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Li-hie-bes-Slapstick an Philosophiegeschnetzeltem

von Elena Philipp

Potsdam, 28. Januar 2011. Unbedingte, romantische Liebe. Hach! Ihr Idealbild: Romeo und Julia. Ein katholischer One-Night-Stand mit vorheriger Hochzeit, befindet der Schauspieler und Regisseur Bruno Cathomas; als reines, großes Wahngefühl leider nicht alltagsfähig, und so konfrontiert er Shakespeares Tragödie bei seiner zweiten Inszenierung in Potsdam mit dem Konzept der Liebe im Zeitenwandel. Die Zitate, von Pater Lorenzo (René Schwittay) frontal ins Publikum gesprochen, reichen vom Korintherbrief bis zu Roland Barthes und Richard David Precht, vom Verlust des natürlichen Einsseins durch die Vertreibung aus dem Paradies bis hin zu den miesen kleinen Beziehungsproblemen von Heute: "Vielleicht kommen Sie noch mit rauf und wir nehmen einen Drink?"

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©HL Böhme

Recht beliebig eingestreut wirken die philosophischen Fundstücke, doch als behutsame Öffnung zum Jetzt bei gleichzeitigem Abspulen von Shakespeares' gut gebautem Liebeskrimi' (Cathomas) gewinnt die Idee am Ende des Abends eine gewisse Schlüssigkeit. Doch dazu später.

Der Pater zieht zischend ein Bier

Erst einmal zum Setting: Auf der Bühne des Hans Otto Theaters ist Kunstrasen ausgerollt, die linke Seite zum Portal hin leicht aufgehügelt. Romeos Kumpane, Mercutio (Holger Bülow) und Benvolio (Florian Schmidtke), rutschen und rollen jauchzend den Abhang hinunter; Julia (Juliane Götz) versagen die Knie und sie gleitet auf dem abschüssigen Rasen aus, als sie Romeo tot wähnt.

Rechts ist Lorenzos Klause aufgebaut, ein Lager aus Büchern und Decken, über dem Bierdosen, Lautsprecher und Madonnenfiguren hängen wie Votivgaben. Schwittay – sofern er nicht auftritt - sitzt dort als Beobachter der Liebeswirren, vom Einlass bis zum Ende des dreistündigen Abends, und zieht sich ab und an zischend ein Bier. Eine zweite Spielebene bietet die aquäduktähnliche Wand aus Betonpfeilern im Bühnenmittelgrund. Balkonszenen und Mauerschauen sind in dieser Konstruktion prächtig zu bewältigen: eine oben, einer unten, fertig ist die Fallhöhe.

Cathomas setzt auf Pathos, und gelegentlich droht der Absturz: Als Julia von Romeos Verbannung - oder Tod? - erfährt, lässt nicht nur die Amme (Meike Finck) Shakespeares Liebende grausam lang im Ungewissen, sondern auch Cathomas seine Hauptdarstellerin gefühlte Minuten an einem rauhen Schluchzen würgen. Der Szene ihres Scheintods hätte ebenfalls Kürzung vertragen, wie die Inszenierung insgesamt. Doch die erst 23-jährige Juliane Götz, die mit der Rolle über das Junge Theater hinauswächst, ist eine so fragile, fröhliche und frank-freie Julia, dass diese Längen schnell vergessen sind.

Papa Capulet tritt Betonpfeiler ein

Leider ist ihr Romeo (Eddie Irle) eine Enttäuschung. Weil aber die Kindfrau Julia im Zentrum dieser Inszenierung steht, als einzig unschuldig Liebende, fällt es nicht weiter auf, dass Romeo nicht auffällt. Ohnehin weiß Cathomas mit den den schauspielerischen Schwächen seiner Darsteller geschickt umzugehen. Physischer Aktionismus und groteske Überzeichnung ersetzen im Notfall nuancierten Ausdruck. Das Ehepaar Capulet etwa bietet eine Karikatur der jungen, unschuldigen Liebe, ein Zerrbild der möglichen Zukunft. Mama Capulet (Elzemarieke de Vos) ist eine hysterische Ziege, die dem Brautbewerber ihrer Tochter nachstellt und dabei kiekst und druckst wie eine gealterte Ewigjunge. Julia tritt diesem Nervenbündel entschieden entgegen: "Mutter, wirklich!", aber ihrem wutschnaubenden Papa (Wolfgang Vogler) ist sie ausgeliefert. Mit Paris (Jan Dose) will er sie verheiraten, dabei ist sie doch insgeheim mit dem Hausfeind Romeo Montague vermählt. Ein "Nein" akzeptiert der gerne in Ballettposen verharrende Vater nicht: "Hunger, bettel, stirb im Straßendreck" steigert er sich in Raserei und tritt mal eben einen Betonpfeiler ein. Erschrecktes Japsen im Parkett.

Und sehsuchtsvoll zittert der Tango

Die derbe Komik kommt an. Für seine freud'sche Scat-Performance ("Frauen, Freuden, Häuser, äh Freuden") erntet Vogler Szenenapplaus – nicht den einzigen an diesem Abend. Auch Holger Bülows quecksilbrig irrlichternder Mercutio findet Anerkennung. Knallchargentum bedeutet nicht pauschal schwache Darstellung: Bülow kann eine erstaunliche Bandbreite an Gags abspulen, von Möbi, der Fliege mit Kermit-Stimme, über das affektiert mit der Skimütze wackelnde Shoppingopfer bis zum heulenden Kleinkind, das mit dem Schurken Tybalt (Simon Brusis) in ein Wettrüsten eintritt. Auch bei Mercutios tragischem Hinscheiden hält er die Spannung.

Leicht und locker tragen Cathomas' Regieeinfälle den Zuschauer von einer Szene in die nächste. Auch der Schluss ist gut gesetzt: Romeo und Julia sterben angenehm zurückgenommen, und die fürstliche Anklage an die verfeindeten Häuser ist gestrichen. In seinem Epilog sampelt René Schwittay Ausschnitte aus Lorenzos Botenbericht mit der Schilderung einer verunglückten Beziehung: "Wir haben uns kennengelernt und getrennt in dreißig Sekunden", stottert er. Die Liebeswirren enden mit Schwittay als Liebesirrem, der sich "sacht in ein Stück Dreck" zu verwandeln droht. Sanft ist man im Heute angekommen. Es reicht dann aber auch. Genug Liebesszenen, die mit sehnsuchtsvoll zitterndem Tango zugeseift sind, genug überdrehte Akrobatik. Genug "L-l-l-l-iebe". Für Heute.


Romeo und Julia
von William Shakespeare (deutsch von Frank Günther)
Regie: Bruno Cathomas, Bühne: Thomas Giger, Kostüme: Elke von Sivers. Dramaturgie: Ramsi Al Khalisi.
Mit: Simon Brusis, Holger Bülow, Jan Dose, Meike Finck, Juliane Götz, Eddie Irle, Florian Schmidtke, René Schwittay, Wolfgang Vogler, Elzemarieke de Vos.

www.hansottotheater.de

 

Alles über Bruno Cathomas auf nachtkritik.de im Lexikon.

 

Kritikenrundschau

"Humor und Pathos dieser Inszenierung schrecken vor keiner Geschmacksgrenze zurück", stellt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung fest (31.1.2011). Bruno Cathomas sei "eine Koryphäe in der Seelenausbruchskunde. Bei ihm gibt es nur eine Regieanweisung: Trau dich! Er ist kein Mann des Konzepts oder der Dramaturgie. Dennoch möchte man jedem Stadttheater aus ensemblehygienischen Gründen solche Abflussfrei-Kur empfehlen. Weg mit aller Routine, raus auf die Bühne mit dem Seelendreck." Seidler fasst schließlich alles in einem Wort zusammen: "Wunderbar!"

