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Studie einer politischen Radikalisierung

von André Mumot

Hannover, 12. Februar 2011. Recht sympathisch ist immerhin die Kuh. Man hat auch den Eindruck, sie sei ein wenig verdutzt, wie sie da so auf der Bühne steht und ein bisschen speichelt. Auf ihre rundlich angenehme Weise ist sie niedlich anzusehen, außerdem sorgt sie für das, was man von einem Fallada-Abend erwartet: Das Herz wird einem warm. Das ist ganz gut so, denn auf das Kleine-Leute-Ehepaar, das hin und wieder beieinander im Bett sitzt, sollte man an diesem Abend besser nicht hoffen.

Tredup, der Anzeigenwerber (Mathias Max Herrmann) und seine Elise (Hanna Scheibe) betrügen, verraten und erpressen, er prügelt sie auch bei Bedarf. Aber wenn die Nachbarn kommen, um sich zu beschweren, nimmt sie ihn doch in Schutz. Regisseur Tom Kühnel gönnt den beiden zwar einen von Engelschören verzierten Moment der ruhigen Aussöhnung, kurz vor Schluss, aber da sind die beiden angekratzt Verhärmten längst nicht mehr zu retten. Kein Pinneberg in Sicht, schon gar kein Lämmchen.

Katastrophe durch Intrigen und Kompetenzgerangel

Im Schauspiel Hannover hat man sich nicht für "Kleiner Mann, was nun?", entscheiden, nicht für jenes Buch also, in das sich die adaptionsfreudigen deutschen Bühnen immer mehr verlieben, weil er so viel rührend Menschelndes in schwere Zeiten trägt. Stattdessen macht es "Bauern, Bomben und Bonzen", den Vorgänger-Roman von 1931, allen Beteiligten erheblich schwerer.

Fallada hat hier auf sehr vielen Seiten die Hintergründe des "Landvolk-Prozesses" nachgezeichnet, der 1929 im holsteinischen Neumünster stattfand. Es ist die Studie einer politischen Radikalisierung: Die stark von der Wirtschaftskrise betroffenen Bauern weigern sich, ihre Steuern zu bezahlen, veranstalten, angeheizt von deutschnationalen Umstürzlern, eine Demonstration, die von der Polizei blutig niedergeschlagen wird, worauf sie einen Boykott über die kleine Stadt Altholm verhängen.

Entscheidend sind dabei selten die einzelnen Schicksale, meistens dagegen die minutiös festgehaltene Manipulationsarbeit der Interessensverbände und staatlichen Institutionen. Zur Katastrophe kommt es durch das Kompetenzgerangel zwischen dem sozialdemokratischen Bürgermeister und seinem Parteigenossen, dem Regierungspräsidenten, wobei die rechtsgerichtete Lokalpresse kräftig Öl ins Feuer gießt. Jeder hintergeht jeden, übt Druck aus, wo er kann, paktiert und schmiedet Intrigen.

Beklemmungsbilder chaotischer Brutalität

Regisseur Tom Kühnel begeht nicht den Fehler, die Konkreta der instabilen Weimarer Republik plump mit unser Gegenwart gleichzusetzen. Der Stoff bleibt Historienspiel, und die abstraktere Aktualität des strategischen Lobbyismus und der Verwerfung realpolitischer Vernunft zugunsten ideologischer Massenmobilisierung wird nicht vordergründig betont.

Im nackten Bühnenraum treten die Figuren dementsprechend im akkuraten historischen Kostüm auf, sodass es jede Menge kurioser Bärte und Pumphosen zu bestaunen gibt. Aber dabei bleibt es nicht. Zu effektvoll aufregender Musik gerät alles in verspielte Bewegung: Der kleine Zeitungsschmierer rast auf dem Fahrrad heran, die Geschäftsleute der Stadt im Oldtimer, der bärbeißige Bauernführer (Dieter Hufschmidt) auf seinem Trecker. Es herrscht tatsächlich ein hohes Verkehrsaufkommen, vor allem, weil der Bürgermeister (Paul Faßnacht) seinen motorisierten Schreibtisch und Else ihr Ehebett wie Autoscooter bedienen und zur großen Erheiterung des Publikums zu ihren jeweiligen Einsätzen sausen.

