alt

Die schwere Stunde der leichten Muse

von Kai Agthe

Rudolstadt, 30. April 2011. Die Satiren und Komödien, die den Nationalsozialismus aufs Korn nehmen, sind so alt wie dieses Phänomen selbst. Es ist keine Frage, ob man sich dieser verbrecherischen Weltanschauung mit solchen Mitteln zuwenden darf oder nicht, sondern nur, wie das gelingt. Charles Chaplins "Der große Diktator" (1940) war ein früher und gelungener Versuch, Hitler durch Verlachen vorzuführen. Daran kann ein Spielfilm wie die russische Komödie "Hitler geht kaputt" (2008) freilich kaum anknüpfen. Sich dieses Themas anzunehmen, ist eine Gratwanderung. In Rudolstadt ist sie gelungen.

nachtkritik.de hat alles zum Theater. Damit das so bleibt, klicken Sie hier!

Ermordet und vergessen

Fritz Löhner-Beda (1883-1942) war einer der wichtigsten Schlagertexter der dreißiger Jahre. Die Musikgeschichte verdankt ihm Titel wie "Was machst Du mit dem Knie, lieber Hans?" und "Ausgerechnet Bananen". Löhner schrieb auch das Libretto für Franz Lehárs Operette "Das Land des Lächelns", deren Titel wie "Immer nur lächeln" und "Dein ist mein ganzes Herz" Klassiker wurden. Während Lehár jedoch zum Lieblingskomponisten Hitlers avancierte, kam Löhner-Beda nach der Annexion Österreichs 1938 aufgrund seiner jüdischen Abstammung ins Konzentrationslager. Ein Schicksal, das er mit dem Kabarettisten Fritz Grünbaum (1880-1941) und dem Komponisten Hermann Leopoldi (1888-1959) teilte. Löhner und Leopoldi sind auch die Verfasser des "Buchenwald-Liedes". Über dessen Entstehung hat sich Hermann Leopoldi, der als einziger dem Schreckensregime entkommen konnte, geäußert.

freunde-das-leben1
Fotos Christian Brachwitz

Der Schweizer Autor Charles Lewinsky (Jahrgang 1946) – der selbst über 700 Liedtexte geschrieben hat – führt die Biografien der drei Künstler in "Freunde, das Leben ist lebenswert" (auch das ein Lied Lehárs zu dem Löhner den Text schrieb) zusammen. In 15 Szenen wird gezeigt, wie Löhner, Grünbaum und Leopoldi von gefeierten Stars des Wiener Kultur- und Gesellschaftslebens zu Häftlingsnummern in der deutschen KZ-Hölle werden. Zwischen den Kapiteln erklingen die bekanntesten Schlager, deren Texte Löhner schrieb. Gespielt werden die schmissigen Lieder von einer kleinen Besetzung der Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt unter Leitung von Thomas Voigt und gesungen von dem Tenor Jürgen Mutze. Und je größer die Drangsal der drei Künstler ist, umso absurder wird die leichte Muse.

SS-Lyriker im Batman-Kostüm

Regisseur Alexander Stillmark hat die Hauptrollen, sich an der Brechtschen Verfremdung orientierend, mit Frauen besetzt: Charlotte Ronas als Fritz Löhner-Beda, Simone Cohn-Vossen als Fritz Grünbaum und Verena Blankenburg als Hermann Leopoldi überzeugen als beleibte und beliebte Vertreter der Wiener High Society ebenso wie als ausgemergelte KZ-Insassen, die zuletzt alles verlieren, nur eines nicht: ihren tiefironischen "jüdischen" Witz.

freunde-das-leben2Das verbindende Element zwischen Löhners altem und neuem Leben, zwischen Wien und Buchenwald ist der fiktive Fritz Prohaska (Rayk Gaida). Der war vor dem Anschluss Österreichs Löhners zum Stottern neigender Chauffeur und ist nach 1938 SS-Aufseher in Buchenwald und später in Auschwitz. Prohaska, der sich als SS-Mann Schultze nennt und keine Sprachhemmung mehr hat, ist ein verkappter Lyriker. Für seine Hitler-Panegyrik ist er von seinem Chef ausgelacht worden. Als sich die Machtverhältnisse umkehren, überarbeitet Löhner in Buchenwald die Elaborate seines ehemaligen Fahrers. Die Freiheit winkt ihm dafür nicht, aber ein Stück Brot.

Es ist seltsam, wie schlagartig sich die Physiognomie eines Menschen ändert, sobald er die berüchtigte schwarze Mütze mit dem Totenkopf trägt. Die Kopfbedeckung hier ist original, die Kostüme der SS-Leute sind jedoch stark am Comic orientiert und erinnern an "Sin City" oder "Batman": Enge braune Anzüge mit Kämpferbrust oder Bierbauch und rot geschminkte Gesichter geben den Sadisten etwas Diabolisches.

