Ein betrogener Betrüger in Traumschiff-Uniform

von Georg Kasch

Rostock, 30. Dezember 2010. Die Götter müssen vergnügt sein: Kaum hat Schwerenöter Jupiter in Gestalt des thebanischen Feldherrn Amphitryon dessen Gattin Alkmene flachgelegt, sitzt er schon mit Handlanger Merkur mitten im Publikum und schaut sich die Folgen seines unterleibsgesteuerten Treibens an. Der Ehekrach - Alkmene: "Wie, schon zurück?", Amphitryon: "Euer Empfang, das muss ich sagen, beleidigt meiner Liebe Glut." - amüsiert sie köstlich. Da weicht in Bettina Rehms Inszenierung von Molières "Amphitryon"-Komödie im Rostocker Theater am Stadthafen, der kleinen Spielstätte des Volkstheaters, allmählich der krampfige, an die Fortpflanzungsinstinkte appellierende Frohsinn des Beginns einem Vertrauen in den Text.

Und der hat's, wiewohl nicht von Kleist, verdient, gehört zu werden. Denn hier stecken schon die zentralen Fragen drin nach Identität, dem "Wer bin ich - und wenn ja wie viele?", auch nach dem Verhältnis von denen da oben und denen da unten: Selbst wenn am Ende ein Herkules dabei herauskommen sollte, ist es nicht besonders nett, anderer Leute Ehen zu gefährden - auch wenn man der Oberaffe persönlich ist.

Brotdosen, eine Schlacht, verzweifelte Identitätskrise

Für heutige Verhältnisse punktet die Komödie zu Beginn nicht gerade mit Pointendichte, und die Beteiligten verwechseln zunächst Frivolität mit Deutlichkeit und zeigen Volkstheater als niedrigsten gemeinsamen Nenner: Jakob Krazes Merkur skatet um Petra Gorrs Nacht herum, als hätte sich der Starlight Express unter mottenzerfressene Zombies und unter die Gürtellinie verirrt. Abgetakelt wie Varieté-Ramsch greifen beide stets zur nächstliegenden obszönen Geste, um jede Rede von Liebe und Begehren zu illustrieren.

Doch unter den Menschen gelingt Rehm - bei allen zotigen Übertreibungen - zunehmend eine Erzählung, die jenseits der Story von notgeilen Göttern und gehörnten Gatten interessiert: Ulrich K. Müllers Diener Sosias spielt auf Amphitryons etwas trister Einfamilienhausterrasse (Werner Brenners Bühnenbildentwurf im Programmheft sieht um einiges ambitionierter aus) mit Brotdose und Taschentuch die imaginierte Schlacht nach und gerät bei der Begegnung mit seinem brutalen Ebenbild in eine herzerweichend verzweifelte Identitätskrise.

Tim Ehlerts leicht schnöseliger Feldherr in Traumschiff-Uniform, der bei Sosias' verwirrenden Berichten noch den starken Mann markiert, verliert schnell sein Strahlemann-Image, als er von Laura Bleimunds Alkmene den hingegurrten Bericht der gemeinsamen Liebesnacht erhält. Ihr Streit um die Deutungshoheit der vergangenen Stunden bleibt wohltuend lange in der Schwebe zwischnen Kuschelei und Rangelei. Dann aber frisst Amphitryon die Beruhigungspillen wie Smarties in sich rein, während Sandra-Uma Schmitz' Cleanthis ihrerseits cool den Gatten abblitzen lässt.

Schockstarre, Zuspitzungen, und am Ende winkt die Patchwork-Familie

Während hinter den Kunststoffterassenfenstern also Hähnchen- und andere Schenkel vernascht werden, bleiben denen draußen nur leere Brotdosen, Ferndresche (dazu versetzen die Götter die Menschen gerne mal in Schockstarre) und bedröppelte Gesichter. Molières robuste Komödie mit Abgründen und aberwitzigen Zuspitzungen ist in Rostock also ganz gut aufgehoben, besser sicherlich, als es Kleists feiner gesponnene Version voller verwirrter Gefühle wäre.

Wo Molière seinem König den Mätressen-Spiegel vorhält, steuert Rehm den Mythos schließlich Richtung Nachwuchs-Feier: Nach Jupiters Ankündigung des Halbgötterstiefsohns kann sich Ehlerts Gesicht zunächst nicht zwischen Lachen und Weinen entscheiden, dann scheint er die Flucht zu ergreifen, nur um mit Windeln und Spielzeug zurückzukehren - willkommen in der Patchwork-Familie.


Amphitryon
von Molière, Deutsch von Arthur Luther
Regie: Bettina Rehm, Ausstattung: Werner Brenner, Dramaturgie: Katharina de Vette.
Mit: Petra Gorr, Alexander Flache, Jakob Kraze, Tim Ehlert, Laura Bleimund, Ulrich K. Müller, Sandra-Uma Schmitz, Peer Roggendorf.

www.volkstheater-rostock.de

 

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