16. Mai 2011. "Lass Dir gesagt sein: Verstehen wirst du nichts. Die sprechen rasend schnell und Dialekt. Und die Akustik auf der Seitenbühne ist grauenhaft. Zum Glück kann man die englischen Übertitel mitlesen, aber dann verpasst man natürlich Aktionen."

So warnte mich ein Kollege aus dem Süden vor dem Hauptmann'schen Biberpelz aus Schwerin. Vielen Dank! Genützt haben die Ratschläge nicht. War aber auch nicht schlimm. Denn wie sagte Regisseur Herbert Fritsch nach der Sonntagsaufführung beim Publikumsgespräch? Dieses Theater ist eine "Energieschleuder". Hier kommt man nicht her, um verbissen auf Inhalte zu pochen, sondern um sich "mal ordentlich durchrumsen" zu lassen. "Wenn man sich da verspannt, dann wird es ganz furchtbar."

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Unhörbar, aber unerhört durchrüttelnd: "Der Biberpelz" aus Schwerin. © Silke Winkler

Überhaupt nicht furchtbar, sondern eigentlich eine eigene Theatertreffeneinladung wert waren Fritschs Furiositäten bei selbigem Publikumsgespräch. Ach, hätte man eine Videokamera dabei gehabt! "Hauptmann? Ich kenne den Mann nicht. Ich weiß nicht, was er wollte", kontert der Maestro die rezeptionsgeschichtlich interessierten Fragen von Moderator Tobi Müller. Und dann zünden unvermittelt kleine, denkwürdige Fritsch-Performances: Wie sieht denn dieser Milieu-Naturalismus auf dem Theater üblicherweise aus? Mit zart bajuwarisch gefärbtem Akzent beugt sich Fritsch über den Podiumstisch: "Da übt ein Schauspieler stundenlang, wie er den Löffel langsam zum Munde führt." (Fritsch führt langsam und stundenlang geübt seinen imaginären Löffel zum Mund.) "Laaaangsam löffelt der Schauspieler die Suppe, damit man merkt, wie aaaarm der ist." (Das Wort "arm" klingt bei Fritsch wie "Kartoffelsalatreste".)

So derart künstlich armselig gebe sich ein Theater, das glaube: Je schlimmer die Bühnenwelt ausschaue, umso erquicklicher werde der Gang zurück in die Wirklichkeit. Und Fritschs Kunst? Die wagt den Kopfsprung hinab von den hohen Klippen des Sinns: "Wir sind arm am Geiste. Wir sagen: So schlimm, wie uns die Wirklichkeit verarscht, kann's bei uns gar nicht sein."

Übrigens hatte Fritsch auch eine klare Antwort auf die Akustik- und Verständlichkeitsprobleme im "Biberpelz". Mit leicht aasigem Schmunzeln hinter seiner Designerhornbrille: "Wenn man genau zuhört, kann man schon ab und zu ein paar Gesprächsfetzen mitbekommen." Und wenn nicht, dann nehme man das Ganze eben "mit dem Rückenmark" wahr. So wie es sich für gute Kunst ohnehin gehört. Hauptsache unverkrampft. 

(chr)

Kommentare  
Energieschleuder: vom Kopf bis zu den Zehenspitzen
Hallo Stefan,
amüsiert habe ich mich auch, vom Rückenmark bis hoch zum Kopf und wieder hinab bis zu den Zehenspitzen. Beste Grüße, Christian Rakow
Energieschleuder: Krampfadern beim Zugucken
Diese liebe durchgeknallte Volksbühnen-Unverkrampftheit erzeugt aber doch nach zwanzig Minuten Krampfadern beim Zugucken. Da muß man mitmachen, sonst ist es ganz schön scheiße. Die Aufführung ist ne Polonaise, wo man erst am Schluß, nach achtzig Minuten mit anfassen darf.
Daß die ständig gegen einen Theaterbegriff Theater machen müssen, den es so wohl gar nicht mehr gibt. Die anderen machen es ganz falsch, die sind 19.Jahrhundert, schwingt immer mit. Es ist immer ein Gegentheater, ganz unselbständig, weil es immer das "Elterntheater" braucht, gegen das man rebelliert und so lustig frech sein kann. Doofe Dramaturgen, ätsch, doofe Zuschauer, die Text verstehen wollen, ätsch. Das fndet auch die Jury vom Theatertreffen so richtig frech und toll gewagt. Gähn. Wie beim Volksbühnenpollesch, der auch immer auf das böse Normaltheater schimpft und ohnen dieses "Normaltheater", das es nicht mehr gibt, gar nicht denkbar wäre.
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