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Herzweh und Konfettischnee

von Georg Kasch

Berlin, 5. Mai 2011. Unspielbar! Wer "Rocco und seine Brüder" von Luchino Visconti gesehen hat, weiß, dass das eigentlich nicht geht, diesen Jahrhundertfilm auf die Bühne zu übertragen. Diese emotionssatte Mischung aus realistischem Drama und großer Oper, voll christlicher Symbolik, literarischen Anleihen und furiosen Schnitten. Wie soll das funktionieren, die Süditalienerin Rosaria und ihre fünf Söhne beim Überlebens- und Aufstiegskampf im industriellen Mailand nicht der Lächerlichkeit und dem Kitsch preiszugeben, ihnen die Würde zu erhalten, die sie bei allem Pathos und aller atavistischen Fremdheit in Viscontis zärtlichem Panorama besitzen?

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© Bettina Stöß/www.moving-moments.de

Und wer bitte soll die Rolle des Rocco übernehmen, den der blutjunge Alain Delon ikonografisch prägte mit einer anrührenden Mischung aus verletzlichem Jüngling und übermenschlichem Schmerzensmann? Etwa Robert Kuchenbuch, der so völlig irdisch wirkt als kahlgeschorener Muskelmann mit dem Hang, sich etwas altmodisch in die Sätze zu stemmen? Es gelingt, und nicht erst, als sich Kuchenbuch im Gerangel mit Michael Klammers Vincenzo den Kopf aufschlägt und blutüberströmt weiterspielt – eine Premierenpanne, von der man lange nicht weiß, ob sie inszeniert oder real ist, weil sie dem Bild vom "Idioten" dostojewskischer Prägung so entspricht.

Rockschöße fliegen, kalkweiße Gesichter bibbern

Antú Romero Nunes' Inszenierung am Maxim Gorki Theater (die erste des Nachwuchsregisseurs 2010 auf einer großen Bühne) stellt Viscontis Film-Oper ein eigenes musikgetriebenes Bildertheater gegenüber, das leichthändig die "Rocco"-Fabel aufgreift, ohne sich sklavisch an ihr abzuarbeiten. Dass hier alles nur Theater ist, versteht sich von selbst: In schwarzen Anzügen kommen die fünf Männer zu Beginn auf die Bühne, holen aus ihren großen Koffern ebenso schwarze Mützen, Schals, Mäntel.

Schon fliegen die Rockschöße, bibbern die kalkweißen Gesichter, und mit wie viel trickreicher Liebe hier der Konfettischnee rieselt, wie aus den Schippbewegungen sich eine Schneeballschlacht entwickelt, mit welcher virtuosen Coolness die vier sich eine Zigarette teilen, das muss man gesehen haben. Dieser Stummfilm mit Übertiteln zur aufgedrehten Klaviermusik von Nunes' Leibkomponisten Johannes Hofmann währt, bis die Prostituierte Nadia in flammenden Farben auftaucht und die Familie zum ersten (und nicht zum letzten) Mal spaltet.

Wo Boxen auf- und niederfahren

Hinweggewischt wird die bezaubernde Verschrobenheit der alten Zeit in der entfremdenden Stadt von verwirrend auf und ab schwebenden Leuchtstoffröhren, sich vielschichtig überlagernden Akkorden – und von Abschminktüchern, als ein Box-Manager Simone als Nachwuchstalent entdeckt und in die Karriere drängt. Frische Gesichtsfarben, bunte Klamotten – das neue Leben der Migranten trennt die Brüder unaufhaltsam: Albrecht Abraham Schuchs Vincenzo wird spießiger Familienvater, Matti Krauses Ciro braver Mechaniker mit neoliberalen Aufstiegsfloskeln, Simone scheitert als Boxer und Rocco an seinem sich selbst und Nadia opfernden Anspruch, die Familie zusammenzuhalten.

