Heute Abend ist das Fräulein komplett verrückt

von Shirin Sojitrawalla

Mainz, 9. Dezember 2010. Unter Robert Borgmanns Händen wird aus August Strindbergs züchtigem Kammerspiel "Fräulein Julie" eine zwei Stunden lang jugendwahnsinnig zugerichtete Zimmerschlacht, in der sich Jean als x-beliebiger Versager und Julie als nicht nur bipolar gestörte Lady Gaga entpuppt. Während Strindberg den Schluss nahe legt, dass sich die Grafentochter Julie nach ihrem Techtelmechtel mit dem Dienstboten Jean mit einem Rasiermesser aus dem Leben befördert, ritzt sich Katharina Knap lustvoll mit dem Messer die nackten Arme rauf und runter.

Da hat sie allerdings schon ihren nicht enden wollenden Schlussmonolog absolviert, in dem sie als Psychosebündel über die Bühne highheelt und ihr verpatztes Leben anpreist wie ein Marktschreier seine stinkenden Fische. Sie hört gar nicht mehr auf, uns vollzuquatschen und in einem Moment möchte man ihr den Hals umdrehen und im nächsten dann wird man ganz starr vor mitleidigem Entsetzen.

In einer Wunderkammer der Erinnerung

Doch zu diesem Zeitpunkt sind schon zwei Stunden gespielt, gefühlte drei. Gespielt wurde aber nicht "Fräulein Julie" von August Strindberg, sondern nach August Strindberg, was auch frech übertrieben ist. Denn für den jungen Regisseur Robert Borgmann (Jahrgang 1980), der in der nächsten Spielzeit als Hausregisseur ans Schauspiel Leipzig geht, ist der Originaltext nur Ausgangspunkt für eine Überschreibung, wie er es nennt.

Dafür hat er die Bühne im Kleinen Haus als eindrucksvolle Wunderkammer der Erinnerung gestaltet. Ein vollgerümpelter Salon mit vielerlei Spiegeln, in dem die eigene Kindheit und Jugend Brummkreisel fährt. Alte Teppiche stauben vor sich hin, vorne wartet ein Schaukelpferd, hinten ein durchgesessenes Sofa, die Rückwand besteht aus einer Leinwand, auf der sich im Laufe des Abends alles Mögliche abspielt: krachende Explosionen wie marschierende Soldaten. Von denen ist bei Strindberg nicht die Rede, und so verwundert es auch nicht, dass der Abend nicht mit einem der schwersten sommerleichten Drameneinstiegssätze beginnt: "Heut abend ist Fräulein Julie wieder verrückt, komplett verrückt!", heißt es laut Peter Weiss bei August Strindberg.

Beschwörung mit T.S. Eliot

Der Satz wurde in Mainz keineswegs ersatzlos gestrichen, sondern vielmehr von Katharina Knap als Julie regelrecht inhaliert. Zum Ende hin wird das Borderline-Persönchen über die Rampe straucheln wie in der tollsten Mittsommernacht. Julie dreht durch und der Abend mit ihr. Denn Borgmann hat Strindberg nach Hirn- und Herzenslaune, nun ja: verhunzt, Text weggelassen, Text hinzugedichtet, alles psychologisch und symbolisch aufgerüstet.

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Andrea Quirbach als Julie © Bettina Müller

Julie gibt es bei ihm gleich dreimal, in junger wie in alter Ausführung und auch normal, also mittendrin, beziehungsweise 25 Jahre alt. Die dreifache Julie ist aber weder besonders originell noch bringt sie den Abend voran. Viel, viel schlimmer ist, dass die alte Julie (Andrea Quirbach) den Abend mit T.S. Eliots Langgedicht "Aschermittwoch" entfacht, dessen größtes Handicap seine Länge ist. Geschätzte hundert Strophen lang spricht sich Andrea Quirbach durch diesen nicht eben eingängigen Text, eindrucksvoll ja ja, aber man versteht nicht so recht, um was es eigentlich geht und freut sich schon über kleine Signalwörter wie Liebe und Zeit, während der Herr drei Sitze nebendran prompt in schönsten Theaterschlaf sinkt.

