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Der Schwank als Kulturkritik

von Tobias Prüwer

Leipzig, 10. Februar 2011. "Unser besonderer Dank gilt der Bäckerei Dünkel für die freundliche Unterstützung" - Der Satz aus dem Programmzettel spricht Bände, fügt man nach diesem Theaterabend hinzu, wem das Centraltheater-Team um Intendant Sebastian Hartmann nicht dankt: Der städtischen Kulturpolitik. Angesichts bereits jetzt drohender Kürzungen im fünfstelligen Bereich für die kommende Spielzeit und die absehbare Lähmung der Leipziger Kulturpolitik aufgrund der Nicht-Abwahl des umstrittenen Kulturbürgermeisters (mehr dazu) ist die Stimmung am Schauspiel Leipzig nicht gerade hoffnungsfroh. Dass der beliebte Schwank "Pension Schöller" deshalb nicht als routiniert-reibungsloses Unterhaltungsmittel inszeniert wird, sondern auch die Leipziger Lage kommentiert, war also erwartbar.

Man wehrt sich mit den Mitteln, die man hat. In diesem Fall mittels der Komödie. Dass aber eine solche Intervention nicht zu ungunsten der Unterhaltung verlaufen muss, ist die eigentliche Überraschung. Zumal sich die Kombination Hartmann und Humoreske seit seiner gräulichen Arsen und Spitzenhäubchen-Inszenierung vor zwei Jahren für den Autor dieser Zeilen als No-Go empfahl. Doch unerwartet sinnlich in all der Ambivalenz dieses Wortes gestaltet sich die Inszenierung, und daran hat nicht nur die Bäckerei Dünkel ihren Anteil.

Wahnsinn und Gesellschaft

Der Plot des Schwanks von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby aus dem Jahr 1890 ist simpel genug. Landguteigner Philipp Klapproth (glänzt wieder in komischer Paraderolle: Peter René Lüdicke) spitzt seinen Neffen Alfred dazu an, ihm Zugang zu einer Soiree in einer Nervenheilanstalt zu verschaffen. Er habe so viel über Irre gelesen, nun möchte er solche Exemplare einmal persönlich erleben. Der selbst nicht gerade helle Neffe (Maximilian Brauer) ist wenig begeistert und führt den Oheim ob mangelnder Alternativen in die Pension Schöller, in der reichlich exzentrische Geister residieren und erklärt diese für allesamt verrückt. Für Landei Klapproth ist das ein Heidenspaß, jedes Gespräch führt er als Dialog mit einem Bekloppten und macht den skurrilen Personen reichlich Versprechungen. Als ihn diese beim Wort nehmen und in später in seiner heilen Provinz besuchen, findet er sich jenseits von Gut und Böse katapultiert.

Der Eröffnungsszene zwischen Caféhaus-Tischchen schaltet Regisseur Hartmann einen Monolog vor, der das Zeitalter der Nervosität beschwört – eines um sich greifenden Symptoms, dessen Geburt im 19. Jahrhundert liegt. Technischer Fortschritt in Form von Dampf und Elektrizität sorgt für Mobilität in Zeit wie Raum und beunruhigt die damalige Gesellschaft, nicht weniger als Apps und ADHS die heutige.

Let me entertain you

Auch der Durst nach oberflächlicher Zerstreuung scheint nicht aus der Mode gekommen zu sein. "Let me Entertain You": In einer der Anfangsszenen unterbricht der Robbie Williams-Song das allgemeine Blabla der Amüsiersuchenden. In grotesker Revueformation tanzt sich das Ensemble das erste Mal frei vom Originalkomödchen. Noch harmlos zwar, aber schon wird die Anspielung an die Erwartungshaltung an den lustigen Abend und das Stadttheater an sich deutlich.

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Pension Schöller: Janine Kreß, Peter René Lüdicke © R.Arnold/Centraltheater

Bis zur Pause gestaltet sich die immer mal wieder durch solche kleinen Einlagen unterbrochene Szenenfolge eher solide. Hartmanns Humorhandwerk sitzt. Man lacht über nette Einfälle und die durchweg überzeugende Leistung der Schauspielenden besorgt ordentlich Spaß. Ein sich mit Hackebeilchen in die vermeintliche Anstalt Schöller als Alter Ego von Klapproth schleichender Fritz Haarmann deutet allerdings hier schon eine kommende Schärfe an. "Warte, warte nur ein Weilchen..."

So nimmt die zweite Inszenierungshälfte ganz andere Wendungen und Windungen, als Klapproth sich heimgesucht sieht. Wie das Klavier am Bühnenrand von unsichtbarer Geisterhand bespielt wird, gewinnt das Geschehen eine Eigendynamik fern vom Text. Mit Lust und Verve nimmt sich Sebastian Hartmann einmal mehr seines Lieblingsthemas – das Problematisieren des Theaterraumes – an und hier endlich gelingt's: Der verkappte Schauspieler Eugen Rümpel (bemerkenswert vorgegebene L-N-Schwäche: Holger Stockhaus) tritt als Klapproth auf und fachsimpelt mit seinem Spiegelbild über das Schaustellergewerbe.

