alt

Wikileaks lässt grüßen

von Daniela Barth

Hamburg, 22. Januar 2011. Ein großer Abend. Ein langer, fast vierstündiger Abend. Ein verstörend ambivalenter Abend – verstörend, weil aufrührerisch, aber dabei so unaufdringlinglich (soweit man das im Theater behaupten kann). Ein Abend voller Knutschereien, Kabbeleien, mit Tränen, Blut und einem bunten, wilden, schillerschen Salat voller Intrigen. Jette Steckels "Don Carlos"-Inszenierung im Thalia Theater gerät zum Ereignis besonderer Güte und zur wunderbaren Einstimmung auf das zweiwöchige internationale Theaterfestival "Um alles in der Welt – Lessingtage", dessen Programmheft eine Vielzahl von interessanten Ein- und Ausblicken zu bieten verspricht.

© Heji Shin
© Heji Shin

Die Bühne! Florian Lösche tobt sich hier als Architekt mit mathematisch-geometrischem Faible aus: Er entwirft und realisiert ein minimalistisch wirkendes, aber gleichzeitig gigantisches dreidimensionales Pentomino: dunkle Flächen aus riesigen rechteckigen Polstern, die wie Wände einer Gummizelle anmuten. Geheime Türchen lassen sich öffnen oder ganze Flächen sind beweglich; schieb- und drehbar und offenbaren überraschend Kammern und Kabinette, in deren schlichter, schwarzer Kargheit die innerlich wie äußerlich tobenden Gefühle der Protagonisten eine besondere Wirkung erlangen. Gleichzeitig visualisieren sie, dass jeder Zug, jede Entscheidung, jeder Irrtum die Entstehung einer neuen, anderen Raumkombination birgt. Und nicht nur das: Jene völlig lautlos funktionierende Bühnenmaschinerie suggeriert zudem, dass da noch eine unsichtbare Macht sein muss, die diese Staatsmaschinerie steuert – der zu entkommen, scheint schier unmöglich.

Schiller, Posa, Assange

Es ist die Welt des von machtgierigen Intriganten angefüllten spanischen Hofstaates, die Friedrich Schiller in seinem dramatischen Gedicht "Don Carlos", das 1787 in Hamburg (!) uraufgeführt wurde, verhandelt. Hatte er wohl anfangs noch ein "Familiengemälde in fürstlichem Hause" im Sinne, wurde daraus ein Drama für zwei Helden. Während der unglücklich in seine Stiefmutter Elisabeth verliebte spanische Infant, Don Carlos (Mirco Kreibich), einzig nach der Erfüllung privaten Glücks strebt, etablierte er mit dem Marquis Posa (Jens Harzer) einen Gegenpol. Der Jugendfreund Carlos' sieht sich als "Abgeordneter der Menschheit", der selbstlos für seine politischen Ideale und Ziele eintritt – dabei aber auch vor Intrigen nicht zurückschreckt. Posa ist eine Art Dolmetscher der liberalen Aufklärungsideen, die Schiller in seinem Jahrhundert vertrat – eine mögliche Erklärung, warum diese Schiller-Inszenierung die "Lessingtage" eröffnet. Wo Lessings Nathan vom Sultan Glaubensfreiheit fordert, plädiert Schillers Posa vor König Philipp (Hans Kremer) für Gedankenfreiheit.

Sind diese Ideale heute erfüllt? Regisseurin Jette Steckel leitet quasi nahtlos über ins 21. Jahrhundert, indem sie Julian Assange und Wikileaks ins Spiel bringt. Anfangs wird ein Aufsatz Assanges auf die schwarze Mauer projiziert, später glaubt man auch in Posa, der mit seiner Plastiktüte immer irgendwie auf der Flucht zu sein scheint, den gnadenlosen Enthüller von "Staatsgeheimnissen", den "Serienkiller der Täuschungen" und "besessenen Grubenarbeiter der Wirklichkeit" zu erkennen.

Aber das geschieht irgendwie nebenbei, herrlich unaufdringlich, wie auch die wenigen Videosentenzen sehr integrativ daherkommen. Überhaupt ist diese Inszenierung mit faszinierend leichter Hand inszeniert, teilweise schön ironisch gebrochen. Alles wirkt so leger, nicht nur, dass die Figuren sich gern mal lässig an die Wände lehnen. Jette Steckel nutzt zum Großteil den Text in fünffüßigen Jamben, lässt aber zu, dass die Schauspieler den Jambus als verbalen Spielball benutzen. Das macht Freude.

Ein Carlos mit Hamletischer Seele

Überhaupt: Die Schauspieler! Mirco Kreibich gibt seinen Carlos mit der Seele des Hamlet, ohne den (Im)Puls Schillers zu verleugnen. Hans Kremer spielt die Einsamkeit des Monarchen so wundervoll kalt, und lässt es in dessen Innern doch brodeln. Lisa Hagmeister macht als Elisabeth die emotionale Fragilität und Zwiespältigkeit der Königin eindrucksvoll sichtbar. Victoria Trauttmannsdorff verleiht dem gewissenlosen, machthungrigen Beichtvater Domingo eine köstlich amüsante Note. Und Jens Harzer als Posa ist einfach: grandios. Bei ihm sitzt jedes "Ähm", jedes "Hä" und jedes "Naa" derart pointiert, sein Reichtum an Gesten und Mimik ist unglaublich verblüffend – dieser Schauspieler ist ein Ereignis für sich.

