Muss Theater sein?

1. Dezember 2010. Landauf, landab wird derzeit für den Erhalt von Theatern, Opern, kulturellen Einrichtungen gekämpft. Dass Theater sein müssen, darin sind sich die meisten Fachleute einig auf Podiumsdiskussionen und in Feuilleton-Leitartikeln. Doch bei genauerem Hinsehen ist das Feld weit, die Szene zersplittert: Zuletzt wies Birgit Walter in der Berliner Zeitung (29.11.2010) insbesondere auf die Folgen bei der Freien Szene hin, die keine Lobby besäße. Nachdrücklich kritisierte sie zudem ihre die Krise zum Teil schlicht leugnenden Kollegen: In der Welt und der Wirtschaftswoche hatten Eckhard Fuhr bzw. Bernd Mertens mit zum Teil abenteuerlichen Zahlen jongliert, um zu beweisen, wie sehr Kultur, Theater und Opern insbesondere, Geld verschwendeten.

Wieder andere Schwerpunkte setzte die Podiumsdiskussion Geld ist genug da – Theater sterben im Berliner Maxim Gorki Theater am vergangenen Sonntag (28.11.2010), die Deutschlandradio Kultur zusammenfasst: Da stellte sich auch die Frage, was Theater eigentlich sei. "Ein energetischer Vorgang", schlug Jack Kurfess vor, Interimsintendant am Hamburger Schauspielhaus; Theater sei herrlich sinnlos (lies: zweckfrei), gab Sebastian Hartmann, Chef des Leipziger Centraltheaters, selbstbewusst zu Protokoll, und das müsse sich ein Gemeinwesen eben leisten. Nein, Theater sei nicht sinnlos, sondern mit Geschichten aus dem Lokalen, mit Diskussionen, mit Veranstaltung für die Jungen und die Alten für alle da, widersprach André Brücker, Intendant in Dessau. Nur die Kulturpolitiker seien ziemlich dödelig, was wiederum Knut Nevermann, im Fach erfahrener derzeitiger Staatssekretär für Wissenschaft im Berliner Senat mit dem Mangel an qualifiziertem Nachwuchs zu begründen versuchte.

Warum man aber Theater macht, warum Theater sein muss, wird viel zu selten diskutiert. Diese Diskussion aber forderte Tobi Müller auf Deutschlandradio Kultur (29.11.2010), ebenso wie einen neuen kulturellen Gesellschaftsvertrag. Und auch Dirk Pilz sah im Deutschlandradio-Interview (29.11.2010) in der derzeitigen Situation die Chance, sich zu fragen: "Warum machen wir das noch mal?" Es scheint so, als würde eine Grundlagenforschung nach Sinn und Motivation von Theater gerade erst beginnen.

(geka/ jnm)

