Unter dem Firnis das Tier

von Elena Philipp

Berlin, 16. Dezember 2010. Eine Fünferbande Kinder tobt auf dem Rasenrechteck mit Joe Keller (Jörg Pose), während rundherum das Publikum seine Plätze einnimmt. Das Licht ist golden wie an einem Spätsommertag. Federball, Football, Hula Hoop – heil ist das amerikanische Vorstadtleben, das Roger Vontobel zu Beginn seiner Inszenierung von Arthur Millers "Alle meine Söhne" vorführt. Es sind die paradiesischen Zeiten der Unschuld, in denen die Familie Keller in Eintracht mit ihren Nachbarn lebt. – Rummms, kracht eine Ladung Äpfel aus dem Schnürboden. Der Sündenfall.

Ein Zeitsprung. Die Kinder sind erwachsen. Chris Keller (Daniel Hoevels) ist Kompagnon in der väterlichen Firma, doch die familiäre Idylle ist rissig. Chris' Bruder Larry – im Krieg verschollen. Allein Mutter Kate (Ulrike Krumbiegel) hält zwanghaft an dem Glauben fest, dass ihr Sohn noch lebt. Dann war da der Vorfall in der Fabrik: Wer veranlasste die Lieferung schadhafter Zylinderköpfe an die Air Force? Vater Joe, der vor Gericht freigesprochen wurde, oder sein Partner Steve Deever, der im Gefängnis sitzt? Einundzwanzig Piloten kostete dieses Geschäft das Leben. Vielleicht sogar Larry.

Entschlacktes Spiel ohne Gummiknie

Die offene Schuldfrage, die Lebenslügen haben die Kellers erfolgreich hinter einer Fassade wohlanständiger Bürgerlichkeit verborgen. Sollen sich die Nachbarn doch das Maul zerreißen über Joe, so lange sie mit ihm Poker spielen. "Alle, die damals Mörder gerufen haben, nehmen heute mein Geld." Jörg Pose gibt den schlurfigen, vernuschelten Kumpel-Dad, der mit seinem Sohn traulich auf der Picknickdecke lümmelt. Ulrike Krumbiegel ist betont frisch und fröhlich, bringt Fahrt in die Inszenierung und versieht ihre Figur von Anfang an mit Untertönen: Kate wird hysterisch, sobald es um Larry geht, und herzlich zupackend, wenn es gilt, die Familienbande zu stärken. Jörg Pose lässt erst nach und nach etwas Lauerndes in Joe aufscheinen: Annie (Meike Droste) reist an, Deevers Tochter und die ehemalige Verlobte von Larry. Sie und Chris wollen heiraten – und bringen damit das Keller'sche Konstrukt ins Wanken.

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Meike Droste raucht im Vordergrund, hinten sitzen Ulrike Krumbiegel, Jörg Pose und Daniel Hoevels.
© Arno Declair

Texttreu bricht bei Vontobel die Lügenwelt zusammen. Geschickte Kürzungen steigern den Spannungsaufbau. Millers moralisches Stück, 1947 am Broadway uraufgeführt, ist ein veritabler Krimi, und Vontobels Inszenierung ist nicht länger als ein Vorabendfilm. Die Schauspielerführung ist genau, das Spiel entschlackt. Selbst Ole Lagerpusch kommt ohne Gummiknie-Nummern aus. Sein George – Annies Bruder – blickt irre, die linke Hand krampft sich zur Faust, als er Joe Keller anklagt, seinen Vater als Sündenbock missbraucht zu haben. Wie ein in die Ecke gedrängtes Tier läuft er an der Rasenkante vor und zurück, vor und zurück. Das Ehepaar Keller, das zunehmend monströse, Macbeth'sche Züge trägt, bemüht sich ihn einzufangen. Sie schmeicheln ihm mit den Verlockungen des Familienlebens, erinnern ihn an alte Zeiten.

"Ich habe es für dich getan!"