Filmzitate, Mythen und Symbole

Später kommt Karl Marx als Nachtgestalt hereinspaziert und verteilt im Zuschauerraum Zettel vom kommenden Aufstand, und Monika Dortschy als alte Frau kocht aus ihren Erinnerungsfotos einen übel riechenden Brei. Daneben dreht sich Julie zu Beginn - wie von einer Spieluhr operiert - in Reifrock, Puffärmeln und Püppchenschuhen durch die live gespielten Musiklandschaften. Wie auch Jean (Stefan Graf) spricht sie erst noch mit dem Hall eines Mikroports, was ihr Spiel bedeutungshubernd entrückt.

Wenn dann Jean als Untergebener längst zum Herr und Gebieter geworden ist, sprechen sie zuweilen so leise, dass es nicht einmal bis Reihe 9 reicht. Borgmann macht es seinen Zuschauern nicht leicht, überfordert sie bewusst, indem er mit den Zeit- und Wirklichkeitsebenen spielt, das Ganze obendrein mit zahllosen Filmzitaten, Mythen und Symbolen stopft und alles mit groteskem Übermut schnappatmen lässt. Der Abend ist verrückt, komplett verrückt. Und leider ziemlich überfrachtet.



Fräulein Julie
nach August Strindberg, Deutsch von Peter Weiss
Regie und Bühne: Robert Borgmann, Raumrealisation: Michael Rütz
Kostüme: Janina Brinkmann, Musik: Alexander Britting, Dramaturgie: Katharina Gerschler.
Mit: Katharina Knap, Andrea Quirbach, Lisa Mies, Stefan Graf, Tibor Locher, Julia Bremke, Emma Kaeshagen, Johannes Zink, Noah Hoppen-Leuschen

www.staatstheater-mainz.de

 

Mehr zu Robert Borgmann gibt es im nachtkritik-Archiv.

Kritikenrundschau

"Ein, zwei Zuschauer gehen, im Schlussapplaus sind auch leise Buhrufe zu hören. Den Rest des Publikums hindert das nicht, freundlich zu klatschen", so beginnt dek seine/ihre Kritik in der Frankfurter Neuen Presse (12.12.2010). Borgmanns "Distanzierung von Text und Psychologie, der eingefügte Karl Marx, die Zerlegung des Bühnenspiels in ein Sammelsurium von Einfällen nehmen sein Spiel als Anstoß disparater Bilder, in denen Gegenwart und Weiterdenken greifbar werden." Waren "die" damals denn so "zurück" im Vergleich mit "uns"?, so die rhetorische Frage im Text. Der Regisseur fordere "zum Denken auf, bedient sich vieler eingefügter Texte, spaltet und vervielfacht Julie und Jean, lässt beide aus den Figuren heraustreten und ersetzt Dialoge durch Passagen lyrischen Tons und essayistischen Gehalts." Wie er "Fräulein Julie" über Strindbergs Verständnis des eigenen Stückes hinausführe, muss nicht gefallen. "Dass er es tut, ist legitim."

Eine Collage, ein ganz persönlicher Bewusstseinsstrom und, ja, eine brachiale Textvergewaltigung sei Borgmanns Überschreibung, "sie hätte das Zeug zum Skandal, wäre das Publikum nicht längst gegen Attacken dieser Art immunisiert", so Matthias Bischoff im Regionalteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (12.12.2010). Die verwickelte Herrin-Knecht-Beziehung mache, zumindest in Splitterm, auch in Borgmanns Inszenierung den Kern des Dramas aus. Von hier ziehe die Inszenierung Linien "in verschiedenste Richtungen, ändert Chronologien und addiert eine inkommensurable Zutatenflut". Die Assoziationen folgen der nichtgreifbaren Logik des Traums - "hier liegt die Stärke dieser radikal subjektiven Inszenierung, hier liegt auch ihre Achillesferse." Für den, der sich der Suggestionskraft der eindringlichen Bilder überlasse, wird der Abend zu einer atemberaubenden Reise auch ins eigene Unbewusste. "Man begreift nichts, folgt dem Abend aber gleichsam mit offenem Mund." Fazit: "Was für ein grässlicher, atemberaubend ungeschlachter Theaterabend! Wirklich gelingen kann es nicht, ein Stück zu spielen, dabei dessen Wirkungsgeschichte und ein ganzes Jahrhundert und den Kampf der Geschlechter zu reflektieren. Aber es kann ungemein spannend sein, bei diesem Scheitern zuzuschauen."

