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Die unabwendbare Fratze der Gewalt

von Esther Boldt

Frankfurt, 12. März 2011. Weiß ist die Maske der Macht, grellrot leuchten ihre Lippen. In orangeroten Strähnen hängt ihr das Haar bis auf die Hüften, sie trägt ein hellgelbes Kleid mit langer Schleppe und einem Reifrock, der vielmehr als Abstandhalter dient und zur Stütze der regierungsmüden Hand. In Michael Thalheimers "Maria Stuart" ist Königin Elisabeth von Anfang an eine Gezeichnete, eine Gefangene ihrer Macht und ihres Status. Eine clowneske Lachfigur, die um ihre Würde ringt, abhängig von der Gunst des wankelmütigen Volkes ebenso wie von ihren Beratern, die sie umschwirren wie die Schmeißfliegen und doch nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Bitter tropfen Stephanie Eidt die Worte aus dem Mund, sauer röhrt und ruft sie: "Die Könige sind nur Sklaven ihres eigenen Standes!"

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"Maria Stuart"   © Birgit Hupfeld

Die gewaltige Bühne des großen Hauses im Schauspiel Frankfurt ist zweigeteilt. Rechts von einer meterhohen schwarzen Mauer marschiert Maria Stuart auf, Königin von Schottland, links Elisabeth, Königin von England. Im ersten Aufzug steht Elisabeth ungerührt da, die Linke am Rock, die Rechte im Schoß, und wird zur stummen Ohrenzeugin dessen, was auf der anderen Seite der Wand geschieht. Ebenso wird später Maria Stuart (Valery Tscheplanowa) den Ränkespielen im Palast lauschen, in ihrem schlichten grauen Kleid schräg an die Wand gekippt. So wird jede Königin zur Zeugin des Schicksals der Anderen.

Im Reich der langen Schatten

In eine öde Leere haben Thalheimer und Bühnenbildner Olaf Altmann Schillers Parabelstück von der Ohnmacht der Mächtigen hineingestellt. Dieses Reich ist eine Wüste, in der ein eisiger Wind geht, verweht wie die metallischen Gitarrenriffs, die wieder und wieder erklingen. Schräges Licht grellt ins Dunkel und wirft lange Schatten. Schwarz und nackt liegen Wände und Decken, zwischen den Szenen schwenkt die Mauer um und räumt mal Stuarts Kerker mehr Raum ein, mal Elisabeths Palast.

Ihre Schicksale sind eng verstrickt: Maria Stuart erhebt Anspruch auf Englands Thron, soll sogar gegen Elisabeth intrigiert haben und ihren Mord beauftragt. Elisabeth, die Protestantin, die den Aberglauben aus dem Land hinausbürstete und die Gerechtigkeit walten lassen wollte, kommt mit ihrer Vernunft nicht weiter. Sie muss ihre Konkurrentin zerstören – oder wird selbst zerstört. Den Rücktritt, der heute so groß in Mode steht, erwägt die Regentin kurz, verwirft ihn dann jedoch.

Keine Rettung, nirgends

Regiert das Recht oder die Gewalt? Für Thalheimer ist die Antwort eindeutig. Seine "Maria Stuart" macht seinem Ruf als Klassiker-Skelettierer alle Ehre, er schnitzt aus Schillers Drama den hochspannenden, verstörenden Politthriller heraus. Das Personal ist gestrafft, die Inszenierung ganz auf die ebenso hässliche wie unabwendbare Fratze der Gewalt zugeschnitten. Hier herrschen Misstrauen und Verrat, in Zwangslagen und Gewaltakten verbiegen sich die Leiber und scheinen von innen zu bersten: Mortimer (Isaak Dentler) etwa rattert seine Rettungspläne mit ungeheurem Sprechtempo heraus, doch der Widerständige steht mit gebeugten Knien und gekrümmtem Rücken.

So sieht kein Held aus, auch er ist schon gefallen. Wenn Elisabeth sich eingestehen muss, dass ihre hochgeschätzte Freiheit durch Heirat, Maria Stuart oder den Volkswillen bedroht wird, klappt ihr Oberkörper nach vorn, das orangerote Haar flattert gen Boden, und ihrer Brust entringt sich ein markerschütternder Schrei. Hier ist keine Rettung, nirgends, und jeder Alliierte kann sich als ärgster Feind entpuppen.