Das Taktieren der Figuren hat Vontobel in recht durchsichtige Raumrelationen übersetzt. Stellungskrieg: Drei gegen Einen, wenn Kate, Chris und Annie auf George einreden. In Feldherrnposition Jörg Pose, die Hand in der Hosentasche. Kalt kalkulierend bereitet er sich auf sein Duell vor, um Georges Einwände zu entkräften. Getreu dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. Die Nachbarn? Neidisch! Georges Vater? Noch nie in der Lage, seine Schuld einzugestehen.

Keller siegt – nur um den Kampf gegen Chris zu verlieren. Kate hat sein Alibi entkräftet. Für Chris bricht die Welt zusammen. Daniel Hoevels brüllt außer sich, in hilfloser Wiederholung: "Was soll ich denn jetzt tun?" Er ohrfeigt Pose, seine Stimme überschlägt sich. Jörg Poses Gesicht wird lang und länger, der vormals schlaue Patriarch sackt zusammen. "Chris, ich habe es für dich getan", stammelt er. Für den Profit! Für die Familie! Keller vererbt die Schuld. Als topaktuelle US-Tragödie beglaubigt das Programmheft Millers Stück: Am 11. Dezember brachte sich der älteste Sohn des Investmentbetrügers Bernard Madoff um – genau zwei Jahre nachdem er und sein Bruder den Vater bei den Behörden anzeigten. Der Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Kernfamilie wird bei Roger Vontobel einsichtig.

Alles schön und ein leises Misstrauen

Auch für die Raubtiermentalität findet er ein Bild: In einer Ecke des Spielfeldes rotten sich in gedimmtem Scheinwerferlicht Joe und Kate, Chris und Annie zusammen. Angela Meyer betritt das Rasenrechteck von der gegenüberliegenden Seite – und wie ein Mob beginnen die Vier sie zu bebrüllen. Das dauert nur wenige Sekunden, dann wird es wieder hell, und Meike Droste begrüßt die Nachbarin zuckrig: "Oh – Lydia." Unter dem dünnen zivilisatorischen Firnis lauert das Tier. Das wilde Rudel ist die Nachtseite der "heiligen Kellers", die Lydia neidisch beäugt.

So "well made" wie das Stück ist auch die Regie. Realismus, der sich nicht aufdrängt. Alles gut, alles schön. Und trotzdem, oder gerade darum bohrt da ein leises Misstrauen. Vielleicht liegt es an den allzu abgerundeten Kanten, an der Nostalgie, die die Inszenierung von Beginn an durchweht. Auch in Millers Stück gibt es die Sehnsucht nach dem Früher, aber sie kontrastiert, stets situationsgebunden, das brüchige Beziehungs- und Lügengeflecht. Vontobel verleiht "Alle meine Söhne" trotz der aktuellen Anklänge etwas allzu Überzeitliches, wenn er den Anfang ins goldene Gestern verlegt. Beinahe so, als wollte der 33-jährige Regisseur sagen: Früher war alles besser.


Alle meine Söhne
von Arthur Miller
Deutsch von Berthold Viertel
Regie: Roger Vontobel, Bühne: Claudia Rohner, Kostüme: Dagmar Fabisch, Musik & Video: Immanuel Heidrich, Dramaturgie: Anika Steinhoff. Mit: Meike Droste, Daniel Hoevels, Ulrike Krumbiegel, Ole Lagerpusch, Angela Meyer, Jörg Pose. Die Kinder: Leonard Däscher, Farajallah Diab, Lenz Lengers, Helena Lengers, Karolin Wiegers; Ersatz: Johannes Däscher

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Mehr Nachtkritiken zu Inszenierungen des diesjährigen FAUST-Preisträgers Roger Vontobel finden Sie über das nachtkritik-Lexikon.

 

Kritikenrundschau

Zwar verstehe Roger Vontobel es, mit seinen Schauspielern durch Schnoddrigkeit, Coolness und zupackende Munterkeit das 40er-Jahre-Milieu in eine heutige Atmosphäre zu wandeln, schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (18.12.2010), "gegenwärtige, gedankliche Durchdringung der durchaus gegenwärtigen Keller-Geschichte" aber gelinge ihm nicht. Aus Sicht der Kritikerin überreizt der Regisseur seine Mittel gnadenlos, "was das Spiel sehr bald zur Effekthascherei verflacht". Aus dem psychologischen Kammerspiel des Ibsen-Schülers Arthur Miller werde "ein privates Psychoding" und am Ende verpuffe auch das in Hysterie. "Die Zuschauer sollen den analytischen, sezierenden Blick lernen, doch – und das ist das eigentliche Problem des Abends – analysiert oder seziert Vontobel selbst nichts."

