"Verrücktes Blut" will nicht zum Festival "Augenblick mal!"
Erwachsenenköpfe
29./30. Januar 2011. Wie aus einer Mitteilung des Kinder-und Jugendtheatertreffens Augenblick mal! hervorgeht, hat die erfolgreiche Produktion Verrücktes Blut die Einladung zur 11. Ausgabe dieses renommierten Festivals ausgeschlagen. Die Inszenierung von Nurkan Erpulat ist eine Produktion von Kultursprünge im Berliner Ballhaus Naunynstraße und kam im September 2010 als Koproduktion mit der Ruhrtriennale in Duisburg heraus. Das Festival des Kinder- und Jugendtheaterzentrums der Bundesrepublik Deutschland "Augenblick mal!" findet vom 14. bis 19. Mai 2011 in Berlin statt.
Aktualisierung am 30. Januar 2011:
Nurkan Erpulat wolle sein Stück nicht als Jugendtheater verstanden wissen, erläuterte Nora Gores, Sprecherin des Ballhauses Naunynstraße, am Sonntag auf Nachfrage von nachtkritik.de die Absage. Vielmehr sei es ein Stück über das, was in Erwachsenenköpfen vorgehe, an die sich die Inszenierung auch ausdrücklich richte.
(sle)
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Das Publikum hätte immerhin dem von Pilz konstatierten „naiven Feiern der Verschiedenheit“ (NZZ vom 29.1. http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/das_fremde_wir_1.9263860.html) freien Lauf lassen können. Aber halt! Pilz schwebt wohl eher eine seriöse Analyse der Migration vor, am besten ein Sezierblick. Das bedeutet: nur mit der entsprechenden Nüchternheit kann auf Dauer eine migrantische Erzählperspektive in einer interkulturellen Gesellschaft Wurzeln schlagen.
Aber ist das naive Feiern nicht erst einmal die notwendige Voraussetzung? Jedes Feiern klingt irgendwann einmal ab und geht dann in einer sachliche Einschätzung der Lage über.
Abgesehen davon, dass durch den Ausfall des Stückes Pilz um eine mögliche Bestandsaufnahme migrantischer Gegenwartspositionen gebracht wird, stellt sich eine andere Frage: Ist es tatsächlich eine Zukunftsaufgabe für Stadttheater, Antworten auf eine interkulturelle Gesellschaft zu finden? Wer das verlangt, misst den Theatern letztlich einen zu hohen gesellschaftlichen Stellenwert bei. Im Übrigen ist es vor allem eine Angelegenheit der Migranten, ihre gesellschaftliche Situation zu thematisieren. Das wäre authentischer, als wenn ein Einheimischer versuchen würde, über türkische Integrationsprobleme und Sozialisationsleistungen zu schreiben.
Immerhin hat Herr Pilz angesichts der interkulturellen Gesellschaft die Legitimationsfrage der Stadttheater aufgeworfen. Es bleibt nur zu hoffen, dass es noch nicht ums Überleben geht.
Was ist den "postmigrantisches Theater"? Shakespeare in Deutschland?
So "Schade", wie Sie denken, ist die Ablehnung der Einladung zum Kinder+Jugendtheatertreffen nun auch nicht. Denn immerhin findet dieses Festival in Berlin statt. Und von der Parkaue zur Naunystraße ist es ja nun nicht so weit. Weder für Berliner noch für Gäste, die extra wegen des Festivals anreisen werden. Ich wollte mir die Vorstellung heute anschauen, aber leider alles ausverkauft. Vielleicht ist die Ablehnung auch nur ein kleiner Werbe-Coup (- o.k. so weit sollte man nicht gehen - Verzeihung.)
Ich würde aber Stefans Vermutung folgen wollen, wenn man den Überlegungen von Herrn Pilz folgen will. Denn den Anspruch den er erhebt, um eine (neue) Relevanz für das Stadttheater zu finden hat m. E. wenig mit den Intentionen von Naunystraße, Heimathafen, HAU etc. zu tun. Nochzumal eine Reihe der Protagonisten dieser Theater/Ensembles/Companies weitreichende Erfahrungen mit Stadttheater/Staatstheater haben.
Im Übrigen finde ich die Diskussion um eine Integration von wem auch immer ins "Deutsche Theater" nach wie vor so reißerisch geführt wie die um Schwule in der Bundesliga.
Zum Begriff postmigrantisches Theater hat sich Shermin Langhoff, die Leiterin des Ballhaus Naunynstraße, in einem taz-Interview 2009 so geäußert:
„Den Begriff "postmigrantisch" hab ich über die angloamerikanischen Literaturwissenschaft vor etwa zehn Jahren kennen gelernt. Es scheint mir einleuchtend, dass wir die Geschichten der zweiten und dritten Generation anders bezeichnen. Die stehen im Kontext der Migration, werden aber von denen erzählt, die selber gar nicht mehr gewandert sind. Eben postmigrantisch.“
Ziel ist u.a., ich zitiere hier aus einem Tagesspiegelartikel aus dem Jahre 2008:
„Künstlern der zweiten, dritten Migranten-Generation ein Forum zu schaffen. Und sich, im besten Falle, in ein paar Jahren wieder überflüssig zu machen, wenn die sämtlich von den großen Häusern entdeckt wurden.“
Und genau das passiert nun gut 2 Jahre nach der Gründung des Ballhauses und das hat Dirk Pilz in seinem Artikel festgestellt. Ob das nun überlebenswichtig für die Stadttheater ist oder nicht eher eine Selbstverständlichkeit, erübrigt sich eigentlich zu fragen. Von einer feindlichen Übernahme kann man ja wohl nicht gerade reden.
