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Götter an der Börse

von Marcus Hladek

Frankfurt am Main, 15. Februar 2011. Im ersten Drittel bankrottgegangen, das zweite scheinbar vergeudet, mit dem dritten noch so eben vieles aus dem Sumpf gezogen. So könnte, ohne allzu kreative Buchführung, die Einsatz-Ergebnis-Bilanz zur jüngsten Inszenierung am Schauspiel Frankfurt aussehen.

Das Material, mit dem der österreichische Regisseur und bildende Künstler Philipp Preuss es bei Elfriede Jelineks Stück zu tun hatte, dürfte es ihm von vornherein nicht leicht gemacht haben. Die Kontrakte des Kaufmanns erinnern in der Sprachform einer permanenten Publikumsadresse an Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung". Die Frage "Wer spricht?" findet allerdings eine teils konkretere, teils noch abstraktere Antwort als vor 45 Jahren bei ihrem Landsmann. Als Sprecher darf man sich so etwas wie die vereinte Finanz- und Bankenmacht im Gegenüber mit uns, den ewig ausgetricksten und untergebutterten Finanz-Laien, vorstellen. Anders gesagt: Es spricht eine Verkörperung des von Marx so genannten "universellen Tauschmittels", des Geldes.

Herakles in der Diamantenbörse

Wissen muss man vorab, wo sich die Aufführung abspielt: Frankfurts Diamantenbörse ist eine ehemalige, weil der 1974 unternommene Versuch eines zwielichtigen Duos, Frankfurt durch die Einrichtung einer solchen Börse der Diamantenstadt Antwerpen gleichzusetzen, unter hohen Schulden, Korrumpierung eines Ministers und Gefängnisstrafen vor aller Augen, scheiterte. Die aktuelle Bezeichnung "(MA*)" markiert den Ort als Teil einer Immobilien- und Stadtteilentwicklung durch Ardi Goldman, einen Großinvestor mit kulturellen Vorlieben, der schon die Frankfurter "Romanfabrik" ermöglichte. Dieses Stück an diesem wie die Faust aufs Gretchen passenden Ort verdankt sich der befristeten Zwischennutzung durch das Schauspielhaus, die Goldman ihm gestattet.

Die Dreiteilung der Inszenierung beginnt überaus olympisch im Foyer des Hauses mit seinen wuchtig-kantigen Betonsäulen, der doppelten Rolltreppe in der Mitte und Monitoren für das Publikum rundum. Während David Bowie uns die Ohren mit musikalischem Kitsch vollklebt, macht zunächst der in Schmuckschrift geschriebene Name "Herakles" auf den Monitoren neugierig, den drei Kerzen darunter wie römische Ziffern zu "Herakles III" ergänzen. Gewitzigt durch Heiner Müllers Texte "Herakles 5" und "Herakles 2 oder die Hydra", erwägt man womöglich, ob auf die dritte Arbeit des Herakles angespielt werde. Viel Sinn ergibt das mit dem Einfangen der Kerynitischen Hirschkuh allerdings nicht, obwohl sich Lisa Stiegler später immerhin auf besagte "Arbeiten" beziehen wird.

Plastik-Parodie des Sakralen

Etwas Klärung bringt der Auftritt von Lisa Stiegler, Michael Goldberg, Sébastien Jacobi und Nils Kahnwald unten im Foyer. Sie stecken allesamt in legeren rosa Glitzerjäckchen, tragen Schals, weiße Hosen und Schuhe und bilden als Chor die sektenartige Priesterschaft Constanze Beckers im Obergeschoss. Becker, anfangs bloß als Videoprojektion sichtbar, sitzt dort an einem mit Trinkpokalen, Goldfischglas, Sektkübel, Kerzen, "Ajax"-Flasche und Schweinekopf überladenen Tisch und ist als olympischer Gott ausstaffiert: Blumenkranz, üppiger Goldschmuck, bleich geschminkt, leeres Boy-George-Grinsen. Ein Brot verweist auf Demeter, die griechische Göttin der Fruchtbarkeit.

