Alt, aber gut!

Berlin, 21. Januar 2011. Nun ist es raus. Warum Claus Peymann seine Applaus-Zeiten stoppen lässt, was Harald Schmidt zusammen mit Matthias Hartmann in Unterhose auf einem Hotelbett macht und warum Gert Voss eigentlich Kameramann werden wollte.

Vielleicht ist es zu naheliegend, als dass es zuvor schon jemand gemacht hätte. Dabei ist es doch der Herzenswunsch jedes Theatergängers, eine Theaterlegende aus dem Nähkästchen plaudern zu hören oder einmal in der Kantine Mäuschen zu spielen. Als André Heller den Schauspiel-Gott Gert Voss im TV zu Gast bei Harald Schmidt sah, wusste er: die beiden, eine Kamera, zwei Tage in meinem Ferienhaus am Gardasee – mehr braucht es nicht. Stimmt auch.

Grandioser Imitator

In dem daraus entstandenen Film "Scheitern, scheitern, besser scheitern!" (Regie: Lukas Sturm, André Heller), gestern unter Anwesenheit der Mitwirkenden am Berliner Ensemble gezeigt, beweist sich Harald Schmidt als profunder Theaterkenner und respektvoller Zuhörer, vor allem aber Gert Voss als grandioser Erzähler und Regisseur-Imitator. Und es zeigt sich, dass man auch 90 Minuten lang die gleichen drei Einstellungen anschauen kann, wenn es nur die richtigen Köpfe sind, die sich unterhalten.

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Voss spielt Peymann, Schmidt schaut zu – beim Publikumsgespräch im BE © Matthias Weigel

Dabei erfährt man Historisches: Wie sich Gert Voss auf sein erstes Vorsprechen (Rollen: Ferdinand, Prinz von Homburg) vorbereitete, indem er Aufnahmen des Schauspielers Horst Caspar imitieren lernte. Um danach von seinen Lehrern gefragt zu werden, ob der denn wirklich Deutscher sei, oder zumindest ostpreußische Verwandtschaft habe – wegen des so auffällig rollenden "R". Voss hingegen wollte im Klartext wissen, wie er so war. Ob's reicht für eine Karriere, also keine normale, sondern schon eine herausragende Karriere? Da die Karriere nicht sofort startete, überlegte er ernsthaft, Kameramann statt Schauspieler zu werden.

WM-Finale in Unterhosen

Man erfährt auch Aktuelleres: Wie Matthias Hartmann Harald Schmidt anbettelte, doch mit dem Bochumer "Warten auf Godot" (2001) mit auf Wien-Tournee zu gehen. Schmidt wollte nicht, weil er sich vor dem "hochnäsigen Burgtheater-Ensemble" fürchtete, Hartmann wollte, um in der Pause die Visitenkarten der versammelten Prominenz einzusammeln und zu wissen, wen er anzurufen hätte, um endlich Burgtheaterdirektor zu werden. Das alles passierte auf einem Hotelbett während des WM-Finals 2002; wegen der großen Hitze beide in Unterhose.

Neben all den Anekdoten analysiert Voss aber auch die Arbeitsweisen von Peter Zadek ("Anarchist", der einem alle schauspielerischen Mittel nimmt), Peter Stein ("größter Dramaturg", der strukturiert, aber die psychologische Arbeit einem selbst überlässt) und Luc Bondy ("kreatives Kind", das schon recht genaue Vorstellungen der Szenen hat) sehr intelligent und unterhaltsam. In diesen Momenten wird der Film zu einem Dokument, das für die Nachwelt theaterhistorisch vielleicht interessanter sein wird als so manche Theaterkanal-Adaption.

"Mich nimmt ja sonst keiner!"

Ob Gastgeber Claus Peymann wusste, worauf er sich mit der Filmvorführung einlässt? Angeblich nicht. Mit ihm und seinem Berliner Ensemble wird im Voss-Schmidt-Gespräch nämlich auch gehörig abgerechnet – während die beiden Hauptdarsteller sowie Intendanz höchstpersönlich in der ersten Reihe saßen. Voss breitet aus, wie Peymann zu Burgtheater-Zeit die Länge des Applauses mit einer Stoppuhr stoppen ließ und bei Unterschreiten der fünf Minuten seine Assistenten in die Mangel nahm, was schief gelaufen sei – oder sich die nächste Vorstellung zur Kontrolle gleich selbst ansah.

Zwar sind sich Voss und Schmidt einig, dass Peymann "natürlich einer der größten Regisseure ist", aber Schmidt weiß: "Man brauch ja nur mal in die BE-Kantine gehen und einen Schauspieler, der keine Hauptrolle spielt, fragen, wie es so läuft. – WIE SOLL ES SCHON LAUFEN? – Wenn man dann fragt, warum er nicht woanders hingeht, heißt es: WO SOLL ICH DENN HINGEHEN? MICH NIMMT JA SONST KEINER!"

Im Anekdotenrausch

Beim kurzen Publikumsgespräch im Anschluss nimmt's Peymann mit Humor, obwohl er natürlich jede Geschichte aus seiner Sicht ganz anders erzählen könnte. Auch er verfällt sogleich in den Anekdotenrausch, wodurch im BE plötzlich mal wieder ein Hauch Anarchie durch den Raum weht: Endlich kann jeder offen über jeden lachen, jeder wird durch den Kakao gezogen, und Voss bringt live die neueste Peymann-Pointe aus den aktuellen Proben zu "Einfach kompliziert": Nachdem er seine Assistenten wegen Kleinigkeiten zusammenstauchte, soll er geschrien haben: "Ich bin zwar alt, aber ich bin gut!"

(Matthias Weigel)

 

Scheitern, scheitern, besser scheitern!
Ein Film nach einer Idee von André Heller
Regie: Lukas Sturm und André Heller.
Mit: Gert Voss, Harald Schmidt.
Produktion: ORF, Neulandfilm.

Eine DVD-Produktion ist in Planung.

 

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