Insgesamt gelingt Jette Steckel und ihrem Team mit Schillers "Don Carlos" ein gigantisches Kabinettsstückchen, das sie zwar ins Heute hinüberhieven – sozusagen als "Zeitstück" begreifen –, aber trotzdem immer noch im Schiller'schen Grundton belassen. Vielleicht als eine Art "respektvolle Versachlichung" zu begreifen. Zeit mitnehmen. Hingehen!

 

Don Carlos
von Friedrich Schiller
Regie: Jette Steckel, Bühne: Florian Lösche, Kostüme: Pauline Hüners, Musik: Mark Badur, Video: Annemarie Drexler, Dramaturgie: Susanne Meister.
Mit: Alicia Aumüller, Christoph Bantzer, Lisa Hagmeister, Jens Harzer, Mirco Kreibich, Hans Kremer, Matthias Leja, Victoria Trauttmansdorff, André Szymanski.

www.thalia-theater.de

 

Don-Carlos-Darsteller Mirco Kreibich hat bei Jette Steckel schon 2008 in Caligula für die Box des Deutschen Theaters Berlin die Hauptrolle gespielt. Bevor er an Joachim Lux' Hamburger Thalia Theater wechselte, spielte Kreibich außerdem den Baal in Christoph Mehlers DT-Inszenierung (April 2009). In Hamburg ist er zurzeit u.a. auch als Viola/Sebastian in Jan Bosses Was ihr wollt zu sehen.

 

Kritikenrundschau

Im Hamburger Abendblatt schreibt Klaus Witzeling (24.1.2011): Steckel setze "klar die Fronten" in ihrer "texthellen Inszenierung" und gebe ihr eine "deutliche Stoßrichtung mit Julian Assanges Polemik gegen die 'schlechten Regierungen'." Jens Harzers Posa könne "Internet-Hacker oder WikiLeaks-Journalist sein." Sein "lässig-unverschämtes Auftreten, der Charme des Hasardeurs verunsichert und fasziniert gleichermaßen Carlos, Philipp - und das Publikum." Harzer gelinge "das Meisterstück, Schillers gebundene Sprache im Ton heutig über die Rampe zu bringen und zugleich ihre dichterische Kraft und Schönheit leuchten zu lassen." Jette Steckel platziere "Anspielungen und Parallelen zum modernen Überwachungsstaat" in ihrer Inszenierung "so beiläufig wie unübersehbar". Sie entlarve im "Familiendrama aber auch die Übermacht einer sich verselbstständigenden Regierungsmaschinerie". Ihr glücke es aus dem Stück "ohne platte Aktualisierungsversuche" den gültigen Kern einer "um Freiheit und Humanität ringenden Menschheit herauszuschälen". Sie verleihe dem Werk "schillernde Gegenwärtigkeit", dank der "bisweilen atemberaubenden Präsenz der Schauspieler" halte der Abend einen "unangestrengt wirkenden Spannungsbogen über knapp vier Stunden". Rauschender Applaus.

Auf Spiegel Online (22.1.2011) schreibt Werner Theurich: Jette Steckel verleihe dem "Epos" "Leichtigkeit, ohne ihm Anspruch zu nehmen", dabei könne sie auf "tolle Hauptdarsteller" bauen. Heraus kämen so "satte und süffige dreieinhalb Stunden voll theatralischer Wucht und Wonne". Nicht alles sei "innovativ", aber vieles "sehr effizient und emotional packend". Eine "plakative Pathosverweigerung". Carlos und Marquis Posa fänden in Mirco Kreibich und Jens Harzer ein "glühendes Darstellerduo". Harzers raspele sich "mit rauem Timbre durch seine Textmengen". Zusammen mit "der Nervosität Mirco Kreibichs" ergäben sich "Pas-De-Deux von großer Ästhetik, denen man überwältigt zusehen kann". Hans Kremer setze als "rücksichtsloser Familien-Macht-Mensch" mit "cooler Härte und schneidender Konsequenz" den wunderbar befeuernden Gegensatz. Auch Theurich erklärt, wie schon Klaus Witzeling im Hamburger Abendblatt, die Konfrontation zwischen Posa und Philipp zum Höhepunkt des Abends. Um diese "schauspielerische Hochleistungen" würden die übrigen Rollen zu "guten, aber nur flankierenden Figuren". Die Bühne von Florian Lösche sei ein "ideales Konstrukt, das mit seiner Flexibilität und Schlüssigkeit zur Klarheit der Inszenierung entscheidend beiträgt". Frenetischer Beifall für alle Beteiligten.

