altTaliban, ick hör dir trapsen

von Georg Kasch

Berlin, 11. Mai 2011. Man wundert sich schon ein wenig: Gleich zwei Stücke, die es 2010 und 2011 zum Stückemarkt nach Heidelberg geschafft haben, sind nun auch beim Stückemarkt des Theatertreffens dabei. Preise haben sie dort keine abgesahnt (bzw. 2010 nur den nach dem Gießkannenprinzip verteilten Fördertrostpreis für alle), jetzt versuchen sie es in Berlin noch mal. Das Theatertreffen als Heidelberger Resterampe?

Different, different

Auch beim näheren Hinsehen bleibt der Verdacht. Zumindest bei Konradin Kunzes Stück foreign angst: Da sucht ein junger Mann, 25, in Afghanistan die Familie jener Kinder, die offensichtlich "aus Versehen" bei einer Straßenkontrolle von deutschen Soldaten erschossen wurden. Er will sie etwas fragen – was genau, bleibt unklar. Statt der Familie trifft er eine deutsche Sanitäterin, die sich mit Gin über Wasser hält. In Gesprächen mit dem Portier des eigentlich geschlossenen Hotels kommen dann die üblichen Verständigungsprobleme ans Licht, die kulturellen Unterschiede, "andere Länder, andere Sitten", sagt der junge Mann, "different different" sagt der Portier.

Natürlich entsetzt sich der junge Mann darüber, dass der Portier seine Tochter schlägt, natürlich verletzt er das viel größere Tabu, als er ihr Gesicht sehen will. Kunze klappert so ziemlich jedes Klischee vom Zusammenprall der Kulturen ab und spachtelt am Ende auch noch dick hollywoodtaugliche Rührung drauf.

Lyrik-Monologe beim Realitätstest

Auf dem Reißbrett wirken die Zutaten noch so, dass man aufmerkt: Ein Stück über die Unmöglichkeit postkolonialer Verständigung in drei Sprachen? Monologe, die in ihrem Flattersatz zuweilen etwas von – zwar bauchnabelerkundener, aber doch – Lyrik haben? Der Realitätstest zeigt: alles nüscht.

An vier Tischen sitzen die vier Schauspieler in Friederike Hellers szenischer Einrichtung, vor ihnen die im Stück erwähnten Requisiten, mit denen sie fröhlich illustrieren: Wenn Almut Zilchers Sanitäterin vom Gin spricht, kippt sie ein Glas. Wenn Stefan Konarskes junger Klugscheißer Mohamed Achours Portier besticht, zählt er ihm umständlich die Dollarnoten hin. Und so weiter. Ansonsten blickt Konarske mit großen Hundeaugen in die Kamera und leiert die verflixt selbstmitleidigen Texte runter. Der Gedanke, dass die Katastrophen-Entwicklung gegen Ende der Alptraum eines Fieberdiliriums sein könnte, scheint Heller nicht gekommen zu sein (aber ob das die Sache erträglicher gemacht hätte?). Stattdessen imitiert Sebastian Vogel am Schlagzeug den Sound von Geschützfeuer – Taliban, ick hör dir trapsen...

Zack, schon ist Gott tot

Sichtbares Blut fließt keines, anders als in Juri Sternburgs schwarzer Splatterkomödie "der penner ist jetzt schon wieder woanders". Igor und Andrej fahren mit der Berliner U-Bahn ihrem Dealer hinterher (aber eigentlich warten sie auf ihn wie Wladimir und Estragon auf Godot) und legen währenddessen einen Verleger, einen Sprayer und ein Touristenpaar um (im Text auch noch eine Rentnerin und einen Polizisten, aber die sind hier gestrichen). Schließlich taucht Gott auf, sagt die Lottozahlen voraus und gesteht seine Überflüssigkeit ein. Zack, schon ist er tot – und seine Leiche verschwunden.

Wo Kunzes Text – wenn überhaupt – vom Kontrast Deutsch, Englisch, Dari lebt, ist es bei Sternburg der Zusammenprall von Hochsprache und Slang, von dumpfsten Instinkten, Trieben und philosophischen Überlegungen. Das eigentliche Finale, aus Besetzungsgründen gestrichen, vereint die Lebenden und die Toten im Nobelrestaurant und birgt die ironischen Wendung, dass die Frau, die anfangs doch nicht in den U-Bahn-Wagen steigt, sich als Andrejs Date entpuppt und sie ihn als ihren Lebensretter feiert.

Fluffig ironisch, umwerfend komisch

Etwas arg konstruiert, aber wenn das so ironisch fluffig gebrochen wird wie in dieser von David Bösch angerichteten szenischen Lesung, fällt das gar nicht weiter auf. In der Kassenhalle des Festspielhauses sitzen Jörg Pohl und Mirco Kreibich auf einem Podest und spreizen sich von der ersten Sekunde an umwerfend komisch zwischen Lesungsattitüde und entspanntester Coolness, zappen virtuos zwischen den Charakteren hin und her und baden ebenso hemmungslos in politischen Unkorrektheiten wie der Text. Wenn sich später Michael Schweighöfer in seiner Leibesfülle zwischen sie drängt, gütig an ihnen herumtatscht und tatsächlich wie ein abgeklärter, desillusionierter Schöpfergott wirkt, dann funkeln Sternburgs Dialoge, wie sie es auf dem Papier nur bedingt vermögen.

Im Spagat zwischen Pointen und Sehnsucht nach den existenziellen Fragen schürft "der penner ist jetzt schon wieder woanders" nicht gar so tief wie Wolfram Lotz' Der große Marsch (im letzten Jahr dabei und ausgezeichnet), als schwarze Migrationskomödie entwickelt der Text nie die Schärfe von Jonas Hassen Khemiris Invasion! Aber in dieser Besetzung, mit diesem Drive möchte man Sternburgs wilde "Linie 1"-Aufarbeitung gleich noch einmal sehen.

 

foreign angst
von Konradin Kunze
Szenische Einrichtung: Friederike Heller, Dramaturgie: Marion Hirte, Ausstattung: Kathrin Frosch.
Mit: Mohamed Achour, Stefan Konarske, Seyneb Saleh, Almut Zilcher, Sebastian Vogel (Schlagzeug).

der penner ist jetzt schon wieder woanders
von Juri Sternburg
Szenische Einrichtung: David Bösch, Dramaturgie: John von Düffel, Ausstattung: Nora Johanna Gromer.
Mit: Mirco Kreibich, Jörg Pohl, Michael Schweighöfer.

www.stueckemarkt.de

 

Die Theatertreffen-Übersicht von nachtkritik.de: ausführliche Nachtkritiken und Kritikenrundschauen zu den zehn eingeladenen Inszenierungen, die zum Stückemarkt gebetenen Stücken und alles rund um das Theatertreffen – zum Beispiel die Nachtkritik zum Stückemarkt I + II.

Viel Aufsehen erregte im Mai 2010 die Entscheidung der Heidelberger Jury, keinen einzelnen Dramatiker auszuzeichnen, sondern die Preissumme zwischen allen Autoren zu teilen, darunter auch Juri Sternburg mit "der penner ist jetzt schon wieder woanders". Er war der einzige der Betroffenen, der die Erklärung der Autoren an die Jury nicht unterzeichnete, aber in einem Kommentar auf nachtkritik.de (Nr. 113) auf den SZ-Blog der Jurorin Christine Dössel reagierte.

Mehr zur Debatte um die Neue Dramatik finden Sie im nachtkritik-Lexikon.

Kommentar schreiben