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Mit der Bubu-Biene im Garten Eden

von Marcus Hladek

Mannheim, 30. April 2011. Sein Bellen läutet, Verzeihung, bellt das Stück ein. Das bisschen Hund, als das man sich den Chihuahua von Tante Margot (Almut Henkel) vorzustellen hat, hinterlässt Haufen und wird von allen außer seinem freundlich-dummen Frauchen als inkontinent belästert. Wenn das vom Nazi-Opa ererbte Haus vor der polnischen Grenze, um das sich alles dreht, zuletzt im House-of-Usher-Stil in sich zusammenbricht, liegt das Hundeviech darunter begraben. Ansonsten ist von ihm nichts zu sehen, was dem Titel so etwas wie ironische Beiläufigkeit verleiht und den Chihuahua in seiner Namenlosigkeit zum Running Gag macht.

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Dabei hat Jan Neumann in seinem Auftragswerk gar nichts gegen Tiere auf der Bühne. Immerhin steckt er einen Schauspieler (Darsteller unbekannt - vielleicht der Autor selber?) ins Biberkostüm, nur so zum Auflockern und um Bines Redewendung "vögeln wie ein Biber" zu illustrieren, mit der sie (Dascha Trautwein) ihren zwingenden Kinderwunsch anschaulich macht.

Im Paradies mit Freunden und Verwandten

"Chihuahua" nennt sich Komödie und strahlt auch eine bittere Edelsüße ums Thema Aussteigen aus. Doch greift Neumann noch tiefer ins Possen- und Boulevardfach. Andi (Sven Prietz) führt sich in der Beerdigungsszene, die das Stück eröffnet, mit nuanciert ausgespielten Stadtneurotiker-Zügen als Berliner Seifenopernregisseur ein, dem die Fernsehverachtung Selbsthass einflößt. Also kommt ihm das Erbe ganz recht, um sich abzusetzen und Opas Anwesen zum Paradies auszubauen.

Aber Andis naive Vorstellungen tragen das Scheitern in sich. Äußere Gründe machen es komplett. Erstens ist Freundin Bine Schauspielerin, wähnt sich am Arsch der Welt und will nur weg, hin zu den Rollen und schwanger werden. Zweitens taucht Freund Stockmann (Matthias Thömmes) auf und dreht in Andis Garten Eden einen Werbespot mit der Bubu-Biene und Plastikäpfeln in den Bäumen: ein Sündenfall der Künstlichkeit, die Andi nicht loslässt. Drittens lauert mit Andis Vater Elmar (Ralf Dittrich) die Schlange im Paradies. Elmar hat Andi und dessen Mutter vor Ewigkeiten verlassen. Nun hat er das Geld von Freunden und Verwandten an der Börse verspekuliert und macht Andi das Haus madig, indem er ein CO2-Endlager, Öl im Garten und einen ganzen Nachbarn erfindet (Reinhard Mahlberg als arbeitsloser Schauspieler und unwissender Betrugshelfer), damit Andi das Erbe ausschlägt und er selbst zum Zuge kommt.

Chaos-Crescendo in Kniestrümpfen

All das präsentiert Neumann in der boulevardesken Atemlosigkeit eines umfassenden Chaos-Crescendo und stellt seine Darsteller flott und leichtfüßig ein. Daniel Angermayrs Bühne müllt mit Bruchstücken aus der alles beherrschenden Bauernhaus-Fotografie im Hintergrund, mit Baumaterialien, Einkaufstüten, einem Riesenhaufen Abdeckfolie und einem Swastika-Schuhschrank aus Hitlers Besitz entropisch zu. Dieses Phänomen findet man heute immer wieder: der szenisch greifbare Ordnungsverlust als letzter, unbewusster Gemeinglaube einer Regisseursgeneration?

Neumann jedenfalls stellt sich in die lange Reihe Schauspieler-Dramatiker, denen das Possenhafte aus Instinkt leicht von der Hand geht, gegen einen multimedial-virtuell-postdramatischen Mainstream. Solcher Bühnenlust folgen auch Angermayers Kostüme, die mit gediegenem Friedhofsschwarz einsetzen, um Andi später mit Kniestrümpfen und Schnupftuch in groteskem Blutrot übers platte Land zu jagen und Bine im Bubu-Bienenkostüm hinterm Hitlerschrank lauschen zu lassen, ganz zu schweigen von Elmars weißem Blaumann oder Tante Margots generationell abgemeldetem Jägergrün.

