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Schönes Spiel um schönen Schein

von Tobias Prüwer

Dresden, 9. April 2011. "Der Bock holt sich die goldene Gans". Don Juan bringt den Plot der Shakespeare-Komödie mit einem Satz auf den Punkt. Claudio, ein florentinischer Graf, will Hero, die Tochter des Gouverneurs von Messina Leonato, ehelichen. Er hat sich auf den ersten Blick in sie verliebt und eine üppige Erbschaft erwartet sie auch noch. Gottlob hat Shakespeare der Geschichte zwei Figuren beigegeben, die für ordentlich Schmackes sorgen. Leonatos Nichte Beatrice und der Edelmann Benedikt fetzen sich wie Hund und Katze – und sind doch füreinander wie geschaffen. Das allerdings müssen sie erst einmal merken. Bis dahin ist der Weg lang, aber Regisseur Thomas Birkmeir gestaltet diesen in Dresden so amüsant wie kurzweilig.

Everybody Loves Somebody Sometimes

"Man kann den eigenen Sinnen misstrauen, aber nicht dem eigenen Glauben." Und dem eigenen Herzen, möchte man Ludwig Wittgensteins Sentenz hinzufügen. Denn das ist der Kern von "Viel Lärm um nichts": Wie nehmen wir die Welt wahr und nehmen wir sie angemessen wahr? Nun konnte sich Shakespeare nicht in philosophischen Abstraktionen ergehen, schließlich wollte das Publikum unterhalten sein, und also goss er sein Spiel um die Wahrnehmung in eine komödiantische Form.

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© David Baltzer

Birkmeir bleibt nah an dieser dran und kann damit gar nichts falsch machen. Furios arrangiert er den Auftakt. Kurz erklingt die Schnulze "Everybody Loves Somebody Sometimes" und Leonatos Gefolge wird eingeführt, dann seilen sich Don Pedro und die Seinen vom Rattern der Hubschrauberrotoren begleitet von der Decke auf die Bühne ab. Die ist hier besonders zu loben (Bühne: Christoph Schubinger): Hinten angehoben, wird sie zur schrägen Aktionsfläche und gibt den großen Raum fürs Spiel frei. Von mediterranen Fensterläden eingerahmt, enthält sie nicht viel mehr als ein paar Zitronenbäumchen und Kakteen, ist zurückhaltend und funktional, aber keinesfalls karg oder kalt gehalten. Die Kulisse bleibt den Abend über unverändert, nur durch den unterschiedlichen Einsatz von Licht (Jürgen Borsdorf) wird sie vielfach variiert – ein kleiner wie kluger Kniff von einnehmender Wirkung.

Der Widerspenstigen Zähmung mal zwei

Insbesondere in der ersten Hälfte besticht die Inszenierung durch einen eigenen Drive. Temporeich finden sich die Szenen auf den Punkt gebracht. Leider verlieren sich die pointierte Dramaturgie und das flotte Taktmaß während der späteren Akte etwas und gerade die melodramatischen Momente fallen zu steif und distanziert aus.

Das mag dem ungleichen Zusammenwirken der Schauspielenden geschuldet sein – ihre Qualität zeigt sich höchst unterschiedlich. Als farblose Göre Hero kommt Sarah Bonitz über schüchternes Zusammenschlagen ihrer Knie und Augenklimpern nicht hinaus. Leonato (Günter Kurze) wirkt eher wie ein Pantoffel-Pascha, denn Familienpatriarch. Den durchtriebenen Handlanger Don Juans nimmt man Eike Weinreich als piepsigem Borachio ebenso wenig ab wie den promiskuitiven Jüngling. Immerhin erzeugt er später als gebundener, geschundener und gefolterter Schmerzensmann gehöriges Mitleid. Mit brüchiger und leiser Stimme erklimmt die Kammerfrau Margarethe (Vera Irrgang) in affektierter Penetranz den negativen Gipfel der Inszenierung.

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Bravourös hingegen spielt Anna-Katharina Muck. Ihre bissige Beatrice ist nicht nur ein zornig-wortgewaltiger Hitzkopf, es gelingen ihr auch die Zwischentöne, die so manche Szene vermissen lässt. Und auch Ahmad Mesgarha beweist eindrücklich, dass die komödiantische Klaviatur allerhand Möglichkeiten bereit hält. Vom galligen Macker bis zum Liebesschwüre säuselnden Sarkasten vermag sein Benedikt zu begeistern. So gedeihen die Wortduelle des ungleich-gleichen Paares zu den Höhepunkten der Inszenierung. Hier zähmen sich zwei widerspenstige Wilde gegenseitig zum größten Vergnügen aller Schaulustigen.

