Fassungslos über Fernseh-Format

30. November 2010. Nach dem Besuch der Faust-Theaterpreis-Verleihung in Essen hat Bundestagspräsident Norbert Lammert den Deutschen Bühnenverein in einem Offenen Brief (den nachtkritik.de hier veröffentlicht), scharf kritisiert. Lammert hatte auf der Veranstaltung am vergangenen Samstag die Eröffnungsrede gehalten und sich dabei deutlich zur Theaterkultur bekannt: "Theater sind systemrelevant, anders, aber gewiss nicht weniger als Banken oder Parlamente. Salopp formuliert: Der Kunst kann der Staat egal sein, dem Staat die Kunst nicht, und die Kultur schon gar nicht."

Dass ihm nicht egal war, wie die Theaterszene sich auf der Preisverleihung darstellte, machte Lammert mit seinem Brief deutlich. Was immer er schon auf der Bühne erlebt habe, noch nie sei er "wütend aus dem Theater gelaufen" – bis nach der "Faust"-Verleihung, schreibt er darin. Dort sei eine "unglaubliche Selbstabdankung des Theaters und seiner Ansprüche zugunsten eines beliebigen Fernseh-Unterhaltungsformats" zu erleben gewesen. Lammert zeigt sich umfassend "fassungslos": "Grußworte, Moderationen, Laudationes, Musikeinlagen, Slapsticks und eine Saalwette (!!) mit zwei renommierten Schauspielern als Showmaster". Er wirft dem Theater vor, sich durch solch "fernsehgerechte Häppchen" "zum Affen" zu machen. Der Anspruch der Veranstalter, den Zuschauern an diesem Abend "die Breite und die Bedeutung unserer Theaterlandschaft" zu präsentieren, passe das Hollywood-Format "wie die Faust aufs Auge" – "Schlimmer geht's nimmer."

Schon als der Faust-Theaterpreis 2006 zum ersten Mal verliehen wurde, hatte Norbert Lammert in der Zeit (49/2006) zwar dessen Erfindung begrüßt, sich aber ähnlich kritisch über die Veranstaltungs-Form geäußert, die er schon damals als "die Selbstabdankung des Theaters zugunsten des Fernsehens" bezeichnete. Die Einzelpreise würden "jeweils von einem prominenten Paten nach dem verheerenden Beispiel von Filmpreis-Galas präsentiert und vergeben" und die nominierten Künstler und Inszenierungen "TV-gerecht in jeweils 60 bis 90 Sekunden zur Unkenntlichkeit entstellt". Einmal mehr sei zu sehen gewesen, "was passiert, wenn der Trend zur großen Kulturinszenierung zum Selbstzweck wird und das gesellschaftlich-mediale Ereignis den künstlerischen Anspruch überlagert und schließlich verdrängt. (...) Wieso muss eigentlich der Faust mit dem Oscar konkurrieren?". Lammert beließ es nicht bei der Kritik an dem "grandios gescheiterten Konzept", sondern dachte auch über eine Alternative nach: "Vielleicht wäre die Vergabe eines großen Theaterpreises, der einmal jährlich für herausragende Leistungen darstellender Kunst in einer der vereinbarten Kategorien vergeben und mit einer exemplarischen Aufführung verbunden würde, die bescheidenere und zugleich großzügigere Lösung."

(dradio.de / ZEIT / ape)

 

Mehr lesen? Sarah Heppekausen schrieb für nachtkritik.de über die Faust-Preisverleihung. Und hier die Meldung zu den Preisträgern.

 

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