In der Main-Spitze (13.12.2010) fragt Jens Frederiksen hingegen rhetorisch: "Warum einfach, wenn's auch umständlich geht?" Borgmann habe "eine Collage aus Liedern, Gedichten, soziologischen Texten, Filmeinspielungen und Teilen des Strindberg-Stücks verfertigt, in die Mitte den Pas de deux zweier Nackter gepackt und so ein verstörendes, in weiten Teilen unverständliches Assoziationen-Amalgam auf die Bühne gedrückt". Eine "sehenswerte Aufführung" komme dabei nicht heraus. Nur die "berückend schöne Musikuntermalung" durch das Trio aus Kontrabass, Gitarre und Geige tröste das "klaglos ausharrende Publikum". Die zwei Stunden fühlten sich für den Kritiker jedenfalls an wie vier.

Auf der "verheißungsvollen Wunderkammer-Rumpelbuden-Bühne" seien "Allgemeinplätze zu sehen, gehüllt in die Parodie einer Regietheaterinszenierung", meint Judith von Sternburg (Frankfurter Rundschau, 14.12. 2010). "Es gehören dazu das traditionell länger andauernde Gegen-die-geschlossene-Tür-Rennen und überhaupt das Wiederholen sämtlicher Einfälle ebenso wie eine längere Nackt-Szene, das die Texte aufbrechende Späßchen zwischendurch, Videoeinspielungen, die etwas mit den Texten zu tun haben (hier: irgendwie explodiert alles so), ein Auftritt von Karl Marx, vor allem aber eine Zusammenstellung von Lesefrüchten rund um das Thema: Die Verlorenheit des Menschen in der Welt." Wolle hier "jemand ernsthaft behaupten, dem Strindberg-Leser wäre noch nie aufgefallen, dass Julie eine zutiefst unglückliche Frau ist, die ihr Schicksal in dem ihres Zeisigs auf das Unangenehmste gespiegelt sieht?" Die Schauspieler verausgabten sich jedenfalls "auf respektheischende Weise für nichts".

 

 

Kommentare  
Fräulein Julie, Main: ein Zuviel an Verarbeitbarem
Vorschnell
Was die Autorin als einen "nicht enden wollenden Schlussmonolog" abtut, war für mich das Highlight eines aufregenden Theaterabends in Mainz: eine junge Frau (Katharina Knap), die als Fräulein Julie absolut spielerisch und in wacher Distanz zur vor-geschriebenen Rolle groß und größer, stark und stärker wird. Die vor einem gebannten Publikum wächst und wächst, weil ihr Fräulein Julie mit allen Poren heutig reagiert und antwortet.
Woher der "man"-Wunsch der Autorin kommt, der Schauspielerin dafür "den Hals umzudrehen" oder aber in Mitleidsstarre zu verfallen, kann ich nicht nachvollziehen. Ich teile mit ihr zwar die Einschätzung, bisweilen einem Zuviel an verarbeitbaren Eindrücken ausgesetzt gewesen zu sein. Nehme dies aber als Anregung, mir das Stück noch einmal (und besser informiert) anzusehen, zumal mir der Regisseur weniger ein spinnerter Hallodri, als ein origineller Kopf zu sein scheint.
Dass es am Abend nach der Premiere überaus herzlichen Applaus und nicht einen Buuh-Ruf gab, sei noch angemerkt.
Fräulein Julie, Mainz: raffiniert gebauter Abend
Es ist für mich erschreckend, mit welch (...) klischeehafter meinung man in dieser kritik konfrontiert wird. Von einer Kritikerin, die leider nichts verstanden hat (verstehen wollte?)von diesem raffiniert gebauten Abend. Fehlen vielleicht die Kriterien, um einen wunderbar komplexen und vielschichtig collagierten Theaterabend zu beschreiben?? Oder wurde sie prsöhnlich in ihren Erwartungshaltungen und Sehgewohnheiten enttäuscht? So vieles fehlt in dieser (...) Kritik. Nichts erfährt man vom großartigen Rhythmus der Musik, oder von den Musikern, die auf der Bühne standen. Man hätte berichten und dem regisseur zubilligen können, dass er mit interessanten zum Stück passenden Fremdtexten gearbeitet hat, wie zum Beispiel von Arsenij Tarkowsky oder Bildmaterial aus Filmen von seinem Sohn Andreij Tarkowsky. Mit intelligenten, die Phantasie beflügelnden Bildern und Texten hat der junge Regisseur eine offene und stark gebaute Form für dieses Stück gefunden. Vielleicht könnte die wütende Kritikerin mal in Berlin, Wien, Hamburg oder München ins Theater gehen, um zu lernen, um Toleranz und Nachdenken über Theater zu erfahren und sich mit einer jungen Generation von Regisseuren zu beschäftigen, von denen einer auch in Mainz arbeitet und hier eine intellektuell fundierte und schauspielerisch beeindruckende und präzise umgesetzte Theaterarbeit abgeliefert hat.
Fräulein Julie, Mainz: Lob
toller abend-tolle schauspieler
Fräulein Julie, Mainz: postpubertärer Klamauk
Jetzt ist also auch bei nachtkritik zu erleben, was Mainzer Theatergänger schon lange ärgert: die üblichen Claqueure des Hauses (Ensembles?) johlen jede Premiere zum angeblichen Erfolg und wüten gegen Kritiken und Kritiker(innen). Erstaunlich, dass sich die professionellen Kritiker im Tenor über die Inszenierung des Julie-Stückes einig sind: es war eine unausgegorene Inszenierung eines Stückes, das mit Strindberg nichts mehr zu tun hatte, viel aber mit unklarem postpubertärem Klamauk. (...)
Fräulein Julie, Mainz: schlichtweg schlecht
In der Tat war das Stück schrecklich umgesetzt. Man hat nichts verstanden und nicht jeder geht ins Theater mit dem Anspruch vorher jedes Stück gelesen haben zu müssen. Der Monolog war nach 3 Minuten einschläfernd, die ganze Inszenierung war schlichtweg nur schlecht.
Fräulein Julie in Mainz: von geringem Interesse
.. und nicht jeder regisseur inszeniert für ein publikum, das sich vorher nicht einmal mit dem text beschäftigt hat. so what. chapeau.
im übrigen glaube ich auch nicht, dass sich mainzer theatergänger schon lange über (natürlich dem ensemble angehörende!) claqueure ärgern, und erst recht keine kritiker. dazu ist dieses haus doch wirklich von zu geringem interesse.