"Bravourös und hochaktuell" findet Stefan Grund auf Welt Online (24.1.2011) Jette Steckels Inszenierung. Ein "exquisites Ensemble" adele die "wunderschön gesprochene und so ergreifend wie elegant erzählte" Tragödie. Das "monumentale Palastbühnenbild" von Florian Lösche zeige mit Leder gepolsterte Wände als "mächtige königliche Scheuklappen". Das "Schauspieler-Theater", das sich auf dieser Bühne abspielt, "könnte global jedes Business-Meeting und jeden Staatsempfang bereichern". Mirco Kreibich stelle durch seine Körperhaltung sofort klar: "Dieser Don Carlos ist als Kronprinz hoffnungslos überfordert." Der bleiche König Kremer sei "in jeder Faser vampiresker Herrscher". Umwerfend gelinge der Dialog zwischen ihm und Jens Harzer, der als Posa Gedankenfreiheit fordert. "Szenenapplaus". Bei diesem Posa lasse sich "leichte Unsicherheit am marottenhaften Biss auf den Daumen ablesen". Das Publikum erhebe sich nach knapp vier Stunden aus den Sitzen, dankbar "für die Aufmerksamkeit, die dieser erfüllende Schiller-Abend ihm abverlangt hat".

"Der mit 28 Jahren noch sehr jungen Regisseurin gelingt das Kunststück, dem Schillerschen Drama seine textmassige Monumentalität und seine ureigensten Klassiker-Qualitäten respektvoll zu belassen", schreibt Christine Dössel (Süddeutsche Zeitung, 25.1.2011): "Es gibt da bei aller spielerischen Lust keine billigen Aktualisierungen, Verkürzungen, Überrumpelungen, überhaupt keine blöden Impro-Mätzchen". Dennoch wirke dieser "Don Carlos" dabei "ganz leicht, lässig und verständlich, fast beiläufig, wie ein Stück aus unserer Zeit daherkommen zu lassen". Ihr stehe dafür "ein Ensemble aus absolut großartigen Schauspielern zur Verfügung", man verlasse das Theater und wisse wieder, "warum man dieses (doch noch) liebt". Aus Posa werde hier ein "sehr heutiger Aufklärer, Denker und Aufdecker von Staatsgeheimnissen à la Assange, und zwar, ohne dass sich der fabelhafte Jens Harzer deswegen verrenken oder gar den umstrittenen Wikileaks-Helden zitieren oder imitieren müsste".

Posa trete an diesem Abend "als lässig durchironisierter Projektemacher auf. Gedankenfreiheit? Eine fixe Idee, kein Ideal", schreibt Dirk Pilz (Berliner Zeitung, 25.1.2011). "Was er bei Schiller am Anfang und dann immer weniger ist, wird er in der Inszenierung von Jette Steckel erst langsam und dann immer mehr: ein idealischer Missionar für das bessere Morgen, ein feuriger Verfechter der Freiheit." Posa sei der "Mittel- und Fluchtpunkt" des Abends. Und Assange sei, so suggeriere die Inszenierung, "der Posa der Stunde. (...) Interessanter Gedanke, diese Analogie. Steckel deutet sie gottlob nur an. Auch das ist Gedankenfreiheit: den Zuschauer nicht zu einer Deutung zwingen zu wollen."

Man könne, schreibt Volker Corsten (FAZ, 26.1.2011), in diesem Posa einen seiner frühen Verwandten von Julian Assange sehen, und zwar ohne dass "der herausragende Jens Harzer" es darauf anlegt. "Das klingt auf den ersten Blick arg gegenwartsranschmeißerisch – und ist natürlich schmeichelhaft für Assange. Es hat in der Inszenierung von Jette Steckel (...) aber Sinn. Denn die Worte von Assange dienen nur als eine Art Anker". Sie richteten den Blick darauf, dass sich die entscheidenden Fragen "nicht wirklich geändert haben: Wie kann man die Welt verändern, was macht dieser Wunsch (oder sein Scheitern) aus den Menschen, was ist der Preis für die Veränderung (oder sein Scheitern), und wer will und kann den bezahlen?"

"Starke Augenblicke: ja. Aber ein mitreißender Abend wird letztlich nicht daraus. Vielleicht stand ja ein bisschen zu fett das Motto drüber: Gebt die Wahrheit frei über den Zustand der Welt – sie ist nicht mehr zu retten! Mag sein. Aber wenn alles so klar ist - woher soll der große Atem denn noch kommen: für den Aufstand, für das Theater?", fragt hingegen Michael Laages (Deutschlandfunk, 23.1.2011). Die Worte von Julian Assange zu Beginn der Inszenierung "künden vom Recht auf Wahrheit". Das möge "spekulativ im Übermaß finden, wer will", aber so sehen "viele jüngere Regie-Talente, vor Jahresfrist auch schon Roger Vontobel mit demselben Text in Dresden, tatsächlich Schillers fundamentalen Anspruch, ein freier Radikaler zu sein". Die Schwäche der Inszenierung sei der "unordentlich angerührte Zitatensalat aus allen möglichen Manierismen aus dem Mainstream der Moderne." Sie ist "stark vor allem im Augenblick, auch dank der sich doppelt drehenden Bühne", darin agiere ein "weithin starkes Ensemble".