Die Stärke des Abends liegt in seiner fröhlichen Ausdauer, in seiner Freude am kontinuierlichen Ideenfinden für tendenziell trockene Büro-, Kanzlei- und Hinterzimmerszenen. Kühnel lässt die kreisende Hebebühne hoch und niedersinken, Fackeln und Fahnen schwenken, die Subalternen des Regierungspräsidenten ein ironisches Ergebenheitsballett tanzen und gestaltet vor allem die eskalierende Demonstration mit bestürzendem Aplomb. Nur neun Schauspieler des sportlich die Rollen wechselnden Ensembles stellen sich dabei gegen den herausragend in Panik geratenden Janko Kahle als Polizeichef. Von einer Videokamera gefilmt, die sich mitten im Geschehen befindet, gelangen so Beklemmungsbilder von chaotischer Brutalität auf die zwei Projektionsleinwände.

Ermüdende Hektik

Und doch rächt sich die Überfülle des im Grunde undramatischen Materials. Was bei Fallada ein Uhrwerk romandramaturgischer Genauigkeit ist, führt bei Kühnel gegen Ende zum schnappatmenden Abhaken der wichtigsten inhaltlichen Punkte. Vier lange Stunden dauert die Aufführung, die sich nicht zur straffen Verdichtung entschließen kann, und gegen Ende, wo dringend noch der Prozess abgehandelt werden muss, um alle offenen Fragen zu klären, kommt endgültig ermüdende Hektik ins Spiel.

Man wird sich gern an diesen Abend erinnern, an ein über den Boden gleitendes Bett und eine sehr sympathische Kuh, aber sicher auch an den Richter, dessen mehrmals angestimmter Ausruf einiges auf den Punkt bringt: "Das Publikum hat zu sitzen!"

 

Bauern, Bonzen, Bomben
nach dem gleichnamigen Roman von Hans Fallada in einer Bearbeitung des Schauspiel Hannover
Regie, Video: Tom Kühnel, Bühne, Video: Jo Schramm, Kostüme: Ulrike Gutbrod, Musik: Markus Hübner, Videomitarbeit: Sabine Popa, Dramaturgie: Christian Tschirner.
Mit: Paul Faßnacht, Rainer Frank, Mathias Max Herrmann, Dieter Hufschmidt, Janko Kahle, Sebastian Kaufmane, Thomas Neumann, Hanna Scheibe, Sebastian Schindegger, Christian Tschirner, Friedel Könicke, Jette/Rita (Kühe)

www.staatstheater-hannover.de

 

Kritikenrundschau

Das Theater habe manchmal "ein Problem mit kleinen, geduckten Leuten", schreibt Ronald Meyer-Arlt in der Hannoverschen Allgemeinen (14.2.2011). Da komme es ganz "auf die Kunst der Schauspieler an, diesen kleinen Leuten so viel Größe zu geben, dass man einen Abend lang zu ihnen aufblicken mag". Und eben dies gelinge Mathias Max Herrmann, dessen Tredup "erpresst und betrügt - und man kann das erstaunlicherweise alles irgendwie nachvollziehen. (...) Man denkt: Kleiner Mann, was nun? Und fühlt mit." Allein die Zeitungsfuzzis lohnten den Besuch, und auch sonst sehe man "großartige Schauspieler, die wunderbar spielen". Und doch vermag Kühnel den Kritiker nicht "so recht zu begeistern", denn da sei "auch vieles, das stört, das unentschieden, überflüssig und übertrieben wirkt". Natürlich sei es "nett, in einem historischen Bauerntheater ab und zu mal "authentisch und historisch zu werden". Das Ensemble könne mit seinem Spiel "die Authentizität des Historischen (...) allerdings oft nicht halten", vielmehr werde bisweilen "gekaspert und karikiert, dass man glaubt, einer aktuellen Probe beizuwohnen". Hier sei nichts "richtig schlimm", aber "leider auch nicht richtig gut". In dem Stoff stecke jedenfalls viel mehr: eine "Geschichte von Wutbürgern - "das ist so aktuell, dass zwanghafte Aktualisierungen gar nicht nötig wären".

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