"Man könnte den Regisseur Roger Vontobel als eine Art Dieter Wedel des Stadttheaters bezeichnen. In Dresden holte der 33-Jährige aus Schillers 'Don Carlos' gerade einen hochmodernen Politthriller heraus", so Christine Wahl im Tagesspiegel (19.12.2010). Aber: In einer ungefähren, diffusen Heutigkeitsbehauptung sitze diese Inszenierung fest. "Der Rollrasen mutiert zur Kampfarena, in der man sich gegenseitig an die Gurgel springt, wobei die enttäuschten Blicke und bebenden Münder auf Videowänden vergrößert werden. Statt Gegenwart gewinnt man aber nur den Eindruck leicht kitschiger Fernsehdramatik von gestern."

Wenig überzeugt zeigt sich auch Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (20.12.2010) von dem Versuch, Arthur Millers Frühwerk "zu reanimieren". Vontobel, "als Regisseur ein junger Milder", könne das "selbstgefällig moralisierende, wohl zu Recht kaum noch gespielte Stück nicht retten". Vieles darin klinge wie "Schulfunk". Die Inszenierung habe dem "außer ein paar wohltätigen Strichen (...) nichts hinzuzufügen". Miller banalisiere "das Ibsen-Muster verdrängter Schuld zum Well-Made-Play gefälliger Sozialkritik, Vontobel verdünnt weiter, bis nur noch eine ziemlich glatte Fernsehfilm-Dramaturgie übrig bleibt".

Auch Irene Bazinger von der Frankfurter Allgemeinen (2012.2010) ist der Abend "zu didaktisch". Claudia Rohners Bühnenbild verdeutliche schon zu Beginn, dass die Idylle "erhebliche Risse" habe. "Dementsprechend wirkt alles weitere immer nur demonstrativ gemütlich, gelungen, glücklich". Einerseits sei Millers "Themenkomplex in Sachen Profit und Militär speziell, andererseits in Bezug auf fatale Familiengeheimnisse sehr allgemein". Vontobel wisse "mit beiden Ebenen nichts anzufangen". Durch die Live-Übertragung auf zwei Leinwände "wird das statuarische Geschehen in seiner freudlos bemühten Deklamationsmonotonie noch besser sichtbar, als es der Aufführung bekommt. Die Kostüme und die eingestreuten Songs sind dezent Richtung fünfziger Jahre ausgewählt und wie die gesamte Atmosphäre völlig uninspiriert. Und unter der Käseglocke von Vontobels Regie-Leere geht dem Ensemble rasch die Luft aus."

Vontobel entwickele Millers Stück "mit schlichter realistischer Figurenführung", so Eberhart Spreng im Deutschlandradio (Kultur Heute, 18.12.2010). Der Regisseur hätte wohl gern "antikes Tragödienpotential freigesetzt", schließlich postiere er das Publikum "auf vier Arenatribühnen rings um den Schauplatz". Aber defekte Zylinderköpfe sind nun mal kein tragischer Götterfluch, weshalb der klassische Guckkasten "für den gesellschaftskritischen Realismus Millers (...) besser gewesen" wäre. Er hätte verhindert, "dass sich im weiten Raum die Spielbezüge zwischen den Figuren verlieren und sie hätte das Drama mit seinen Zeitbezügen besser verortet".

"Vontobel liebt's deftig, aber klassisch". Auch bei Millers "Alle meine Söhne" "staubt's, spritzt's und dunstet's", berichtet KLK überaus kurz in der Welt (20.12.2010). Das Kriegsheimkehrer-Drama bleibe hier "kammerspielhaft besonnen. Mit Recht entrückt Vontobel die Kriegsstory ins typisch Amerikanische. Bei uns freilich spielt weder die Familie noch die Schuld-Kategorie eine so große Rolle. Eine souveräne Fingerübung also: bescheiden, sachdienlich - nur vielleicht am falschen Stück."