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Nunes erzählt die Migrationsgeschichte mit einem unerschöpflichen (wenn auch aus anderen Inszenierungen wie Peer Gynt und Der Geisterseher durchaus vertrauten) Reservoir an Bildern, Stimmungen, Brüchen. Gewaltiger Bühnenzauber wie die in der nebeldampfenden Wäscherei, wo neben den neuen Anzügen auch die wummernden Boxen auf- und niederfahren, prallt auf die stille Poesie jenes Moments, wo Luca, der jüngste Bruder und damit Projektionsfläche und Hoffnungsträger der Familie, auf der Drehbühne auf einem einzelnen Lautsprecher sitzt, aus dem leicht scheppernd Nino Rotas süditalienisch-melancholisches "Rocco"-Lied tönt – ein einsamer Junge, der einen nachtschwarzen Moment später vom herzenswunden Bruder abgelöst wird.

Zwei Versionen, ein Kopfkino

rocco037bettinastoe © Bettina Stöß/www.moving-moments.de

Überhaupt die Parallelen: Für Simone singt Anne Müllers in all ihrer muskulösen Überschminktheit zerbrechliche Nadia "Something Stupid" und spielt andere Liebeslügen durch, nur um ihm klarzumachen: Junge, mit uns wird das nix. Was sich nicht sagen lässt, muss man herausschweigen: Wenig später weist Rocco bei seiner Wiederbegegnung mit Nadia stumm auf den Übertitel "Wenn ich dich ansehe, tut mir immer das Herz weh" – und gleich ist Kuchenbuchs Rocco wieder der Neuankömmling vom Anfang. Erstaunlich dialogisch und beredt, wenn Anne Müller und Michael Klammer die Ermordung Nadias erzählen: zwei Versionen und ein Kopfkino, das stärker ist als jede Visualisierung von Viscontis gebrochener Kreuzigungsszene.

In nur knapp zwei Stunden erzählt Nunes seine Version einer Migrationsgeschichte, die heute genauso funktioniert wie vor 50 Jahren. Er drosselt das Pathos, drückt auf Witz und Tempo, erfindet sich einbrennende Bilder – und lässt uns so kurz in den lichtstrahlenden und geheimnisvoll tönenden Koffer blicken, den Luca am Ende öffnet.

 

Rocco und seine Brüder
nach dem Film von Luchino Visconti
Regie: Antú Romero Nunes, Musik: Johannes Hofmann, Bühne: Florian Lösche, Kostüme: Judith Hepting, Dramaturgie: Carmen Wolfram.
Mit: Albrecht Abraham Schuch, Michael Klammer, Robert Kuchenbuch, Matti Krause, Alp Erdener Ergovan/Berk Kavasoglu, Andreas Leupold, Anne Müller.

www.gorki.de


Mehr zu Antú Romero Nunes gibt es im nachtkritik-Archiv.

 

Kritikenrundschau

"Das entscheidende Detail, dass den gemeinsamen Kampf durch die eisigen Böen so objektiv überzeugend, emotional berührend und technisch genial macht, sind die fliegenden Rockschöße", preist Jan Küveler den Abend in der Welt (7.5.2011): "feine Fäden verbinden die Mäntel der Brüder. Wenn sie sich warm streicheln, flattert der Stoff." Überhaupt sei erstaunlich, wie Nunes, der hier eigentlich seine Geschichte erzähle, den Stoff eindampfe: "Viscontis düsteren Neo-Realismus ersetzt Nunes durch seinen strahlenden Neon-Realismus: Vor den Leuchtstäben, die wie Galgenvögel von der Decke fielen, duckte sich vor ein paar Monaten schon sein Frankfurter Peer Gynt." Dabei wisse Nunes, "dass die Theaterrealität – anders als die des Films – ihrer Künstlichkeit nie entrinnen kann."