Der "Zugriff, das Machtsystem in den Mittelpunkt zu stellen, ist einleuchtend", meint Klaus Irler (taz, 26.1.2011). Ebenso verständlich sei der Einstieg "mit einem an Kurt Cobain erinnernden Don Carlos". Alles das bilde in der Summe einen furiosen Auftakt. "Aber dann: kommt nur noch Schiller." Jette Steckel habe den Text "nach Kräften (...) gekürzt, sie hat die Satzkonstruktionen vereinfacht und ihren durchweg großartigen Schauspielern die Freiheit gelassen, auch mal ein paar heutige Sprachgesten einzubauen". Grundsätzlich aber nehme sie den Text sehr ernst und inszeniere das Pathos, das in ihm steckt. Steckel wolle "den Schiller ehren und gleichzeitig Brücken in die Gegenwart schlagen". Und das gelinge ihr auch: "Es ist eine Inszenierung, auf die sich viele Menschen werden einigen können. Was in dieser Inszenierung aber nicht steckt, das ist ein Wagnis. Es gibt ein handwerklich hohes Niveau, aber kein Abenteuer."

 

Kommentare  
Don Carlos, Hamburg: toller Abend, tolle Akteure
Ich kann mich der Kritik nur anschließen. Ein toller, kraftvoller Abend mit tollen Akteuren. Der Weg von Berlin nach HH hat sich gelohnt.
Don Carlos, Hamburg: unausgeschöpftes Anfangszitat
Der Weg aus Frankfurt hat sich nur bedingt gelohnt! Zu langatmig, zu ausufernd und die starke politische Grundierung durch das Anfangszitat blieb vollkommen unausgeschöpft. Harzer war großartig, Kremer deutlich unterhalb seiner Möglichkeiten. Aber großes Lob für die Proxemik und die Bedeutungsproduktion der Bühnenmaschinerie.
Don Carlos, Hamburg: das soll toll sein?
Ach, mit was man sich heute schon alles zufrieden gibt und was ganz schnell zu einem "großen" Abend wird... Für mich war´s allemal Mittelmaß. Einige sehr schöne, gute und starke Szenen (Carlos+Eboli / Philipp+Posa) und viele schwache bis sehr schwache Stellen. Ein Carlos, der nur pubertär-infantil ist und bleibt - gibt es da nicht noch andere Dimensionen. Ein Faxen-Kasper ohne differenzierte Hand einer Personenführung der Regie. Was bitte ist es oder soll es sein, dass Elisabeth an ihm liebt oder Eboli?? Sein permanent-penetrantes Rumkaspern nervt a la longue. Und merkt denn keiner, dass Herr Harzer eine Eins-zu-eins-Kopie von Michael Mertens´ Sprechweise abliefert? Entweder hat Frau Steckel oder Herr Harzer selbst diese Art zu sprechen einfach nur abgekupfert. Sicher, die Szene zwischen ihm und Philipp ist ungemein stark. Aber sein über die Aufführung gleichbleibender Ton, die nuschelig-nölige Sprechweise erhält keine Differenzierung und nutzt sich im Lauf des Abends ab. Natürlich muss auch wieder eine Toilette aufgestellt sein, in die gepinkelt wird oder auch daneben gepinkelt wird. Ohne Einsatz irgendwelcher Körperflüssigkeiten geht anscheinend gar nichts mehr. Und wenn Elisabeth einen hysterischen Anfall bekommt und dreimal hintereinander gegen die Wand läuft kann man nur noch gähnen und man denkt: wann - bitte WANN - hören diese seit langer, langer Zeit so überstrapazierten Regiezutaten endlich mal auf?? Dass die beiden Damen E + E ein Grillhähnchen vom nächsten Imbiss fressen, hysterisch in sich hineinstopfen und wieder auf den Boden oder gegen die Wand auskotzen zeigt für mich nur, wie schwach eine Regie ist, die es nicht versteht, subtiler zu arbeiten und brav weiterhin zu den inzwischen so abgenutzten Mitteln des seit Jahren permanent gleichbleibenden lauten, grellen, hysterisch-überdrehten Jungregietheaters zu greifen. Eine klavierspielende Elisabeth die das Thema aus LOVE STORY vor sich hin klimpert und zwischen durch nen ordentlichen Schluck aus der Rotweinbuddel nimmt: wie flach! GÄHN! Und das Tollste kommt zum Schluss: die Inquisition: ein Mann aus dem Volk??? Ein Mann aus dem Theater-Publikum? Ein Staatsoberhaupt, dass einem Mann aus dem Volk, das "Seinige" zu tun erlaubt, der dann mal eben zu den Personen, die neben ihm in seiner Parkett-Reihe sitzen sagt: Lassen Sie mich bitte mal eben hier aus der Reihe gehen, stehen Sie doch bitte mal eben auf, ich muss mal eben auf die Bühne. Und kaum auf der Bühne angekommen, werden Elisabeth und Carlos abgeknallt!? Das soll toll sein? Das alles soll ein großer Abend sein. Ach Gott, armes Hamburg - armes Publikum - mit was man sich hier schnell zufrieden gibt!
Don Carlos, Hamburg: hysterische Euphorie

