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Mann ohne Rückgrat im U-Boot versenkt

von Klaus M. Schmidt

Mönchengladbach, 25. März 2011. Selten tritt ein neuer Intendant so leise an wie der vom Landestheater Schleswig-Holstein ans Theater Krefeld Mönchengladbach gewechselte Michael Grosse. Sein erster Spielplan enthält viele Wiederaufnahmen aus der letzten Spielzeit des Vorgängers Jens Pesel, und im Ensemble sieht man viele bekannte Gesichter. Einen frischeren Akzent wollte man an Deutschlands ältestem Fusionstheater jetzt wohl setzen, indem man den Kölner Filmregisseur Ali Samadi Ahadi, der vor dem ersten Golfkrieg 1985 aus dem Iran nach Deutschland floh, mit seiner ersten Theaterregie betraute.

Samadi Ahadis jüngstes Werk "The Green Wave" kam erst im Februar in die Kinos. Die preisgekrönte Dokumentarfilm-Collage schildert das gescheiterte Aufbegehren der Iraner gegen die wahrscheinlich manipulierte Wiederwahl Mahmud Ahmadineschads zum Präsidenten im Sommer 2009. Mit "Salami Aleikum" hatte Ahadi zuvor eine schräge Komödie gedreht, und auch für sein Theaterdebüt hat er sich eine Komödie gewünscht. David Pharaos "Der Gast" war in Frankreich sehr erfolgreich, erhielt 2004 den Prix Moliere. Die französische Verfilmung (2007) mit Daniel Auteuil in der Hauptrolle schaffte es dann aber nicht in die deutschen Kinos.

Achtung, Wasserschaden

Gérard (Daniel Minetti), Verpackungsexperte, ist 52 und schon lange arbeitslos. Er spielt mit seiner Modelleisenbahn, die er durch die ganze Wohnung fahren lässt, und verzockt sein weniges Geld bei Pferdewetten. Gérard ist abgetaucht – Dietrich von Grebmers Bühnenbild verdeutlicht dies, indem es das Ambiente eines U-Boots mit dem einer Boulevardtheater-Wohnung kreuzt. Bullaugen und Metallrohre treffen auf Blümchentapete und Sofa. Das ist so absurd, fast hat es schon wieder was.

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"Der Gast"                               ©Stutte

Der erste Auftritt gehört Colette (Eva Spott), Gérards Frau, die mit Hilfe des Nachbarn Alexandre (Felix Banholzer) versucht, einen Wasserschaden zu beheben. Achtung, hier ist es obendrein auch nicht ganz dicht! Gérard ist derweil bei einem Vorstellungsgespräch, kommt zurück – und hat tatsächlich einen Erfolg zu vermelden. Nur noch ein Abendessen mit seinem zukünftigen Chef Pontignac (Joachim Henschke) trenne ihn von einem neuen Job, glaubt er, da belehrt ihn der angebliche PR-Fachmann Alexandre: Dieses Abendessen sei ja erst das entscheidende Bewerbungsgespräch.

Unverständiges Glotzen

Damit nimmt die böse Komik dieser manchmal etwas kruden Textmischung aus Sitcom-Soap und Boulevard ihren Lauf. Alexandre coacht Gérard und Colette für den bevorstehenden Besuch, wobei sich Gérard bis zur Kenntlichkeit verbiegt. Er lässt sich (angeblich) künstlerisch wertvolle Bilder als Dekoration aufschwatzen, baut sogar seine heißgeliebte Eisenbahn ab. Für den Job tut er alles, Flexibilität nennt man schönfärbend diese Charakterschwäche. Der Mann hat einfach kein Rückgrat. Natürlich kommt dann alles anders: Gegen Ende macht Pontignac Gérard klar, dass er gerade das Mittelmaß sucht, das Gérard so verzweifelt wie erfolglos zu verbergen versucht hat – und er bekommt den Job im fernen Indonesien.

In Komödien lacht man über die Protagonisten, nicht mit ihnen. Insofern hat Samadi Ahadi bei seinem Theaterdebüt in Mönchengladbach alles richtig gemacht. Aber es bleibt ein fader Nachgeschmack, denn er führt die Figuren noch ein wenig mehr vor als ihr Autor. Minettis Gérard ist ein Pantoffelheld aus dem Bilderbuch, dem etwas zu oft die Kinnlade herunterklappt, so dass ihm zum unverständigen Glotzen auch noch der Mund offensteht. Er lässt die Schultern hängen, streckt das eigentlich nicht vorhandene Bäuchlein vor und belegt seine Frau mit Kraftausdrücken, die im oberen Teil der Mittelschicht noch zum Scheidungsgrund werden könnten. Dieser Bauer hat seine Frau gefunden, und Eva Spotts Colette kann einem fast schon leid tun, wie sie unter einer Peggy-Bundy-Perücke das Dummchen mimen muss.

So werden Überraschungseffekte verschenkt, man wundert sich höchstens, dass man nicht noch mehr Vorhersehbares zu sehen bekommt: Hatte Minettis Gérard jetzt wie Al Bundy in der Sitcom "Eine schrecklich nette Familie" die Hand in Schrittnähe in der Hose stecken oder nicht? Wahrscheinlich hat man's nur verpasst. "Die Form hat den Inhalt überholt. Wir sind in der Welt der Zeichen angekommen", erklärt Alexandre Gérard im ersten Akt. Ali Samadi Ahadi häuft eine Menge Zeichen an, mit denen man sich Gérard, seine Arbeitslosigkeit und dann sein Scheitern im Erfolg vom Leibe halten kann.

 

Der Gast
von David Pharao
deutsch von Astrid Windorf
Regie: Ali Samadi Ahadi, Bühne und Kostüme: Dietrich von Grebmer, Dramaturgie: Martin Vöhringer.
Mit: Felix Banholzer, Joachim Henschke, Daniel Minetti, Eva Spott.

www.theater-krefeld-moenchengladbach.de

 

Kritikenrundschau

Oberflächlich sei David Pharaos Stück "Der Gast" "eine Kleinbürgerkomödie und Gérard eine Art Al Bundy auf Französisch", meint Stefan Keim auf WDR 2 (28.3.2011). "Doch hinter dem Witz sitzt pure Verzweiflung. Colette und Gérard sind auf dem Weg an den Rand der Gesellschaft." Das über Gérards berufliche Zukunft entscheidende Abendessen sei "die letzte Chance, ins bürgerliche Leben zurück zu kehren". Filmregisseur Ali Samadi Ahadi habe zwar keinen ästhetischen Kunstgriff wie in seinem Film "The Green Wave" zur Verfügung, doch "in einem hübsch geschmacklosen Bühnenbild aus Blümchentapeten, Flokatiteppichen und Kitschkrempel" inszeniere er "einen temporeichen Abend".

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