubsindustrie hören". "Von den harten Schnitten und den rüden Texten, die beschreiben, wie alle Beziehungen und Bedürfnisse des Menschen der Ökonomie unterworfen werden", sei der Regisseur allerdings so fasziniert gewesen, "dass ihm zum Stück kaum noch mehr einfiel. Text und Musik sprechen für sich, die Darsteller hatten scheinbar freie Hand und - retteten die Produktion." Gelobt werden Hopp, Renz, Späth, Wagner und Montag, Angerer und Manzel müssen sich auch Kritik gefallen lassen. Durch Baumgartens Regie erweise sich das "Rößl" als "schlaues Stück, das die Verhältnisse genau kennt, mit denen es sich arrangiert. In diesem Zynismus, den Preis aller Dinge zu wissen und ihren Wert zu leugnen, macht es sich die Inszenierung aber auch bequem."

Jürgen Otten
von der Frankfurter Rundschau (30.11.2010) hat einen "merkwürdig quälenden Abend" erlebt, der viele (Bedeutungs-)Fragen offen lase. Im "Rößl" gehe es um Liebe und um Geld, "die beiden wichtigsten Triebkräfte eines kapitalistisch geformten menschlichen Denkens und Daseins", und eben das habe Baumgarten am Stoff vermutlich interessiert. Allerdings trage sich die Geschichte kaum über dreieinhalb Stunden von selbst. "Allzu identisch und monochrom sind schon die Linien, die zur Liebe hinführen." Zwar gäben Hopp und Manzel "darstellerisch ein phantastisches Gespann" ab. Das "zentrale Problem der Inszenierung und, damit einhergehend, der musikalischen Seite" sei allerdings, dass Baumgarten und Schoots so viel mehr wollten, als die flotte Komödie: Sie stopften den Narren-Käfig "voll mit Ideen und Klängen und Menschenmassen, bis die Stäbe bersten. Jede Minute drei Gags, vier Wortwitzeleien, fünf outrierte Gesten und sechs scheppernde Akzente, das kann nicht gut gehen und geht auch nicht gut". Da verkomme das Singspiel "zum Polterabend", bei dem der Chor "die bemitleidenswerte Rolle dessen spielt, der dem Haudraufklamauk im Orchestergraben (...) die choreografische Entsprechung zu bieten hat". Alles geschehe hier "so offenkundig und so laut, dass darüber die ganze Finesse des Stücks zerstört ist. Am Ende nurmehr Scherben. Und kein Vergnügen, nirgends."

Der "nicht eben für Leichtigkeit und Frohsinn bekannte Dekonstruktivist" Baumgarten sei in diesem Swimmingpool-Wolfgangsee prompt baden gegangen, meint Manuel Brug von der Welt (30.11.2010). Hier werde "gewollt ärmlich und in pseudodilettantischer Nichtchoreografie mit dünner Lippe kritische Unterhaltungstheaterexegese betrieben". Die begehe leider "schnell die schlimmste aller Theatertodsünde: sie langweilt." Manzel nerve diesmal als "grässlich überdrehter, noch dazu sächselnder Bauerntrampel". Verschenkt seien "der bloß routinierte Trikotagenfabrikant Giesecke" von Montag und Renz' "blässlich schöner Sigismund". Angerer "kiekst einmal mehr penetrant eines ihrer ewigen Girlies vom Rosa-Luxemburg-Platz". Baumgarten konzentriere sich "auf den proletarischen Arbeitskampf des verliebten, ausgebeuteten Zahlkellners Leopold mit seiner kratzbürstigen Chefin". Der "furios schnaubende" Hopp liefere "als einziger eine glaubwürdige Figur ab und hat neben der allerliebst jodelnden Brief-Kathi (...) auch einsam sängerisch passgenaues Format". Im Orchestergraben könne man "die zackigen Märsche besser als die Walzer", weshalb es "trotz opulenter Originalfassung mit Banjo, Zither und Kuhglockenstep breit und vornehmlich knallig" klinge.

