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Li-hie-bes-Slapstick an Philosophiegeschnetzeltem

von Elena Philipp

Potsdam, 28. Januar 2011. Unbedingte, romantische Liebe. Hach! Ihr Idealbild: Romeo und Julia. Ein katholischer One-Night-Stand mit vorheriger Hochzeit, befindet der Schauspieler und Regisseur Bruno Cathomas; als reines, großes Wahngefühl leider nicht alltagsfähig, und so konfrontiert er Shakespeares Tragödie bei seiner zweiten Inszenierung in Potsdam mit dem Konzept der Liebe im Zeitenwandel. Die Zitate, von Pater Lorenzo (René Schwittay) frontal ins Publikum gesprochen, reichen vom Korintherbrief bis zu Roland Barthes und Richard David Precht, vom Verlust des natürlichen Einsseins durch die Vertreibung aus dem Paradies bis hin zu den miesen kleinen Beziehungsproblemen von Heute: "Vielleicht kommen Sie noch mit rauf und wir nehmen einen Drink?"

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©HL Böhme

Recht beliebig eingestreut wirken die philosophischen Fundstücke, doch als behutsame Öffnung zum Jetzt bei gleichzeitigem Abspulen von Shakespeares' gut gebautem Liebeskrimi' (Cathomas) gewinnt die Idee am Ende des Abends eine gewisse Schlüssigkeit. Doch dazu später.

Der Pater zieht zischend ein Bier

Erst einmal zum Setting: Auf der Bühne des Hans Otto Theaters ist Kunstrasen ausgerollt, die linke Seite zum Portal hin leicht aufgehügelt. Romeos Kumpane, Mercutio (Holger Bülow) und Benvolio (Florian Schmidtke), rutschen und rollen jauchzend den Abhang hinunter; Julia (Juliane Götz) versagen die Knie und sie gleitet auf dem abschüssigen Rasen aus, als sie Romeo tot wähnt.

Rechts ist Lorenzos Klause aufgebaut, ein Lager aus Büchern und Decken, über dem Bierdosen, Lautsprecher und Madonnenfiguren hängen wie Votivgaben. Schwittay – sofern er nicht auftritt - sitzt dort als Beobachter der Liebeswirren, vom Einlass bis zum Ende des dreistündigen Abends, und zieht sich ab und an zischend ein Bier. Eine zweite Spielebene bietet die aquäduktähnliche Wand aus Betonpfeilern im Bühnenmittelgrund. Balkonszenen und Mauerschauen sind in dieser Konstruktion prächtig zu bewältigen: eine oben, einer unten, fertig ist die Fallhöhe.

Cathomas setzt auf Pathos, und gelegentlich droht der Absturz: Als Julia von Romeos Verbannung - oder Tod? - erfährt, lässt nicht nur die Amme (Meike Finck) Shakespeares Liebende grausam lang im Ungewissen, sondern auch Cathomas seine Hauptdarstellerin gefühlte Minuten an einem rauhen Schluchzen würgen. Der Szene ihres Scheintods hätte ebenfalls Kürzung vertragen, wie die Inszenierung insgesamt. Doch die erst 23-jährige Juliane Götz, die mit der Rolle über das Junge Theater hinauswächst, ist eine so fragile, fröhliche und frank-freie Julia, dass diese Längen schnell vergessen sind.

Papa Capulet tritt Betonpfeiler ein

Leider ist ihr Romeo (Eddie Irle) eine Enttäuschung. Weil aber die Kindfrau Julia im Zentrum dieser Inszenierung steht, als einzig unschuldig Liebende, fällt es nicht weiter auf, dass Romeo nicht auffällt. Ohnehin weiß Cathomas mit den den schauspielerischen Schwächen seiner Darsteller geschickt umzugehen. Physischer Aktionismus und groteske Überzeichnung ersetzen im Notfall nuancierten Ausdruck. Das Ehepaar Capulet etwa bietet eine Karikatur der jungen, unschuldigen Liebe, ein Zerrbild der möglichen Zukunft. Mama Capulet (Elzemarieke de Vos) ist eine hysterische Ziege, die dem Brautbewerber ihrer Tochter nachstellt und dabei kiekst und druckst wie eine gealterte Ewigjunge. Julia tritt diesem Nervenbündel entschieden entgegen: "Mutter, wirklich!", aber ihrem wutschnaubenden Papa (Wolfgang Vogler) ist sie ausgeliefert. Mit Paris (Jan Dose) will er sie verheiraten, dabei ist sie doch insgeheim mit dem Hausfeind Romeo Montague vermählt. Ein "Nein" akzeptiert der gerne in Ballettposen verharrende Vater nicht: "Hunger, bettel, stirb im Straßendreck" steigert er sich in Raserei und tritt mal eben einen Betonpfeiler ein. Erschrecktes Japsen im Parkett.

Und sehsuchtsvoll zittert der Tango

Die derbe Komik kommt an. Für seine freud'sche Scat-Performance ("Frauen, Freuden, Häuser, äh Freuden") erntet Vogler Szenenapplaus – nicht den einzigen an diesem Abend. Auch Holger Bülows quecksilbrig irrlichternder Mercutio findet Anerkennung. Knallchargentum bedeutet nicht pauschal schwache Darstellung: Bülow kann eine erstaunliche Bandbreite an Gags abspulen, von Möbi, der Fliege mit Kermit-Stimme, über das affektiert mit der Skimütze wackelnde Shoppingopfer bis zum heulenden Kleinkind, das mit dem Schurken Tybalt (Simon Brusis) in ein Wettrüsten eintritt. Auch bei Mercutios tragischem Hinscheiden hält er die Spannung.