"Wird im ersten Teil noch viel herum gefaselt (...), so verdichtet sich der Abend nach der Pause immer mehr zu einer bilderstarken Tragödie, gerade bei den mit Klischees beladenen Szenen, wie dem Liebes-Erleben und dem Tod des jungen Paares", schreibt Klaus Büstrin in den Potsdamer Neuesten Nachrichten (30.1.2011). "Doch die hierbei eingespielte softige Musik macht das Ganze leider nur zu einer nett-traurigen Lovestory: Hollywood lässt grüßen. Cathomas vertraut dabei wohl zu wenig dem Wort. Der romantische Zauber, der natürlich auch sein darf, verkommt zu einem Schmachtfetzen."

Cathomas schüttele "seinen Klassiker ordentlich durch", raffe und modernisiere ihn, streue Gags und füge ausgiebig Fremdtexte ein, schreibt Christian Rakow in der Märkischen Allgemeinen (31.1.2011). Shakespeare sei bei ihm "mithin als Katapult für Gedankensprünge eingerichtet; fliegen muss der Zuschauer." Doch werde "diese Klassikererkundung ein stimmiger, intimer, ebenso tragischer wie komischer Abend. Denn bei aller Verspieltheit und allem Raffinement im Inszenierungskonzept gelingt Cathomas vor allem eines, das Wichtigste: Er lässt seine Schauspieler wachsen, mitunter über sich hinaus."

Ganz anders Peter-Hans Göpfert in seiner Frühkritik im rbb Kulturradio (29.1.2011): "Cathomas hält sich gerne an die reichlichen Obszönitäten, aber er ist schon, wie wir ihn als Schauspieler kennen, weniger ein Mann der Sprache als der Körperlichkeit. Die vielen Wortspiele und Anzüglichkeiten aus der direkten Textfassung von Frank Günther rauschen hier mit allerlei zusätzlichen Kalauern, schon rein sprechtechisch und akustisch am Ohr vorüber. Stattdessen sind die wenigen Schauspieler unentwegt zu immer neuen Faxen und Mätzchen angehalten." Nichts als Karikaturen sah Göpfert: "Bruno Cathomas hat Shakespeares Tragödie flach-geplättet.

Insgesamt bleibe der Abend flau, findet auch Hartmut Krug in der Märkischen Oderzeitung (31.1.2011): Alle Figuren wirkten nicht wie von innen heraus empfunden und lebendig, sondern wie konstruierte Zitate. Cathomas gehe es "um Grundsätzliches, – um das allgemeine Wesen der Liebe. Doch der Klapp-Klapp-Rhythmus, mit dem Lorenzo dazwischen redend das Geschehen strukturiert, nimmt Shakespeares Geschichte vom wahren Wesen der Liebe viel Atem und Raum. Statt spielerisch Haltungen zu entwickeln, werden munter Erklärungen vorgetragen."

 

Kommentare  
Romeo & Julia, Potsdam: ja, ich klatschte
Dem gestrigen Wetter war es zu danken, daß ich mir in der Höhe S-Bahn-Station "Schöneberg" in den Kopf setzte, nach einigen Jahren mal wieder die Strecke nach Potsdam zu gehen, was von vornherein sehr reizvoll ist, und kaum habe ich die Glienecker Brücke überschritten, sehe ich Sie schon auf dem Plakat: Julia ! Stefan hatte etwas von der Premiere geschrieben, hatte ich noch im Hinterkopf (ich bin wirklich nach Potsdam gegangen und dachte an einen theaterfreien Abend !). Und dann immer wieder auf dem Weg bis zum HOT: Julia, Julia, Julia !!
Ich ließ mich auf die "Rückkarten-Warteliste" setzen : mit Erfolg.

Zu Romeos "Ehrenrettung" muß auf jeden Fall hervorgebracht werden, daß es den ganzen Weg über immer nur "Julia"-Plakate gab, nicht ein
"Romeo-"-Plakat !

Im Zentrum der Inszenierung zweifelsohne: der "Mythos Liebe und der Mythos "Romeo und Julia"" - und zwar der Mythos, wie er bei uns heute so mehr oder weniger in den Köpfen ist, wie er auch außerhalb einer Inszenierung "uns" in den Gliedern steckt.

Keine großen Anstrengungen, eine Übertragung in unsere Zeit zu versuchen und den Widerstreit der Capulets und Montagues zB. als einen zwischen "Dreizackarbeitern" und "Wilkinsonarbeitern" in Solingen oder zwischen Dortmund- und Schalkefans oder Hells Angels und Bandidos in Berlin anzulegen oder dergleichen, Ähnliches gilt für die historische Spielvariante: auf England deuten am meisten noch der Kunstrasen und das Golfspiel (auch das wird nicht als "Golfkrieg" ausbuchstabiert, obschon ein Schuß ins Publikum fährt), zu Beginn wird der "Mythos" aber sogleich an mehrere Sprachen angebunden- gewissermaßen globalisiert.

Nein, keine politische Inszenierung !
Keine psychologische !!

Die Bilder der einzelnen Szenen sollen nach Möglichkeit nach dem jeweils nächsten Bild hin ausgreifen, folgen aber jeweils einer ihnen eigenen inneren Notwendigkeit: so jedenfalls läßt es sich in etwa dem Inszenierungskonzept, das Cathomas im Programmheft vorstellt, entnehmen: zumal man "Liebes-" Wahnsinnigen nicht mit Psychologie beikommen könne und es dem Regisseur zufolge langweilig sei, man müßte bei Shakespeare dann lauter Wahnsinnige psychologisch zwangsmotivieren, nur Wahnsinnige zu zeigen.
So bewegen sich die Figuren von Szene zu Szene wie die Buchstaben eines Textes in etwa von einem zum anderen Sprachspiel: das Zwischendenzeilen soll anheben.

Für meine Begriffe werden auch sehr unterhaltsame, Laune machende Bildentwürfe geliefert, und tatsächlich läßt sich das Gerüst des Mythos wohl auch dann herauslesen bzw. "wiedererkennen", wenn man das Stück nicht kennt.

Nur: kaum mehr !
Warum "Romeo und Julia" seit mehreren Jahrhunderten auf der Bühne so fesselt, so berührt: das dürfte von dem Abend her letztlich kaum verständlich geworden sein. Manche der Julia-Szenen gerät, ich stimme der Nachtkritikerin zu, zu lang, zu gekünstelt, und der Romeo hat -siehe Plakatierung- von vornherein den schwersten Stand, zumal (und nicht nur) das männliche Personal um ihn herum durchaus das "Pointenfeuerwerk" zünden darf (und dies, nie das Mythosgerüst dabei verletzend, was auch eine Kunst sein dürfte).

Das Ende sehe ich allerdings ganz anders als die Kritikerin !
Dieses "Wassertropfenineimergeräusch", halbwegs auch taktgebend in der untergelegten Tonspur, müßte inszenatorisch als absolutes "Nodo" ein für alle Male auf die Liste der giftigen Pilze.
Ähnlich wie Wassertropfengeräusche ("Küß mich hinter Kaufhauf" in Chemnitz), Schnalzgeräusche und dergleichen - in der Länge, wie sie hier vorlag. Das Ende, das für die Augen etwas Stilles und Schönes hatte, verkam auf diese Weise zu einer puren Qual.

Erfreulich die "Verlinkung" im Programmheft zu Musil und Weininger (wobei Weiningers Zusammenfall von kategorischem und Liebesimperativ: "Du sollst nur aus Liebe heiraten: Sei !!"
der Inszenierung, daß alles nur "Liebeswahnsinn" wäre, im Grunde geradezu entgegenläufig ist)- was immer "Egosimsus" nun sei.