Das Spektakel verbleibt für Ann-Christine Mecke von der Berliner Zeitung (30.11.2010) "in erstaunlicher Harmlosigkeit und zieht sich trotz des hohen Tempos gewaltig in die Länge". Der Orchesterklang verliere "im Laufe des Abends an dynamischer Differenzierung", werde "zunehmend zur ziemlich lauten, aber schlichten Begleitung". "Die musikalische Hyperaktivität spiegelt Baumgarten durch szenische: Die Figuren leben einen schier unerschöpflichen Bewegungsdrang aus, sie tanzen und turnen, zucken und stürzen." Die "aufwändige und gelungene Videoprojektion" gerate "neben all dem Rummel zur Randerscheinung". Die Sprechszenen rückten in den Fokus - "virtuos", wie Manzel, Hopp und Angerer "sich hastig verhaspeln, Streits eskalieren oder von Selbstgesprächen geschüttelt werden". "Wirklich schönen Gesang" bekomme man allerdings "wenig zu hören", Angerers Singstimme sei gar "ein dringender Fall für den Theaterarzt", während Manzel und Hopp auch sängerisch beeindruckten. Letzterer interpretiere den Zahlkellner "mit gewaltigem Einsatz und bis zur Verausgabung" als einen, "der weniger von Liebe und Leidenschaft, als von den äußeren Zwängen dieses Stücks getrieben scheint". Dabei ergreife "eine Art Meta-Rührung" den Zuschauer: "Man hat Mitleid mit dem, was das Stück mit dieser Figur macht." "Die Besetzung des Kaisers mit der fremdelnden Irm Hermann bleibt ein Rätsel der Regiekonzeption". Baumgarten ersetze die "kitschige Romantik, die man gemeinhin mit diesem Stück verbindet, durch ironische Albernheit". Die diese "spöttische Distanz" werde das "Gelächter über Kalauer und Slapstick zum Gelächter über die 'Absurdität des Genres'" geadelt. "Aber was ist damit gewonnen?"

Baumgarten, "der Essayist unter den Musiktheaterregisseuren", habe "den Kitsch ein bisschen vergrößert und verzerrt", schreibt Volker Hagedorn im Berliner Tagesspiegel (30.11.2010). Die Penetranz der "Rößl"-Ohrwürmer erweise sich "als hartnäckig frohsinnig, obwohl es nicht an Versuchen fehlt, Unbehagen zu verbreiten". "Die Kalauer, Intrigen und Amouren frieren alle ein bisschen" - aber sie finden immerhin statt, "und die meisten Protagonisten werfen sich mit Wucht hinein", allen voran Hopp, "der seinen Leopold bis an die Wahnsinnsgrenze treibt". Angerer nutze ihre "Unfähigkeit, singen und tanzen zu können, so virtuos wie noch nie". Ausgerechnet Montags Urberliner Giesecke wirke hingegen "etwas angestrengt", die "Unentschlossenheit" der Regie treffe ihn am härtesten. Der Abend bleibe "eine Versuchsanordnung, die immer wieder und wie unfreiwillig auf die Ohrwurmlieder zuläuft". "Die 'Rößl'- Welt wird durchscheinend zwischen Kitsch, Kritik und Karikatur, zwischen Überzeichnung und Unterkühlung, ohne dass etwas anderes aufschiene." Nichts könne "wettmachen, dass der Abend im dritten Akt nicht nur durchscheint, sondern auch durchhängt."

Baumgarten hat laut Niklaus Hablützel von der taz (Berlin-Kultur, 30.11.2010) "nichts verändert, sucht keine versteckte Botschaft, nimmt alles hin, wie es gemeint ist, und übersetzt es in die begrenzten Möglichkeiten der Komischen Oper" - eine "extreme Sparversion also der Supershow von 1930, die aber alles, was ihr an Breite fehlt, durch Zuspitzung ins Extreme ausgleicht". Unter Koen Schoots und nach Originalnoten klinge "die Musik besser als nach dem Krieg", "krachend, schmissig, flott und nur ganz selten so zuckersüß, wie man es so gern aus den Ohren verdrängt hätte. Aber es bleibt auch so beim Alten, korrigiert wird nur die Vorstellung, diese Art der Musik habe sich überlebt. Im Gegenteil, sie ist die Blaupause für fast jeden deutschen Schlager bis heute, keine der Fernsehsendungen mit sogenannter Volksmusik ist denkbar ohne dieses Vorbild."

