Wenn Wünsche in Erfüllung gehen

27. März 2011.

altNein, das war nix. Jedenfalls kein Theaterabend. Nur Fernsehen, sympathisches. Womit immerhin einer der vielen Wünsche der ko-moderierenden Johanna Schall in Erfüllung ging: Das Theater wurde durchs Internet nicht ersetzt, ergo gemeuchelt. Kein Medium kann die gleichzeitige körperliche Anwesenheit von Schauspielern und Zuschauern ersetzen.

Am Volkstheater Rostock wurde "Effi Briest"-Premiere gefeiert – ohne leibhaftiges Publikum, vor leerem Saal. Aus Protest: Am 21. Februar 2011 hatten die politisch Verantwortlichen verfügt, das Große Haus des Volkstheaters Rostock aus sicherheitstechnischen Gründen zu schließen. Ein absurder Vorgang deshalb, weil seit Jahren klar war, dass das Nachkriegsprovisorium Mängel besitzt, darauf aber nicht reagiert wurde. Wann und ob das Große Haus wiedereröffnet wird, ob es einen Neubau gibt, wie eine Interimsspielstätte aussehen soll – in Rostock herrscht Ratlosigkeit.

Zehn Intendanten in 20 Jahren

Nun saßen die Zuschauer vor Computer-Bildschirmen und Leinwänden, in der Stadt, im Land, aber angeblich auch in Kanada, Brasilien und auf den Philippinen. Beim Geplauder der einstigen Rostocker Schauspiel-Chefin und Brecht-Enkelin Schall und dem Journalisten Michael Laages mit dem Rostocker Intendanten Peter Leonard erfuhr man vor Vorstellungsbeginn ein paar aufschlussreiche Details: In den letzten 20 Jahren erlebte das Volkstheater zehn Intendanten. Seit dem Mauerfall sei es das Stiefkind der Rostocker Politik gewesen und von ihr immer als Last empfunden worden. Schwierig sei es, das Publikum zu erreichen, weil es so inhomogen sei – in Rostock leben eben lange schon nicht mehr nur Nordlichter, sondern Menschen aus der ganzen Republik.

Natürlich hätte man das Gespräch wie die Übertragung weit professioneller anpacken können: Da redeten die Diskutanten mal auf Leonards Muttersprache Englisch, mal auf Deutsch, ohne den übrigen Part in die jeweils andere Sprache zu übersetzen. Wenn man ein internationales Publikum erreichen wollte, wären Übertitel zum Beispiel eine feine Sache gewesen. Auch funktionierten mal die Mikros nicht, gab es ungenaue Abstimmungen, liefen Leute durchs Bild, hörte man die Techniker quatschen. Und bei der eigentlichen Premieren-Übertragung fühlte man sich oft wie im frühen Tonfilm – da knallten Schritte wie Kanonendonner, während Stimmen hinterm Klavier-Zuckerguss verschwanden. Immerhin war's in Farbe.

Seelenzergliederungen in Nahaufnahme

Andererseits gibt es diese Live-Übertragungsgeschichte in ihrer perfektionierten Variante ja schon länger: Die New Yorker Metropolitan Opera und andere Häuser übertragen stargespickte Vorstellungen weltweit in große Kinosäle und machen damit sogar Kasse. Aber obwohl da eine Heerschar von Technikern am Werk ist, Ton und Bild bestechen und die Übertitelung funktioniert, bleibt auch hier der Aufwand eine Krücke. Was ebenso für TV-Aufzeichnungen von Inszenierungen gilt: besser, als es gar nicht zu sehen.

So richtig nah kam einem "Effi Briest" am Bildschirm auch deshalb nicht, weil Regisseur Matthias Brenner, designierter Chef des Neuen Theaters Halle, seine Inszenierung brav an der vierten Wand stoppte. Treulich entwirft er einen historisierenden Fontane-Bilderbogen in großer Besetzung, die zwar einige der in den sonst üblichen Sparversionen wegfallenden Schlüsselszenen bietet (etwa die mit der Trippelli, wo Effi der Theatralität und Scheinhaftigkeit der Gesellschaft auf die Spur kommt), aber hier deutlich das Komödienstadl streift. Interessant: Gerade die Nahaufnahmen kommen den Seelenzergliederungen entgegen. Die Kamera liebt Lisa Flachmeyers erfrischend erdige, backfischige, staunende Effi. Hier, im Strom der individuellen Tragödie, ist die Inszenierung bei sich, geht die große, raunende Erzählung auf, während die Totalen, wiewohl schlüssig organisierte Tableaus, oft unkonzentriert und überflüssig wirken.

Ein tolles Begräbnis

Interessant auch, dass das fehlende Live-Publikum einige Schwachstellen der Inszenierung betonte: Wenn der Pastor etwa seine große Suff-Slapstick-Nummer abzieht (eine reine Konzession an den Gaudi) und niemand lacht, wirkt die Situation peinlicher und überflüssiger als ohnehin schon. Andererseits sorgt gerade die Übertragungs-Situation für ein gelegentliches Aufbrechen der Peter-Stein-Idylle: Wenn immer mal wieder ein Kameramann ins Bild gerät, wenn eine Einstellung die Schauspieler vor leerem Theatersaal zeigt, wenn nach 245 Minuten gar die Demontage der Bühne gefilmt wird, dann fühlt man sich plötzlich wie in einer Katie-Mitchell-Inszenierung.

Ein weiterer Schall-Wunsch ging übrigens nicht in Erfüllung: Weder Rostocks Oberbürgermeister noch die Kultursenatorin tauchten auf, um sich an diesem Abend mit dem Theater solidarisch zu erklären. Dafür sah man "ein tolles Begräbnis, eine Geisterbahn" (Schall), als sich die Schauspieler stumm verbeugten, während aus einem iPhone der Premierenapplaus eingespielt wurde. Oder war diese Live-Übertragung aus dem Theatersarg doch ein Phoenix, der sich aus der Asche erhebt, wie Laages hofft? Stark wirkte die Live-Übertragung als Protestgeste. Als Theaterabend mundete sie wie Kunsthonig oder Lachsersatz: kein Vergleich.

PS: Im April wird die "Effi Briest" drei Mal live in der Rostocker Nikolaikirche gezeigt.

(Georg Kasch)