Ja, ich klatschte für die Herren Vogler und Bülow bzw. Frau de Vos auch lauter als beim Rest der Crew : bei Herrn Bülows Outfit mußte ich beständig an Marc Almond im Soft Cell-Video zu "Say hello, wave goodbye" denken. War nett bei Euch in Potsdam und Berlin, und irgendwie paßt der Titel auch so ganz gut zur Inszenierung, in diesem Sinne : "Say hello, wave goodbye".
Romeo & Julia, Potsdam: der Rest ist ja bekannt
@ Arkadij
Dachte mir, dass ihnen das mit Musil und Weiniger im Programmheft gefällt. Da waren wir also doch noch zusammen im Theater, ohne uns zu erkennen. Ich fand es übrigens auch nicht so schlimm wie Herr Göpfert auf Kulturradio.
Nun, man kann von Shakespeares „Romeo und Julia“ ja so einiges halten, ein wohl bekannter Kritiker hält es sogar für eine große Scharteke. Das es aber auch zum veritablen Gefühlsverwirrungsspiel reicht, hätte man erst mal nicht für möglich gehalten. In Potsdam beweist genau das nun Schauspieler Buno Cathomas. Erst vor kurzem tobte er noch als liebes- und geschlechtsverwirrter Sir Toby Rülp in Jan Bosses „Was ihr Wollt“ über die Bühne des Thalia Theaters in Hamburg und nun versucht er sich mal eben selbst als Regisseur eines Shakespeare-Klassikers.
„Romeo und Julia“ ist nun der Liebes- und Schmachtfetzens unter Shakespeare Stücken schlechthin, Romeo stürzt sich aus unerfüllter Liebe ins Vergnügen, erblickt auf einem Fest Julia und verfällt ihr augenblicklich, der Rest ist bekannt, man muss zum Inhalt nicht mehr allzu viel sagen, er ist sogar den eher theaterfernen Kreisen nicht erst seit Leonardo DiCaprio durchaus geläufig. Die neuesten Versionen dieses Stückes, dieser der bedingungslosen Liebe verfallenen Teenager zwischen zwei bis auf Blut verfeindeten Familien in Verona, chargieren zwischen Schwulst und Klamauk mit allerlei modernisierenden Mätzchen wie Hip-Hop, Jugendgangs und Ähnlichem. Cathomas will nun die ehrliche große Emotion in den Fordergrund stellen, die absolute Liebe in all ihrem Pathos. Und das wird erst mal ungeniert und fett behauptet, von allen Beteiligten in teilweise kurioser Überzeichnung. Überall Liebessehnsucht und -wahn, mit melancholischer, stimmungsvoller Tangomusik pinselt Cathomas satt nach und das scheint durchaus gewollt. Er vollzieht gekonnt einen Spagat zwischen Kitsch, Klamauk und großen Gefühlen.
Es wird allen Arten der Liebe Platz eingeräumt, die Mutter Julias, Elzemarieke de Vos als Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs, ist unglücklich verheiratet mit einem golfspielenden, dauerkalauernden Irren, grandios Wolfgang Vogler als Capuletkarikatur, dessen Wutausbruch über die ungehorsame Tochter, die Säulen des Pappmachebühnenbilds von Thomas Giger zum Krachen bringen. Ähnliches sah ich nur in „Sieben Sommersprossen“ von Regisseur Herrmann Zschoche, ein DEFA-Film über eine Schülergruppe, die im Sommerlager Shakespeares Stück aufführt und sich darin gefühlsmäßig verstrickt. Und so haben auch hier einige eine unerfüllte Sehnsucht, allen voran Lady Capulet, die dem ihrer Tochter angedachten Bräutigam Paris (Jan Dose) hinterher schmachtet und im Hochzeitswahn die Brautinsignien etwas Altes, etwas Neues, etwas Blaues selbst anzieht. Das Geliehene fehlt aber als Zeichen des Glücks, das sie nicht erreichen kann. Auch die Amme (Meike Fink) findet das gestandene Mannsbild Paris interessanter als den Hänfling Romeo, eher auch blass Eddie Irle, der aber in seiner Liebesraserei den Nebenbuhler schließlich ins Jenseits befördert.
Romeo und Julia, Potsdam: regelrecht hingewürgt
@ Arkadij 2
Gestorben wird ja in „Romeo und Julia“ auch mit viel Pathos. Erstes Opfer der Familienfehde ist bekanntlich Romeofreund Mercutio, der sich erst mit seinem Kumpel Benvolio (Florian Schmidtke) noch einige lustige Kapriolen, wie Einkaufstaschen- und Fliegenslapstick leisten darf. Holger Bühlow hat sich nach seiner grandiosen Darstellung des Christians im „Turm“ zum Potsdamer Publikumsliebling gemausert. Das Vorgeplänkel zum Duell mit Streithahn Tybalt wird zum brüllend komischen Versuch dem Unausweichlichen u.a. mit einer Wasserpistole aus dem Weg zu gehen, Mercutio zieht schließlich bekannter Maßen den Kürzeren und auch Tybalt wird dann von Romeo regelrecht hingewürgt.
Die leiseren Töne gibt es dann in den nicht fehlen dürfenden Liebesszenen des jungen Paares, hier auf eine Leiter an der dreistöckigen Bühnenbildwand mit lauter Öffnungen. Die Julia der Juliane Götz ist die einzige, die ihre große Liebe lebt und wahrhaft artikuliert. Die Szenen mit ihrem Romeo gehören zu den wirklich anrührenden des Abends. Zur ersten Liebesnacht verkriechen sich beide in einem großen Shirt, es wird später dann zum Totenbett der beiden. Hier steckt das große Pathos eine jungen Liebe, die nicht nach einem Warum oder Wofür fragt.
Und noch einem wird wird in dieser Inszenierung eine zentrale Rolle eingeräumt, René Schwittay als Bruder Lorenzo philosophiert haareraufend an der Bühnenrampe über die Unerklärbarkeit der Emotionen wie Liebe und Hass und durch was sie ausgelöst werden. Ansonsten sitzt er in seiner Junggesellen-Klause auf einem wahrscheinlich aus lauter Liebesromanen bestehenden Bettlager und sieht dem Geschehen fassungslos kopfschüttelt zu. Ein Liebestor, der sich in seiner Einsamkeit vergraben hat, unfähig seine inneren Gefühle an die Frau (Amme) zu bringen. Zu mehr als einer beiläufigen Einladung zu einem Drink reicht es nicht, die Vergeblichkeit seiner Liebesbemühung ertränkt er mit Dosenbier. Bruno Cathomas schenkt ihm noch einen verzweifelten Schluss-Monolog über die unerfüllte Liebe. Ist das Pathos Liebe doch nur ein großes Missverständnis, Cathomas bleibt die Antwort bewusst schuldig. Es ist ihm kein großer Wurf, aber eine über weite Strecken einleuchtende Interpretation des klassischen Liebesstoffes gelungen. Man darf gespannt sein, wie sich Mona Kraushaar im Mai am Berliner Ensemble mit diesem Stoff schlägt. Bruno Cathomas hat noch etwas Platz unter der Latte gelassen.
Vielleicht sind Sie dann ja wieder mal in Berlin und wagen sich auch mal ins BE. Bis dahin Gruß
Romeo & Julia, Potsdam: Witz und Spielfreude
ich war mit zwei freundinnen in der premiere und war sehr begeistert. Die truppe um mercutio hat es uns besonders angetan. mit wieviel spielfreude und witz die schauspieler agierten. dagegen wirkte romeo irgendwie hölzern. aber als kontrast zu dem aufgedrehten anderen auch wie ein ruhiger gegenpol. allerdings, daß nun auch die eltern von julia derart überdreht sind, war merkwürdig. ehrlich gesagt, bei diesen eltern will man wirklich schnell raus und heiraten. aber julia, absolut gut und mitreißend.
Romeo und Julia, Potsdam: wie geht die Geschichte wohl aus?
Werter Stefan,
ich muß Ihnen widersprechen: Offensichtlich ist auch "den eher theaterfernen Kreisen nicht erst seit Leonardo DiCaprio" die Geschichte um Romeo&Julia "durchaus" nicht "geläufig" - Am Premieren-Abend verließen zwei Damen um die vierzig in der Pause kurz hinter mir den Saal und ich konnte hören, wie die eine die andere fragte, wie die Geschichte denn wohl ausgehen werde. Die Erklärungen ihrer Begleitung waren äußerst diffus und und mündeten in dem Fazit: "Jedenfalls geht es nicht gut aus." Ich wage zu behaupten, daß, wenn ich mich auf den Alexanderplatz stellen würde und etwa hundert Leute befragte, nicht mal die Hälfte die Geschichte zusammenbrächte. Insofern ist es absolut lohnenswert dieses Stück immer wieder zu inszenieren.
Ich finde den Ansatz von B. Cathomas auch sehr spannend, - obwohl er sich nicht gänzlich einlöst. Darüber hinaus steht dem Spieltrieb der Inszenierung m. E. das Bühnenbild hemmend/störend gegenüber.
Was ich allerdings als Kardinal-Fehler empfinde, ist dem "Liebeswahn" der Titelfiguren und dem Konflikt des Lorenzo den gesellschaftlichen "Backround" zu nehmen. Auch der Wutausbruch des Vaters (obgleich großartig von Wolfgang Vogler gespielt) bleibt ohne überzeugende Motivation, wenn die Verbindung zum Herzog fehlt. Wenn nicht mal die Kontrahenten, die Montagues, greifbar sind, dann wird es dünn für die Beglaubigung des tragischen Endes. Das passiert, so glaube ich, wenn man zu viel beim Zuschauer voraussetzt.
Petitesse am Ende: Wie zu erfahren war, war das "Eintreten des Betonfeilers" ein Premierenunfall. Es war nicht inszeniert.
Romeo und Julia, Potsdam: Hinweis auf das Nature Theater of Oklahoma
Vor einiger Zeit hat das Nature Theater of Oklahoma einen Abend inszeniert, der ebenfalls "Romeo und Julia" hieß und in dem die Gruppe Versionen der Geschichte auf die Bühne brachte, die sie sich von Freunden am Telefon haben erzählen lassen. Also ja: Viele, viele bringen Romeo und Julia nur bruchstückhaft zusammen - trotz Leonardo di Caprio!
Romeo und Julia, Potsdam: Geht es Cathomas um die Geschichte?
@ 5