die kontrakte des kaufmanns_birgit hupfeld
© Birgit Hupfeld

Im Text Beckers und ihrer Schar, die ihn chorisch nachbetet und variiert, begründet die vereinte Bankenmacht durch ihre Figuration Constanze Becker, oft unter kirchlich anmutendem Orgelspiel und Donnergrollen, hantierend auch mit einem Casino-Chip als Hostie einer "heiligen Zweieinigkeit" und Aktien-Ersatz, weshalb man den alten Bankennamen nach erfolgter Pleite abgelegt und sich in "Herakles" umbenannt habe: damit wir armen Gimpel, Sparschweine und finanziellen Endverbraucher trotz Verlust aller Ersparnisse weiter brav unser Geld im Mahlstrom der großen Finanzinstitute versenken. Problem dabei: alles stimmt – das Ganze ist aber extrem platt und plimp gemacht als von Popmusik unterspülte Plastik-Parodie auf sakrale Würde und Weihe.

So weit, so gut. Teil zwei ist schnell beschrieben: Das Publikum erhält einen Casino-Chip und wird in den Oberstock eingeladen, wo professionelle Croupiers ein gutes Viertelstündchen lang unsere Einsätze entgegennehmen. Wäre es hiermit zu Ende, denkt man noch, müsste man den Abend als kompletten Reinfall abschreiben.

Frieren am Kamin

Stattdessen zieht der Abend nun deutlich an. Im Nebenraum des "Casinos" ertönt der Beatles-Song "You Never Give Me Your Money", die Werbung um unser Bestes geht weiter. Die männlichen Akteure frieren unter dicken Pelzen vor riesigen Kaminen und verfeuern dies und jenes, während Videos an den Seitenwänden vom "Arbeiten" des Kapitals salbadern. Der Weihestunde unten und der (Diamanten-)Börsenspekulation nebenan folgt also der Versuch zu verstehen, was Geld überhaupt ist, wie es funktioniert und wohin es entschwindet, wenn es "verloren" geht. Die Figuren werden plastischer, das Ganze gewinnt Dramatik – Goldberg, Jacobi und Kahnwald spielen unter der Bond-Musik "Diamonds Are Forever" mit Discokugeln als Diamantenersatz, Becker stattet sie für ihr Grübeln über das Geld wie aufgeklärte philosophes des 18. Jahrhunderts aus. Vom Wandern der Steine ist die Rede, das niemand sehen kann.

Hin und wieder spielt Lisa Stiegler hinten auf dem Klavier. Mit Axt, Hacke und anderen Geräten bearbeiten die Männer/Investoren/Kleinanleger Boden und Wände (ihre "Arbeiten") und halten jeder seinen Sermon: "Die Bank verwendet nur natürliche Kosmetik für ihre Bilanzen!" Schließlich, einer nach dem andern, treten sie filmisch an: drei Bankrotteure und der Selbstmord. Stiegler aber wendet sich uns zu, um als Clownin in parodistisch-hohem Ton von Charon, dem Totenfährmann, und Brechts "Herr Kules" zu sprechen. Zum Beatles-Song, nun auf dem automatischen Klavier, stellt sie ein für allemal die Metaphysik der Finanzen für uns klar, wie sie auch Demeter, der zinsbringenden Mutter der Unterweltsgöttin Perspephone, gefiele: "Oberhalb der Erde gehört alles uns, das unterhalb können Sie gerne nehmen." Außer Gold und Öl natürlich.