Robert Kuchenbuchs Unfall berühre einen entscheidenden Punkt, schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (7.5.2011). In Nunes' Inszenierungen gehe es "nämlich immer auch um die Erkenntnis, dass zwischen Leben und Spielen, zwischen Welt und Bühne kein kategorischer Unterschied zu fassen ist. Und es geht um die Erleichterung und die Verzweiflung, die beide zugleich aus dieser Erkenntnis erwachsen. Antú Romero Nunes schlägt wie wenige andere Theaterregisseure Genuss, Humor und Trost daraus, ohne den Ernst wegzuironisieren. Denn ums Leiden kommt man auch im Spiel nicht herum. Höchstens im Theater, wofür es - siehe Unfall - auch keine Garantie gibt." Die Geschichte werde zwar nicht vollständig, aber doch treu und klar erzählt, mit  filmschnittschnellen Wechseln. "Auch mit der Musik von Johannes Hofmann werden Mittel und melodramatische Effekte, wie der Film sie erfunden hat, vorgeführt und mit bis an die Grenze der Mätzchenhaftigkeit gehender Lust für die Bühne ausgebeutet." Was in der Beschreibung dramaturgisch überorchestriert klinge, sei "schlagend einfach und mutig organisiert."

"30 Minuten dauert Antú Romero Nunes Hommage an den Stummfilm und das ganz große, platte Gefühl", schildert Eberhard Spreng den Beginn auf Deutschlandradio Kultur (5.5.2011). "Eines der ersten Worte, wenn die Prostituierte Nadia (Anne Müller) ins Spiel kommt, begleitet der Fingerzeig auf die Übertitelung. Nix Gefühl, alles Projektion. Besser kann sich Nunes nicht vom Neorealismo und der Melodramatik der übermächtigen Bildervorlage lösen." Mit seiner Inszenierung beweise er, dass er zurecht als großes Regietalent gehandelt wird. "Er skizziert auf weitgehend kahler Bühne mit einfachen starken Bildern schnell Situationen, mit präzisem Gespür für Timing und leider unter dem unentwegte Gedudel seines Soundtrackers Johannes Hofmann. Er setzt geschickt Zeichen an Zeichen, Witz an Witz." Allerdings bleibe viel "in diesem abgeklärten Rocco-Kommentar auch auf der Strecke". Was im ersten Moment überzeuge, erweise sich als schnell vergänglich.

"Selten geht es auf der Bühne zugleich so lässig und verspielt, so ideensprühend und gedankenhell zu wie bei dem jungen Regisseur Antù Romero Nunes", verneigt sich Anne Peter in der TAZ (9.5.2011) vor dieser Inszenierung, in der Schauspieler "souverän mit ihren Mitteln jonglieren und dabei federleicht zwischen Fiktion und Realität, Figur und Schauspieler hin- und hertänzeln. Dieses Theater verbirgt nie, Spiel zu sein, lässt das Making-of immer sichtbar und die Emotionen trotzdem hochschießen." Nunes lasse seine Akteure nicht mit dem Film von Visconti konkurrieren, sondern übertrage und kommentiere mit den Mitteln des Theaters. Der Fokus der Darstellung falle dabei weniger auf "die Love-Story als auf das Porträt eines Brüder-Quintetts, das ums Erwachsenwerden wie um Anerkennung kämpft und sich mit einer Palette unterschiedlicher Lebensentwürfe herumschlägt."