Mafiosi, Barbiere und Heimchen?

Leider kommt die Inszenierung an mancherlei Klischee nicht vorbei und lässt auch einige Niederungen nicht aus. Dass die männlichen Protagonisten als Mitglieder verschiedener Mafia-Clans in dunklen Anzügen und noch dunkleren Sonnenbrillen auftreten und das Springmesser den Degen ersetzt, ist, nun ja: erwartbar. Immerhin ist das Stück im sizilianischen Messina angesiedelt. Dass in einer Szene, wo Don Pedro, Claudius und Leonato drei Barbiere geben, sie in vermeintlich schwulen Habitus verfallen und näselnd ihr "Töff, töff, töff" absolvieren, ist ärgerlich und peinlich.

Und Regisseur Thomas Birkmeir muss sich auch fragen lassen, warum er den Text zwar sprachlich modernisiert und stellenweise anspielungsreicher beziehungsweise zotiger gestaltet hat, am weiblichen Rollenbild aber so gar nichts verändert. Die selbstbewusst-starke Beatrice etwa hat partout nichts dagegen, dass eine Ehe damit verbunden ist, ihr den Platz am Herd zuzuweisen. Das ist ob ihrer imposanten Persönlichkeit wenig einleuchtend.

Überhaupt hätte die Inszenierung bei aller Unterhaltung eine Portion Doppelbödigkeit gut vertragen. Die Lacher sind auf der Ebene der seichten, mal anzüglichen Wortspiele angesiedelt: kriminelle "Exkremente" beispielsweise müssen da ausfindig gemacht und "archiviert" werden, wobei der Zeigefinger des Sprechers demonstrativ in die Poregion wandert. So poliert Birkmeirs schönes Spiel um den schönen Schein eher die Oberfläche dieser Komödie um Sinn und Wahrnehmung, als auf der Suche nach mehr auch an ihr zu kratzen.

 

Viel Lärm um nichts
von William Shakespeare
Neu übersetzt und eingerichtet von Thomas Birkmeir
Regie: Thomas Birkmeir,
 Bühne: Christoph Schubiger, 
Kostüm: Irmgard Kersting,
 Dramaturgie: Robert Koall, 
Licht: Jürgen Borsdorf.
Mit: Holger Hübner, Günter Kurze, Benjamin Pauquet, Matthias Luckey, Ahmad Mesgarha, Eike Weinreich, Tom Quaas, Henner Momann, Sarah Bonitz, Anna-Katharina Muck, Vera Irrgang, Lars Jung.

www.staatsschauspiel-dresden.de



Andere Inszenierungen von Viel Lärm um nichts: Jan Bosse war mit seiner Inszenierung vom Wiener Burgtheater 2007 zum Theatertreffen eingeladen. Ähnlich wie Birkmeir versetzte auch Jan Philipp Gloger den Stoff im Januar 2010 am Münchner Residenztheater ins Mafiamilieu. Und auch Karin Henkel frischte den Klassiker in Zürich im September 2010 mächtig auf.

 

Kritikenrundschau

Bei Thomas Birkmeir fühlt sich Tomas Petzold von den Dresdner Neuesten Nachrichten (11.4.2011) wie "in einen Film versetzt, der nostalgisch, ironisch und manchmal ziemlich abgedreht mit Motiven der fünfziger und sechziger Jahre spielt" und dabei durchaus "heutigen Moden und Marotten einen Spiegel" vorhalte. Seine Übersetzung komme daher, als sei das Stück "eben erst aufgeschrieben worden". "Kongenial" seien Bühne, Kostüme und Requisiten geraten. Muck und Mesgarha könnten "zur Hochform herausgefordertes Komödiantentum mit Gespür für reale Situationen verbinden". Zur "eigentlich tragischen Figur" werde hier Margarethe, "weil sie in absurder Verliebtheit durch die Szene irrlichtert". Die Inszenierung besteche durch einen "genau kalkulierten Rhythmus", "Schmiss und einen Ideenreichtum, der sogar das Erwartete zur überraschenden Wendung macht". Dazu komme eine "zugleich schwarzhumoriges und hyperkitschiges Finale", bei dem "wohl nur bei sturen Puristen ein Auge trocken" bleibe. Der Kritiker protokolliert "fast schon frenetischen Schlussbeifall".