"Wie geht es wohl aus ?"

Das ist eine hübsche Frage, die Sie da aufgeschnappt haben, Herr Ender, nur, was sagt uns das, wenn hier möglicherweise die Geschichte garnicht mehr zusammengebracht wird, die Menschen aber in Scharen Jahr für Jahr hin zu "Romeo und Julia" pilgern ?
Geht es Herrn Cathomas denn um diese Geschichte ??
Ich denke, es geht ihm nicht in erster Linie um die Geschichte "Romeo und Julia",
sondern um den "Mythos "Romeo und Julia"", und der Mythos ist in etwa jener von der "absoluten Liebe", die auf Erden keine Heimstatt findet, aber alle Zeiten locken wird wie Maeterlincks "Schatz der Armen", zeit(en)auflösend-zeitenauslösend, so daß ein jeder irgendwie, der auf "Romeo und Julia", selbst der beinahe theaterfernste, angesprochen wird, sagen würd, auch im hiesigen Kiel: "Ich glaub, das geht nicht gut aus."
Was die Sichtbarkeit der Capulets und die Unsichtbarkeit der Montagues angeht, denke ich, bleibt Cathomas seiner "Inszenierungsökonomie" treu: Zum Mythos gehören gewiß diese beiden
feindlichen Lager, und um dem Stück Fallhöhe(n) zu geben, ist es zweifelhaft, auf Verkörperungen und politische-psychologische Zuordnungen der beiden Parteien zu verzichten (auch diesen"Beweis" scheint mir die Inszenierung , möglicherweise ungewollt, anzutreten, denn es fehlt teilweise an Spannung an diesem Abend),
die Geschichte, deren Rahmen schon stehen muß, um überhauptnoch "Romeo und Julia" sein zu können, aber wird vor allem durch die Verhochzeitungspolitik der Capulets (fast hätte ich Copulets geschrieben) vorangetrieben: und daher konnte eher auf die Montagues als auf die Capulets verzichtet werden, wenn hier der "Mythos" befragt werden sollte vom Rahmenwerk der Geschichte "Romeo und Julia" her -jedenfalls finde ich ansonsten keine bessere
Erklärung für dieses Vorgehen.
Romeo und Julia, Potsdam: schreibt Shakespeare um!
@ Eric Ender
Da habe ich mich wohl etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt. Es gibt also doch noch Menschen, die den Schluss von Romeo und Julia nicht kennen. Wenigstens der sollte ja nun wirklich bekannt sein, aber wenn die Leute immer vorher gehen müssen, da kann man halt nichts machen. Es sieht also nicht gut aus, mit dem Volk der ersten Strophe, wenn die Älteren schon bei Shakespeare kapitulieren und Scharen von Schülern immer wieder in die Theater geschickt werden und dort das Stück nicht mehr wieder zu erkennen glauben, oder es gar nicht erst gelesen haben. Ein Plädoyer für den Grundkurs „Dramatisches Gestalten“. Macht eure eigene Theaterinszenierung. Ich habe mir da schon so einiges ansehen können und bin eigentlich immer wieder begeistert, was dabei herauskommt.
Das mit dem Telefon ist übrigens ein guter Hinweis, es ist schon schwer vermittelbar, warum „Romeo und Julia“ auch im Zeitalter der Technik nicht gut ausgehen kann, haben sie ihre Telefonnummern nicht ausgestaucht, war der Akku alle. Mercutio spielt ja in Cathomas Inszenierung auch mal mit einem imaginären Handy rum. Und doch müssen beide sterben, da der Bote wegen der Pest keine Lust zum Reisen hatte. Eine Verquickung von heute doch wohl vermeidbaren Umständen. Also ran Jungdramatiker, schreibt Shakespeare um, ich will endlich ein Happy End.
Romeo und Julia, Potsdam: Subtraktion von der hegemonialen Opposition
@ Stefan: Und was meinen Sie damit, mit dieser Idee, "Romeo und Julia" umzuschreiben? Dass die Figuren nun alle mit Handy und/oder i-phone ausgestattet werden sollten? Klingt mir zu simpel. Man sollte den Entstehungskontext des Stücks nicht ganz ausser acht lassen. Es geht da ja vom Hauptthema her nicht um den technischen Fortschritt, sondern um die singuläre Liebe zwischen zwei Jugendlichen aus unterschiedlichen Familienclans. Diese Jugendlichen subtrahieren sich von der hegemonialen Opposition ihrer Familienclans, indem sie ihren eigenen Raum der Liebe schaffen. Und indem das keine geheime Affäre bleibt, sondern in eine durch Pater Lorenzo vollzogene Ehe mündet, wird damit das hegemoniale Feld ihrer Familienclans nachhaltig gestört. Das ist der politische Aspekt von "Romeo und Julia". Zumindest verstehe ich Cathomas' Inszenierung so, ohne sie bereits gesehen zu haben.
Romeo und Julia, Potsdam: bitte nicht Romina und Julius
@ El-friede
Ach nee, wirklich? Na wenigstens Sie scheinen das Stück gut zu kennen.
Ich habe mal hegemoniale Opposition gegoogelt, irgendwas passt da nicht zusammen. Entweder man hat die Macht oder man hat sie nicht. Man kann sich antagonistisch gegenüberstehen, aber wer strebt hier eigentlich eine Vormachtstellung an? Es geht doch eher um die Bevormundung, wen man lieben darf und wen nicht. Übrigens kommt bis zum Schluss gar nicht heraus, dass Romeo und Julia zusammen sind. Erst als sie im Tod vereint entdeckt werden, erkennen die Opponenten ihre Mitschuld und bilden eine Trauerkoalition. Was nun?
Liebe El-friede, bringen Sie jetzt bitte nicht auch noch die Genderfrage, sonst heißt das Stück irgendwann noch Romina und Julia oder Romeo und Julius, aber das wäre dann auch schon egal.
Romeo und Julia, Potsdam: Heroes for just one day
@ Stefan: Vielleicht nicht gleich googlen, sondern erstmal genau lesen. Es ging natürlich um die hegemoniale Opposition (= Entgegensetzung) DER FAMILIENCLANS, welchen Romeo und Julia zugehören. Das ist das hegemoniale politische Feld, welchem sich Romeo und Julia entziehen und in welches sie mit ebendieser Geste irritierend hineinwirken. Damit emanzipieren Sie sich radikal, auch und gerade von der negativen Verstrickung mit der Macht im Sinne ihrer "Bevormundung". Somit steht hier nicht das Scheitern der Liebe im Vordergrund, sondern das Glück der - wenn auch nur sehr kurzen - Liebe im Sinne der "heroes just for one day".