vielmehr möchte ich dem erstgesagten zustimmen: ohne dass ich den abend gesehen habe, ist allein diese kritik doch wirklich unerträglich (...)
Fräulein Julie in Mainz: wie unter Scheuklappen
wieso der rest meines kommentars mal wieder zensiert wurde, ist mir ein rätsel. die kritik liest sich wie unter scheuklappen geschrieben, ohne sinn für eine differenzierte auseinandersetzung mit dem gesehenen. (...) so einfach sollte eine kritik es sich nicht machen.
Fräulein Julie, Mainz: lautstarke Claque
Über die Inszenierung ist in der Nachtkritik und den Ausführungen von Jens Frederiksen das Wesentliche zutreffend ausgeführt.
Anzumerken ist noch, dass Vieles, was gesagt wurde, nicht erst in der 9., sondern schon in der 4. Reihe akustisch nicht zu
verstehen, Frau Dortschy und teilweise Frau Knap ausgenommen.
Das ärgerlichste ist das schon von Kuschel beschriebene Gejohle samt Bravorufen einer immer wieder auftretenden Gruppe junger Männer, die offensichtlich die selbst bei der Premiere zahlreichen unverkauften Plätze besetzen und mit dem Theater und insbesondere
den Protagonisten des Abends verbandelt sind.
Der normale Theatergänger/Abonnent hat längst resigniert gegenüber
dieser lautstarken Claque - deswegen fehlten die vermissten Buhrufe. Eine weitere Spielzeit werde ich mich dem nicht aussetzen.
Fräulein Julie, Mainz: die Flucht ergriffen
Nachdem die Sexszenen mich kaum aus dem Schlaf wecken konnten in den mich die langen Monologe versetzen wollten, habe ich, als der Gossenjargon, der nach Meinung des Herrn Borgmann die tiefere Bedeutung des Stückes versinnbildlichen sollte,sich verstärkte die Flucht ergriffen und mir, um mir eine minimale Verbesserung des kulturelle Niveaus zu gönnen, die Bildzeitung gekauft.Da weis man wenigstens was man hat.
Fräulein Julie, Mainz: keine Claqueure
die mär von den claqeuren ist paranoia.
besten gruß
Fräulein Julie, Mainz: keine Claque, aber nicht überzeugend
Ich denke von Claqueuren im eigentlichen Sinne kann wirklich keine Rede sein. Jeder weiß, dass ein großer Teil der Premierengäste dem Theater in irgendeiner Weise nahe steht. Wer wochenlang an einer Produktion mitgewirkt oder Familie/Freunde auf der Bühne hat, dem sei eine gewisse Euphorie zugestanden. Von der speziellen Premierensituation einmal abgesehen, ist der Applaus in meinen Augen eine Respektbekundung an das Ensemble und dient nicht der Bewertung einer Inszenierung. Ich denke die Mainzer wissen Ihr Ensemble zu schätzen und können sehr wohl zwischen der schauspielerischen Leistung und der "Qualität" der Regie unterscheiden. Und so wurde auch bei meinem Besuch wohlwollend applaudiert, obwohl sich während und nach der Vorstellung unter den Zuschauer ein gewisser Unmut breit machte. Auch mich hat diese Inszenierung sehr enttäuscht. Der Rahmen hätte so viel hergegeben. Ein schönes Bühnenbild, gefühlvolle Hintergrundmusik und mit Fr. Knap und Hr. Graf zwei Hauptdarsteller mit einer großartigen emotionalen Spielpalette. Doch das was man in diesem Rahmen betrachten konnte, vermochte mich leider kaum zu überzeugen. Trotz der Lektüre sämtlicher Begleitinformationen inhaltlich schwer verständlich und immer wieder Bühnenaktionen die lächerlich bis hilflos wirkten. Am Ende dominierte auch bei mir jedoch die Langeweile.
