Ein Hintern, der Geschichte schrieb

von Matthias Schmidt

Meiningen, 11.12.2010. Kaum zu glauben, aber im Foyer der Meininger Kammerspiele wird immer noch über die Vertreibung von Res Bosshart getuschelt. Dabei ist es fünf Jahre her, dass Teile des Publikums (und des Ensembles) den von ihnen ungeliebten Intendanten aus der Theaterstadt jagten. Bosshart war ihnen zu modern und wahrscheinlich auch irgendwie zu westlich. So gesehen mutet es zunächst verrucht an, dass die Meininger an diesem Abend ein Stück des bekennenden Theaterkonservativen und Wende-Verächters Peter Hacks aufführen. Im Falle von "Der Maler des Königs" sogar uraufführen.

Auf den zweiten Blick hat das eine mit dem anderen natürlich nichts zu tun, im Gegenteil: Es ist ein Glück, dass "Der Maler des Königs" endlich gespielt wird, und wahrscheinlich ist es sogar ein Glück, dass es hier in der Provinz geschieht, wo das Theater sich zu große Kopflastigkeiten schlicht nicht leisten kann.

Das Zeitalter des Geldsacks

"Komödie in einem Vorspiel und drei Akten" heißt das Werk, was schon wieder typisch Hacks ist – so nennt ja keiner mehr einen Theatertext! 1991 geschrieben, beschreibt es einen Zeitenwandel (DEN Zeitenwandel), in dem es zeigt, wie Boucher, der "Maler des Königs", nach einem Machtwechsel verarmt und vereinsamt vor sich hin zetert. Er wähnt sich noch immer auf dem Thron; sein Kunstanspruch gilt und sonst keiner. Die Zeiten und die Moden haben ihn scheinbar überholt, die Konkurrenten sich hochgedient. Was er zynisch quittiert: Es komme nun "das Zeitalter des Geldsacks und der Schwärmerei", sagt er und, "je näher die Freiheit heranrückt, desto mehr wird verboten."

Bis auf die Armut passt das auf Hacks selbst, denn von der Deutschen Einheit hielt er soviel wie von der proletarischen Gegenwartskunst – nämlich nichts! Aber wie er das thematisiert, das macht ihm so schnell keiner nach. So schreibt ja auch keiner mehr, so klassisch und schelmisch zugleich, in einer so formvollendeten, wortreichen und doch prägnanten Sprache. Boucher ist verbittert – den Sinn für Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung hingegen hat er nicht verloren. Ein kleines Stück, und doch ein großer Genuss.

Walter Ulbricht in Versailles

Regisseur Christian Claas vertraut der Wirkung des Textes offenbar doch nicht so ganz, weshalb er das Vorspiel herauslöst und zu einer DDR-Comedy macht. Per Video eingespielt, erlebt man, wie anstelle Ludwigs XV. Walter Ulbricht den Maler Boucher zum Hofmaler macht, assistiert von einer Madame Pompadour im FDJ-Hemd. Als ob man das nicht hätte verstehen können, zumal in Meiningen! Schade drum, denn dadurch reißt die Inszenierung dieses so wunderbar im Historischen geschlossene Stück gewissermaßen entzwei.

Der Text selbst hingegen hält diese sächselnde Kabarettnummer locker aus und gibt dem Meister damit letztlich recht. In seinen Anmerkungen über das Gegenwartsdrama warnte Hacks eindringlich – er schreibt: "abschließend" – davor, als Dramatiker seinen Stoff in der Gegenwart zu finden. Man werde sein Jahrhundert in jedem dramatisch ergiebigen Stoff der Vergangenheit finden, aber umgekehrt nie einen dramatisch ergiebigen Stoff in der Gegenwart.

Genau so ist "Der Maler des Königs" angelegt, und genau so funktioniert es auch in den folgenden drei Akten. Ein Wendestück, dessen ideologische Tendenz nicht jeder mögen wird, das aber nicht anders als ein Kleinod zu nennen ist. Drängt sich vor allem die Frage auf, warum es erst jetzt, fast 20 Jahre nach seiner Entstehung, uraufgeführt wurde.

Schenkelklopfen mit Niveau

Es ist ja nicht so, dass uns die gelungenen Komödien mit Bezug zur jüngeren Geschichte zuhauf begegnen; Moritz Rinke, wo bist du, möchte man rufen! Da kommt dieser Hacks genau recht, mit seiner Idee, die späte DDR in der Zeit des Rokoko und die Wende anhand des Hinterns der Frau O'Murphy zu erzählen. Boucher malte ihn einst und wurde mit dem Bild "Odaliske" ebenso berühmt wie die Frau mit dem Hintern. "Donner, was für ein Arsch!", lässt Hacks Ludwig XV. aus dem Off rufen! Nun, 35 Jahre danach, ist das Gemälde aus der Mode, Boucher ein verbitterter Greis und Modell O'Murphy erleichtert, sich nicht mehr über ihren nun runzligen Po definieren zu müssen. Ein neuer König hat den alten abgelöst, und schon ist alles anders. Lakonische Dialoge jagen einander, und Regisseur Christian Claas treibt das Ganze zum Ende der Inszenierung hin stark ins Volkskomödienhafte, so dass man zu tun hat, die immer wieder eingestreuten Kommentare des Dichters zur Kunst herauszufiltern.