Die schwer mit Moral beladene Geschichte bekomme Vontobel "wunderbar in den Griff", findet hingegen Katrin Pauly von der Berliner Morgenpost (19.12.2010), nämlich "indem er beherzt zusammenstreicht": kein Schuss am Schluss, fast keine Nachbarn. "In der Rolle der amerikanischen Neighbourhood statt dessen: wir, das Publikum." Die Videoübertragung sei "allerdings kontraproduktiv und vergrößert die bereits reduzierte Distanz wieder unnötig". Ansonsten erzähle Vontobel "angenehm konventionell und mit leichter Hand das schwere Familienbeben. Er platziert die Figuren auch physisch auf diesem Familientableau je nach den aktuellen Allianzen und kann dabei auf ein hervorragendes Ensemble vertrauen, das die Spannungsmomente dieses Vorstadtkrimis sensibel auskostet".

 

Kommentare  
Alle meine Söhne, Berlin: Blauer Dunst auf grünem Rasen, Teil 1
Blauer Dunst auf grünem Rasen - Teil 1

Roger Vontobel ist das vielbeschäftigtste Regiewunderkind der deutschen Theaterlandschaft. Die Labdakiden in Bochum, eine Peer Gynt in Essen, eine Penthesilea in Hamburg und ein Don Carlos in Dresden für den er den Regie-Faust bekam. Nun also seine zweite Inszenierung in Berlin nach einem eher zwiespältigen Pappmachéverkopften Clavigo am Gorki Theater vor zwei Jahren. Das Deutsche Theater baute nun Vontobel die Kammerspiele zur Arena um und scheute weder Kosten noch Mühen um Rollrasen im Winter ran zu karren. Arthur Millers amerikanisches Nachkriegsdrama über einen Rüstungsbauer, der im 2.Weltkrieg defekte Teile für Flugzeuge an die Air Force liefert und den Tod von 21 Fliegern zu verantworten hat, musste es sein. Wenn die Kammerspiele umgebaut werden zum Werkraum oder der Arena, dann ist meist etwas Neues angesagt, etwas was nicht in den normalen Rahmen passt. Anfang der 2000er Jahre wollte man damit die Baracke wieder beleben und ist mit dem Konzept gescheitert. An diesem Abend scheitert Vontobel aber leider auch. Am Anfang ist die Welt noch in Ordnung, Kinder toben auf dem Geviert der Arena und bieten Mini-Hotdogs an. Dann wird der Rasen ausgerollt, die Kinder sind erwachsen und holen die Zigaretten raus.
Arthur Miller ist der beharrliche Beobachter des amerikanischen Mittelstandes schlechthin, sein Tod eines Handlungsreisenden ist so ziemlich das bekannteste Stück der US-Nachkriegsdramatik. Man hat ihm mit unter vorgeworfen, genau so mittelmäßig zu schreiben, wie die Charaktere seiner Figuren sind. In Alle meine Söhne kommt das mit am deutlichsten zum Ausdruck. Das Stück ist in erster Linie patriotisch, was man ihm nach dem 2. Weltkrieg nicht weiter vorwerfen kann, eine Kapitalismuskritik ist nur im Ansatz vorhanden, in der Anklage des Kriegsgewinnlers Joe Keller, der für den schnellen Profit seinen Partner ins Gefängnis gehen lässt und über Jahre heile Welt spielt. Er ist nach außen ein Kumpeltyp, selbst sein zweiter Sohn Chris, der erste ist als Flieger im Krieg vermisst, hat keinen Grund gegen ihn zu rebellieren. Jörg Pose gibt ihn als jovialen Mann, der seinen Sohn sogar vorgibt zu verstehen, als der die Verlobte des verschollenen Sohnes Larry heiraten will. Wenn da nicht das Problem mit der Mutter Kate wäre, die immer noch an die Rückkehr des verloren Sohnes glaubt und davon nicht abzubringen ist. Ulrike Krumbiegel, mal wieder in einer Rolle am DT, ist darin auch sehr glaubwürdig. Daniel Hoevels ist der brave Sohn Chris, der Traumatisches im Krieg erlebt hat und etwas sinnvolles aus seinem gewonnenen Leben machen will. Seine Angebetete Ann, Tochter des im Gefängnis sitzenden Partners von Joe, ist bei Meike Droste, nach längerer Babypause endlich wieder zu sehen, sehr selbstbewusst aber etwas zu taff, obwohl sie genau weiß was sie will und mit Chris auch eine gute Party vor Augen hat. Jeder ist irgendwie mit sich selbst beschäftigt seine Ideale zu leben und doch schwingt die Angst des Versagens ständig mit. Der Griff zur Zigarette ist das einzige was diese Menschen wirklich miteinander verbindet. Umso öfter wird dann auch zu ihr gegriffen. Chris ist ein großer Zweifler, er will nicht unbedingt in die Fußstapfen seines Vaters treten kann sich aber auch nicht konsequent für ein Leben mit Ann in New York entscheiden. Von Joe wird bemüht auf Party gemacht, um von den im Raum schwebenden Zweifeln abzulenken.
Alle meine Söhne, Berlin: Blauer Dunst auf grünem Rasen, Teil 2
Blauer Dunst auf grünem Rasen - Teil 2

