Wir kreisen um Kreisky

von Georg Petermichl

Wien, 13. Januar 2010. Angeblich liebt man es als Wiener, wenn sich nix verändert: Wenn man sich zurücklehnen kann, während altbekannte Helden sich in den Vordergrund drängen, um ihre gut vertrauten Kapriolen zu schlagen. Dazwischen ein paar dramatische Jingles. Oder Hausmusik? Wir sind demnach die perfekten Serien-Junkies, wir Wiener. Von "The Wire" über "True Blood" bis "Desperate Housewives" nehmen wir derzeit diplomatische Geschenke der amerikanischen TV-Serienindustrie entgegen. Und Innerstädtisch? Neben dem Wiener Burgtheater, das sowohl Joachim Meyerhoffs autobiografische Serie "Alle Toten fliegen hoch", wie auch "Life and Times" des Nature Theatre of Oklahoma produzierte, ist das Wiener Schauspielhaus die Wiege der Wiener Theaterserienproduktion.

Zum vierten Mal, nach Heimito von Doderers "Strudlhofstiege", einer Freud-Serie und in der vergangenen Spielzeit "Die zehn Gebote", bringt das Schauspielhaus mit "Kreisky - wer sonst" eine Serie von etwa einstündigen Theaterperformances unter wechselnder Regie auf die Mikro-Bühne (dem sogenannten "Nachbarhaus"). Und die Projektkoordinatorin Daniela Kranz ist ihrem jeweils 50-köpfigen Serienpublikum über vier Jahre treu geblieben.

Super-Mehlspeisen-Bundeskanzlerabonnent?

Mit Jahreswechsel wurde nun die Auseinandersetzung mit Bruno Kreisky (1911-1990) aufgenommen, der als charismatischer Bundeskanzler der siebziger und achtziger Jahre den österreichischen Sozialstaat forcierte, aus jüdisch-großbürgerlicher Familie kam, in den 1930ern als Hochverräter inhaftiert war, von den Nationalsozialisten verbannt wurde, ab 1950 das internationale Bild Nachkriegsösterreichs prägte und verbittert und missverstanden – weil als "Schuldenkanzler" abqualifiziert – starb. "Ein echter Österreicher" (Folge 3, 20. Jänner), "Super-Kreisky" (Folge 6, Februar), "Mehlspeisen-Metternich" (Folge 8, März), oder gar nur "Bundeskanzlerabonnent" (Folge 7)? Zehn Folgen, acht Regisseure. Soeben hatte die zweite Folge "Der Gefühlsmarxist" in der Regie von Nina Mattenklotz Premiere.

Idealismus bis die Ohren schlackern

Die rote Fahne hängt mittlerweile nur noch plakativ im Hintergrund. Zur Premiere der Serie wurde sie von einem Kreisky-Mitstreiter (Christoph Rothenbuchner) ausnahmsweise – weil Silvesterabend – auf der großen Schauspielhaus-Bühne geschwenkt. Ebenfalls zu den Klängen von "Arbeiter von Wien" aber ein paar Tage später loderte das rote Tuch bedrohlich über den Köpfen der Besucher des Nachbarhauses – der Produktionsort ist wohnzimmerklein. Die Fahne kreiste wie ein Monstrum durch den Raum und sorgte so für den greifbarsten Moment dieses Abends. Der sozialistische Idealismus von Bruno Kreisky (Johannes Zeiler), sein Stolz, seine Zielstrebigkeit, seine Penetranz, Verbohrtheit fegte dem Publikum in all seiner historischen Unverständlichkeit um die Ohren.

Jetzt jedenfalls, in Folge zwei, sieht die rote Fahne als Kreiskys Wandrelikt seiner Kerker- und Exil-Zeit von 1934-1954 zu. Regisseurin Mattenklotz hat den Titelhelden auf vier Schauspieler aufgeteilt. Es geht offenbar um Kreiskys Selbsteinschätzung zwischen einem Volksrepräsentanten und einer Ausnahmeerscheinung: "Ich bin eine Bewegung" meint das Quartett simultan. Darauf: "Nein. Ich bin ein subjektiver Faktor der Geschichte!" (Marion Reiser) – Schließlich kommt man überein: "Ich wirke als Chor viel eindrucksvoller! Bewegender!"

Außer Kontrolle

Zu diesem Zeitpunkt sitzt Kreisky im Gefängnis und wirkt dabei, als wär' er auf Speed: Er ist etwas depressiv, dabei eigenartigerweise recht poetisch, bleibt aber kämpferisch. Historisches water-boarding macht ihn nur stolzer. Auch unter Folter bekennt er sich zu seinen Prinzipien. Und jeder der vier Kreiskys kann problemlos den Satz des anderen beenden. Bruno Kreisky ist damit leider unglaubwürdig in der ersten Hälfte von Folge zwei. Zusätzlich bedrückt der Umstand, dass die Vierteilung des Hauptcharakters ausschließlich formal bleibt, also keine unterschiedlichen Persönlichkeitsaspekte sichtbar macht.

In der zweiten Hälfte taut "Der Gefühlsmarxist" auf. Kreiskys beschwichtigende Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, seine Zeit im schwedischen Exil liefern erfrischende Szenen. Johannes Zeiler tritt in diesen Momenten als bemerkenswerter Kreisky-Imitator auf: Er gräbt mit der Zunge in der Wangengrube, betont jede einzelne Silbe und tyrannisiert so sein Publikum mit Gemächlichkeit und Bedeutungslast.

Bruno aus dem Serien-Automat

Leider ist Kreisky in diesem Format nicht lernfähig: Er wird jeweils zu Beginn einer Episode wieder auf seine Anfangsklischees zurückversetzt und von den jeweiligen Regisseuren neu gedeutet. Die Theater-Episoden am Schauspielhaus sind aber größtenteils schnell, humoresk und mitreißend inszeniert. Der unumgängliche Probenstress (zehn Inszenierungen in drei Monaten) bewirkt eine Bühnenfreiheit, die auf Zwischenlösungen baut. Dieser Umstand wird auch die weiteren Folgen zu unterhaltsamen Abenden machen.

Kreisky - wer sonst? Folge 2: Der Gefühlsmarxist
Regie: Nina Mattenklotz
Mit: Marion Reiser, Christoph Rothenbuchner, Lisa Wildmann, Johannes Zeiler.

www.schauspielhaus.at


Mehr zu den Serien am Schauspielhaus Wien: Wir besprachen im Dezember 2007 Die erste Folge und im März 2008 die letzte Folge der Strudlhofstiege. Im Januar 2010 startete mit herzwurst. immer alles eine tochter die Serie zu den zehn Geboten.

 

mehr nachtkritiken