Fräulein Julie, Mainz: ein guter Abend
Sicherlich überfrachtet, sicherlich voller unausgegorener Ideen und Überflüssigem - und dennoch: ein Bildertheater und Assoziationsreigen mit beeindruckenden und berührenden Momenten, mutig anders gegen das sonstige und gewohnte Einerlei. Für Mainz: Ein guter Abend.
Fräulein Julie, Mainz: traurige Nacktheit
Hat es jetzt endlich auch die junge Schauspielerin Knap getroffen? Ich meine das Schicksal, das sie mit so vielen jungen Schauspielerinnen und Schauspielern teilt:
Nackt auf der Bühne für ein Stück, bei dem der Nacktheit wieder nichts anderes als Aufgabe zukommt, als die Modernität der Inszenierung und der Progressivität des Staatstheaters Mainz.
Schade!
Fräulein Julie, Mainz: nichtkommerzieller Anspruch
@ Nr.13
Gut, dass Sie das Thema Nacktheit einmal ansprechen, denn es hat diese Inszenierung wirklich kein bisschen weitergebracht. Auch in Mainz scheint es Mode zu sein, Darsteller/innen die Hüllen fallen zu lassen. Wenn es der Figur oder dem Stück einen Mehrwert gibt, dann gerne. Erhofft man sich aber durch ein bisschen "Porno" schlichtweg besser Besucherzahlen, würde mich dies, vor dem nichtkommerziellen Anspruch des Theaters, sehr nachdenklich stimmen. Wenn dafür junge Schauspieler/innen mit ihrer Bereitschaft herhalten müssen, wäre das gar eine traurige Entwicklung.
Fräulein Julie, Mainz: langweilige Diskussion
warum ist nacktheit auf der bühne immer noch so aufregend?? seit mindestens 30 jahren gibt es immer wieder nackte auf der bühne. in jürgen goschs inszenierung von macbeth in düsseldorf waren über 2 stunden männliche schauspieler nackt auf der bühne aus rein inhaltlichen gründen. warum sollte auch ein regisseur nacktheit als effekt einsetzen. das kann in unserer durchsexulaisierten gesellschaft doch niemanden mehr wirklich provozieren. diese diskussion über nacktheit ist sooooo langweilig, vor allem wenn man sich nicht bemüht herauszufinden, welche theatrale bedeutung nacktheit haben könnte. in der bildenden kunst wurde zuletzt anfang des letzten jahrhunderts über die aktbilder von klimt und schiele so ein aufhebens gemacht.
nervensäge
Fräulein Julie, Mainz: die theatrale Bedeutung der Nacktheit
Ich gebe Ihnen da ja vollkommen Recht. An Nacktheit nimmt heute tatsächlich kaum noch jemand Anstoß und zu einem öffentlichkeitswirksamen Skandal taugt sie schon lange nicht mehr. Gerade weil wir in einer durchsexualisierten Gesellschaft leben, halte ich es für wichtig, dass das Theater mit diesem Mittel sensibel umgeht und nicht den Eindruck von Effekthascherei erweckt. Ein nackter Mensch auf der Bühne kann ganz wunderbare, intensive Theatermomente entstehen lassen. Wichtig ist aber doch, dass sich die "theatrale Bedeutung" dem Zuschauer auch erschließt. Das Problem ist also weniger die Nacktheit selbst, als die Frage, wie gut es die Regie versteht, dieses Mittel selektiv sinnvoll einzusetzen ohne den Zuschauer langfristig dafür abzustumpfen.
Fräulein Julie, Mainz: nackte Tatsachen
@Nr.14