Grau gegen kanarienvogelgelb

Einmal küssen sich Elisabeth und Lord Leicester, mit windhundiger Eleganz gespielt von Marc Oliver Schulze. Als Leicester sich ihr entzieht, bleibt sie mit weit ausgebreiteten Armen und abgeknicktem Oberkörper stehen, sie fasst ins Leere, wo ihr eben noch ein Halt war. Ihr Clownsmund ist gänzlich zur Grimasse geworden, rotverschmiert sind fortan ihre Lippen, von einem einzigen Leidenschaftsmoment gezeichnet.

Diese beiden Königinnen sind grausam verloren in ihrer Einsamkeit, die auch kalt emporbrandet, wenn sie sich endlich begegnen: Ein Showdown über die volle Bühnenbreite, ein Moment des Schweigens, in dem sich die Katholikin in Grau und die Protestantin in Kanarienvogelgelb ruhig taxieren. Schließlich wird Maria, die Stolze, in ihrem Glauben Ungeheure losrennen und sich Elisabeth gegen die Brust rammen: "Denn ich bin euer König!" Hinkend wird sich die Königin von England abwenden, ihre Schleppe hinter sich herziehend wie ein ungeheures Gewicht. Auch wenn Maria Stuart hingerichtet wird: Frei wird diese gerupfte Clownskönigin niemals sein.

 

Maria Stuart
von Friedrich Schiller
Regie: Michael Thalheimer. Bühne: Olaf Altmann. Kostüme: Katrin Lea Tag. Musik: Bert Wrede. Licht: Johan Delaere. Dramaturgie: Sibylle Baschung.
Mit: Stephanie Eidt, Valery Tscheplanowa, Marc Oliver Schulze, Wolfgang Michael, Michael Benthin, Andreas Uhse, Martin Rentzsch, Isaak Dentler.

www.schauspielfrankfurt.de

 

Mehr Maria Stuarts? Barbara Frey eröffnete mit Schiller ihre erste Saison im Zürcher Schiffbau, Sandra Hüller spielte in Berlin The Virgin Queen, in Potsdam legte Katharina Thalbach ihre Elisabeth als alternde Diva an.

 

Kritikenrundschau

Radikal und monumental sei Olaf Altmanns Bühnenbild, konstatiert Hans-Klaus Jungheinrich in der Frankfurter Rundschau (14.3.2011). Radikal auch Michael Thalheimers Inszenierung von "Maria Stuart", "ohne höfisch historisierenden oder anekdotischen Plunder". Die dramatische Dynamik werde hier allein "aus dem Zusammentreffen der Personen in den übergroßen Räumen" generiert. "Wie sich da schon in stummen Bildern das Geschehen kondensiert, ja ins Bewusstsein einbrennt!" Wichtig sei die "Präsenz der beteiligten Körper, deren hierarchische Stellung zueinander durch Haltungen markiert werden". Vor allem die männlichen Figuren zeigten sich dabei "in Zuständen körperlicher Verbogenheit", die Königinnen hingegen "als reich, differenziert und widersprüchlich angelegte Figuren". Während Elisabeth ihren Oberkörper dabei manchmal in die Waagrechte versetze – "eine Puppe, kurz vorm Zerbrechen –, dürfe Maria "schlichter, sozusagen menschlicher" agieren. Der "kritischste Punkt" der Inszenierung sei die Sprachbehandlung: Der Text werde mitunter zum "bloßen Sound einer kaum semantisch artikulierten, aufgesetzten Sprachmelodie", Arien, "mit viel Sinnverlust erkauft. Gespreizte Stilisierungsübungen." Jedoch: "Man muss es, man kann’s verschmerzen: auch Thalheimers Größe hat ihren Preis."

