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Beschreibung einer aktuellen Kampfsituation

von Hartmut Krug

Göttingen, 2. April 2011. "Giganten" steht in Spiegelschrift über der offenen schwarzen Bühnenrückwand, und ein geheimnislos brav wirkendes Paar steht Hand in Hand vor dem Publikum: Sie das getürmte Blondhaar überm blauen Kleidchen, er den untersetzten, kräftigen Körper kriegerisch schwarz gepolstert. Dann gehen die beiden, die später als Penthesilea und Achill um- und gegeneinander kämpfen, erst einmal ab. Und eine der Amazonen, auf Highheels und überm hautfarbenen, körperengen Body eine schwarze Federboa, erzählt uns, was im Original eigentlich Penthesilea viel später Achill vom Schicksal der Amazonen berichten würde. Daraufhin brüllen alle wild durcheinander und aufs Publikum ein und begeben sich in eine abgezirkelte Kampfchoreographie.

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©Bartlomiej Sowa

Gegen die Wand

Es sind Szenen, die immer wieder den Abend strukturieren. Wojtek Klemms kraftvolle Inszenierung schickt ihre Comicfiguren im steten Wechsel von Hektik und Ruhe in eindreiviertel Stunden durch Kleists stark gekürzte Handlung. Dabei zeigt der Regisseur klare Bilder und heftige Aktionen. Wo allerdings Kleists in Rhythmus und Diktion musikalische Sprache von inneren und äußeren Schlachten berichtet und dabei so hochfahrend wie verstörend zwischen Ekstase und Naturalismus hin und her springt, da wird in Göttingen nur Athmo-Musik eingespielt und alles Gedachte oder halb Gesagte direkt vorgespielt. Die erste Mauerschau zeigt zwei beschlipste Anzugträger bei ihrer Beschreibung der aktuellen Kampfsituation, indem sie Strichmännchen auf die Wände kreiden. Wozu Achill, dem das zu lang dauert, mal ein "schneller, du blödes Schwein, gib dir Mühe" einwirft. Nicht nur Achill, sondern alle Männer sind unangenehm aggressive Machos. Sie donnern sich oder die Amazonen gegen die Wände oder zerstückeln Barbiepuppen.

Penthesilea gehört zu den eher selten gespielten Stücken von Kleist. Die Theater tun sich mit seinem "entsetzlichen Schauspiel" (Christa Wolf) so schwer, dass sie es bei jeder Inszenierung neu zu erfinden suchen. Mal kommt es als Salonplauderei oder als reines Männerstück daher, mal als splatterhafte Blutschlacht, als reine gedankliche Vorstellung oder als Liebesschlacht, in dem der Gefühlssturm aus der Sprache tobt, dann wieder als Genderproblemstück und als Bewegungstheater, vor allem aber immer wieder auf unterschiedlichste Weise als reines Sprechstück.

Körpersprachlicher Einfallsreichtum

Klemm setzt auf comichafte Verdeutlichung, was punktuell effektvoll ist, insgesamt aber dem Stück Poesie, Pathos und Aura nimmt. Denn er inszeniert nicht aus und mit der Sprache, und auch seine Darsteller scheinen sich wenig für die Sinnlichkeit von Kleists Sprache zu interessieren. Der Regisseur setzt auf gestisch-mimische Überdeutlichkeit. Meinolf Steiner spielt einen blassen, auftrumpfenden Achill, der nicht verstört sondern tapsig übergriffig gegenüber Penthesilea mit seinem Begehren "darf ich mal anfassen" agiert. Auch Eve Kolbs Penthesilea zeigt wenig von der tiefen Verunsicherung, in die die beiden treiben. Sie spricht nur davon. Und wenn sie meint, Achill gewonnen zu haben, macht sie "guck doch Mal"-Posen am Mikrofon.