Kommentare  
Warum Theater: Gesellschaftsvertrag = Staatszielbestimmung?
@ Regie

Vielen Dank für die beiden Audio-Beiträge und den BZ-Artikel, der
-vollkommen zurecht- die Frage nach der Förderung freier Gruppen mit
ins Auge fasst.
Tobi Müller faßt es am Ende seines Beitrages kurz und knapp: "Es kann
sein, daß Theater sein muß, wir sollten wissen: warum !"
Gewiß beginnt weniger die "Grundlagenforschung" als solche, viel mehr ist es so, daß an der "Selbstverständlichkeit des "Theater muß sein"" jetzt auf einer breiteren öffentlichen "Front" gezweifelt werden kann (das bringen neue Medien wie das Internet und Seiten wie nachtkritik de. mit sich), und zudem kompetente Antwortgeber, Anreger, Diskussionspartner leichter ansprechbar sind - derlei Foren sind auch irgendwie ein Fortschritt, wenn da nicht immer dasselbe passiert ..., das müßte auch Herr von Treskow so gesehen haben, der eigenartig wenig vorkommt in den Berichten zum Forum (ich fand derweil von Andreas Montag in der mz vom 29.11. noch den Artikel "Und alle Fragen offen ...", der durchaus das obige "Stillstandsszenarium (..., wenn nicht immer dasselbe passiert...) beschreibt); allerdings werden die öffentlichen Ausgaben insgesamt heftig diskutiert, fast so, als gäbe es diese auch erst jetzt gerade (analog zur Grundlagenforschung !): daß dergleichen auch zu Bibliotheken, Schwimmbädern, der Forschung, der Bildung etcpp. stattfindet, zeigt mitnichten an,
daß diese Bereiche "an Bedeutung" verloren hätten: auch die Theater, die in den letzten Jahren vieles auf den Weg gebracht haben, auch so ein Kinoerfolg (!) wie "Die Spielwütigen" kommt nicht aus dem luftleeren Raum, so daß "Darstellendes Spiel" auf immer mehr Lehrplänen vorkommt (und immer mehr Theater auf Schulbühnen, in Stadtteilen und auch dies: mit "Experten des Alltags"-siehe soziokulturelles Zentrum), sollten sich nicht mehr an "Bedeutungsverlust" unterschieben lassen als "nottut" (die Meßlatte "Der Stellvertreter" von Hochhuth seinerzeit, wäre gewiß ungerecht, und ob man sich nach den Zeiten und Umständen sehnt, die das zum Skandal werden ließen, das sollte man dann, da ist es wieder: das Historische, gleich mit befragen).
Der Begriff "Krise" wird natürlich sehr strapaziert, und Bubersche "Entmischungen" sind da teilweise wohl angeraten: erst von Politikern, die Kürzungsmöglichkeiten und halbwegs kontrovers diskutierbare Begründungen dafür suchen, dann teilweise von den diversen "Theaterfreunden" selbst: ich denke, in solchen Momenten darf auf Dauer der Blick nicht fehlen auf die "Strukturdebatten" der Vergangenheit, weil diese "Krise" eben nicht erst mit irgendwelchen Zockergeschichten der jüngsten Zeit anhebt ..., und auf die Bedingungen vor dem jeweiligen Ort:
Zu Hamburg lese ich ja immer wieder etwas zum "Damoklesschwert Zusammenlegung von Schauspielhaus und Thalia" beispielsweise (ich nannte Rühles Buch aus den Siebzigern, ich könnte da ebensogut darauf verweisen, was im TheaterHeute-Jahrbuch 1988 dazu steht:
ein Interview mit Ingo von Münch ("Ich halte diese Subventionen für Pflichtausgaben, auch wenn das so nicht im Gesetz steht") und Jürgen Flimm, dem damaligen Thalia-Intendanten (der im übrigen in einem Szene-Hamburg-Interview seine und Baumbauers Beratertätigkeit gegenüber der Kulturbehörde bestätigt (weniger, seit wann er berät ? und zu welchen Konditionen ??...) -beide hätten mehrere Vorschläge unterbreitet für eine Intendanz des Schauspielhauses-: das gehört zur Sichtung der spezifischen Hamburger Verhältnisse: ob es der Mangel an "Katholizismus und Barock, das Geprägtsein durch Import/Export" (Flimm damals, 1988, zu Hamburg) seien mögen, die die schwierige Situation in HH begünstigen, darüber gilt es ins Gespräch zu kommen: immer wieder: vor Ort - auf der anderen Seite die Frage von Herrn Müller: Gesellschaftsvertrag ! = Staatszielbestimmung ?
Warum Theater: die Krise der anderen
Warum Theaterkritiker irgendwann nicht mehr wissen, warum Sie ins Theater gehen, kann ich ja verstehen. Aber das ist nur deren Krise. Und so sollten Sie sie auch behandeln.
Warum Theater?: Rad nicht neu erfinden
Solides Interview im Deutschlandradio, Herr Pilz, obwohl Sie nicht ganz die rhetorischen Höhen von Schlingensief oder Diedrich Diederichsen erklimmen.