"Ausgerechnet die leichte Muse soll uns im Krisenjahr zu Klarsicht verhelfen?, fragt Christine Lemke-Matwey in der ZEIT (2.12.2010). Und ist vom Abend begeistert, vor allem von seinen Hauptdarstellern: "Wie Dagmar Manzel das macht, halb Knusperhexe, halb alterndes Blitzmädel, wie sie ständig in der Hocke über die Szene wieselt oder x-beinig mit Schweinsköpfen und Lebkuchenherzen jongliert, das ist eine Wucht. Und, bei aller schwindelerregenden Überdrehtheit: ein Wunder an Virtuosität, Energie und Präzision, an Haltung und Ausdruck." Manzel zeige eine Frau im systematischen Ausnahmezustand: "unverheiratet, saisonal verliebt (und prompt in den Falschen), beruflich überfordert. Im Leben der Josepha Gabriela Maria Vogelhuber stimmt nichts, nicht die Sprache, nicht die Emanzipation, nicht das mit Pfirsichen ausgestopfte Dekolleté. Wie kaum eine andere Figur der Berliner Revue-Operette verkörpert sie deren Prinzip, dient als touristische, erotische und ökonomische Projektionsfläche, solange die Nummern-Dramaturgie dieses Movens eben braucht, und verschwindet am Ende recht sang- und klanglos doch noch unter der Haube ihres 'Ehekellners' Leopold." Ein Kapitalismus, der so treuherzig die Hosen herunterlässt, brauche keine Kapitalismuskritik mehr, weder 1930 noch 2010: "Wer es unbedingt deutlicher haben will, dem hilft Max Hopps hinreißender Leopold: Allein wie seine Toni-Sailer-Tolle an Halt verliert und er mit ihr und wie dabei der innere Adolf in ihm wächst und gedeiht, das hat chaplineske Qualitäten. Der Kerl ist irre, auch ohne Oberlippenbärtchen, ein Emporkömmling, der von seinem psychotischen Machtinstinkt gern übermannt wird. Dann entpuppt sich die ganze Rössl-Architektur mit ihren Heuböden und Herzerln als flackerndes Gruselkabinett, dann zeigt die Gemütlichkeit Fratze. Und der Piccolo kriegt Dresche." Was bleibe, sei die Überzeugung, dass Schauspieler tatsächlich die besseren, wahrhaftigeren Operettensänger sind.

 

Kommentare  
Im Weißen Rößl, Berlin: großartige Nachtkritik
Da kann man mal sehen, zu welchen Höchstleistungen Schauspieler fähig sind, wenn sie nicht die ewgige postdramatische Konzeptkacke aus sich herausbrüllen müssen! Es ist auch eine sehr großartige Nachtkritik, die mir aus dem Herz und auch aus dem Hirn spricht!
Im Weißen Rößl, Berlin: entweder Konzept oder Postdramatik
Frau Manzel, Herr Mann, Herr Hopp mußten jemals "postdramatische Konzeptkacke" aus sich herausbrüllen? Meine liebe Zahlkellnerin, wo soll das denn gewesen sein? Sicher nicht in Ihrem Wirtshaus! Konzept und Postdramatik schließen sich darüberhinaus gegenseitig so ziemlich aus. Ohne Konzept sind Sie als ZuschauerIn zum Beispiel so ziemlich aufgeschmissen, genauso wie bei Postdramatik.
Im Weißen Rößl, Berlin: Beschönigungskritik
Wieviel Geld hat denn der Herr Behrens für diese Beschönigungskritik von der Komischen Oper erhalten. Richtig ist, dass die schauspielerischen Leistungen gut waren und Max Hopp sicher alles gegeben hat. Trotzdem hat das Werk insgesamt kaum mitgerissen. Ich war zwischenzeitlich eher gelangweilt und gekracht hat es in der Komischen Oper schon gar nicht. Eher mühsamer Schlussapplaus. Beim mir geht diese Inszenierung eher als mäßig kurzweilig durch.