Mesgarha verkörpere Benedikt "hinreißend", findet auch Rainer Kasselt von der Sächsischen Zeitung (11.4.2011). Daneben sei auch Quaas ein überragender Darsteller, der als Nachtwächter Holzapfel ein "schauspielerisches Kabinettstück umwerfender Art" auf die Bühne zaubere. Birkmeirs Inszenierung ist für ihn "modernes Intrigantenstadl und turbulente Kuppelshow mit kleinen Widerhaken". Der Regisseur habe "ein glückliches Händchen für gute Komödien", könne Schauspieler führen und schrecke nicht "vor Klamauk und ironisch gebrochener Klamotte zurück". Lediglich nach der Pause gebe es "einige Hänger", der Maskenball etwa werde "zum bloßen Kreischfest". Die meisten Szenen aber bringe Birkmeir "pointensicher mit viel Situationskomik rüber" und sorge "für bestes Unterhaltungsniveau". Das Lachen breche er wiederum "durch slapstickartige Einsprengsel von Gewalt und Gefühlskälte, Hass und Gier. Wenn er in der Komödie die tragischen Momente zeigt, ist er ganz bei Shakespeare".

Kommentare  
Viel Lärm um nichts, Dresden: Sarah Bonitz war fantastisch!
Unerhört (...)! Sarah Bonitz war fantastisch!
Viel Lärm um nichts, Dresden: ein Renner
Und dass am Premierenabend der längste und größte Jubel war, den ich in den letzten 20 Jahren erleben konnte ist nichts? Alle Schauspieler waren phantastisch! Das wird ein Renner in der Stadt.

Verehrte Grüße

Elfriede Serter
Viel Lärm um nichts, Dresden: Kürzestkritik
Wow - war ganz toll!
Viel Lärm um nichts, Dresden: lustig, mehr aber auch nicht
Als ständiger Premierengänger kann ich sicher sagen: der längste und größte Jubel seit Langem war dies mit Sicherheit nicht.
Der Abend ist lustig, mehr aber auch nicht und davon fast noch zu wenig. Quaas, Mesgarha und Muck sind großartig, keine Frage. Einige andere blieben, da muss ich der Kritik zustimmen, zu blass (Bonitz, Luckey, Pauquet, Momann,...).
Viel Lärm um nichts, Dresden: selten so gelacht
Ein Fest! Lange nicht so gelacht! Das kann man sich ein zweites und ein drittes Mal anschauen, so viel ist darin zu entdecken.
Viel Lärm um Nichts, Dresden: um jeden Gag gebuhlt
Kein Fest für anspruchsvolles Publikum. Die Pointen sind vorhersehbar und platt, ich bin verärgert über ständig sexistische Anspielungen und dämliche Homo-Komik. Das Mario Barth Publikum scheint allmählich auch das Theater zu erobern. Für einen Philosophen ganz schwache Kost, die immerhin von insgesamt recht tapferen Schauspielern so gerettet wurde, dass man nicht eher gegangen ist. Birkmeir merkt man an, wie er um jeden Gag buhlt, gekünstelte Wortwitze einbaut, die in keiner Adäquation zum Sinn der Handlung stehen. Fast schon im Sekundentakt feuert er sich gegenseitig übertreffende Nonsens-Begriffe ab, die immer weniger witzig immer lautere Lacher evozieren, weil das Publikum zu früh aufhörte hinzuhören. Wer sich selbst feiern will, der kommt bei dieser Inszenierung auf seine Kosten. Ein Kunstliebhaber sollte sich die Zeit sparen.
Viel Lärm um nichts, Dresden: wenig mit Frauenrollen angefangen
da stimme ich ihnen völlig zu! dieser abend war langweilig, zotig, dumm und überhaupt nicht komisch (obwohl mesgarha und quaas wirklich toll spielen und ihr handwerk verstehen!!!). der regisseur konnte wohl auch wenig mit den frauenrollen anfangen, denn die sind noch dümmer und blasser. selbst beatrice -trotz unglaublich toller shakespeare-textvorlage)- ist fad und ohne jegliche idee und verständnis inszeniert! also ich habe mich extrem gelangweilt und geärgert über einen heterosexuellen, weißen, männlichen regisseur!
ach ja: das bühnenbild fand ich auch völlig unästhetisch und ohne sinn - sie war weder zurückhaltend noch funktional!
Viel Lärm, Dresden: Nicht doch
Jetzt beleidigen Sie Mal nicht Birkmeir (...)
Viel Lärm, Dresden: wird Renner für bestimmtes Publikum
es wird ein renner für ein publikum, welches sonst auch peter steiners theaterstadl hofiert...für mich nicht, trotz teilweise rettender schauspieler
Viel Lärm, Dresden: schreiben hier Dramaturgen?
Ein Verdacht: Dramaturgen voraus. "Wow, war ganz toll"
Finde die Vorstellung überaus absurd, dass Sie vor ihren Monitoren sitzen und Ihre Inszenierungen verteidigen, indem sie mit Fake Namen banale Loblieder erfinden.
Viel Lärm, Dresden: Renner für verlorene Publikumsgruppe
Ja, es wird ein Renner für die Publikumsgruppe, die dem Haus seit dem Intendantenwechsel den Rücken gekehrt hatte. Und da diese Inszenierung so gar nicht in die Reihe der intelligenten, modernen und qualitativ hochwertigen Abende, die unter der Herrn Schulz entstanden sind, passt, eignet es sich hervorragend, um dieses Publikum zurückzugewinnen. Schade eigentlich; der frische und tatsächlich jüngere Wind, der bisher auch durchs Parkett wehte, war doch sehr angenehm!
Viel Lärm, Dresden: Schlag nach bei Shakespeare
Also ich fand´s toll. Und die Kritiken sind ja auch eigentlich unsisono super. Was sich also einige "Kunsteigendramatiker" vorstellen mögen, gehört dann wohl in das eigene engstirnige (Hirn)- Kämmerlein. So weit ich das beurteilen kann, hat er sich ziemlich genau an die Vorlage gehalten - Shakespeare hat ja wohl auch zotige Witze gemacht, war frauenfeindlich (siehe auch "Widerspenstige") und hat schwer rassistische Stücke geschrieben (Kaufmann von Venedig z.B). Also, sehr langweilig die kunstsinnige "Political correctnes" der Meldungen 6. und 7. Und bar jeder Kenntnis von Shakespeare - sondern nur getragen aus eigensichtigen Selbstbefindungsstrukturen. Na, ja. Schlag nach bei Shakespeare! - kann man da nur empfehlen... Den würden sie dann noch mehr hinrichten als Birkmeir... (…)