Diese hysterische Euphorie quer durch die Presse ist mir auch so was von unbegreiflich, wo dieser Abend sich in keiner Weise von den Schwächen abhebt, die bisherige Inszenierungen von Jette Steckel auch schon hatten. Zum Beispiel immer dieser völlig unnötige Einsatz von nichtssagender Musik wie beim ersten Auftritt Philips oder dieses Flamenco-Gehampel der Eboli auf Volkhochschul-Niveau.
Eine Bühne, die sich unter wallendem Theaternebel dreht und dreht - und sich doch immer wieder zum selben langweiligen, da völlig undetaillierten Bunker-Raum zurück"verwandelt".
Dann dieses Mal neu: peinliche Schattengespiele à la kleine Eboli, großer Carlos an der Wand = keine Gefahr, riesengroße Eboli, kleiner Carlos an der Wand = Achtung! Jetzt wird's gefährlich.

Dann kann ich in dem nöligen Genuschel und prätentiösem Neben-Sich-Stehen Jens Harzers keinesfalls eine genialische Schauspielleistung sehen, als vielmehr einen Darsteller, der sich mittlerweile eine "One size fits all"-Haltung zugelegt hat, die dann mal Astrow oder eben Posa heißt. (Wo bleibt der Regisseur, der ihn mal packt, wachrüttelt und einen ehrlichen Tonfall entdeckt?)

Es geht ja gar nicht mehr drum, dem Text zu trauen, ihn zu leben. Sich wirklich in eine Figur, in ihre Sprache hineinzufinden. Jedes "Häh?", "Nee, oder!", das sich zwischen den Schiller pressen läßt, wird vom Publikum dankbar belacht - endlich sprechen die oben mal wie wir. Da muss man dann Julian Assange zitieren, den Carlos am Anfang den Text NICHT sprechen lassen um seine Ablehnung zu zeigen oder Facebook-Fotos an die Wand fächern. Das zeigt doch aber letztendlich nur die Distanz, die das Team gegenüber dem Text hat und ihn nie überwinden kann. (Das wär überhaupt kein Problem, wenn man sich dieser Unsicherheit nicht mit dieser pseudo-coolen, welterklärerischen Art stellen würde, sondern sie offen zeigte).


Sorry, ich fand das unsäglich langweilig...
Don Carlos, Hamburg: bis auf die letzte Viertelstunde langweilig
schließe mich meinem Vorredner teilweise an - über weite Strecken wirklich und leider strunzenlangweilig - trotz tollem bühnenbild und tollen schauspielern (Jens Harzer war allerdings einen Abend früher in "Was ihr wollt" um Längen besser).
Allerdings: die letzte Viertelstunde gehört zum besten, was ich jemals auf deutschen Bühnen sah!!!!
Mein Tipp: einfach erst zur Pause kommen oder nochmal Jette Steckels wirklich über die ganze Länge großartige Woyzeck-Inszenierung genießen.
Don Carlos, Hamburg: tolerantes Publikum
Mit voller Zustimmung schließe auch ich mich meninen letzten vier Vorrednern an.
Ein Glück, dass das Publikum in Hamburg gestern so tolerant geblieben ist.
Don Carlos, Hamburg: Jens Harzer lacht seinen Posa aus
Offensichtlich ist der kritische Verstand der Ottonormalverbraucher die hier ihre Kommentare abgaben, weit kompetenter als der der ach so gütigen Kritiker der renommierten Zeitungen. Die Aufführung des "Don Carlos" am 12. September war eher eine Folter als alles andere. Jemand sagte mal, "90 Prozent dessen was im Theater zu sehen ist, ist Müll", inwiefern dies wahr ist, mag etwas schwanken, jedoch, für jemand der Don Carlos schonmal gelesen und auch schonmal aufgeführt gesehen hat, ist klar das der Sinn der Geschichte und Schillers Ideen vollkommen vergewaltigt wurden. Jens Harzer, der mir im Prinzip als kompetenter Schauspieler scheint, lacht seine Figur, den Posa, auf schandhafte Weise aus. Posa ist DIE Figur im ganzen Stück, die (wenn jemand) ein gutes Herz, Grundsätze und Ideale hat, er sie hat und er macht einen Heuchler und hinterhältigen Drecksack aus ihm. Dazu wird Don Carlos von einem Menschen gespielt, der es nicht versteht eine Figur zu bauen, der einen immerzu anfassen und abknutschen und umarmen muss, als seien all seine Figuren schwul. Seine Weinerlichkeit die auch ein konstantes Element in "Wie ihr wollt" ist. Und ist die Heiserkeit ein konstantes Faktotum?