phamed
Im Weißen Rößl, Berlin: so sind die Gepflogenheiten
Na, phamed, Sie kennen doch die Gepflogenheiten: Die Komische Oper führt einem zur Erstellung der Nachtkritik einige junge Chordamen zu und spendiert ein paar Flaschen Champagner. Man wird dann in ein geheimes Seitenzimmer separiert, und morgens um 7 Uhr geht dann ein Praktikant noch einmal mit dem Rotstift durch die Kritik, derweil man seinen Rausch in den Armen der Schönen ausschläft. So oder ähnlich ist überhaupt noch jede positive Rezension auf Nachtkritik entstanden.
Im Weißen Rößl, Berlin: unser Mann mit Humor
Na siehste, noch ein Kritiker mit Humor. Bravo Herr Behrens.
Im Weißen Rößl, Berlin: Opfer des Sparzwangs
@wolfgang behrens
...die flaschen champagner leuchten mir ja noch ein.. und aus eigener erfahrung kenne ich diesen vorgang des sich im schlamassel der aftershowpremierenfeier die kritik schöntrinkend-ertränkens, obwohl es in meinem falle des öfteren nur echter, purer wodka war...- was ich aber sehr in ihrer lebhaften schilderung der geburt dieser, zugegeben auch von mir als etwas zu seelig-euphorisch empfundenen kritik, als an den langen, wahrscheinlich falschen, haaren (ob blond, ob braun, ich liebe alle..äh...- männer??..) herbeigezogen empfinde, ist diese sache mit den jungen (aha! ältere semester in ihrer preisklasse tun es also nicht mehr!! soso, sehr enthüllend!)chordamen...: sie glauben doch selbst nicht, daß die komische oper (diese institution ist ja an sich schon person genug, oder?)..sich die kosten für die bestechungsgelder der armen chorischen, sirenenhaften damen bei unserem künstlerischen sparzwang noch leisten kann... - ich glaube da eher an die version der schmiergeldaffäre im intendantenzimmer mit aussicht auf eine eigene inszenierung im nächsten jahr..oder vielleicht sogar die rebellische, pressewirksame übernahme des intendanten-sessels?
mit besten wünschen und nichts für ungut..
mit ein paar falschen wimpern im süffigen geplänkel-blinkernd..
äh..oder was man so tut als frau, wenn einem smilies fehlen..mit samtbehandschuhten grüßen,
clara
Im Weißen Rößl, Berlin: feinere Ironie der Geschwister Pfister
Es war ein schrecklich langweiliger Abend. Doof. Auf die Operette draufgehaun ohne Respekt, ohne dem Stück zu vertrauen. Da mußte der Regisseur mal wieder schlauer sein als der Komponist. Kein Witz funktionierte. Aber nicht jeder Kritiker hat Ahnung von Handwerk. Daß man aber den Dilettantismus der sogenannten Choreographie übersehen kann. Nun ja. Aber wahrscheinlich sollte mal wieder alles billig und möglichst blöde aussehen. Nur: Das macht das Theater kaputt und das Publikum, welches nicht so dumm ist wie manche Kritiker, bleibt weg. So kommt es in der Komischen Oper momentan zu einer Auslastung von knapp über 50 Prozent. Die Geschwister Pfister (...) sollten nicht in einem Atemzug mit dieser Inszenierung genannt werden. Sie haben damals gezeigt, wie es gehen kann. Wie wunderbar, mit welch feiner Ironie das Rößl funktioniert. Die Pfister waren nicht platt. Nicht langweilig. Weil sie die Operette lieben. Und nicht kaputtmachen. Aber manche Herrschaften wollen nur die pseudointellektuellen Dekonstruktionen des sogenannten modernen Regietheaters sehen. Diese Leute werden ihren Spaß haben. Alle anderen: Geht nicht in die Komische Oper. Kauft Euch das Video von den Geschwistern Pfister. Da habt Ihr mehr davon.
Im Weißen Rössl, Berlin: Sympathiepunkte für den Kritiker
Hallo Herr Behrens,

Sie haben Sympathiepunkt zurück gewonnen. Vielleicht hätten Sie die Regie vor der Premiere beraten sollen. Wäre dann sicher kurzweiliger gewesen am Sonntag Abend.