Die von Ihnen aufgeworfenen neuen Paar-Konstellationen klingen übrigens nicht übel. Warum eigentlich nicht von der Liebe eines schwulen oder lesbischen Paares sprechen?
Romeo und Julia, Potsdam: Das Spannendste
Die spannendste Liebesgeschichte in Romeo und Julia ist ohnehin die unausgesprochene zwischen Mercutio und Romeo ...
Romeo und Julia, Potsdam: politische Hintergründe
@ El-friede
Es ging mir eher um die Kombination der Wörter hegemonial und Opposition, davon würde ich mich auch subtrahieren wollen. Bleiben wir doch bitte halbwegs verständlich.
Ich bezweifle übrigens, dass eine rein politische Ausrichtung des Stücks durch Shakespeare beabsichtigt war. Das wurde nachträglich hinein interpretiert oder schon bei Shakespeare vorausgesetzt. Er berichtet nur von zwei adligen Häusern „… gleich an Würdigkeit … Durch alten Groll zu neuem Kampf bereit …“ Der Grund ist nicht bekannt, wahrscheinlich nicht mal mehr den Häusern selbst, deren jahrelange Fehde sich bis in die Reihen der Bediensteten weiter zieht. Politisch gewertet werden kann höchsten noch der Unmut der Bürger über den ständigen Händel der verfeindeten Edelleute auf offener Straße: „He! Spieß' und Stangen her! - Schlagt auf sie los! Weg mit den Capulets! - Weg mit den Montagues!“ Cathomas lässt noch genug Capulets und Montagues übrig, dass sich die Story im Sinne Shakespeares entspinnen kann und auf einen Papa Montague, der auch noch mal eben: „Du Schurke Capulet!“ ruft, kann man getrost verzichten. Die Versöhnung, der durch das tragische Ende Geläuterten, wird damit zum Schluss auch obsolet.
Der Prinz von Verona verbietet anfangs des Stücks, bei Androhung der Todesstrafe, den Kampf beider Häuser. Der Zwist geht trotzdem weiter, hier spielt nun Tybalt eine treibende Rolle. Er ist in Cathomas Inszenierung allerdings etwas blass und dümmlich dargestellt. Nach der Rache Romeos an Tybalt, für dessen Mord an Mercutio, wird Romeo vom Prinzen verbannt. Jetzt setzt die verhängnisvolle Verkettung von schicksalhaften Umständen, bedingt durch die unsägliche Idee Lorenzos mit dem Zaubertrank, erst ein. Soweit die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe, etwas gerafft dargestellt. Weiter könnte man noch einen Vorteil aus der Beziehung Paris und Julia für das Haus Capulet vermuten, da Graf Paris ein Verwandter des Prinzen von Verona ist. Eine Hochzeit aus politischem Kalkül ist aber nicht unüblich für diese Zeit.
Unser bekannter Großkritiker G. Stadelmaier nannte das übrigens jüngst in der FAZ unverblümt die „hanebüchene Kolportagendramaturgie“ eines „Renaissance-Groschenheftes“. Und er meint damit Shakespeare und nicht Cathomas, den er wahrscheinlich nicht mal kennt, geschweige denn je eine Inszenierung von ihm besucht hat. Er sollte es aber ruhig einmal tun, denn Cathomas streut hier tatsächlich kolportageähnlich jede Menge Weisheiten zum Thema Liebe ein, vorgetragen durch den Bruder Lorenzo, und hinterfragt so den Mythos um Romeo und Julia. Er stellt insgesamt die Liebe in den Vordergrund und gibt den Hass der Lächerlichkeit preis. Warum die reine Liebe scheitert, liegt sicher auch an dem liebesfeindlichen Umfeld, das hier nur auf den eigenen Vorteil aus ist. Das interpretiere ich aber nicht vordergründig als politisch. Dauerhaftes Glück kann sich nur in einem Umfeld der Akzeptanz einstellen. Die anderen Figuren sind alles Suchende, Unzufriedene, Ignorante oder Enttäuschte. Romeo und Julias grenzenlose Naivität steht hier gegen falsch verstandene Sentimentalität und die Abgeklärtheit des Establishments. Wenn Sie so wollen, ist das auch in gewissem Maße politisch.
Nun ja, El-friede, Cathomas Inszenierung lässt Platz für alle Arten der Liebe, sogar ein Zunge küssender Mercutio kommt darin vor.
Romeo und Julia, Potsdam: Könnten Sie genauer beschreiben?
@ 12.: Ja. Genau. Das wäre ebenfalls eine neue Lesart. Inwiefern zeigt sich das denn in Cathomas' Inszenierung? Könnten Sie das vielleicht ein wenig genauer beschreiben?
Mir kommt da jetzt erstmal nur Thomas Braschs Umschreibung des Romeo und Julia-Stoffes in "LIEBE MACHT TOD" in den Sinn. Dort wird Mercutios (und Romeos) mögliche homosexuelle Neigung auf eine recht drastische Art und Weise ausformuliert:

Mercutio: Für diesen Witz mußt du mit mir zum Tanz.
Romeo: Verschon mich, heile geile Gans.
Mercutio: Der Spruch hat wenig Glanz.
Romeo: Doch füllt dich aus. Spürst du, er kanns.
Mercutio: Ich fühl, er füllt mich: Lang wie breit. Ich fühl mich wie gefüllte Gans.
Romeo: Ich füll noch scharfe Soße zu. Das brauchst du, Gans.
Mercutio: Ja, endlich bist dus wieder: Roh- statt Lapalomeo. Das klingt nach Lust, nicht nach Liebeslabberlyrik. Das riecht nach "Stein und Bein", statt nach "Alleinesein zu zwein". Die Labberliebe ist nur ein Idiot, dem die Zunge aus dem Hals heraushängt, weil er die Straße rauf- und runterrennt und kein Loch für seinen Schlüssel findet.
Romeo und Julia, Potsdam: R+J entziehen sich hegemonialen Machtkämpfen
@ Stefan: Hegemonial im Sinne des politisch-ökonomischen Machtanspruchs sind die Familien von Romeo und Julia, welche in Opposition zueinander stehen, sprich, einander bekämpfen. Das Politische liegt nun aber nicht in diesem Kampf zwischen den adligen Familien, sondern in der Geste von Romeo und Julia, welche sich von diesem vor allem politisch-ökonomisch mótivierten Feld subtrahieren. Das heisst, sie agieren nicht im Rücken der Macht, womit diese nur weiter gefestigt würde, sondern sie entziehen sich dem Einflussbereich ihrer Familien. Es geht mithin nicht um die Einschließung der Liebe von Romeo und Julia in die hegemonialen Machtkämpfe der Montagues und Capulets, sondern umgekehrt, um den Rückzug des jungen Paares aus diesem Feld, womit sie dessen universalen Anspruch auf die Definitionsmacht darüber, was "Liebe" sei, negieren.
Auch Pater Lorenzo ist - wie mir scheint - Teil dieses universalen hegemonialen Feldes, da er von der (geistigen) Liebe nur redet, anstatt sie über den Akt der Körper und der Lüste tatsächlich zu vollziehen. Warum der Zungenkuss Ihnen nach nun eine so besondere Art der Liebe sein soll, das verstehe ich nicht.
Romeo und Julia, Postdam: Prinz gestrichen
@El-friede
Ich weiß schon was Sie meinen, aber wo lesen Sie das bei Shakespeare? Bitte zitieren Sie mal, reininterpretieren können Sie da alles, was sie wollen. Ich glaube kaum, dass Shakespeare Romeo und Julia geschrieben hat, um die Hegemonie des Feudaladels zu stürzen. Romeo und Julia entziehen sich der Familienfehde, um ihre Liebe leben zu können. Das die Flucht aus Verona nicht gelingt, ist der Kniff Shakespeares, um eine Läuterung im Sinne der Tragödie zu erreichen und dafür muss der arme Lorenzo herhalten und wird dadurch mitschuldig. Das ist aber nicht die Inszenierungsidee von Bruno Cathomas. Fahren Sie am besten nach Potsdam, ist ja nicht so weit und sehen Sie sich den küssenden Mercutio selbst an. Danach können Sie dann noch mal über politisch-ökonomische Hegemonialansprüche nachdenken, die hat nämlich der Prinz und der ist gestrichen.
Romeo und Julia, Potsdam: Lorenzos bescheuerte Idee
@ Stefan: Und Pater Lorenzos Idee mit dem Schlafmittel/Zaubertrank whatever war natürlich tatsächlich eine komplett bescheuerte Idee. Wie schon auf der Homepage des Hans-Otto-Theaters nachzulesen ist, verfolgt er damit nämlich auch nur seinen eigenen Plan, die Utopie der Liebe zwischen Romeo und Julia politisch zu nutzen und die beiden verfeindeten Familien mit der Hochzeit der Kinder zu versöhnen. Er hätte aber lieber nicht über die Köpfe der Beteiligten hinweg entscheiden sollen, denn es läuft bekanntlich schief.
Romeo & Julia, Potsdam: keine bescheuerte Idee
@ Stefan