Und dann diese kurze Anspielung, von Harzer, auf "Wie ihr wollt"! Ja gut, ganz witzig für ein Moment, aber auch nicht. Im Theater geht es doch nicht drum hübsch und schön auf der Bühne auszusehen, und Witzig gerade weil man mal kann, das kann man sich bei der Derniere mal erlauben. Es geht doch darum etwas zu erzählen, etwas zu vermitteln und daß, ist die Aussage des Stückes! Und wurde die respektiert? Ich glaube nicht. Und so wurden auch Schiller und sein Werk nicht respektiert.
Zugegeben, wir Deutschen sind schon sehr gut dabei wenn es ums kritisieren geht, das hat man ja nach 60 Jahren Kritik gelernt. Aber, es ist leicht zu sehen das die Inszenierung nicht groß durchdacht war. Die Bühne war das interessanteste, aber eigentlich, wenn das Schauspiel gut ist und auch die Regie, dann bedarf es doch schon fast keines Bühnenbildes mehr, weil das Schauspiel und die Thematik einen schon in den Bann ziehen. Aber Grundloses rumgelaufe und rumgebrülle ist doch nicht interessant. In der Ruhe liegt die Kraft, besonders im Schauspiel.
Warum gibt es so viele Leute die einfach nur innovativ sein wollen? Was bringt es wenn dadurch die Interpretation darunter leidet?! Theater wurde als kulturelles Medium der Aufklärung geschaffen, warum artet es in diese billige unterhaltungs und Zeitvertreibs Fabrikation aus?

Zum Ende möchte ich aber doch gesagt haben, das es gut ist auch schlechte Vorstellungen zu sehen, denn wie weiß man sonst was eine Gute ist und nur so kann man auch was davon lernen, also doch keine komplett verschwendete Zeit.
Don Carlos, Hamburg: Harzers Posa ist kein Drecksack
@ L:
Warum wollen Sie eine fertige Interpretation als Aussage des Stückes präsentiert bekommen? Geht’s noch alleine mit dem Denken? Jette Steckel macht keinen Drecksack aus Posa, sondern eine ambivalente Figur im Machtgefüge, da scheinen Sie was missverstanden zu haben. Die Welt hat sich seit der Aufklärung etwas weiter gedreht, aber die Politik bleibt ein dreckiges Geschäft.
Don Carlos, Hamburg: Politik
Politik? Man erlaube mir:
Du ahnst nicht, mein Sohn, mit wie wenig Verstand die Welt regiert wird.

Reformen kommen immer von den Benachteiligten. Wer vier Asse in der Hand hat, verlangt nicht, dass neu gegeben wird.

Der Nachteil der Demokratie ist, dass sie denjenigen, die es ehrlich mit ihr meinen, die Hände bindet. Aber denen, die es nicht
ehrlich meinen, ermöglicht sie fast alles.

Freiheit existiert nur, wenn Ordnung da ist und nicht, wenn Ordnung
zerstört ist.

Politische Macht zu behalten, ist viel schwerer, als eine Wahl zu
gewinnen.

Welchen Spruch sollte man wählen unter all den Sprüchen (aus der Kiste) über Politik? Oder sollte man alle annehmen nach:
... aber die Politik bleibt ein dreckiges Geschäft.
Don Carlos, Hamburg: ernsthaft diskutieren?
@ Nahfetz
Wollen Sie mir damit jetzt etwa Phrasendrescherei unterstellen oder ernsthaft über Demokratie und Realpolitik diskutieren.
Don Carlos, Hamburg: der zeitlose Gehalt
@ Stefan: Eine fertige Interpretation? Hm?! Hat keiner von gesprochen, außer Ihnen. Doch, es ist war das ein Standpunkt, eine soziale, psychologische und auch eine politische Haltung gezeigt werden muss und so wie ein Stück, sei es für das Theater oder Film, muss es einen Bogen haben und im 3/4 ein Veränderung im Denken des Protagonisten (Krise und Klimax zu erleben). Die Figur muss im Rahmen eines bestimmten Denkens und Handelns beleihen, sonst hört das Stück, die Geschichte auf Sinn zu machen.
Nehmen wir Shakespeares Hamlet, oder Schillers Don Karlos oder Posa, oder Ibsens Brand. Es sind Zeitlose Stücke. Die Aussage kann man immer auf die heutigen Geschehnisse übertragen, das machte sie zu Genies! Die Figuren haben alle einen bestimmten Platz im Stück, sie ERGÄNZEN sich gegenseitig. Ändert man willkürlich die psychologische Haltung einer Figur im Stück, ändert man auch die Aussage, und in einem Fall wie diesem, kann eine Arrythmie zustande kommen, die nicht in das Stück gehört und so alles kaputt macht. Es ist wie eine Sternkonstellation, verändert oder gar verschwindet einer der bedeutenden Sterne, ist ein Bild kaputt.
Und nur dadurch dass ich GEDACHT habe, bin ich darauf gekommen, dass was dort stattgefunden hat, falsch ist oder zumindest nicht dem entspricht, und das bei weitem, was Schillers Aussage war und immer noch ist.
Mir scheint, Sie haben da was nicht durchdacht und mir nur leichte Paraphrasierung entgegenkommen lassen.