Kommentare  
Rocco und seine Brüder, Berlin: letztens in Bochum
"Unspielbar! Wer "Rocco und seine Brüder" von Luchino Visconti gesehen hat, weiß, dass das eigentlich nicht geht, diesen Jahrhundertfilm auf die Bühne zu übertragen."
Peinlich peinlich! Bevor Georg Kasch sowas schreibt, sollte er eigentlich ein bißchen nachforschen...und zwar bei Nachtkritik.
"Rocco und seine Brüder – Ivo van Hove und die Toneelgroep spielen Viscontis Filmklassiker nach" - und zwar in September 2008 in Bochum bei der Ruhrtriennale.
http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&task=view&id=1790&Itemid=40
Rocco und seine Brüder, Berlin: durchaus behauptbar
Herr Kasch muß sicherlich nicht verteidigt werden, aber auch nach der hundersten theatralen Umsetzung eines Filmes oder Romanes kann "man" behaupten, daß das nicht gut gehen kann. Bis eben dann die eine Inszenierung entsteht, die das Gegenteil beweißt. Und das ist ja für G. Kasch nun geschehen. Da ist es überhaupt nicht peinlich, vorherige Adaptionen nicht zu erwähnen. Darüber hinaus hat G. Kasch die 2008er Version vielleicht sogar gesehen, mochte sie aber nicht und hält sich jetzt diskret zurück. Sollte das so sein, finde ich das eher charmant.
Rocco und seine Brüder, Berlin: Zauberkram
Die Frage ist doch eher, ob Antú Romero Nunes tatsächlich die Durchdringung und Auflösung des Stoffes in theatrale Bilder geglückt ist. Ich habe da so meine Zweifel, ob er mit Auf- und Abschminken, den Verlust von Heimatidentität und familiären Banden beschreiben kann. Wenn man sich die Kritiken zu Ivo van Hoves Inszenierung ansieht, hat man den Eindruck da nicht wirklich was verpasst zu haben. Er quält den Zuschauer mit 3 Stunden Pathoszertrümmerung. Nunes reichen 2 Stunden aus für ein Ergebnis, das sich auch nur streckenweise sehen lässt. Es fängt vielversprechend an mit den zauberhaften Stummfilmszenen und dem bildgewaltigen Schneegestöber. Viel phantastischer Zauberkram, aber wenn der Schnee beiseite geräumt ist, fängt der Jammer an, in doppelter Hinsicht. Nun findet leider keine erkennbare Entwicklung mehr statt. Es wird mit allerhand lustigen Effekten gespielt, das aber durchaus auf ziemlich hohem Niveau. Es scheint, als wüsste Nunes plötzlich nichts mehr mit seinen Figuren anzufangen und so verjuxt er doch immer mehr die tragische Geschichte der Brüder. Man ist schon erstaunt, mit welcher Wucht diese plötzlich aneinandergeraten. Der Umschwung kommt wie aus heiterem Himmel. Als originäres Theaterstück funktioniert Nunes Inszenierung sehr gut, aber der Bezug zu Viscontis Anliegen kommt nicht rüber, die Reduzierung auf einen Bruderzwist um ein Mädchen wie bei Schillers Räubern, verkleinert die Vorlage. Der Schluss, wenn der Zerfallsprozess der Familie bereits beendet ist, kann mit seinem kleinen netten Verweis in die Zukunft nicht mehr viel wettmachen.
Rocco und seine Brüder, Berlin: ein wahrer Glücksgriff
Was bleibt bei Visconti, wenn man das große Pathos raus nimmt? Zumindest eine starke Story, bei Nunes ein paar Beulen und eine Platzwunde am Kopf. Ich wünsche dem stark spielenden Robert Kuchenbuch, der vor allen anderen wahrhaftig in seiner Rolle aufging, alles Gute und hoffe, dass es nicht so schlimm war, wie es aussah. Das Gorki Theater sollte überlegen, ob er nicht beim nächsten Mal einen Boxhelm aufsetzt, bevor er in den Klinsch mit Michael Klammer geht. Kuchenbuchs Szenen gehören zu den sehr starken dieser Inszenierung, hier hat Nunes einen wahren Glücksgriff getan. Apropos Boxen, Brecht war großer Boxfan und Visconti hatte nicht nur Anleihen bei Thomas Mann und Dostojewski genommen, sondern auch zumindest in Richtung Brecht geschielt. Die Zeiten des epischen Theaters sind vorbei, aber es wäre eine Möglichkeit gewesen, das übergroße Pathos Viscontis anders aufzubrechen. Zumindest die Verfremdung hat Nunes sehr gut drauf. Wenn man im Programmheft seitenweise Pasolini zitiert, ist aber großes religiösen Pathos fast vorprogrammiert und warum auch nicht. Pathos gehört zum Theater, es darf nur nicht im bildhaften Kitsch übergehen. Das hat Nunes zum Glück vermieden, aber er hat dafür leider auch auf das Erzählen einer großen Geschichte verzichtet.