Genau das aber ist gut so: dass Sätze wie "Es gibt Augenblicke, wo die Kunst die Pflicht hat, sich von ihrem Publikum zu trennen" eben nicht die Mitte des Stückes, sondern nur ihr Beiwerk sind. So entsteht ein unterhaltsamer Abend mit beträchtlicher Fallhöhe. Rosemarie Blumenstein als O'Murphy, Peter Bernhardt als Boucher und Hans-Joachim Rodewald als Bouchers ebenfalls gefallener Schüler Fragonard schaffen mühelos den Spagat zwischen der Hacks'schen Sprache mit ihren Pointen und Derbheiten sowie der fast schon schenkelklopfenden Zuspitzung der Handlung in Bouchers heruntergekommener Mansardenwohnung.

Die Zuschauer sind höchst amüsiert und konzentriert zugleich, und auch darin wird der Abend Peter Hacks gerecht: "Ein Kontoauszug ist nicht das schlechteste Lehrbuch der Dramaturgie. Wer nur an seine Börse denkt, vergisst wenigstens eines nicht: das Publikum." Wer macht den nächsten Hacks?

 

Der Maler des Königs (UA)
von Peter Hacks
Regie: Christian Martin Claas, Dramaturgie: Gerda Binder, Bühne: Helge Ullmann, Kostüme: Julia Pommer, Cembalo-Kompositionen: Ettore Brandi.
Mit: Rosemarie Blumenstein. Peter Bernhardt. Hans-Joachim Rodewald.

www.das-meininger-theater.de


Mehr zu Peter Hacks? Am Berliner Deutschen Theater suchten Tom Kühnel und Jürgen Kuttner Die Sorgen und die Macht; sein Trauerspiel Jona wurde im November 2009 am Wuppertaler Theater posthum uraufgeführt; das Theaterlabor Bremen entdeckte im März 2010 das Stück Der Schuhu und die fliegende Prinzessin neu. In Frankfurt lauschte man – Goethestadt gemäß – im August 2008 noch einmal Hacks Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe.



Kritikenrundschau

"Eine Schrulligkeit und eine Verschrobenheit" sei das Stück, meint Henryk Goldberg in der Ostthüringischen Zeitung (13.12.2010). "Indessen, nie wurden große Schrulligkeiten mit mehr Anmut vorgetragen als durch diesen Dichter und noch in seinen Albernheiten finden sich mehr sprachliche Grandezza und geschliffene Intelligenz als in den ernsthaften Bemühungen anderer Leute." Allerdings sei "der große Dichter mitunter nur ein kleiner Nörgeler gewesen". Unter dem "pusselig skelettierten Mansardendach" lasse Claas "gehobenes, redliches Volksstück spielen, gleichsam Volkstheater für die gebildeten Stände", und Peter Bernhardt gebe einen brummeligen Boucher, "weltenweit von Hacks entfernt, aber haargenau beim Publikum." Das plaudere sich "so hin & weg, als spielten sie 'La Boheme' ohne Musik und Schwindsucht."

Mitten im Weihnachts-Countdown bringe das Meininger Theater eine Deutung der Wende-Ereignisse auf die Bühne, die sich gewaschen hat, befindet hingegen Susann Winkel im Freien Wort (13.12.2010). Es sei die "intelligente Doppelbödigkeit im Pakt mit Hacks' unnachahmlicher Sprache", die den Reiz der Komödie ausmache und die das die Parabel auflösende filmische Vorspiel ins Wanken bringe: "Diese schelmisch-raffinierte Komik, von Hacks in der Sprache angelegt, von Claas mit Liebe zum Detail in den Szenen weiterentwickelt, bewahrt die Inszenierung schließlich auch vor zu viel Kopflastigkeit." Über Umwege verhelfe diese Uraufführung dem Wende-Kritiker Hacks zu seinem Recht: "Denn je mehr sich Alltagslast, vergangener Glanz und drohender Abgrund im Rokoko-Spiegel zum komödiantischen Zeitbild verweben, desto bitterer wird der Nachgeschmack bei der Übertragung des Gesehenen auf das Gemeinte."

"Ist das ein Stück?", fragt Matthias Biskupek in der Thüringischen Landeszeitung (13.12.2010). Und antwortet: "Es ist Hacks, und die Uraufführung an den Kammerspielen des Meininger Theaters zeigt viel Mühe." Schauspielerfutter stecke drin, ja, aber keine Konflikt, nirgends. "Dass die Inszenierung von Christian Claas vielleicht einem Missverständnis unterliegt, zeigt sich in der gewaltsamen DDR-Analogie des Vorspiels. Hacks meinte immer die DDR und die Welt, den Sprung in der Schüssel und den Riss im Machtgefüge. Er war für ein aufgeklärtes kommunistisches Fürstentum, denn kluge Fürsten hätscheln ihre Künstler. Doch die meisten der realsozialistischen Gönner waren eben keine Wohltäter des eigenen Leibes, auch wenn heute von prassenden kommunistischen Oberschichten gefaselt wird."

 

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