Und doch, Posa bleibt weiterhin ein Drecksack, der aus ihm gemacht wurde und der er eigentlich nicht zu sein hat.
Don Carlos, Hamburg: kleine Korrektur
@7: Das Stück heißt "Was ihr wollt".
Don Carlos, HH: Knute=Propaganda
In Diktaturen hält man die Knute bereit, um Widerspenstige zu zähmen.
In freieren Gesellschaften benutzt man dazu die Propaganda.
Sie ist für die Demokratie, was für die Diktatur die Knute.
Don Carlos, Hamburg: Unterschied zwischen Propagnda und Knute
@ Comesky
Was bitte schafft die Propaganda im Unterschied zur Knute? Beide werden doch zum Gefügigmachen benutzt. Das ist wie Zuckerbrot und Peitsche. Propaganda benutzt man nicht für Widerspenstige, es sei denn es gibt schon wieder Umerziehungslager, sondern fürs breite Volk und da unterscheiden sich Diktatur und Demokratie tatsächlich nicht all zu sehr voneinander. Es kommt oft nur auf die richtige Wortwahl an, die Grenze zwischen Verschleierung und konkreter Lüge ist schmal und Propaganda auch nur ein Schlagwort.
Don Carlos, Hamburg: wiederentdeckter Zweifel
zu 7. und 11.:

Was Sie zu dieser Inszenierung geschrieben haben, erscheint mir doch zu schlicht.

Jette Steckel und (ihre Dramaturgin) Susanne Meister haben Schiller offenbar sehr genau gelesen. Und (wieder-)entdeckt haben sie neben Schillers Plädoyer für (Gewissens- und Geistes-) Freiheit eben auch dessen aufkommende Zweifel und Enttäuschungen. So wie Schiller, klarsichtig, eben nicht dem Versuch erlag, mit dem Posa einen glorifizierbaren, von Affekten freien Typus zu erschaffen, sondern eine komplexe unverwechselbare (Kunst-)Figur, so differenziert entwickelt Jens Harzer „seinen“ Posa über die mehr als drei Stunden währende Aufführung. (Zumindest tat er das am vergangenen Sonntagnachmittag.) Die anfängliche Überheblichkeit eines sozial und geistig freien, unabhängigen, aber durchaus planvollen Menschen wird erschüttert durch die Widerbegegnung mit seinem Gefährten aus Jugendtagen, den er emotional, psychisch und in seiner Moral zerstört findet. Karlos steht allein da. Krank. Unfähig einen wirklichen Ausweg aus seiner Situation zu finden. Später wird es noch deutlicher: Karlos ist zu einer Flipper-Kugel geworden ist, die rasend, gestoßen, verstoßen immer wieder nur in ein dunkles Loch fallen kann. Wie Mirko Kreibich sich aufbäumt, jedem mit der Hoffnung gehalten zu werden, in die Arme fällt, wie sein (scheinbar) unverhältnismäßiges Spiel, seine verwuschelten Haare, die Posa/Harzer mehr als einmal in eine Ordnung zu bringen sucht, seine Heiserkeit (hinter der die Kraft in der Stimme aber nie wirklich verblasst), wie achtlos er gekleidet ist - all das und mehr zeugt von der inneren Zerrissenheit des Karlos, den Schiller sehr bewußt Hamlet spiegeln läßt.
Zu erleben war, wie Jens Harzer den Posa nach einem Weg suchen läßt, Karlos wieder den „löwenkühnen Jüngling“ werden zu lassen, der die geistige Freiheit für Flandern, für Spanien (als Sinnbild für die gesamte Menschheit) erstreiten könnte. Und das ist das zu große Unterfangen. Posa selbst verstrickt sich darin, gleichzeitig den Freund zu retten und sein Ideal für ein „kommendes, befreites Menschengeschlecht“ durchzusetzen. So deutlich, wie er in dieser Inszenierung im Gespräch mit Philipp (Dritter Akt. Zehnter Auftritt) erst daran zweifelt, beim König Gehör zu finden (und zwar so wie es Schiller wollte, aus Überheblichkeit), und dann erstaunt ist, über die neuen Möglichkeiten die ihm die Offerte des Königs ermöglicht, habe ich das in den letzten fünfzehn Jahren in keiner deutschsprachigen „Don-Karlos“-Inszenierung gesehen. Wenn er jetzt im Folgenden wieder zu dem idealistischen Schwärmer wird, zu einem leidenschaftlichen Verfechter seiner Ideen, die er in seiner frühesten Jugendzeit entwickelte, dann muß die Freundschaft zu Karlos hinten anstehen. Denn er würde all sein Denken verraten, täte er das nicht. Betrachtet man es übrigens genau, dann ist es schon damals Karlos gewesen, der die freundschaftliche Nähe zu Posa suchte, nicht nur wegen dessen Ideen. Und das aber Karlos ebenso wie Posa für eben diese Ideen erglühte, ist das Echo, das Posa sucht. Gleichzeitig glaubt er, in Karlos das „Werkzeug“ für die Umsetzung seiner Ideen gefunden zu haben und muß trotz aller Anstrengung die er unternimmt, den „Freund“ wieder zum „Fürstensohn“ aufzurichten, scheitern. Und Jens Harzer spielt sehr klar, wenn er mit den Worten