Leicht und locker tragen Cathomas' Regieeinfälle den Zuschauer von einer Szene in die nächste. Auch der Schluss ist gut gesetzt: Romeo und Julia sterben angenehm zurückgenommen, und die fürstliche Anklage an die verfeindeten Häuser ist gestrichen. In seinem Epilog sampelt René Schwittay Ausschnitte aus Lorenzos Botenbericht mit der Schilderung einer verunglückten Beziehung: "Wir haben uns kennengelernt und getrennt in dreißig Sekunden", stottert er. Die Liebeswirren enden mit Schwittay als Liebesirrem, der sich "sacht in ein Stück Dreck" zu verwandeln droht. Sanft ist man im Heute angekommen. Es reicht dann aber auch. Genug Liebesszenen, die mit sehnsuchtsvoll zitterndem Tango zugeseift sind, genug überdrehte Akrobatik. Genug "L-l-l-l-iebe". Für Heute.


Romeo und Julia
von William Shakespeare (deutsch von Frank Günther)
Regie: Bruno Cathomas, Bühne: Thomas Giger, Kostüme: Elke von Sivers. Dramaturgie: Ramsi Al Khalisi.
Mit: Simon Brusis, Holger Bülow, Jan Dose, Meike Finck, Juliane Götz, Eddie Irle, Florian Schmidtke, René Schwittay, Wolfgang Vogler, Elzemarieke de Vos.

www.hansottotheater.de

 

Alles über Bruno Cathomas auf nachtkritik.de im Lexikon.

 

Kritikenrundschau

"Humor und Pathos dieser Inszenierung schrecken vor keiner Geschmacksgrenze zurück", stellt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung fest (31.1.2011). Bruno Cathomas sei "eine Koryphäe in der Seelenausbruchskunde. Bei ihm gibt es nur eine Regieanweisung: Trau dich! Er ist kein Mann des Konzepts oder der Dramaturgie. Dennoch möchte man jedem Stadttheater aus ensemblehygienischen Gründen solche Abflussfrei-Kur empfehlen. Weg mit aller Routine, raus auf die Bühne mit dem Seelendreck." Seidler fasst schließlich alles in einem Wort zusammen: "Wunderbar!"

"Wird im ersten Teil noch viel herum gefaselt (...), so verdichtet sich der Abend nach der Pause immer mehr zu einer bilderstarken Tragödie, gerade bei den mit Klischees beladenen Szenen, wie dem Liebes-Erleben und dem Tod des jungen Paares", schreibt Klaus Büstrin in den Potsdamer Neuesten Nachrichten (30.1.2011). "Doch die hierbei eingespielte softige Musik macht das Ganze leider nur zu einer nett-traurigen Lovestory: Hollywood lässt grüßen. Cathomas vertraut dabei wohl zu wenig dem Wort. Der romantische Zauber, der natürlich auch sein darf, verkommt zu einem Schmachtfetzen."

Cathomas schüttele "seinen Klassiker ordentlich durch", raffe und modernisiere ihn, streue Gags und füge ausgiebig Fremdtexte ein, schreibt Christian Rakow in der Märkischen Allgemeinen (31.1.2011). Shakespeare sei bei ihm "mithin als Katapult für Gedankensprünge eingerichtet; fliegen muss der Zuschauer." Doch werde "diese Klassikererkundung ein stimmiger, intimer, ebenso tragischer wie komischer Abend. Denn bei aller Verspieltheit und allem Raffinement im Inszenierungskonzept gelingt Cathomas vor allem eines, das Wichtigste: Er lässt seine Schauspieler wachsen, mitunter über sich hinaus."

Ganz anders Peter-Hans Göpfert in seiner Frühkritik im rbb Kulturradio (29.1.2011): "Cathomas hält sich gerne an die reichlichen Obszönitäten, aber er ist schon, wie wir ihn als Schauspieler kennen, weniger ein Mann der Sprache als der Körperlichkeit. Die vielen Wortspiele und Anzüglichkeiten aus der direkten Textfassung von Frank Günther rauschen hier mit allerlei zusätzlichen Kalauern, schon rein sprechtechisch und akustisch am Ohr vorüber. Stattdessen sind die wenigen Schauspieler unentwegt zu immer neuen Faxen und Mätzchen angehalten." Nichts als Karikaturen sah Göpfert: "Bruno Cathomas hat Shakespeares Tragödie flach-geplättet.

Insgesamt bleibe der Abend flau, findet auch Hartmut Krug in der Märkischen Oderzeitung (31.1.2011): Alle Figuren wirkten nicht wie von innen heraus empfunden und lebendig, sondern wie konstruierte Zitate. Cathomas gehe es "um Grundsätzliches, – um das allgemeine Wesen der Liebe. Doch der Klapp-Klapp-Rhythmus, mit dem Lorenzo dazwischen redend das Geschehen strukturiert, nimmt Shakespeares Geschichte vom wahren Wesen der Liebe viel Atem und Raum. Statt spielerisch Haltungen zu entwickeln, werden munter Erklärungen vorgetragen."

 

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