"Verbannung" heißt für mich in der "Handywelt" immernoch soetwas wie "Kein Netz".
Die Verbannungsseite nimmt Bruno Cathomas meines Erachtens schon sehr ernst, und keiner sagt uns, daß die neuen Technologien nicht auch ganz neue Verbannungsmöglichkeiten zeitigen, das ganze Gegenteil ist der Fall (siehe China und das Internet !); für den "Mythos "Romeo und Julia"" ist Pater Lorenzos Geheimpfad, doch noch zu einem "guten Ende" (das wie alles freilich politisch bewertet werden kann bzw. mag) zu gelangen, wahrlich keine bescheuerte Idee, sondern schlechterdings alternativlos, zumal das nicht über den Kopf Julias hinweg geschieht, die sich doch an den Pater um Hilfe wendet , auch wenn das El-Friede nicht gefallen mag, daß man sich da an einen Pater wendet oder von "katholischen Ehen" die Rede geht im Cathomas-Konzept.
Daß das mit dem Pfeiler ein Premierenunfall war, hat mich schier begeistert: offen-
bar hat Herr Rakow Recht, daß einige DarstellerInnen hier über sich hinausgewachsen sind: zum Glück wurde beim Golfen der richtige "Ball" ins Publikum gespielt !.

Und: Da der Handlungsführung zufolge eher auf die Montagues als auf die Capulets verzichtet werden konnte, ist es meineserachtens schon ein geschickter Schachzug
der Inszenierung, die "Desillusionierungen über die absolute Liebe" sogleich von dem Ehepaar Capulet mitliefern zu lassen - ganz im Stile der "Mythosbefragung".

Was "Say hello, wave goodbye" angeht; ich finde das fast unheimlich, dieses "You and I have to be the standing joke of the year": Marc Almond im "Nonstop Erotic Cabaret": dieser Mercutio müßte bei El-Friede offene Türen einrennen, würde es vielleicht sogar; hätte ich jetzt nicht davon "gesprochen" ?.
Romeo & Julia, Potsdam: ein One-Night-Stand
@ Arkadij Zarthäuser: Die Institution der (katholischen) Ehe hin oder her, die vermeintlich absolute und reine Liebe zwischen Romeo und Julia ist - nüchtern betrachtet - eben auch nur ein One Night Stand. Wer weiss, ob und wie sich diese durch Pater Lorenzo im Sinne eines idealistisch überhöhten Liebesbegriffs instrumentalisierte Liebe bewährt hätte, hätte sie länger angedauert.
Nonstop Erotic Cabaret? Auf welches Niveau kann man(n) eigentlich noch herabsinken? Nee nee nee. Ich lass mich lieber vom Sinn hinanziehen als von billigster Sinnlichkeit herabziehen.
Romeo und Julia, Potsdam: "Nonstop Erotic Cabaret"
@ 19

El-Friede, so heißt die Soft-Cell-LP : so schlimm ist die garnicht !
Romeo und Julia, Potsdam: trotzdem billig
@ Arkadij Zarthäuser: Ja ja. Na und? Und trotzdem. Der Titel klingt trotzdem billig. Echt. Echt nicht wahr. Rhabarberrhabarberrhabarber.
Romeo und Julia, Potsdam: Shakespeare reaktionär?
@ El-friede
Wo Sie nun schon bei der Demontage von Shakespeare angekommen sind, nachdem Sie ihn eigentlich schon zum Vorreiter der Revolution erklärt hatten, haue ich dann auch noch mal in die Kerbe. Nachdem die beiden Umstürzler Romeo und Julia dahingeschieden sind, wird durch den Prinzen von Verona, über deren Totenbett, die hegemoniale Einheit der beiden Opponenten Capulet und Montaque wieder vollzogen. Die Revolte ist beendet. Ganz schön reaktionär der junge Shakespeare, oder meinen Sie nicht?
Romeo und Julia, Potsdam: Gewalt der Subtraktion
@ Stefan: Die Versöhnung zwischen den Familien Montague und Capulet über dem Grab ihrer Kinder ist bei Cathomas aber gestrichen, oder? Fragt sich, ob das eine Aussage sein sollte.

Ich meine übrigens nicht, dass Shakespeare im Allgemeinen nur reaktionär ist. Kommt auf die Lesart und Inszenierung drauf an. Leider ist Cathomas' Inszenierung dann wohl doch nicht so potentiell politisch, wie ich diesen Stoff gern gesehen hätte. Ich kam übrigens über Slavoj Zizeks Buch "Auf verlorenem Posten" darauf, in welchem er auf S. 225 ff. Shakespeares "Romeo und Julia" als Beispiel für seine Ausführungen zum Thema der "Gewalt der Subtraktion" nennt.
Romeo & Julia, Potsdam: sonderbares Schattendasein
@ El-friede

Sie haben sich das vermutlich nicht angehört und angesehen auf "youtube", oder ?
Und Sie haben auch die Cathomas-Inszenierung in Potsdam noch nicht gesehen ??
Da können Sie sich vom hohen Sinn Zizeks noch so sehr hinanziehen lassen, "Auf verlorenem Posten" - na, wenn das keine Titelkanone ist !, mitunter läßt sich vernünftig letztlich doch nur verfahren, wenn eine gewisse Anschauung da ist !
Auf Montagues und den (politischen) Antagonismus der "Häuser" wurde weitest-
gehend verzichtet: insofern bedurfte es am Ende auch nicht der gesonderten Stellungnahme über eine "Versöhnung über den Gräbern" (und insofern ist es müßig zu fragen, ob das Fehlen, das dezidierte Ausschlagen oder die etwaige Betonung einer Versöhnung jetzt die reaktionäre "Lösung" wäre - das geht am Befragungs-
konzept dieser Inszenierung für meine Begriffe schlichtweg vorbei ).