Also das Kommentieren macht hier keinen Spaß mehr, wenn man seine Texte mittlerweile vierteilen muss. Schade!
Rocco und seine Brüder, Berlin: in der Kürze
@stefan. dann kommentieren sie doch nicht mehr! das ewige gerede geht einem doch eh auf die nerven.
oder wie heißt es so schön...in der kürze liegt die würze
Rocco und seine Brüder, Berlin: kürzer geht's nicht
@ 123
Das klang bei Ihnen auch mal anders. Sind Sie etwa eingeknickt oder schon geläutert? Noch Kürzer kann ich das nicht auf den Punkt bringen.
Rocco und seine Brüder, Berlin: schreib die Hälfte
lies(schreib) die hälfte, oder die halbe disziplin
das ist oft auch nicht schlecht
123 hat schon irgendwie recht mit dem ewigen gerede(geschreibe (in unserer schnellen zeit) welches halt manchmal besser ist, manchmal schlechter, langweiliger...)
rocco und seine brüder, einer der beeindruckensten und berührendsten filme der jugendzeit
man hat alain delon später nie wieder so gesehen, und die ungewöhnlichen schauspielerischen leistungen von salvatori und girardot - - früher hieß es einmal, die italiener wären die besten filme-macher der welt...
Rocco und seine Brüder, Berlin: mittelprächtig
Genau, lieber kurz und knapp wie es war und keine philosophischen Selbstdarstellungen.Und chatten kann man woanders doch viel besser,grins.Ach so, fand die Umsetzung im MGT mittelprächtig...
Rooco und seine Brüder, Berlin: sensationell
sensationelle inszenierung- auch wenn das letzte drittel leider etwas gehetzt wirkt. gänsehaut an vielen stellen.
freue mich auf weitere inszenierungen von Nunes auf der großen bühne des gorki.
Rocco und seine Brüder, Berlin: ein Höhepunkt der Spielzeit
Ein ganz starkes Stück Theater. Romero Nunes setzt die gesamte Theatermaschinerie ein, um ein zutiefst menschliches Drama zu erzählen, kein plakatives Stcück Gesellschaftskritik. Er spielt mit Nähe und Distanz, Illusion und Verfremdung. Und lässt am ende nicht alle Hoffnung fahren. Ein Höhepunkt dieser Spielzeit in Berlin, vielleicht sogar der Höhepunkt.

Komplette Rezension: http://stagescreen.wordpress.com
Rocco und seine Brüder, Berlin: Sticker gegen Sexismus
also, ich war gestern mal wieder in einem richtigen theater, nämlich dem maxim gorki theater in rocco und seine brüder. und jetzt muss ich ein paar sachen sagen (abgesehen davon, das es virtuos gemacht ist und der antu romero nunes gut inszenieren kann):

1.zuviel testosteron. ich hab eh probleme mit männern auf der bühne, aber männer, die sich in einer hochgelobten aufführung auf der bühne großartig finden, kann ich mir noch schlechter angucken.
2. es gibt so sticker von frauengruppen, die manchmal auf werbeplakate mit halbnackten frauen geklebt werden: sexistische kackscheisse steht da drauf. and diese sticker musste ich ständig denken.
3. ich habe lange nicht mehr kostüme für eine frau gesehen, die körperliche "vorzüge" so eindeutig verkaufen, wie die bunten fetzen, die anne müller getragen hat (ja sie hat nen tollen rücken, ja sie hat tolle schultern, ja sie hat tolle beine)
4. die vergewaltigungs-szene war als lachnummer inszeniert ("mach mal das licht aus!")an der sie auch noch so halb spaß hatte, uaaargh

und das ganze dann schön emotional mit dauermusik und einem singenden teenie am ende