Alles Liebe

Eli (Elfriede) Gauss
Viel Lärm, Dresden: Was will man sehen?
Ich ging nach Hause und habe sofort das Stück gelesen, weil ich empört war wegen des Frauenbildes. War überrascht, was für ein Doofmann Shakespeare teilweise war. Da ist halt dann tatsächlich die Frage, will man einen "gereinigten Shakespeare" sehen - oder will man sehen, wie er es gemeint haben könnte. Für mich war Birkmeirs Inszenierung eine Erhellung. Ich mochte sie beim Ansehen nicht - und dann beim Lesen des Stückes (Schlegel/Tieck) war ich überrascht, wie nahe er beim (eigentlichen) Autor bleibt. Also, was man hier Birkmeir vorwirft, wirft man auch Shakespeare vor.

Sabine
Viel Lärm, Dresden: oder andere Schuldige?
oder schlegel/tieck?
Viel Lärm, Dresden: Schlegel/Tieck, die nicht
Nee, mit Schlegel/Tieck hat das nichts zu tun.
Sabine
Viel Lärm, Dresden: Unterhaltung
Humor ist eben, wenn man trotzdem lacht! Der Film war ja angenehme Fadesse. Anders als die Aufführung!!! Ich habe ebenso noch mal das Original zur Hand genommen - und siehe da: Vermutlich wollte Shakespeare nicht viel mehr als unterhalten... Ich konnte weder "Doppelbödigkeiten" im Text erkennen, noch "erhellende philosophische Stellen". Das Stück ist, was es ist, teilweise ein "Schenkelklopfer". Nicht mehr - und auch nicht weniger.
Viel Lärm, Dresden: mal Shakespeare im Original anschauen
das war nur ein blöder kommentar auf ihr: "und dann beim Lesen des Stückes (Schlegel/Tieck) war ich überrascht, wie nahe er beim (eigentlichen) Autor bleibt", frau S.S. aber egal.
wenn man schlegel/tieck gelesen hat ist ja noch die frage, ob man dann weiß was der "eigentliche" autor überhaupt gemeint haben könnte als er das original schrieb. einfach shakespeare mal im original lesen und merken...da steckt schon die eine oder andere derbheit drin...und manchmal sind seine komödien halt auch etwas platt - unterhaltsam sind sie (gut umgesetzt) dennoch! (und das war kein kommentar zu der birkmeierschen variante, denn die kenne ich bis dato garnicht)
Viel Lärm, Dresden: abbiegen
@alina