Ein sonderbares Schattendasein dagegen fristet bei einigen Kritiken der -weitest-
gehend- als Erzählerfigur auftretende Pater Lorenzo. Dabei kommt dieser schon kurz nach dem ersten Einlaßklingeln auf die Bühne, öffnet sich laut zischend das erste Bierchen und "verwickelt" erste Zuschauer in eine Art Einbahnstraßensmalltalk von
der Rampe her. Irgendwie wird es dann auch im Grunde genommen sein Abend sein,
er es sein,
der den Takt und die Perspektive des Stückes bestimmt. Hieße der Abend "Lorenzos Liebesmythos", so wäre es nicht sonderlich verwunderlich.
Was für ein Pater, der hier abwechselnd Radeberger und Clausthaler, Biersorten, die sich fast schon wieder wie Capulets und Montagues zueinander verhalten,
trinkt !
Seine "Klosterklaus" allemal eher ein Ort des Rückzuges, der Resignation, nahezu der Weinerlichkeit, seine Klaus soetwas wie es der Volksmund desöfteren von sich gibt : ein regelrechtes "Bullenkloster" !!
Er mag uns hier "Romeo und Julia" ähnlich erzählen wie Kaurismäki Filme dreht:
Alkohol - Film - Filmriß : Ja, auch dieses, denn der "Gluck-Gluck"-Takt, ich erwähnte es oben sehr wohl, prägte mir zumindestens auch das Erlebnis des Endes: Filmriß ist das zwar nicht, aber "Stückriß" war es für mich allemal.
Daß das Angebot, sich den Mythos "Romeo und Julia" an dieser Stelle von einem Pater Lorenzo auf verlorenem Posten geben zu lassen (ich will Herrn Cathomas nicht zu nahe treten, aber man könnte schon an "Alter Ego" denken ...), nicht unbedingt auf reine Gegenliebe stoßen würde, ist, denke ich, dem Regisseur an dieser Stelle durchaus bewußt: andererseits hätte er mich zumindestens mit dem Ende grundlos gequält - so kann ich mir immerhin etwas dazu denken, das mein Verständnis der Inszenierung, mag es auch "falsch" sein, erweitert.
Romeo und Julia, Potsdam: Interpassivität des Lorenzo
@ Arkadij Zarthäuser: Ja. Genau. Pater Lorenzo steht bei Cathomas wohl deswegen im Mittelpunkt, weil er ein bemitleidenswerter und irgendwie aus der Welt gefallener Idiot ist, welcher seine eigene angelesene Liebessehnsucht bzw. -not auf das junge Paar projiziert und in diesem stellvertretend erfüllt sehen möchte. Interpassivität nach Pollesch gewissermaßen.
Romeo und Julia, Potsdam: das Banalste, was man dazu lesen kann
zu 14.thomas brasch
der text von thomas braschs umschreibung ist doch das banalste was man zu romeo und julia lesen kann.
dazu gleichermassen banal:
verschont uns doch mit solch kaputter geiler gans
vollkommen und vollendet ganz
für solche (sprach)witz
pilgern wir zu keinerlei (theater)tanz

diese sprüch von thomas brasch haben nichts von glanz
(im vergleich zum text von shakespears gestellt)

und die möglichen homosexuellen neigungen shakespeares -
da wird schon lange, und mit zunehmender langeweile + blödigkeit
gestritten
immer weiter
endlos
Romeo und Julia: das Unbewusste strukturiert die Sprache
@ literarischer 00-7: Thomas Brasch wollte über diese Form-ulierung wohl demonstrieren, dass das Unbewusste wie eine Sprache strukturiert ist bzw. dass das Unbewusste entsteht, weil die Sprache dem menschlichen Wünschen keinen Ort gibt. In der Folge wird die Sprachordnung zu einer Artikulationsfläche des Unbewussten. Also Po-esie anstatt Poesie. Ob das schön ist, dass ist eine andere Frage.
Romeo und Julia, Potsdam: Sprachstruktur der Wünsche
27.
...dass das unbewusste entsteht, weil die sprache dem menschlichen
wünschen keinen ort gibt.
gerade in der poesie, in der überhöhung der sprache ist auch ein ort, wo
menschliches wünschen sich versammelt. auch natürlich ein (besonders moderner) ab-ort, wo sich
menschliche wünsche sammeln als kot (od. im kot, im dreck).
zu mercutio würde das passen. er könnte auch der derben und zynischen seite romeos entsprechen. so wie die amme, der bodenständigen, derb-sinnlichen seite julias entsprechen könnte.
(beide als gegensatzpaare).
sie haben recht, mit thomas brasch, ist es doch eher ein dialog
zwischen mercutio + remeo, als zwischen romeo + mercutio.
doch bei shakespeare ist mercutio ein sehr gewitzter und geistreicher redner. das fehlt bei thomas brasch. (eigentlich gänzlich würde ich sagen. ich finde den shakespearschen mercutio
bei th.braschs text gar nicht. aber etwas merkwürdiges ist mir
gerade jetzt passiert, ich lese bei dem wort "shakespearschen"
doch tatsächlich plötzlich shakespe-ARSCHEN (mercutio):
das unbewusste hat also die sprache strukturiert, oder mein lesen
beeinflusst (vom thema her)).
Also doch! -
...in der folge wird die sprachordnung zu einer artikulationsfläche des unbewussten. - genau das ist geschehen.
also, hat das irrationale des unbewussten . . . usw.
und es ist mir schon klar dass eine figur wie mercutio mehr in richtung po-esie . . . aber nein, seine böse mab, die hexe, welche mädchen drückt (eine rede, die mir immer besonders gefiel) - da ist
doch sehr viel poesie zu hören - -
ich würde shakespeare übrigens als eine art zwitterwesen sehen.
keiner hat wie er solche frauenfiguren und frauenrollen erfunden,
gedichtet (er war eben doch auch ein schauspieler)
Romeo und Julia, Potsdam: Der Kern in der Frucht
@ literarischer 00-7: Kot ist zu direkt in der Sprachwahl. Das Unbewusste zeigt sich eher über die Metapher oder die Metonymie. Ich präferiere den Möglichkeitsraum der Poesie, zumal ich gerade aus dem neuen Film "Poll" von Chris Kraus komme, welcher auf den Lebenserinnerungen Oda Schaefers, einer Großtante des Regisseurs, basiert. Ein Gedicht von Oda, welches zum frühen Tod Romeos und Julias passen könnte, lautet da folgendermaßen:

Oh denk daran / der Tod ist wie ein Kern / es nützt dir keine Flucht / er lebt in dir / wie in der süßen Frucht.

Darin steckt vielmehr, als das überdeutlich direkte des Kots. Beispielsweise der Tod einer Gesellschaftsordnung, der Tod eines Lebensabschnitts, der Tod der Liebe zwischen Eheleuten usw.

Und von welcher Hexe sprechen Sie?
Romeo und Julia, Potsdam: ein entfernter, verwandelter Hamlet
Akt 1, Scene 4 Mercutio:
...
This is the hag, when maids lie on their backs,
That presses them and learns them first to bear,
making them women of good carriage.
This is she -

das ist sie "the hag", die Hexe, die - aber nicht nur
wenn mädchen auf dem rücken liegen ...usw.
sondern auch wenn mercutio auf dem rücken liegt (vielleicht) -
jedenfalls scheint er von "Queen Mab" manchmal geplagt zu sein
wenn er nicht wie träumer öfter lügt (that dreamers often lie, sagt er). . . this is she -
sogleich antwortet romeo ihm:
Frieden, Frieden, Mercutio, Frieden!
Du redest von nichts.
aber er redet doch von etwas, nämlich von sich selbst und seinen träumen
und seinen schwierigkeiten mit den frauen (nehme ich an),
und er könnte, meiner ansicht nach
ein entfernter verwandter hamlets sein

warum scheuen wir alle die "unbedingte liebe" (romeo and juliet)
weil wir den tod scheuen
der als kern in ihr lebt
die liebe als süßeste frucht (das leben)
und der bittere Kern (das gift, die zersetzung, krankheit, das alter)
der tod
Romeo und Julia, Potsdam: alles ändert sich
@ literarischer 00-7: Furchtbar traditionell bzw. stereotyp, diese Stelle, welche Sie da herausgesucht haben. Mädchen sollen also auf dem Rücken liegen, um zu empfangen und zu gebären. Ja. Genau. Träumen Sie ruhig weiter. Aber vergessen Sie dabei nicht: Alles ändert sich. Immer. Und plötzlich wird manch ein Mädchen erkennen und sagen: "Ich werde keine Frau!" (nach Chris Kraus) Denken Sie darüber mal nach, vielleicht.
Romeo und Julia, Potsdam: wir sind die Montagues
@ El-friede und literarischer 00-7

El-friede, den Hinweis auf den Hinrichs-Abend, auf die "Interpassivität", finde ich an dieser Stelle garnicht übel, ebenso wie, 007, Ihren hinsichtlich des "Zwitterwesens".