das kann doch alles nicht euer ernst sein
Rocco und seine Brüder, Berlin: manieristisch
ja, das dachte ich auch. wie kann ein so junger regisseur, seine schauspieler dazu animieren, sooo eitel zu agieren? weil er selbst eitel ist? weil er die eitelkeit seiner truppe unterschätzt hat? weil er diese aufteilung: viele männer, eine frau in sexy kleid ohne nachzudenken übernommen hat? weil sich die schauspieler/in nicht gewehrt haben? weil der film so ungebrochen und verstaubt verehrt wird und nicht bedacht, daß wir in einer anderen zeit leben? inzwischen? - weil alle nur die intelligenten ausschnitte sehen und zusammenhänge, die zum teil aber auch verkopft und buchstäblich an den haaren..äh fäden herbeigezogen wirken? in meinen augen oft und eben auch wieder..- eitel...
Rocco und seine Brüder, B: nicht zu überbieten harmlos
Bin mit großer Erwartung in den Abend gegangen, aber leider musste ich einfach nur feststellen, dass die Inszenierung harmloses, permanent anironisiertes Studententheater ist.
Die knapp zwei Stunden entpuppten sich als Qual.
Alles ein wenig witzig, alles pseudocool, die Bühne wirkungsästhetisch überladen und ein paar Mittebubis, die selbgefällig vor sich hinbalgen. Und die Kritik findets ganz toll und quasselt, schön zeitgemäß, irgendwas von Migrationshintergrund.
Der Abend ist an Eitelkeit kaum zu überbieten und dabei so harmlos.
Wer einmal den Film gesehen hat, kann nur den Kopf schütteln.
Rocco und seine Brüder, Berlin: Ambivalenz
AMBIVALENZ ! Das ist mittlerweile für mich zum Schlüsselwort meiner diversen Nunes-Erfahrungen in Hamburg und Berlin geworden. Ich kann die Reaktion von Johannes durchaus verstehen; am Ende singt Luca
als großer Hoffnungsträger trotz alledem. Singt mit dem Text Pasolinis, so als sei Pasolini aus Roccos Familie hervorgetreten.
Der Gedanke ist nicht ohne Reiz, nicht ohne Phantasie, aber, es tut mir Leid, kommt für mich in seiner Ausführung auf der Bühne so
"unmotiviert" wie auch die großen "Gefühlsausbrüche" schwerlich aus einer Figurenentwicklung heraus verständlich werden, und sieht eher aus wie das "Geldeinsammeln" eines Straßenbahnmusikerkindes unserer Tage, wirkt als eine Art "Erpressung von Beifall". Ohne das Lied hätte man einfach abbrechen müssen, und das Ende wäre höchst unbefriedigend und beliebig. Aber so: Ambivalenz. Wie meistens bei Nunes wundervolle Szenen und Bilder: die Stummfilmsequenz, nahezu Hoppersche Raumaufteilungen qua Neonlichtlinien ! Aber, das, was seinen neuesten Schiller prägt, nämlich die Grundannahme, daß Figuren sich nun mal nicht nach dramatischem Fahrplan offenbaren (siehe Karl-Moor-Monolog), ist doch gerade die Perfidie des durch den Neorealismus zutage geförderten Befundes. Diese sich dramatisch Offenbarenden sind gerade so Schutzlose wie eben Rocco und seine Brüder; zwei Stunden Neukölln vor der Inszenierung könnten diesbezüglich ganz erhellend sein bishin zu Kampfsport, Körperkult, facebookender Selbstverzehrung, auch Familien-Schicksalsbündlerisches findet sich recht schnell: nur, alles gleichsam auch in Saft und Kraft, lebendig Digger, Aller. Warum nach Neukölln gehen und dort Sehnsucht nach dem Süden voraussetzen, predigen oder was sonst ?!
Bei den Räubern noch läßt Michael Klammer geradezu Neuköllsch sprechen hier und da, und da, wo er und die anderen es erst recht könnten, da setzen sie sich nicht aus letztendlich, fallen in die Dreifachaxelhaftigkeit der Nunesschen "Schokoladenseite" zurück: ein Abend, der sich gegen Ende hin immer mehr entleert..
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