Unvermittelt personifiziert sich die Angst aller dann mit dem plötzlichen Eintreffen von Anns Bruder George, nölig von Ole Lagerpusch dargestellt, der Chris sofort mit der Wahrheit über ihre Väter konfrontiert. Hier gerät Vontobels bisher gefällige Regie erstmals aus den Fugen. Erst sehr weit auf Distanz gehen sich die beiden, dann unversehens an die Wäsche. Kate kann hier noch einmal schlichten und Joe gibt wieder den Generösen, in dem er George eine Job besorgen will und auch seinen Vater wieder in die Firma holen möchte. Die einzige noch verbliebene Nebenfigur, die Nachbarin Sue (Angela Meyer), war einmal Georges Freundin, ist aber nun mit dem Arzt Jim Bayliss verheiratet und hat drei Kinder. Ihr plötzliches Auftauchen wird mit lautem Hundegebell gleichendem Geschrei von allen registriert. Es entwickelt sich ein kleiner Zickenkrieg zwischen ihr und Ann, indem sie ihr andeutet, dass nie jemand der Nachbarn an die Unschuld Joes geglaubt hat. Endgültig aus dem Rahmen fällt dann die Inszenierung von Vontobel als Chris seinem Vater endlich die Wahrheit Stück für Stück abringt. Die Fassade ist eingerissen, die Wut und Verzweifelung Chris` entlädt sich in Schreien und wiederholten Vorwürfen gegen seinen Vater. Hier setzt Vontobel auf Drastik. Daniel Hoevels durchmisst die Arena schleudert sein Jackett von sich und schlägt Jörg Pose wiederholt ins Gesicht. Das Ganze wird von der Seite gefilmt, die Gesichter sind in Großaufnahme auf Leinwänden zu sehen, eine Methode die auch nicht mehr ganz neu ist. Joe kann sich nur mit fadenscheinigen Entschuldigungen verteidigen, eine Einsicht der Schuld gibt es für ihn nicht wirklich. Alle waren so im Krieg, alle haben versucht Geld zu verdienen. Dieses Finale kann aber nicht über die müde Inszenierung hinwegtäuschen. Die Schwäche des Stücks wird auch zur Schwäche der Inszenierung, es fehlt an tatsächlicher Fallhöhe. Was Miller in seinen späteren Stücken verstand, den kleinen Mann zum tragischen antiken Helden aufzubauen, der durch Schicksal und Leben gebeutelt sich mit Schuld beladen hat und daran zu Grunde geht, kann mit Joe nicht wirklich gelingen, zu eindeutig ist seine Schuld. Eine Konsequenz daraus erfolgt nicht. Nachdem dann noch der Brief von Larry an Ann vorgelesen wird, in dem er sich aus Scham vor der Tat beider Väter zu einem Selbstmord bei seinem nächsten Flug entschlossen hat, ist auch Kates Hoffnung zerstört. Joe geht ab, ob er sich seiner Schuld stellt bleibt offen.
Diese Inkonsequenz als Verweis auf den momentanen Zeitgeist reißt die Inszenierung nicht mehr raus, zu unverbindlich ist sie in ihrer zeitlichen Einordnung oder als Beispiel für heutige Kriege und die Moral der daran Verdienenden. Das Ganze verkommt zu Rasenschach mit kleineren Rochaden. Vontobel reicht als Beweis seiner These vom Zerspringen der Kernfamilie der Selbstmord des Sohnes des Investmentbetrügers Bernard L. Madoff. Die Suche nach der Bedeutung eines Stückes sei die eigentliche Aufgabe von Theater, sagt er in einem Beitrag über junge Theatermacher auf der Seite von jetzt.de. Das müsse auch in einer Aufführung sichtbar werden, nicht nur in der Vorarbeit, "die dann dazu führt, dass das Stück auf einem Baum spielt und die Zuschauer nicht mehr verstehen warum." Der Baum wurde vom Sturm entwurzelt. Ein Zeichen? Wofür weiß hier kein Mensch.
Alle meine Söhne, Berlin: Outen Sie sich mal
Ich stimme Stefan eigentlich zu, dennoch berührte mich das Stück. Dies hat (auch) mit meiner persönlichen Verbundenheit zu diesem selten aufgeführten Stück zu tun....Stefan, outen Sie sich mal im Theater, würde gerne wissen, wer Sie sind :-))
Alle meine Söhne: Steil genug!
Für mich eine durchweg gelungene Inszenierung, die die Familienkonflikte unangestrengt und wo erforderlich doch dramatisch entwickelt. Besonders gefallen hat mir der Raum, der den Dialogen gegeben wird. In zu vielen anderen Stücken werden diese durch Aktivismus überspielt oder finden kaum statt (etwa im "Kein Schiff wird kommen"). Hier können Vater mit Sohn, Chris mit Ann oder Bruder mit Schwester immerhin mal von der Regie ungestört miteinander reden. Das gibt auch den Schauspielern den Raum, ihre Fähigkeiten trefflich und spürbar überzeugt zu zeigen. Schön auch, dass eine Cola Dose ganz normal geöffnet wird und nicht spritzend durch den Raum fliegt. Angenehm schließlich die nur behutsamen Assoziationen zum pseudo-moralischen Amerika und zur Doppelmoral der Kriegswirtschaft. Mehr muss gar nicht sein.