"So schlecht kann eine Inszenierung in Frankfurt derzeit nicht sein, dass ihr die grandiosen Schauspieler nicht doch faszinierende Momente abgewinnen", schreibt Dieter Bartezko in der Frankfurter Allgemeinen (14.3.2011). Sie folge einem "Hektikkonzept", nachdem verzerrt, geplattert, gekeift und heruntergehaspelt werde. Daneben lege Thalheimer aber auch offen, dass Schiller nicht nur "zynische Vernunft, sondern auch Leidenschaften, Begierden, Ängste, Sehnsüchte und Selbstsüchte als übermächtige Antriebe" beschrieben habe. Immer wieder verrate die Körpersprache, "was die Charaktermaske verbirgt". Wann immer das "Flirren zwischen Macht und Geschlecht, Vernunft und Leidenschaft vorherrscht, wohnt man einer großartigen, sogar Stille ertragenden Inszenierung bei". Mit der "Zuverlässigkeit eines Walzwerks" lasse Thalheimer jedoch immer wieder "den vulgärpsychologischen Hammer dreinschlagen", der uns zeige, wie alle "vom Unterleib gesteuert" werden. So kämpften zwei Inszenierungen miteinander, "eine subtile Analyse und eine dummdreiste Kolportage. Dass erstere zuletzt siegt, liegt an den Schauspielern und dem Dichter, dessen Genie pubertär-effektsüchtigen Plumpheiten widersteht".

Ulrich Weinzierl von der Welt (14.3.2011) hat eine "denkwürdige", ja "furiose" Inszenierung gesehen. Schillers Tragödie werde "zum Intrigenkonzert verdichtet" und "zum Leuchten" gebracht. "Der erste Eindruck, die Blankverse würden aus Zeitersparnisgründen zu Tode gehetzt, trügt. Denn alles, jedes winziges Detail, ob in Tempo, Rhythmus oder Melodie, hat seinen Sinn und Zweck. Stets merken wir die Absicht, sind trotzdem nie verstimmt: Weil die genauestens kalkulierte Wirkung eintritt - und überwältigt." Die schauspieler erzeugten – unterstützt von Bert Wredes Gitarrenpeitschengriffen "atmosphärische Dichte". So lande die Inszenierung "auf dem Umweg über konsequenten Formalismus" letztlich "in der Psychologie des Geschehens. Die expressive, beinah expressionistisch verzerrte Körpersprache wird zum plastischen Ausdruck tiefster Gefühle". Die Luft sei "zum Schneiden", die "Mitwirkenden bei diesem furiosen Liebeshass- und Intrigenkonzert" seien allesamt "staunenswert präzise".

Thalheimer lasse "sich nicht zum Zickenkrieg verführen", so Sabine Kinner in der Frankfurter Neuen Presse (14.3.2011). "Seine beiden Monarchinnen sind sich selbst jeweils die größte Widersacherin. Sie kämpfen gegen die inneren Dämonen der erlittenen Demütigungen und der aufwühlenden Rache." Thalheimer psychologisiere, modernisiere und stilisiere, "ohne den Klassiker zu beschädigen". Er gebe "der Handlung Dichte und der Sprache Schliff, wie es derzeit kaum ein anderer am Theater vermag" und gewinne das rund alte Drama so "für die Gegenwart".

Michael Thalheimer neige dazu, einen Stoff im Innersten zu treffen, schreibt Jürgen Berger in der Süddeutschen Zeitung (15.3.2011). "Manchmal allerdings reduziert er ihn auch nur auf den Kern und presst ihm das Blut aus." Zunächst preist Berger Altmanns "kosmische Klagemauer, die von der Bühnenrampe bis an die Brandmauer reicht und federleicht wie ein galaktischer Wischmop über die Breite der Bühne schwenkt". Thaheimers Inszenierung sei eine "des körperlichen Extrems". Über die Sprache allerdings werde hinweggerast, dass man seinen Schiller schon kennen müsse. Andererseits: "Kommt es zum Show Down, entsteht einer der intensivsten Momente. Tscheplanowa und Eidt lauern in größtmöglicher Entfernung, trotzdem stellt sich ein Moment der Verzweiflung bei der zum Tode Verurteilten und ein Flackern moralischer Schmach bei der Henkerin ein, die doch nur eine vom Volk geliebte Königin sein will. In solchen Augenblicken läge die Wahrheit des Melodrams, das Thalheimer ja wohl will."

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