Mehr Curt Goetz als Moliére

So weit, so gut. Nur schwingt sich Neumann mit all dem nicht zu höchsten Höhen empor, sondern stagniert letztlich an der Oberfläche: mehr Curt Goetz als Molière. Da wird viel gelacht im Publikum, selbst über den albernsten Slapstick oder Running Gag, denn die Komödienmechanik hat Neumann drauf. Zugleich flüstert es böse Wörter wie "oberflächlich" und "kein richtiges Ende" in den Reihen. Der boulevard-komplizierte Schluss mit Elmars Triumph und der glücklichen Rückkehr aller in alte Normalität und neues kleines Glück zieht sich nach dem Usher-Ereignis tatsächlich hin. Eine hübsche Edelposse also, doch gewiss kein großer Wurf.


Chihuahua (UA)
von Jan Neumann
Regie: Jan Neumann, Bühne und Kostüme: Daniel Angermayr, Dramaturgie: Jan-Philipp Possmann.
Mit: Sven Prietz, Dascha Trautwein, Ralf Dittrich, Almut Henkel, Matthias Thömmes, Reinhard Mahlberg.

www.nationaltheater-mannheim.de

 

Kritikenrundschau

Neumanns Komödie habe auch "einen ernsten Unterton – frustrierter Fernseh-Bediensteter versucht sich als Aussteiger im Oderbruch –, der aber bald in Gags und Slapsticks untergeht", sagt Christian Gampert auf Deutschlandfunk (1.5.2011). "Und das Hündchen, das man natürlich nie zu Gesicht bekommt, verendet bei einem Kabelbrand ebenso wie Neumanns Komödie, die schon in der ersten Szene erbarmungswürdig vor sich hin röchelt." Neumann setze "eine gut geschmierte Komödienmechanik in Gang – aber dass dieses platte Pingpong nun Medien- und Selbstkritik sein soll, das kann er seiner Oma erzählen. Neumann lässt seinen Protagonisten wortreich die Herrschaft des Klischees im deutschen Fernsehen beklagen, um dann selbst ein Klischee nach dem anderen zu zelebrieren. Just do it! Wird ja (hoffentlich) gut bezahlt."

"Man kann den Abend mit einigem Recht für albern halten", schreibt Ralf-Carl Langhals im Mannheimer Morgen (2.5.2011), "und sich dennoch eines gelegentlichen Schmunzelns oder Lachens erfreuen". Das liege "zum einen daran, dass Neumann für seine Fingerübung konventioneller Komik deren Gesetze gründlich studierte, zum anderen an der komischen Begabung der eingesetzten Schauspieler. Dascha Trautweins großstädtische Tirade über das ach so beschauliche Landleben ist ebenso aller Ehren wert wie Almut Henkels des Zuhörens unfähige und dabei doch ewig gutmütige Tante. Sven Prietz' kulturpessimistischer Destruktivcharakter ist per se komisch und auch das Bild, das Reinhard Mahlberg vom 'schlechten Schauspieler', Ralf Dittrich vom pensionierten Regisseur und Matthias Thömmes vom ewig unterforderten Werbefilmer zeichnet, birgt heiteres Material." Dennoch habe es "Jan Neumann als Regisseur nicht verstanden, das Ensemble über deren gängige Individualangebote hinauszuführen".

Mit seinem zweiten Auftragswerk fürs Nationaltheater habe Jan Neumann "einmal mehr bewiesen, dass er formal einer der besten Stückeschreiber ist, die wir zur Zeit haben", findet Monika Frank in der Rhein-Nekar-Zeitung (3.5.2011). Dennoch enttäusche "die von ihm selbst inszenierte Uraufführung, weil er inhaltlich diesmal so leer bleibt". Neumanns Text- und Inszenierungskonzept schramme gelegentlich hart am Rand zur Klamotte vorbei, "versprüht aber streckenweise auch wirklich ein Feuerwerk an Witz und Selbstironie, nicht zuletzt dank des glänzend disponierten und hingebungsvoll agierenden Ensembles". Nach der Pause aber gerate die Aufführung "ins Schlingern und langweilt nach einer eher überflüssigen Schlammschlacht nur noch bis zum völlig unpassenden beschaulichen Finale".

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