 

Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie
von Elfriede Jelinek
Regie: Philipp Preuss, Bühne: David Gonter, Philipp Preuss, Kostüme: Katharina Tasch, Video: Konny Keller, Musik: Maciej Medrala, Dramaturgie: Sibylle Baschung.
Mit: Constanze Becker, Lisa Stiegler, Michael Goldberg, Sébastien Jacobi, Nils Kahnwald.

www.schauspielfrankfurt.de

 

Während Nicolas Stemann bei seiner Uraufführung von Elfriede Jelineks Kontrakte des Kaufmanns im April 2009 in Köln auf die Maschinerie eines überschnappenden Systems schaute, zoomte Johan Simons mit dem NT Gent an die menschlichen Zahnräder derselben heran und barg das Einzelschicksal aus den Endlossatz-Flächen. In der Berliner Inszenierung des jungen Pedro Martins Beja wirkten die Jelinek'schen Kalauer wie Freud'sche Versprecher (April 2010); in Potsdam verpflanzte Lukas Langhoff die "Kontrakte" auf den Planet der Affen (Juni 2010). Und im Januar 2011 wurde die Wirtschaftskomödie von Thorleifur Örn Arnarsson passenderweise in unmittelbarer Nähe der Wirtschafts-Elite-Uni St. Gallen inszeniert, wo Ackermann & Co. ausgebildet werden.

 

Kritikenrundschau

"Philipp Preuss formt drei Teile", schreibt Peter Michalzik in der Frankfurter Rundschau (17.2.2011). Im Foyer würden vier Priester versuchen, uns von ihrer Finanzkirche zu überzeugen. Dann, zweitens, Rolltreppe hoch und rein ins Roulette-Vergnügen. Alle stürzen sich bereitwillig ins rollende Glücks- und Gierspiel. "Teil drei dann disparat, aber chaotisch sympathisch. Discokugeln als Riesendiamanten, ein unterbrochener Beatles-Song, James-Bond-Musik, wandernde Steine, die Akteure frieren in dicken Fellmänteln und hacken auf die Wände." Kohärent sei das nicht, "eher von jener offenen Lust an Ort und Krise und krummen Gedanken, die Spaß machen kann". Es wirke dann aber doch so, "als müssten sich die Schauspieler so sehr auf die riesigen Massen des rotierenden Textes konzentrieren, die sie für gerade mal sieben Aufführungen gelernt haben, dass der Rest leider etwas kurz kommt."

Nach dem Casino öffnet sich ein Raum, in dem die Zuschauer auf Kisten Platz zu nehmen haben. Ein bürgerliches Interieur mit zwei Kaminen und einem Klavier vor einer gemalten Winterlandschaft, hier endlich soll die Frage, "wie das viele Geld so spurlos verschwinden konnte, beantwortet werden", so Andreas Rossmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (17.2.2011). Die Inszenierung probiere viel aus, nehme immer wieder neue Anläufe, um ins Spiel zu kommen. Fazit: Preuss filtere einen Traktat über den Glauben an das Geld und den Kapitalismus als Konfession. Aber, was "als munteres Kabarett anhebt, versackt in der bedeutungsschweren Klamotte".

Philipp Preuss liege nicht daneben, wenn er den Abend zuerst einmal so anlegt, "dass man in der deutschen Jahrestagung der Scientologen gelandet zu sein meint", so Jürgen Berger in der Süddeutschen Zeitung (18.2.2011). Man sitze im Foyer der Diamantenbörse, blicke in Richtung der nach oben führenden Rolltreppen, "dann geben Lisa Stiegler, Michael Goldberg, Sébastien Jacobi und Nils Kahnwald Text von sich, während Constanze Becker auf einem Monitor wie eine Hohepriesterin des Kapitals raunt." Die Bilder seien okay, der Rest ist biederes Aufsagetheater. Zum Schluss gebe es dann nochmal Atmosphäre, wenn die Jelinek-Sprecher, in Pelze gehüllt, in einem Saal sitzen, als fröstelten sie in der Kälte einer spekulationslosen Zeit. "Preuss stellt dem Text allerdings auch jetzt keinen Hallraum zur Verfügung, sondern bebildert nur willkürlich.

 

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