Es ist eine Binsenweisheit, dass brutale Nazis leichter darzustellen sind als jüdische Intellektuelle. Dennoch gibt Benjamin Griebel den Obersturmbannführer Rödl als gottgleiche Witzfigur ähnlich überzeugend wie Johannes Arpe den ihm hündisch ergebenen Hauptscharführer Sommer. Beides nur wenig verfremdete Figuren, die es in Buchenwald wirklich gegeben hat: Arthur Rödl war der Führer des Schutzhaftlagers, Martin Sommer hatte die Arrestzellen unter sich. Auch Hauptsturmführer Hartmann (Joachim Brunner), der Prohaska in Auschwitz darüber belehrt, dass ein KZ im Grunde nur ein Förderband sei, das durch den Einsatz von "Menschenmaterial" am Laufen gehalten wird, ist vom gleichen unmenschlichen Kaliber.

"Freunde, das Leben ist lebenswert" bietet eine in sich geschlossene Ensemble-Leistung, die am Premierenabend durch das Publikum erst mit einminütiger Stille und dann, sehr zu Recht, mit lang anhaltendem und brausendem Beifall quittiert wurde.

 

Freunde, das Leben ist lebenswert
Schauspiel von Charles Lewinsky mit Musik von Franz Lehár u. a.
Regie: Alexander Stillmark, musikalische Leitung: Thomas Voigt, Bühne und Kostüme: Volker Pfüller, Choreografie: Julieta Figueroa.
Mit: Charlotte Ronas, Rayk Gaida, Simone Cohn-Vossen, Verena Blankenburg, Johannes Arpe, Benjamin Griebel, Joachim Brunner, David Engelmann, Hans Burkia, Jürgen Mutze.

www.theater-rudolstadt.com



Kritikenrundschau

Eine "unerträgliche Mischung aus schlichter Didaktik und ästhetischem Kitsch" hat Henryk Goldberg in Rudolstadt erlebt, wie er in der Thüringer Allgemeinen (2.5.2011) schreibt. Wenn der Autor Lewinsky einmal eine konkrete Geschichte finde, "wie einen grotesken Lyrikwettbewerb, für den Löhner-Beda als Ghostwrighter eines SS-Mannes arbeiten soll, dann wird das dankbar zelebriert und überdehnt." Regisseur Alexander Stillmark habe ein Gefühl für das Groteske, aber er verschleißt hier an der Vorlage: "Daraus folgt das matte Interesse, das die drei Hauptfiguren, alle weiblich besetzt, gewinnen." So habe es Konsequenz, "dass die SS-Chargen deutlich überzeugender sind: Die benötigen keinen Untertext. Johannes Arpe und Benjamin Griebel sind mit groteskem Gestus, mit beherrschter Körpersprache die Protagonisten des Abends. 'Mit der Form", sagt der SS-Mann zu dem jüdischen Schriftsteller, 'hast du
dich immer ausgekannt, aber mit dem Inhalt...' Und es ist, als sage er das über diesen Abend."

"Szenen, die drastisch, aber allzu plakativ die Grausamkeiten der Nazi-Schergen quasi zusammenfassen", hat auch Franziska Nössig gesehen, wie sie in der Thüringischen Landeszeitung (2.5.2011) schreibt. Auch sie hadert mit dem Text ("Ihre Dialoge klingen des öfteren hölzern, was auch der jüdisch-absurde Witz, die Grundzutat des Textes, nicht abmildern kann."), kann aber der Inszenierung etwas mehr abgewinnen: Stillmarks Inszenierung "vermag dennoch, dem Zuschauer das Schicksal der drei Künstler nahe zu bringen. Als gutgenährte, erfolgsverwöhnte Intellektuelle walzen sie unter einem schillernden Varieté-Baldachin durch Wien, kugelrunde Pinguine in weißen Socken mit großen Brillen auf den gebogenen langen Nasen. Charlotte Ronas, Simone Cohn-Vossen und Verena Blankenburg spielen das Trio. Als Frauen sollen sie das 'Anderssein' der jüdischen Künstler unterstreichen, doch mehr macht der Regisseur aus seiner Besetzung nicht."

Die "spannendste Inszenierung der Thüringer Theatersaison" feiert hingegen Angelika Bohn in der Ostthüringen Landeseitung (2.5.2011). Inszenierung und Ausstattung arbeiteten durchgängig mit den Mitteln des Comics. "Auch die Dialoge sind, fast immer, witzig, pointiert und treffen, immer, auf den Punkt. Auch wenn von Entwürdigung, Entsetzen, Schlägen, Hunger, dem Verlust der Hoffnung die Rede ist." Vor allem aber manifestiere sich dieser Prozess optisch: "Die Körper der Häftlinge scheinen sich aufzulösen. Sie werden zerbrechlicher, schwächer, durchsichtig. Verkrampfte Schultern hier, ein Hinken da." So viel Geist im Hirn und soviel Wut im Bauch sei auf Thüringer Bühnen nur in Rudolstadt zu sehen.

Kommentar schreiben