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Die blutigen Details des Politikgeschäfts

von Elisabeth Maier

Aalen, 19. Februar 2011. Erregt berichtet ein Reporter vom Selbstmord eines amerikanischen Politikers. Im dunklen Bühnenraum ist dabei nur eine glimmende Zigarette zu sehen. Von zitternder Hand gehalten. In ihrer Inszenierung von Carlos Murillos "Vermischte Meldungen oder die ganzen blutigen Details" hinterfragt die Regisseurin Katharina Kreuzhage am Theater der Stadt Aalen die nachrichtlichen Fakten. Sie lenkt den Blick auf Emotionen, die auch ein Berichterstatter nicht verdrängen kann.

Auf dem Off schildert Max Rohland den Fall, noch bevor der Prolog beginnt. Für Augenblicke fällt dabei auch der Schauspieler aus der Rolle, verrät sein Entsetzen. Mit diesem Kunstgriff nimmt Kreuzhage dem Stück viel von seiner vermeintlichen Undurchschaubarkeit. Medienkonstruktionen, die der amerikanische Autor im Stück konsequent auseinandernimmt, übersetzt sie mit ihrem Schauspielensemble in Porträts verletzter Seelen.

Es geschah vor laufenden Kameras

Die Intendantin des "kleinsten Stadttheaters in Deutschland", wie die Aalener ihr Haus nicht ohne Stolz nennen, beschäftigt sich bereits zum zweiten Mal mit diesem Autor, der seit 2010 an der Chicagoer DePaul Universität den Studiengang für angehende Dramatiker leitet. Mit der Inszenierung von Dark Play, einem düsteren Spiel über falsche Internet-Identitäten, hat Kreuzhage Murillo 2009 für das deutsche Theater entdeckt. In den USA ist der Künstler einer der führenden Latino-Autoren und wird oft gespielt. Die Uraufführung von "Vermischte Meldungen" hatte der 41-jährige Dramatiker im Jahr 2004 selbst am Chicagoer Walkabout Theatre inszeniert.

Auf den ersten Blick wirkt Murillos Text, dessen Leitthema der Selbstmord des Finanzpolitikers R. Owen Robertson vor laufenden Kameras ist, fremd. Denn der Autor jongliert leichthändig mit Motiven, die stark im amerikanischen Medienalltag verhaftet sind. Zudem hat sein Text einen realen Hintergrund: Am 22. Januar 1987 erschoss sich der Schatzmeister von Pennsylvania, R. Budd Dwyer, in seinem Büro in Harrisburg vor laufenden Kameras, weil er wegen eines Bestechungs-Skandals zu einer hohen Gefängnisstrafe verurteilt worden war.

Von der Bilderflut zu einfachen Symbolen

Im Stil einer quälenden Dauerwerbesendung lässt Kreuzhage solch ein Bild immer wieder von den Schauspielern erzählen: ein Politiker schiebt sich den Lauf der 357er Magnum in den Mund und erschießt sich. Anders als Murillo, der das dokumentarische Material nur andeutungsweise in sein durchaus vergnüglich gestricktes well-made-play flicht, arbeitet die Regisseurin mit den dokumentarischen Fakten.

Murillos Figuren sprechen eine flapsige Sprache. Hilflos klammern sie sich an Fernseh-Bilder, wie etwa der anonyme Mann (Gregor Weisgerber), der über den "gewieften Pavian" sinniert. Dass sie aber mehr als geklone Klischefiguren sind, akzentuiert Ariane Scherpf mit ihrem Bühnenraum. Mit einem durchsichtigen Vorhang schafft die bildende Künstlerin mehrere Spielebenen. Murillos Bilderflut reduziert sie auf klare, einfache Symbole.

Tanz der Gorilla-Masken

Melancholische Musik durchdringt den Traumraum. In einer flüchtig skizzierten Wohnzimmerkulisse offenbaren die Figuren ihr wahres Gesicht. Ein vermeintlich glückliches Ehepaar dekonstruieren Kirsten Pothoff und Mike Langhans mit Feingefühl. Gregor Weisgerber als ihr Freund bringt eine stumme Zimmerschlacht ins Rollen. Und auch Claudia Sutters malende Hausfrau, die samt ihrer Katze vom schmierigen Moderator Kipper Russell (Max Rohland) als "leichter Füllstoff zwischen Nachrichten von Mord und Totschlag" vor die Kamera gezerrt wird, gewinnt in Kreuzhages Regiearbeit ausgereifte Konturen.

Den schwierigen Spagat zwischen Lachen und Entsetzen, den Murillo grandios beherrscht, hält das Aalener Ensemble leider nicht konsequent durch. In Katrin Wolfermanns Gorilla-Masken tanzen die Schauspieler als Medien-Clowns vor den Zuschauerreihen. Das wirkt allzu plump. Immerhin birgt das Bild eine Botschaft, wenn auch eine allzu simple: In Murillos Stück wird nicht nur der medienerfahrene Politiker zum Opfer. Die inszenierte Wirklichkeit macht Menschen vor Computerbildschirmen und Flimmerkisten zum Affen.


Vermischte Meldungen oder die ganzen blutigen Details (DEA)
von Carlos Murillo, Deutsch von Henning Bochert
Regie: Katharina Kreuzhage, Bühne: Ariane Scherpf, Kostüme: Katrin Wolfermann, Dramaturgie: Johannes Frohnsdorf.
Mit: Kirsten Pothoff, Claudia Sutter, Mike Langhans, Max Rohland, Gregor Weisgerber.

www.theateraalen.de

Mehr zum Theater Aalen: Wir berichteten auch über Carlos Murillos Dark Play, das Katharina Kreuzhage im Oktober 2009 inszeniert hat.

Kritikenrundschau

Carlos Murillos "Vermischte Meldungen" sei ein "handwerklich sauber gezeichneter Comic über die Entäußerung des Privaten an die Medien", meint Wolfgang Nussbaumer in der Schwäbischen Post (21.2.2011). "Vor der tatsächlichen Wirklichkeit, in der sich 'Dschungelcamp' und Bürgeraufstand von Marokko bis zum Jemen medial gegenüberstehen, wirkt Murillos ironisch-bitterer Blick auf den Siegeszug des Reality-TVs indes fast schon putzig." Bestes Handwerk lieferten Nussbaumer zufolge auch Regisseurin Katharina Kreuzhage und ihr Ensemble ab: Kreuzhage gebe "dem Affen Zucker und signalisiert durch Affenmasken und äffisches Menschenverhalten zugleich, wie wir uns durch Medien zum Affen machen lassen." Sie habe "viele schlüssige Bilder für die Frage nach der medialen Vereinnahmung der Gesellschaft gefunden - nicht weniger, aber auch nicht mehr."

Kommentare  
Vermischte Meldungen, Aalen: die Gorilla-Masken
Frau Kreuzhage und ihre Gorilla Masken.

(Hinweis: Der Kommentar ist nicht gekürzt, sondern kam so an. Lieber Zuschauer, Sie dürfen das gerne ausführen. die Redaktion/sik)
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