Schaustellergewerbe Politik und Theater

Natürlich wird die berüchtigte vierte Wand angesprochen, die zwischen Publikum und Bühne steht. Doch Rümpel kann sie mit einmal nicht mehr finden. Diese Barriere habe man wohl anderswo verbaut, scheint er in Richtung Rathaus zu sagen. Er solle doch lieber in die Politik gehen, rät er sich schließlich selbst. Und in Kultur könne er so auch machen. Es müsse ja nicht gleich zur Abwahl – in seinem Duktus: "Abwahn" – kommen. Nur Geld habe er keines, werde dem Theater ansonsten in jeder Form helfen, verspricht er aus der Rolle gefallen seinen Kollegen. Kurz darauf gipfelt die Inszenierung in einer aberwitzigen Backwarenschlacht: Zu Spaghetti-Western-Musik reihen sich alle Schauspieler in zwei Gruppen gegenüber auf und lassen minutenlang Tortensalven auf die Gegner niederprasseln. Pappsatt wohl, so lässt sich das lesen, haben Hartmann und die Seinen das nicht nur innerstädtische Schuld- und Sparzuweisen.

Man spürt die Wut, und doch ist sie nicht zu dick aufgetragen, um die Inszenierung zu ersticken, geben sich doch Ernst und Unterhaltung in diesem Verwechslungsspiel oft pointiert die Klinke in die Hand. Trotz einiger Längen des fast vierstündigen Abends, Hartmann kann es wohl nicht lassen, wirkt er nicht aufgeplustert. Hätte man sich im insgesamt gelungenen kritisch-komischen Rundumschlag stellenweise mehr Beat und Feintuning gewünscht, so wäre es für Leipzig weit wünschenswerter, wenn einmal wieder Dank an die hiesige Kulturpolitik gehen könnte.

 

Pension Schöller
von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby
Regie: Sebastian Hartmann, Bühne: Clementine Pohl, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Choreographie: Silvia Zygouris, Dramaturgie: Michael Billenkamp.
Mit: Maximilian Brauer, Edgar Eckert, Sarah Franke, Eva-Maria Hofmann, Matthias Hummitzsch, Andrej Kaminsky, Janine Kreß, Ingolf Müller-Beck, Hagen Oechel, Linda Pöppel, Peter René Lüdicke, Holger Stockhaus, Barbara Trommer, Birgit Unterweger.

www.centraltheater-leipzig.de

 

Mehr zu Sebastian Hartmann gibt es im nachtkritik-Lexikon.

 

Kritikenrundschau

Die Inszenierung schwächele anfangs, aber dann triumphiere sie, und zwar "ziemlich rauschend", schreibt Ralph Gambihler in der Chemnitzer Freien Presse (12.2.2011). Vor der Pause quält sich der Abend Gabihlers Eindruck zufolge "als überkommene und in ihrer Überkommenheit parodierte Gebrauchskomödie über die Bühne." Doch blieben die Menschen in Clementine Pohls Salonkulisse "flache Karikaturen", Hartmanns Blick auf die Gesellschaft etwa so beunruhigend wie ein Drama von Dieter Wedel. Dann aber folge der lange dritte Akt: "Abgründigkeiten, Mut zum Kontext, Gegenwartsbezüge, Szenen von funkelndem Witz, inspiriertes selbstreflexives Theatermachertheater und Schauspieler, die als Performer über sich hinauswachsen."

Von großem Komödienkino und feinem Hintersinn spricht Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (eine Kurzversion der Kritik steht auch in der Frankfurter Rundschau, 12.2.2011). Sebastian Hartmann nehme den Schwank ganz und gar ernst, kehre dessen grollende Unterseite nach außen und zeige "eine strudelnde, haltlose Welt, die das Erfundene mit dem Erlebten verwechselt, zwischen Irr- und Lebessinn nicht mehr unterscheidet". Nach der Pause kippe der Abend ins Surreale und damit in schönstes "Wahn- und Wirklichkeitsverspottungstheater" mit Ausflügen in die Leipziger Kulturpolitik.

Wieder einmal demonstriere Hartmann, "dass er sein Ensemble zum gleichen Thema in ganz unterschiedlichen Schauspielstilen agieren lassen kann", schreibt Nina May von der Leipziger Volkszeitung (12.2.2011). Im ersten Teil werde der Schwank vorgeführt und dabei "mit den Erwartungen des Publikums an eine typische Hartmann-Inszenierung gespielt. Wozu allerdings auch eine Stunde gereicht hätte." Nach der Pause übertrage der Regisseur die Grundfrage das Stückes (Wer ist hier verrückt?) auf das Theaterspiel selbst. Nicht nur die Schauspieler überzeugen die Kritikerin, allen voran Holger Stockhaus. Plausibel erscheint der Kritikerin auch, "wie Hartmann das (Vor)-Spielen von Sein auf eine neue Ebene hebt und Stockhaus überlegen lässt, 'Kunturponitiker' zu werden und seine 'Konnegen' bittet, ihn bei der nächsten 'Wahn zu wähnen' - aber bitte nicht als 'Abwahnverfahren' – "eine zwar etwas platte, aber doch amüsante Anspielung auf das Leipziger Macht-Gerangel zwischen Oberbürgermeister und Kulturbürgermeister, beide übrigens unter den Premierengästen".

 

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