Immerhin ist die auf äußerliche Deutlichkeit setzende Inszenierung stilistisch konsequent gebaut. Aber sie führt, trotz und wegen ihres körpersprachlichen Einfallsreichtums dazu, dass Kleists Sprache unwirklich und unwirksam wird. Die Geschichte der Amazonenkönigin Penthesilea und des Griechenkönigs Achill, die einander in Liebe verfallen und im Kampf zugewandt sind, wobei jeder an die Gesetze seines Landes und seines Geschlechtes gebunden ist, die denen des geliebten Gegners widerspricht, diese Geschichte, in der Penthesilea sich Achill in entgrenzter Raserei einverleibt, sie ist selbst heute, wo wir mit Bataille die Entgrenzungs- und Überschreitungsvorgänge des Heiligen Eros zu kennen glauben und die Erotik der Körper auch als eine Verletzung des Partners verstehen, noch immer eine szenische Zumutung.

Nur neckisches Liebesspiel

Dieser Zumutung setzt sich Klemm nicht aus. Bei ihm gibt es kein Außersichsein, auch nicht Küsse und Bisse, und am radikal gekürzten Schluß einen chorischen Stehkonvent. Da werden selbst bei Penthesileas selbstmörderischem Hinabsteigen in ihren Busen mit dem Dolch ihrer Gedanken die Wörter auf mehrere Personen verteilt. Wenn auch auf dem Programmheft prangt "Wo steht die Sonne", es also auch um Begehren gehen soll, werden weder Pathos noch tiefe Gefühle versinnlicht. Wir sehen nur angriffslustiges oder neckisches Liebesspiel. Irgendwie scheint zwischen den Figuren immer schon alles klar, auch wenn sie noch miteinander kämpfen.

Unterhaltsam ist die Inszenierung dennoch, und stilistisch konsequent ist sie auch. Doch in tiefere existentielle Schichten der Kleistschen Figuren stößt sie nicht vor. Auch die hier vier schrägen Nebenfiguren wirken wie Penthesilea und Achill eher banalisiert. Insgesamt also ein Abend mit Höhen und Tiefen.

 

Penthesilea
von Heinrich von Kleist
Regie: Wojtek Klemm, Bühnenbild/Kostüme: Mascha Mazur, Choreographie: Efrat Stempler, Musik: Dominik Strycharski, Dramaturgie: Lutz Keßler.
Mit: Eve Kolb, Meinolf Steiner, Johanna Diekmeyer, Paula Hans, Benjamin Berger, Paul Enke.

www.dt-goettingen.de


Alles über Wojtek Klemm auf nachtkritik.de im Lexikon.

 

Kritikenrundschau

"Viel Rambazamba" hat Angela Brünjes erlebt, eine "kämpferische Inszenierung, die "aggressiv polarisiert", wie sie im Göttinger Tageblatt (5.4.2011) schreibt. Klemm halte sich nicht an Kleist fest, "gibt dessen Text aber genug Raum. Achill, kraftvoll und ebenso verliebt unbeholfen (...), geht auch mal ab und sagt 'und tschüss'." Das Trauerspiel verlange dem Zuschauer einiges ab, "manche fünf Minuten erscheinen wie 15. Dabei liegt es nicht an dem Kleist-Text, der ist gut gestrafft. Es sind vielmehr die Kampf- und Belagerungsszenen, die auszuhalten sind. Wie Achill wünscht man sich 'weiter'." Und dennoch: Klemms Inszenierung gebe viel mit auf den Weg.

"In Klemms Inszenierung bleibt nur wenig von der poetischen Sprache Heinrich von Kleists übrig", schreibt Sonja Broy in der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen (5.4.2011). "Unterhaltsam wirkt die Geschichte über ein Liebespaar, das in Konflikt mit der Gesellschaft gerät, weil es die geltende Ordnung durchbricht, aber allemal." So richtig glücklich scheint aber auch Broy nicht mit der Inszenierung zu sein: "Zu wummernden Bässen schmeißen sich Männer wie Frauen gegenseitig an die laut scheppernden Festungswände und brüllen unverständlich auf das Publikum ein. Grotesk mutet es an, als Achill liebestoll an das Mikrofon tritt, um ein Liedchen zu trällern, Rosenblätter um sich werfend", während seine Krieger zu Hofnarren degradiert würden und Penthesilea erotische Posen zeige. "In der schrillen, eindreiviertel Stunden dauernden Fassung Klemms wird das Ende radikal gestrafft, der Selbstmord Penthesileas und die Tötung Achills nicht sichtbar vollzogen."

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