Fehlende Fallhöhe? Für mich ist die hier zentrale Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach Familienglück und der Verdrängung von Verantwortung in einer arbeitsteiligen Wirtschaft steil genug.
Anschauen!
Alle meine Söhne: nicht gut umgesetzt
@ Ken
Ich möchte weder das Stück noch Roger Vontobel schlecht machen. Das man die Sache auch ganz anders sehen kann, ist mir recht wohl bewusst. Nur finde ich es hier einfach nicht gut umgesetzt. Miller war stets ein suchender, unbequemer Geist und absolut integer, das sieht man auch in seinem Verhalten vor dem McCarthy-Ausschuss. Das hat sich aber nicht konsequent in seinen Stücken niedergeschlagen. Er stellt die moralische Verantwortung des Einzelnen in den Vordergrund und kritisiert den American Way of Live in dem Erfolg im Job, der Zusammenhalt in der Familie, Gottvertrauen und Patriotismus alles ist. Seine Schlussfolgerung ist aber nicht Veränderung, sondern nur die Feststellung, das man zwar bis zuletzt an den Erfolgt glaubt, sich aber trotzdem immer als einen Versager sieht. Daraus entseht die Tragik und die Schuld, die man sich selbst dafür gibt, siehe Willy Loman. Nun hat die Amerikanische Familie als Keimzelle der Nation geschichtlich gesehen eine ganz andere Bedeutung als z.B. hier in Europa. Das kann man nicht so eins zu eins übertragen. Vontobel hätte das wissen können, er hat in Amerika Regie studiert. Dass das Stück bei ihm im Nirgendwo angesiedelt ist, macht es schwer, irgendeinen Bezug zu etwas herzustellen. In Alle meine Söhne geht es auch um Versagensängste, diese werden aber weggelogen bis es nicht mehr geht und selbst dann rechtfertigt man sich noch für seine Schuld. Das moralische Verhalten ist letztendlich das, was zum Schluss im Raum steht und das ziemlich offen. Man kann das Stück nur in Verbindung mit dem Weltkrieg und der Generation, die da für den amerikanischen Traum nach Freiheit gekämpft hatte und nun daheim sieht, dass das nicht genug Wertschätzung findet und andere auch noch Geld mit dem Krieg verdient haben. Parallelen kann man mühelos zum Vietnam- und Irakkrieg ziehen. Die Umsetzung des Stücks von Roger Vontobel ist mir für heute gesehen zu wenig.
Um mal eine andere schillernde Persönlichkeit der amerikanischen Nachkriegsliteratur zu nennen, Norman Mailer z.B. ist da ein ganz anderes Kaliber, aber der hat leider keine Theaterstücke geschrieben. Einen anderen kann man heute im Gorki Theater sehen, John Steinbeck mit Früchte des Zorns.
Ach und mit dem Outen ist das so eine Sache, es lebt sich unerkannt natürlich wesentlich einfacher und vielleicht wären Sie ja auch irgendwie enttäuscht, wenn Sie wüssten wer ich bin, ich kenne Sie ja auch nicht.
Alle meine Söhne, Berlin: Blog als Chance
kommen sie stefan !dieser blog hier ist ihre einzige chance dafür zu sorgen, dass wenigstens die paar, die das hier lesen, wissen ,wer sie sind .tja.
Alle meine Söhne, Berlin: bewusst auf ein Familiendrama reduziert
Roger Vontobel hat sich bei seinem DT-Debüt gegen die sonst von ihm favorisierten Klassiker oder antiken Stoffen entschieden. Arthur Miller soll es sein, auch noch sein selten gespieltes Alle meine Söhne, Millers erster Broadway-Erfolg. Wie so oft bei Miller eine Familiengeschichte mit vielen Leichen im Keller, gespickt mit einem Schuss Sozialdrama, erzählt das Stück die Geschichte der Familie Keller, deren Oberhaupt einst verantwortlich war für die Lieferung fehlerhafter Bauteile für die Air Force, als deren Resultat mehrere Flieger abstürzten und eine Reihe von Soldaten umkamen. Keller kam gut durch die Sache, sein damaliger Partner wurde verurteilt. Aber die Schatten der Vergangenheit kommen zurück und verrichten ihr zerstörerisches Werk. Alle meine Söhne ist mit seinem streckenweise recht platten Moralismus, seinen nicht gerade subtilen Wendungen und seiner recht einfach gestrickten Botschaft der Amoralität des Geldverdienens am Krieg nicht gerade Millers stärkstes Stück. Was anderswo bei Miller so schmerzhaft hervorbricht, gerade weil es nur angedeutet bleibt, hier malt er alles mit recht dickem Pinselstrich.