gut, ich habe verstanden was sie meinen...aber eigentlich interessiert mich gerade ein anderer autor oder vielleicht auch reiter...oder beides...jedenfalls ist das licht gerade sehr gut...wer sind Sie?
Viel Lärm, Dresden: ab zur Werksbesichtigung
also hier haben sich auch einige verlaufen, am besten Sie machen alle mal eine Werksbesichtigung oder fahren nach Bremen oder gehen in die Kirche oder Mathe hilft meinetwegen auch...
Viel Lärm um nichts, Dresden: zu billig
@eli gauss
(…) der abend wirkt in sich nicht rund. und der rezensent sagt ja auch, wieso: shakespear'sche zoten schön und gut, aber so billig muss man sich beim publikum ja nun auch nicht wieder anbiedern. das geht auch geistreicher und gekonnter.
Viel Lärm um nichts, Dresden: die höchste Kunst der Komödie
Habe mir den Abend heute angesehen, wegen der tollen Kritiken und noch funktioniert ja die "Mundpropaganda" in Dresden, war auch gespannt, weil hier die Meinungen so unterschiedlich sind, das interessiert mich dann immer... Also: Fast volles Haus, tolle Reaktionen des Publikums, Superleistungen der Schauspieler. Ein paar Mal musste ich natürlich "unter meinem Niveau" lachen - aber das aus vollem Herzen. Und häufig auf "hohem Niveau". Ob das nun Shakespeare ist oder Birkmeir, vermutlich ja beide, interessiert mich nur bedingt. Man sagt ja, Komödie sei die "höchste Kunst" - hier kann man´s bestaunen. Hingehen und sich ein eigenes Urteil bilden!
Viel Lärm um nichts, Dresden: eine kritische Sicht auf das Verletzen der Frauenrechte
Frauenbild hin und her. Es ist herrlich! Und am besten die Frauendarstellerinnen... Man braucht ja nur nach Neukölln zu fahren, um zu sehen, wie Frauenrechte mit Füßen getreten werden - und auch das zeigt der Abend durchaus kritisch, vor allem im grandiosen Schlussbild. Wer das nicht kapiert, hat wenig verstanden. Manchmal denke ich mir als Türkin schon, was deutsche Frauen für "Luxusprobleme" haben, die hätte ich auch sehr gerne...
Viel Lärm um nichts, Dresden: Frauen, Männer, Probleme
Manchmal bedenke ich als nachdenklicher Mann schon, was Frauen für Probleme haben, und was für ein Problem sie für uns sind (denn nicht nur die Männer sind für Frauen ein Problem!)
Die Probleme der Frauen hätte ich nicht gerne ständig, als ein freier Junggeselle. Aber ich sollte sie auch gerne haben, wegen
der Liebe zu den Frauen. Und ich habe zu viele ihrer Probleme nicht gerne. Wie kann man ehrlich Frauen dauerhaft lieben, wenn da über die Maßen nur jene Frauenprobleme sind.
Und im Grunde, ich gestehe es, habe ich die Frauen, habe ich mich und die Welt nicht wirklich verstanden.
Viel Lärm um nichts, Dresden: keine ideologischen Käfige
Genausowenig, wie Shakespeare die Frauen, die Männer, die Menschen und die Welt wohl verstanden hat. Er zeigt sie uns in ihrer ganzen Unfertigkeit, mit Ecken und Kanten, in ihrer ganzen Unerklärlichkeit und stülpt keine ideologischen Käfige darüber, wie es viele Autoren des 20. Jahrhunderts von Brecht bis Beckett getan haben. Den Abend schaue ich mir bestimmt an.
Viel Lärm um nichts, Dresden: Amputationen
Also, habe die Inszenierung gesehen. Bin Chirurgin. Gleich wieder auf der Unfallstation werde ich Menschen nach irgendwelchen Unfällen irgendwelche Gliedmaßen abschneiden. Keine Zeit, den Menschen das zu erklären. Aber. Ich bin eine Frau, die drei Kinder hat (drei - sieben und acht) und es nervt mich unendlich, dass hier von irgendwelchen Weibern vom "Frauenbild" gesprochen wird. Genauso gut könnte man der Inszenierung das "Männerbild" vorwerfen. Also strengt euch bitte mal an - und denkt nich nur an die Gläserne Decke. Ich war froh, dass ich auch mal lachen durfte - über die Männer und über die Frauen. Alles andere Gerede ist doch befremdlicher Luxus. Wenn ich diese Mails hier lese, werde ich als Frau mal wieder zum Frauenfeind.