Sicherlich, man braucht das Rad nicht neu zu erfinden und der Status Quo – Theater hat es schon immer gegeben - dient auch nicht als Selbstlegitimation. Zwischen diesen beiden Spannungspolen oszilliert quasi die Diskussion. Senftenberg scheint ja aus der Not eine Tugend zu machen und mit vergleichsweise wenig Geld ein breites Spektrum von Leuten zu erreichen, die eine Art sozio-kulturelles Zentrum mitgeliefert bekommen. Und im schwer beweglichen Hamburger Theaterapparat wird nach Ihren Äußerungen eher die gebildete Mittelschicht angesprochen, ohne dass die Bedürfnisse der Peripherie-Typen hinreichend berücksichtigt werden. Was machen da Personen mit besonderer Erlebnistiefe? Ins private Refugium zurückziehen und schöngeistige Literatur lesen?
Man darf sich nicht ausruhen, sagen Sie, und sollte immer weiterdenken. Dass ich mich nicht ausruhen darf, haben mir schon frühzeitig meine Kinderfrauen gesagt – Gouvernanten wäre ein zu hochgestochener Ausdruck – und wahrscheinlich haben sie auch die Kunstfragen gemeint. Das von Ihnen intendierte Nachfragen, die geforderten Erneuerungen sind gewiss wichtig, sofern sich das Theater wegen des von außen herangetragenen Sparzwangs nicht immer selbst zur Disposition stellt.
Sie haben festgestellt, dass es nicht die Aufgabe des Theaters sei, bildungspolitische Defizite zu beheben. Das mag zutreffen, wenn man an Leute denkt, die hauptsächlich wegen des Dekors und der Kostüme kommen (Tita von Hardenberg). Wofür ist das Theater nun da?
Vielleicht ist es auch nur ein Vorprogramm für die anschließende Kneipentour. Oder ein Amüsierbetrieb, der zugleich einen Erlebnisraum bietet, kognitive Minimalbedürfnisse abdeckt und eine psychische Unterversorgung abfängt.
Warum Theater?: Brutvogelzählung
Wer das Theater liebt und ein persönliches Umfeld hat, der möge beides doch gerne mal versuchen öfter zusammenzubringen ! Die besten Argumente für den Erhalt der
Theaterlandschaft, noch die schönsten Formulierungen für ein Muß des Theaters können den Theaterbesuch nicht ersetzen (mitunter geht der Anspruch für "Begründungen"/Legitimation auch diesen Weg ...) und nehmen sich vergleichsweise
fade aus, liefern die Theaterabende selbst, mag das auch eine Binse sein, teilweise bin ich mir da garnicht so sicher, ob das nicht zu oft in den Hintergrund gerät.
Ja, "Sitzengeblieben", so schrieb kürzlich Kai Krösche: auch der eher enttäuschende
Theaterabend, diskutiert, nachbereitet, eingelagert in einen "intensiven" Tag, ist in den meisten Fällen schlichtweg ein Gewinn (mir erging das ja gerade erst vor einer
guten Woche mit der Peggy-Pickit in HH so).
Und in so manchem persönlichen Umfeld der "Theaterfreundinnen/Theaterfreunde"
gibt es auch dies: PolitikerInnen, politisch Interessierte - es deutet sich an dieser Stelle wohl schon an, aus welchen Zusammenhängen KulturpolitikerInnen hervor-
treten könnten, die mit den Kulturausgaben bewußter verfahren: aus persönlichen
Beziehungen, die in einer Atmosphäre von Offenheit und Verbindlichkeit gepflegt
werden.
Jede mit Liebe geschriebene Skizze der jeweiligen "Theaterverhältnisse" vor Ort,
hat die jetzige Diskussion zum Pückler-Abend in Cottbus nicht auch diese Note (50 Kommentare ...) ?,
kann deutlicher zeichnen, worum hier eigentlich diskutiert und warum geschrieben
wird, e s g e h t n i c h t u m d i e g r o ß e n W ü r f e, es geht, denke ich, ach ja, ein Einschub, es geht auch nicht darum, alles für Gold zu erklären, was im und rund ums Theater so läuft, es gibt diese Notizen wie die "Aufkündigung eines TH-Abos in der Stadt-
bücherei zu Kiel" und eine gewisse Ratlosigkeit dazu, warum das so hingenommen wird etcpp. ..., es geht, um wieder den Satz aufzugreifen,
vielmehr um etwas, wofür die diversen Petitionslandkarten und ihre roten Punkte
beredt sind: stete Tropfen für das gefrorene Meer in uns, wenn Sie so wollen !
Mich erinnern diese roten Punkte auf einer Landkarte zudem ein wenig an die Zählpunkte bei der jährlichen Brutvogelzählung !!
Für welchen Gesang ist Deine Stadt bekannt ? Bist Du eine Krähe unter Zeisigen ??
Herzliche Grüße aus dem verschneiten Kiel...
Warum Theater? Beamtenverhältnis zum Theater
... daß es Ihnen, lieber Arkadij nicht um die großen Würfe geht, das ahnte man schon die letzten 1 1/2 Jahre. Ihr Beamtenverhältnis zum Theater lag ja in der Luft. Hauptsache man hat was zu plappern. Das geht auch gut zusammen mit den augenblicklichen Bürgerbewegungen. Ihre Liebe zu "Skizzen der jeweiligen Theaterverhältnisse" ist verwandt mit der Zuwendung von Stuttgarter Bürgern zu Pennern mit "Oben bleiben"-Button. Bürgerliche Liebe, damit immunisieren Sie sich gegen "Romeo und Julia".
Warum Theater: bescheidenere Stimmen
"Fondor für Feinschmecker" ? Große Würfel ??!.