Ich habe das Stück nicht gesehen, aber mich für Frau Knap gefreut, dass sie meines Wissens nach bisher verschont geblieben ist, von dem Trend, der sich durch die vermeintlich ach so modernen Inszenierungen zieht, nackt auf die Bühne zu müssen. Aber das scheint sich dann ja nun auch erledigt zu haben. Alles was ich bisher an Material von dem Stück gesehen habe, zeigt mir, wie sinnlos eine Nacktheit von Schauspielern in diesem Falle ist.

Es mag ja Stücke geben, die nackte Tatsachen auf der Bühne rechtfertigen, aber ich denke, sie sind an einer Hand abzuzählen.

Ach ja: Ich habe Macbeth sowohl gelesen, als auch gespielt gesehen. Das Stück funktioniert super ohne Nackte und mit Kostümen!

Grade Goschs Inszenierung zeigt, dass Nacktheit eben nicht als Stilmittel, sondern zur Provokation und damit zur "(Be-)Werbung" des Stückes eingesetzt wird. Ebenso wie literweise Kunstblut.

Noch bedauerlicher als die "Bereitschaft" der Schauspieler nackt auf die Bühne zu gehen, finde ich die Tatsache, dass Regisseure dies einfach so verlangen können und das es einem Schauspieler nicht frei steht, nein zu sagen. Wie oft denken sie kann man in einem Ensemble Rollenangebote wegen Nacktszenen ablehnen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen?
Fräulein Julie, Mainz: Nacktheit-Argumentation hanebüchen
Die Argumentation über Nacktheit ist in meinen Augen hanebüchen, komplett aus der Zeit gefallen. Nacktheit ist ein Stilmittel wie viele andere und Schauspieler werden dafür nicht missbraucht.
Wenn die Aufführung nicht gefällt - ist jedem sein recht. Aber diese Prüderie um moralischen Druck auszuüben, Pfui Teufel.
Fräulein Julie, Mainz: Kunst muss überrumpeln
Es ist schön, dass an die 30 Jahre alte theoretische Konzepte der Postmoderne (Collage, Pluralismus, Überladung) immer noch beim gegenwärtigen Theaterzuschauer auf Unverständnis stoßen. Wieso nicht einfach dankbar sein, eine Inszenierung sehen zu können, die überfordert (und das Stück vorher lesen bringt in diesem Fall wirklich wenig). Würde ich eine Inszenierung auf Anhieb verstehen, ist sie für mich keine Kunst mehr. Kunst muss einen immer noch überrumpeln und quälen. Dank unserer kundenfreundlichen Massenmedien, geht das ja häufig genug verloren.
Fräulein Julie, Mainz: Über-Rümpeln
Zu 19
Das ist eben die seltsame Umkehrung:
Kunst muss einen immer noch über-rümpeln (mit modernem Unrat und Gerät) und quälen! (Theater als Folterkammer usw. ...
wenn nur nicht der Alltag und die Arbeit einen gar so plagen und quälen würde, und dann noch solche moderne Postdramatik als Kunst!)
Im alten Sinne (und uraltem Sinn):
Kunst sollte erheben (bis zu den Göttern!) und einen in eine Hochstimmung bringen.
(im Altmodischen: In den "ästhetischen Zustand" bringen)
So gilt und bringt das nichts mehr.
Jedoch: Über-rumpeln und quälen könnte ebenso
für keine Kunst erklärt werden.
(O diese harten Schlägertrupps, die in die Bereiche der "Kunst" gewaltsam
eingedrungen sind,- und sich immer mehr Platz schaffen mit Gewalt!)
Unterhaltung ist vielleicht keine(weniger und dümmere)) Kunst,
aber was braucht der "gewöhnliche Arbeitsmensch" anderes am Abend
nach einem arbeitsreichen Tag?
sei zu bedenken
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