Ballhauses als Grund dafür angegeben wird, warum sollte ich in Richtung "Feigenblättchen" daran zweifeln ?, daß Herr Erpulat darauf Wert legt, sein Stück als an Erwachsene gerichtet zu verstehen: Da
es in Deutschland zuweilen vorkommt, daß etwas in einer speziellen
Schublade verschwindet, geht Herr Erpulat sowohl den Weg desjenigen, der hiesige Gepflogenheiten und zuweilen Schwächen(:siehe Schublade) ernst nimmt und auf diese eingeht, als auch den Weg desjenigen, der zu diesen Gepflogenheiten und zuweilen Schwächen eine eigene Haltung ausprägt, die durch das "Nochnichtvölligaufgegangensein" in diese Gepflogenheiten und Schwächen sogar begünstigt worden sein mag; er nimmt sein gutes Recht wahr, von den Intentionen, der Zielrichtung seines Stückes her zu werten, zu urteilen, zu handeln.
Als Aufhänger für die Diskussion um das "postmigrantische Theater"
scheint mir diese Absage ansonsten eher unangebracht: auch für diese wäre sie wohlmöglich ein Feigenblättchen.
reflektiert doch mal eure 'naivität' im umgang mit der kulturindustrie und der reproduktion kultureller hegemonie, die ihr hier nicht zum ersten mal über das postmigrantische theater ballhaus naunynstrasse betreibt. interessieren euch 'herrschaftsverhältnisse' die ihr selbst reproduziert nicht oder ist das gar nicht eure naivität, sondern taktik und berechnende strategie im umgang mit dem 'objekt'um eure definitionsmacht und 'wichtigkeit' nicht zu verlieren?
theodora gramsci
Ich kenne die Aufführung und 'ne Menge hier angesprochene Hintergründe nicht, deshalb dazu kein Wort.
Aber:
Jugend-geeignete Aufführungen müssen nicht zwangsläufig Jugend-Theater sein. Und da im deutschen Feudaltheater IMMER NOCH Kinder- und Jugendtheater latent als zweitklassig angesehen wird und jemand, der den entsprechenden Stempel trägt, in dieser "Schublade zu verschwinden droht", wie schon richtig angemerkt, nämlich im Klartext im Erwachsenentheater schlechte Karten kriegt, habe ich volles Verständnis für die Einladungs-Ablehnung seitens der Macher.
Anderseits gibts im Kinder- und Jugendtheater haufenweise künstlerisch Wertvolles, was am Zielpublikum zwar mit Karacho vorbeischießt, aber allzu gerne auf "renommierte Festivals" geladen wird.
Grade WEIL sie nun nicht auf dem Festival von einigen Wichtlingen und Meinungsmachern gesehen werden und damit evtl. Chancen verschenken: Hut ab vor den Machern des Stückes für ihre klare Haltung.
"Und da im deutschen Feudaltheater IMMER NOCH Kinder- und Jugendtheater latent als zweitklassig angesehen wird ..."
Recht hat er. Leider. Aber:
" ... und jemand, der den entsprechenden Stempel trägt, in dieser 'Schublade zu verschwinden droht', wie schon richtig angemerkt, nämlich im Klartext im Erwachsenentheater schlechte Karten kriegt"
Trotz alledem!
Wie denn dem KJT die verdiente Aufmerksamkeit verschaffen, wenn nicht auch so?
Das eine schließt doch das andere nicht aus! Leute wie Nübling oder Constanza Macras sind da cooler. Das Ballhaus hat sich doch jetzt total in eine Sackgasse manövriert. Denn konsequenterweise müssten sie ja auch eine Einladung zum Theatertreffen absagen, so groß, wie sie und ihre Schlachtenbummler (zb. Theodora Gramsci in Nummer 8) hier jetzt gegen das Establishment und die "Reproduktion kultureller Hegemonien" getönt haben. Sonst ist es doch nur noch peinlich.
Seltsam, ich fühle mich sehr angesprochen von Ihnen. Woher rührt Ihre Wut, Verletztheit persönlich...aber das darf man wahrscheinlich nicht fragen...ihr Hinweis auf das Migrationsensemble...können Sie das belegen ? Wo hat Frau Beier dies geäußert ?
Und ob es Jens Hillje gefällt zur "neue(n) Generation der Theatermacher" gehören soll, trotzdem er schon seit, schätzungsweise, eineinhalb Jahrzehnten Theater macht? Schließlich soll er gleichzeitig "die das Festival begleitende Masterclass für Studierende von Regiehochschulen" leiten.
Das scheint mir alles immer komplizierter zu werden, um es noch irgendwie zu erklären: Augenblick mal!, Theatertreffen, HAU, Radikal Jung, Ikarus-Preis, Friedrich-Luft-Preis, KAIROS-Preis - Einladung, Ablehnung, Bewerbung ...