Herzlichts Phamed
Im Weißen Rössl, Berlin: Pfisters wären nix für große Bühne
@ Albert
Ich finde nicht, dass man die Pfister-Version mit der von Baumgarten so einfach vergleichen sollte. Es ist zwar das gleiche Stück, aber sie treten doch in ganz verschiedenen Kategorien an: Das eine ist für die Kammerbühne mit einer kleinen Besetzung, das andere ist für die große Bühne. Das ist ein Riesenunterschied. Auf der Bühne der Komischen Oper wären die Pfisters nur noch halb so lustig gewesen (aber immer noch lustig), weil sie ganz anders gerahmt gewesen wären.
Im Weißen Rößl, Berlin: Pfisters auf die große Bühne!
Lieber Ivo Peterhans,
Sie haben Recht, ich wäre auch nicht auf die Idee gekommen, die beiden zu vergleichen und in einem Atemzug zu nennen. Das tat aber der Autor der Nachtkritik, darauf nahm ich Bezug. Daß man aber in der (großen) Komischen Oper Operette und Musical spielen kann mit Spaß und Freude und Unterhaltung auf höchstem Niveau, haben unter anderem Felsenstein, Kupfer, Konwitschny und Kosky gezeigt. Und alle genannten haben die jeweiligen Werke nicht nur einfach nachbuchstabiert.
Trotzdem haben auch die Pfisters gezeigt, daß man mit dem Rößl unorthodox umgehen kann, ohne es zu zerstören, im Gegenteil, wenn auch im kleinen Rahmen des Spiegelzeltes. Und Sie brachten mich auf eine Idee: Ich würde die Pfisters und einige andere gerne mal in einer Operette in der Komischen sehen. Warum nicht? Dies wird jedenfalls tausendmal besser als die unsägliche Offenbachinszenierung (La Périchole) oder eben das Rößl. Und ich traue den Pfisters zu, sich auch auf größeren Bühnen zu bewähren. Was sie übrigens schon taten. Mit Operette. In München, Bern und St. Gallen. Und die große Dagmar Manzel, die ich auf der Bühne sehr bewundere soll doch bitte gleich mitmachen. Dann wäre die Komische Oper auch mal wieder ausverkauft, nicht nur zur Premiere. Wetten?
Im Weißen Rössl, Berlin: gefallen hat's mir trotzdem
Leider hat mich die mit vielen Vorschußlorbeeren bedachte Musik doch etwas enttäuscht: Den Gesang fand ich fast durchweg furchtbar (Frau Manzel ging gerade noch so), die Titel schleppten sich nach meinem Empfinden weitgehend ohne Pepp dahin (zu brav, zu langsam) (da muß man mal weitgehend vergessene Einspielungen aus den FRÜHEN 50er Jahren hören, das war wirklich großartige Revue und die Schauspieler konnten jedenfalls noch singen, wahrscheinlich lag damals allen Beteiligten diese Art der Unterhaltungsmusik noch irgendwie im Blut), der Begleit-Pianist nervte mich mit seinen stilistisch nicht zur Epoche passenden Harmoniegebilden und gerade in der zweiten Hälfte spielte nach meinem Empfinden das Orchester überwiegend laut und undifferenziert. Zur Ehrenrettung des Orchesters möchte ich vermuten, daß das Gesamtergebnis durch die musikalischen Fähigkeiten der Schauspieler erheblich limitiert wurde...
Ich weiß zum Glück nicht, was sich in der Phantasie derjenigen Kritiker abspielt, die für diese musikalische Darbietung dennoch voll des Lobes sind: Wahrscheinlich kennen sie weder die jedesmal reflexartig zitierten vielgeschmähten und weichgespülten Schlagervarianten aus den 50er und 60er Jahren noch den Geist der Originalmusik und der großartigen Revue-Operette der Endzwanziger / Anfangdreißiger, und plappern dann irgendetwas schlaues von Jazz und Revue und Originalversion dahin (Was weiß ich, was sie sich darunter vorstellen.)
Schade eigentlich. Aber gefallen hat es mit trotzdem irgendwie ein wenig...
Weißes Rößl, Berlin: Thomas schimpft
Das war nur Dreck, langweilig, dumm und ärgerlich konzeptionslos. Für ein betagtes Ostabonnentenpublikum kann das ja funktionieren. Einfach nur schlimm!!
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