Vontobel reduziert das Stück bewusst zum Familiendrama. Die Außenwelt ist präsent, hat Einfluss, aber die wirklichen Konflikte, die verschwiegene wie die sich andeutende Tragödie passieren in der Familie, gehen von ihr aus und führen in sie zurück. So reduziert Vontobel die Außenwelt auf eine Figur, die er auch hätte getrost weglassen können. Was ihn interessiert, ist die Dynamik einer familiären Eskalation und so reduziert ist das äußerst stringent und überzeugend.

Vontobel hat sich von Claudia Rohner die Kammerspiele in eine Arena umbauen lassen. Umringt von Publikum entfaltet sich das Drama auf einem Rechteck Rollrasen. Beim Einzug des Publikums spielen Kinder, ein Familienidyll, von dem wir bald erfahren, dass es längst verloren ist. Ein Sohn ist tot, sein Tod verleugnet von der Mutter, der Vater wieder im Geschäft, sein ehemaliger Partner im Gefängnis. Die spielenden Kinder, das Ausrollen des Rasens durch die Kinder gemeinsam mit ihren älteren Egos - Vontobel gelingt ein überaus stimmungsvoller, atmosphärischer Auftakt, der eine Leichtigkeit verströmt, wie sie der behaupteten Idylle entspricht.