So, und jetzt Amputationen.
Viel Lärm um nichts, Dresden: Frage
@ Zeynep Celik: "Man braucht ja nur nach Neukölln zu fahren, um zu sehen, wie Frauenrechte mit Füßen getreten werden." Wie ist das - auch in Bezug auf die Inszenierung - gemeint? Würde mich interessieren. Könnten Sie das bitte noch ein wenig ausführen?
Viel Lärm, Dresden: Wie man sich von versteckter Gewalt befreien kann
Das ist so gemeint: ich bin in Neukölln aufgewachsen - als Türkin. Überall gab es offene oder versteckte Gewalt gegenüber Frauen. Davon erzählt das Stück. Und wie man sich davon befreien kann. Im Stück gibt es eine Zwangsheirat, die Männer benehmen sich selbstherrlich, es wird auch gezeigt, dass vielleicht die beiden Hauptfiguren, ich glaube sie heißen Benedikt und Bea eine Möglichkeit habe zueinander zu finden. Aber - und das ist das Tolle - weil es um die Liebe geht, und vielleicht auch um das Verlangen, dass man sich begegnet. Gesellschaftliche Glaubenssätze sind ausgeklammert. Man kann sich halt nur unmittelbar begegnen... Was ich erlebt habe ist: du kannst emanzipierte Frau sein - das ist schon schlimm - und schwul ist noch schlimmer. Da finden sich in Deutschland genug (türkische?) Männer, die dich dann schlagen, treten oder zumindest bevormunden. Ich bin da raus - und habe auch zulange da drin gelebt. In der Inszenierung sehe ich, wie das alles gezeigt wird, deshalb mochte ich sie.

Lieber Nazan,

hoffe, dass meine Meinung dir hilft.

Zeynep Celik
Viel Lärm, Dresden: Wo findet sich dieser Zwang im Text?
@ Zeynep Celik: Komisch, denn ich verstehe Sie schon, frage mich aber zugleich, ob Sie mit Ihren Sätzen nicht genau das populistisch instrumentalisierte Männer- bzw. Frauenbild des "typischen Neuköllner Türken" reproduzieren, mit welchem zum Beispiel auch Thilo Sarrazin argumentiert. "Überall gab es offene oder versteckte Gewalt gegenüber Frauen" - stimmt denn das so pauschal? Oder sollte man hier nicht individuell differenzieren?

Ausserdem frage ich mich, warum in Shakespeares Komödie "Viel Lärm um nichts" eine (türkische) Zwangsheirat eingebaut wird - wo genau findet sich dieses Element von Zwang im Text? Und in Bezug auf Benedikt und Beatrice geht es doch vor allem um die Komik einer weniger romantisch verklärten als vielmehr geistig-intellektuellen Liebe, welche sich trotz oder gerade wegen aller sprachlich scharfzüngigen und (selbst-)ironischen Wortgefechte zwischen zwei Skeptikern am Ende doch durchsetzt. Wie passt dazu jetzt das Klischee eines türkischen Machos mit Heimchen am Herd? Aber trotzdem danke für Ihre Antwort.
Viel Lärm um nichts, Dresden: Doris Day und Rock Hudson
Birkmeiers Inszenierung kommt einem Sonntag Nachmittag gleich, an dem man sich einen Hollywoodstudiofilm aus den Fünfzigern im Fernsehen ansieht - Doris Day und Rock Hudson in den Hauptrollen. Dass sie sich wegen inkompatibler Präferenzen nicht kriegen, weiß man vorab. Bedauerlich ist, dass hier ziemlich wahllos und schon gar nicht differenziert, will sagen geradezu nach Gießkannenprinzip um Lacher geheischt wird, was der Produktion reichlich platten Witz verleiht und doch jeglichen Humor ausschließt. Versuche, Zitate italienischer Altmeister der Filmkunst unterzubringen wirkten schlussendlich entlarvend - ich fühlte mich eher an schwülstige Kitschfotografie von "Pierre et Gilles" erinnert. Mutig wäre anders gewesen.
Viel Lärm um nichts, Dresden: sie kriegen sich doch!
Aber sie kriegen sich doch! Insofern haben Sie vielleicht nicht alles verstanden. Ich mochte es sehr gerne. Punkt. Schluss.
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