Sorry, das mit den "großen Würfen" mußten Sie nicht länger ahnen als ich es hier überhaupt poste (mitnichten schon seit 1 1/2 Jahren), das schreibe ich ganz explizit von Mal zu Mal, wo es mir
passend erscheint und scheue nicht die "Wiederholung" (die ja auch durch einen anderen Thread geistert), da ich in the long run halt bei nachtkritik de. auf Verhältnisse hoffe, wo es garnicht mehr so leicht wird, die Spur eines einzelnen Posters so beharrlich und offenbar offen-feindselig zu verfolgen wie Sie angeblich die meine.
Ja, angeblich, denn wenn hier einer von "Protestfolklore" etcpp. geschrieben hat in der Vergangenheit, dann, ich kann mir diese "Unbescheidenheit" in der Formulierung nicht verkneifen, ich.
Ich schreibe überhaupt nicht, daß ich pauschal alle handgestrickten Skizzen aus der Theaterlandschaft liebe, ich schrieb etwa, daß ich daran glaube, daß, wenn dergleichen mit Liebe geschrieben und betrieben wird,dies seine Wirkung für das, was ich lieben lerne: das Theater, nicht verfehlen wird; die "Fondors" dieser Welt werden nervös und fangen dann möglicherweise irgendwann einmal an, sich hier vor Ort mit ihren wegweisenden Ideen selbst mehr als erahnbar zu positionieren, vernehmbar werden zu lassen, denn bislang klingt das, was Sie da so zusammenfaseln, nach vollkommen abgestandener Avantgarderestauration, vermutlich weil Sie, aus Berlin postend, gefrustet sind ob der jüngsten Premieren in der Hauptstadt, die weiterhin den neuen Marthaler und möglicherweise den "Zauberberg" Hartmanns als einzige Kandidaten für das Theatertreffen beließen.
Nun, Fondor, lassen Sie uns teilhaben an Ihrem ganz und gar unbeamtischen Zugriff auf die Materie, stecken Sie mich an mit Ihrem
dialektischen Vermögen, würzen Sie das weite Feld nachtkritik de. !! "Romeo und Julia" - Magie ! Nun, Fondor, wenn Maggy da hilft, ich bin da der Letzte, der sich da nicht aufgeschlossen gäbe; aufgeschlossen bleibe ich aber freilich auch für alles, was das "Rad nicht neu erfindet" bzw. so tut, als sei dies das Leichteste der Welt und das, was nottut (wie dann nur Leutchen wie
Sie erkennen ...), und diese "bescheideneren Stimmen", das ist halt so meine Einschätzung, lassen sich auf nachtkritik de. noch vielzusehr einschüchtern: durch Kommentatoren wie Sie oder LE.
Aber, seien Sie, ich erhielt desletzt die Warnung von einem Ex-Punker ..., gewarnt: ich war früher mal ein braver Junge !.
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