„Warum
Dem Schlafenden die Wetterwolke zeigen,
Die über seinem Scheitel hängt? – Genug,
Daß ich sie still an dir vorüber führe
Und, wenn du aufwachst, heller Himmel ist.“

wieder einmal Mirko Kreibich die Haare aus der Stirn streicht, daß er „seinen“ Posa nicht scheitern lassen will. Das ist ein tiefes Verständnis für diese Figur, dem man m.E. nur mit sehr viel Aufmerksamkeit begegnen kann.

Die Schwächen die diese Inszenierung hier und da hat, und es sind wenige, kann man m. E. der Jugend Jette Steckels anrechnen. Sollte sie es tun, in zehn Jahren, vielleicht auch schon in fünf, den „Karlos“ nochmal zu inszenieren, ich bin mir sicher, daß das, was jetzt schon groß ist, wäre dann große Kunst. Das Verständnis hat sie jetzt schon alle Mal dafür.
Don Carlos, Hamburg: Papstbesuch + Großinquisitor
Die Rede des Papstes jüngst im Deutschen Bundestag und er letzte kurze, aber sehr genau gemessene Auftritt André Szymanskis als Großinquisitor mag die Frage Michael Laages im Deutschlandfunk zu dem vom ihm vermuteten Motto dieser Inszenierung: "Aber wenn alles so klar ist - woher soll der große Atem denn noch kommen: für den Aufstand, für das Theater?" berechtigt erscheinen lassen. Schaut man aber auf die Rückseite des Programmheftes, dann findet man ein anderes Motto unter dem diese Inszenierung sehr klar steht: "Das einzige, was ein Kunstwek kann, ist Sehnsucht wecken nach einem anderen Zustand der Welt. Und diese Sehnsucht ist revolutionär." Heiner Müller.
Don Carlos, Hamburg: Denkraum eröffnet?
@ Stefan: Frage: Ist Ihre Aussage "Politik bleibt ein dreckiges Geschäft" rein affirmativ gemeint? Oder ist sie dazu gedacht, einen Denkraum zu eröffnen, Widersprüche aufzumachen und diese zu diskutieren? Wäre Ihre Aussage eine reine Phrase, müsste man nämlich nur noch hinzufügen: Und basta! Und schon wäre die Gedanken- und/oder Glaubensfreiheit nicht mehr gegeben. In solchen Verhältnissen möchte ICH nicht leben.
Don Carlos, Thalia Digital: Qualität wird deutlich
Mirco Kreibich war wohl noch nie so nah an Kurt Cobain wie in dieser Titelrolle. Mit den langen, blonden Strähnen, der sportlich-drahtigen Figur und den zugleich melancholischen, aber sehr wachen Augen haben die beiden ohnehin eine große Ähnlichkeit. An diesem Abend spielt Kreibich dies voll aus und schaltet blitzschnell zwischen jugendichem Übermut, Rebellentum und trauerumflortem Weltschmerz um. Allein seine Performance, die mit dem Boy Gobert-Preis der Körber-Stiftung für Nachwuchskünstler ausgezeichnet wurde, macht den Abend schon zum Ereignis.

An seiner Seite hat Jens Harzer einen großen Auftritt als intellektuell abgeklärter, raffiniert die Strippen ziehender Marquis Posa, der die anderen Figuren mit seinen Schachzügen vor sich hertreibt und sein berühmtes Plädoyer für Gedankenfreiheit und gegen autoritäre Friedhofsruhe hält. Der Iffland-Ring-Träger wurde damals zum zweiten Mal zum Schauspieler des Jahres gekürt.

Erstaunlich souverän hielt die damals erst 28 Jahre junge Jette Steckel die Fäden dieses mit fast vier Stunden sehr langen Abends zusammen. Die komplexe Handlung voller Intrigen und abgefangener Briefe des Schiller-Klassikers fordert seinem Publikum einiges ab. Sie hält jedoch geschickt die Balance zwischen den pathetischen Jamben und den locker-flockigen Sprüchen, mit denen Kreibich und Harzer sich immer wieder necken und kurz aus der Rolle heraustreten, ohne den Ernst des Dramas zu verraten.

In der arte/NDR-Aufzeichnung kommt das Raumkonzept von Steckels langjährigem Bühnenbild-Partner Florian Lösche, das in einigen Premierenkritiken besonders gelobt wurde, nicht so gut zur Geltung. Dennoch wird auch auf dem Bildschirm die Qualität dieser Inszenierung deutlich, die damals in Hamburg mit dem Rolf Mares-Preis für eine der drei herausragendsten Arbeiten des Jahres ausgezeichnet wurde.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2020/04/18/don-carlos-jette-steckel-thalia-theater-hamburg-kritik/
Kommentar schreiben