Herr Cathomas ist bekanntlich auch Schauspieler, gewiß ein etwas anderer Typus als Herr Hinrichs, der hier jetzt eine weitere Regiearbeit abgeliefert hat: das "Zwitterwesen" ist insofern nicht weit hergeholt. Er bietet seinen Schauspielern, Herr Rakow und Herr Seidler sind in ihren Kritiken darauf eingegangen, reichlich Möglichkeiten zu spielen, wobei der Romeo sichtlich die schlechtesten Karten in die Hand gespielt bekommt. Auffallend gegensätzlich beurteilen gerade die genannten Kritiker allerdings die Inszenierung mit Blick auf die Dramaturgie: für den einen ist das sehr raffiniert, für den anderen eine Art "Abflußfreitheater", körperlich und wenig sei es einem solchen an Komposition gelegen - für mich war es weniger "Abflußfreitheater" als zB. bei "Hunger" in Leipzig und weniger Komposition als bei der "Nora" im MGT. Der Ausdruck "Zwitterwesen" liegt insofern auch in dieser Hinsicht nahe.

Sie, El-friede, scheiben von einer angelesenen Liebessehnsucht.
Sie könnten nicht minder von einer angesoffenen Liebessehnsucht oder Liebesnot sprechen: ganz im Sinne des volkstümlichen Begriffes "Bullenkloster", und "angelesen" mag sich zu "glauben" verhalten wie "angesoffen" zu "hoffen": die Liebe ist die Größte unter den Dreien, wird auch im Stück zitiert: "Sei(n)" !
Warum das ein aus der Welt gefallener Idiot sein muß, der es immerhin schafft, sich selbst mit solch einem desillusionierenden Abstand zum (eigenen) "Liebesideal", den möglicherweise, ja wahrscheinlich irreversiblen, zu entwerfen und qua interpassiver Abtretung an Romeo-Julia zu konfrontieren, sich selbst dem auszusetzen, zu stellen, ja qua Inszenierung uns ebenso zu konfrontieren, das sehe ich allerdings noch nicht recht: Produktion und Rezeption des Stückes werden hier thematisiert. Klar, die Wohlgestalt Herrn Hinrichs - die geht dem Pater Lorenzo
für das Empfinden und Wahrnehmen der meisten von uns gewißlich ab, und eine "Gestalt" wie er, ob mit Clausthaler oder Radeberger in der Hand, ziemlich egal zumeist, hat möglicherweise nur auf der Bühne wirklich eine Chance, sich öffentlich gemäß "Sehnsucht" zu artikulieren bezüglich der gesamten Liebes-Spannung, die ihn gefangen hält: aber, ist es nicht eigenartig, wenn wir den "Heraufkunftsversuch" des Kellerlochmenschen begrüßen und einen mir verwandt erscheinden des Paters Lorenzo zur Idiotie erklären ??
"Trainiere Dich aus, daß Du mir wirst wie der Hinrichs, und erst dann mache Deine Klappe auf !?"

Romeo muß sterben: Romeo ist der kleine Fehler in der großen Rechnung des Pater Lorenzo, auf Romeo hat er keinen entscheidenen Einfluß bzw. Zugriff: Romeo darf sich noch nicht einmal annährend so austoben wie das Personal um ihn herum, Romeo ward schon auf den Plakaten auf der Straße vor dem HOT nicht gesehen: Warum ?
Romeo - das sind wir: das Publikum. Oder anders: Romeo, das könnten wir sein: das Publikum. Wir sind nicht vom Fleische der Capulets: die stehen drohend vor uns, wir verhalten uns in Sachen "Liebe" nicht (nur) wie Freunde, diese wuseln vor unseren Augen und um "Romeo" herum, jenem "Romeo", der schon auf der Straße qua Abwesenheit von unseren Fleische ist, wir treffen "Julia" schon dort (nur sie): wir sind auf jeden Fall die Montagues, die ansonsten fehlen, ja, interpassiv hat man uns das qua Inszenierung so angedient: Montague sein -das Gebaren der Capulets:befremdlich, für wen nicht ?, wer wäre da nicht schlagartig ein Montague ??: zwischen der "Nullstelle" Mythos (Romeo) und der Fülle der Liebesabdankung eines 2plus2gleich4-Sinnes (Lorenzo) spannt sich das Kontinuum "unserer" Selbstverortung in "Sachen Liebe"; es scheint mir sprichwörtlich darum zu gehen, wie weit "man" selbst bereit ist, sich gegenüber dem Erzähler des Stückes zu emanzipieren, sprich: bereit ist, ihm diese Geschichte abzunehmen: dieses Mehr als Erzählung.
Mit dem Ende habe ich persönlich ihm da jedenfalls nicht alles abnehmen können, da es mich akustisch "folterte": er schildert mir daraufhin, daß ihm schlecht sei: das kommt mir schlüssig vor, das nehme ich ihm irgendwie ab.

Ja, zwei Männer an der Rampe, für mich nur wenige Tage voneinander entfernt: Hinrichs und Lorenzo - danke für den Hinweis, El-friede..
Romeo und Julia, Potsdam: Mercutio vergaloppiert
31 furchtbar traditionell? - nein, furchtbar shakespearisch.
mädchen die empfangen, gebären, - traditionell - mir ist noch keine begegnet.
sollen frauen denn nicht auf dem rücken liegen, wenn sie lust dazu haben? und wenn sie keine lust haben, können sie es ja bleiben lassen.
nicht ich träume, sondern mercutio träumt, und zwar vom zwang des traditionellen als hexe, welcher zwang die mädchen drückt wenn sie auf dem rücken liegen. und dieselbe mab-hexe galoppiert nacht für nacht durch die köpfe von liebenden, und dann träumen sie von liebe - -
(tiefgründiger geht es schon nicht mehr)

ich werde keine frau!- (um traditionell zu empfangen und zu gebären) - das braucht man eigentlich keiner frau mehr zu empfehlen, das ist doch schon lange selbstverständlich.
sie haben sich da scheints doch ein wenig vergallopiert, und gehen an der figur mercutios ziemlich vorbei.
Romeo & Julia, Potsdam: kokett, spielerisch, humorvoll
hier scheinen fachfrauen und fachmänner im interessanten disput zu stehen, da erscheint mein nicht-fachliches urteil so einfach. ganz kurz: ich war schlichtweg begeistert von dieser koketten, spielerischen, humorvollen darbietung dieses ensembles.
Romeo und Julia, Potsdam: Schüler-Terror
Der letzte Abend.
Viele Schüler, nervte schon.Schauspieler schreitet ein und das war echt gut integriert!!! Das muss ein Schauspieler in Berlin nicht erdulden, muss sich nicht derart gekonnt einbringen. DANKE!
Julia war echt schön anzusehen und sehr emotional.
Warum weinte sie an Ende bei dem tollen Applaus?
Solche Wirkung kann Theater auch bei den Spielern haben. DANKE: Julia!!!
Ich habe es am Ende nicht bereut, nach Potsdam gefahren zu sein und die Schüler (in Berlin habe ich so etwas noch nicht erlebt, ist das vielleicht auch ein Argument gegen PISA???)erdulden zu müssen. Cathomas ist noch viel zuzutrauen und er steht gleich hinter Herbert Fritsch. Man kann im Theater lachen und das ist auch gut so.
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