Langsam, subtil brechen die Gespenseter der Vergangenheit hervor, kratzen zunächst an der glitzernden Oberfläche familiärer Harmonie und Wärme, der Wiedersehensfreude auch mit der Verlobten des verschollenen Sohnes, die jetzt der zweite Sohn heiraten will. Vontobel gelingen wunderbare Szenen, etwa wenn Chris und Annie zaghaft auf und ablaufen und nach ihrem hingedrucksten Liebesgeständnis immer ausgelassener herumtollen, unter Einbeziehung des Rasensprengers. Hier ist sie nochmal kurz, die unbefangene Freude der Kinder vonm Anfang.

Lange nicht mehr wurde ein so simples und gleichzeitig wirkungsvolles Bühnenbild in diesen Raum gezaubert. Das Rasenviereck steht am Anfang für Freiheit, Lebensfreude, Unbekümmertheit. Der Raum ist weit, die Weltin Sonne getaucht. Später wird es immer enger, ohne sich physisch zu verändern. Immer wieder eilen einzelne Figuren wie gehetzt um das Viereck herum, reden, schreien auf die Figuren im Rechteck ein, das zunehmend zum Gefängnis wird, in dem die Protagonisten eingeholt und eingesperrt werden von all dem Verdrängte, das sich da Bahn bricht. Wir Vontobel mit seinem Ensemble, einer behutsamen Lichtregie und einer nie aufdringlichen musikalischen Untermalung diesen Wandel gestaltet, ist zwingend und von atmosphärisch dichter Intensität.

Vontobel gibt dabei den Figuren und ihren Darstellern Raum, sie sind plastischer, vielschichtiger als von Miller angelegt. Ulrike Krumbiegels Mutter Kate wechselt zwischen hysterischem Schmerz und agressiver Härte, Meike Droste als Annie zwischen zweifelnder Ängstlichkeit und in sich ruhender Selbsterkenntnis, Daniel Hoevels Chris schwankt zunächst zwischen Hoffnung und Hilflosigkeit und gewinnt seine Stärke im Zusammenbruch aller Gewissheiten. Selbst Jörg Pose als Joe Keller ist weit mehr als der Schurke des Stücks. Sein Verbrechen geschieht aus einer Mischung aus Pragmatismus und Verteidigung der aufgebauten Fassade. Die Überzeugung, so handeln zu müssen, nimmt ihm der Zuschauer ihm ebenso ab wie die zaghaften und rfast hilflosen Versuche, die Wunden, die das eigene Handeln geschlagen hat, zumindest zu verdecken, wenn er sie schon nicht heilen kann.

Es ist ein redzierter, ganz ins Private gekehrter Miller, der die auch durch das Programmheft genährte Erwartung, eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Dbatte über die Zulässigkeit und die Grenzen von Gier, über die Moralität des Geldverdienens bewusst verweigert und dem Zuschauer überlässt. Vontobel erzählt eine Familiengeschichte, auf durchaus konservative Weise, aber gerade dadurch öffnet er den Assoziations- und Imaginationsraum so weit, wie es nur das Theater vermag.

http://stage-and-screen.blogspot.com/
Alle meine Söhne, Berlin: "unterirdisch", aber ohne Begründung
was für eine zeitverschwendung, was für ein langweiliger abend. einzig hoevels und lagerpusch lassen zwischenzeitlich aufblitzen dass es im theater um schauspielKUNST geht, nahezu alles und alle anderen sind einfach nur unterirdisch. man sollte khuon zwingen, das jeden abend zu sehen.
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