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Was stellst du dich so an, Elfriede?

von André Mumot

Braunschweig, 25. Mai 2011.  Es sind zwei rollbare Kleiderständer, die links und rechts den Bühnenraum begrenzen und sich feindlich gegenüberstehen: Auf der einen Seite, der männlichen, hängen bloß ein gelber Bauarbeiterhelm samt Werkzeuggürtel und eine Sammlung ineinander gesteckter roter Zwergenmützen. Auf der anderen aber, der weiblichen, drängen sich dicht an dicht die buntesten Kleider und Kostüme. Hier also soll das Schlachtfeld abgesteckt werden für die verfeindeten Geschlechter und überhaupt für alles Unvereinbare.

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Hans-Werner Leupelt, Nientje Schwabe und Klaus Lembke in "Prinzessinnendramen"
© Karl-Bernd Karwasz

Das ist so in der Welt der Elfriede Jelinek, und das ist ja auch nichts Neues. In den "Prinzessinnendramen", jenen um die Jahrtausendwende entstandenen Variationen zum Thema "Der Tod und das Mädchen", den Spott- und Trauerattacken auf weibliche Selbstfindungsstrategien, ist das Sein reine Unversöhnlichkeit. Deshalb muss Schneewittchen (Martina Struppek), das hier im Disneyklassiker-Kostüm auftaucht, die Schönheit als Prinzip ewiger Ich-Entfremdung repräsentieren, und der Jäger (Hans-Werner Leupelt im kniefreien Lederharnisch unterm Trachtenjanker) den tumben, aber unaufhaltsamen Tod. Die Zwerge wiederum stellen die Wahrheit dar, die gesucht, aber nicht gefunden werden kann, und die erst auftaucht (in Gestalt von Zipfelmützenträger Klaus Lembke), als die grinsende Märchenprinzessin bereits abgeknallt auf dem Boden liegt.

Mit dem Autopilot inszeniert

Verdächtig ist an diesem Abend in der kleinen Hausbar des Staatstheaters Braunschweig eigentlich nur, dass all das in seltsam müder Routine vor zwei Schminkspiegeln stattfindet und in etwa genau so abläuft, wie es bei Frau Jelinek im Text steht. Immerhin ist hierfür eigens Patrick Wengenroth als Regie-Gast angeheuert worden, von dem man Gag-und-Performance-Subversionen in Popkultur-Reibung erwartet. Aber nichts da. Die weitschweifig reflektierenden Prinzessinnengedanken scheinen die kreative Energie des Show-Mans vorerst auf den Nullpunkt gebracht zu haben.

Drei der fünf Textblöcke stehen im Mittelpunkt: Neben dem betulich abgewickelten "Schneewittchen" vor allem "Dornröschen", bei dem es schon etwas weniger theoretisierend um ein fröhlich-frohlockendes Weibchen geht (Nientje Schwabe), das nur existieren kann, wenn es von einem Mann geküsst wird. Nicht verwunderlich, dass dieser sich deshalb gleich als Gott gebärdet und Klaus Lembke die Gelegenheit gibt, sich den Bauarbeiterhelm aufzusetzen, einen Plastikdildo umzuschnallen und schließlich träge und unkomisch unter einer Homer-Simpson-Maske zu verschwinden. Außerdem wird nach seinen chauvinistischsten Sätzen eine Sit-Com-Lacherkonserve eingespielt, was als Entlarvungsmittel noch angestaubter wirkt als der ausgestellte Machismo.

"Wann kommt die Sonne?"

Zwischendurch kommt Raphael Traub immer wieder auf die Bühne gewetzt und trägt in aufgescheuchter Begeisterung und mit anheimelnd schweizerischem Akzent Jelineks sehr klugen und amüsanten Essay über Lady Di vor, der pointiert veranschaulicht, wie wir nach stellvertretenden Bildern suchen, nach denen wir unsere Identität ausrichten können. Das ist ein inhaltlicher Aspekt, von dem man tatsächlich annehmen könnte, dass ihn der Regisseur (oder dessen inszenierender Autopilot) interessant gefunden haben könnte. Aber eigentlich ist das dann auch egal, denn etwa 20 Minuten vor Schluss geht recht unvermittelt der eigentliche Abend los, der Wengenroth-Abend. Es ist dann auch endlich klar, dass man sich nicht getäuscht hat: Mit dem Jelinek'schen Selbst- und Welt- und Sexualitätsekel, mit ihrer neurotisch selbstverletzenden Todesfurcht, ihrem panisch in sich hinein witzelndem Fatalismus hat dieser Regisseur nichts am Hut.

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Also macht er Musik. Das Dornröschen stellt sich ans Mikrofon und singt "Wann kommt die Sonne?" von Rosenstolz (und zwar sehr schön). Hans-Werner Leupelt und Klaus Lembke tragen jetzt die Prinzessinnenkleider, schütteln in ekstatischen Masturbationsgesten Sprühsahneflaschen und erleben einen ziemlich albernen, aber offenkundig befreienden Bühnenorgasmus. Martina Struppek hat sich den Bauarbeiterhelm aufgesetzt und Raphael Traub trägt ein cremefarbenes, schick ausgeschnittenes Kleid. Er singt "Candle in the Wind" auf Deutsch und sagt: "Wir haben es geschafft, uns von unseren Körpern zu lösen und doch nicht tot zu sein."

Es ist, als wollte Wengenroth mit diesem kleinen Fest der problembefreiten Travestie eine Utopie des Achselzuckens umsetzen, die Kampfzone der Kleiderständer abbauen, der abgehärmten Schwarzseherei rustikales Lust-Ausleben entgegenhalten. "Was stellst du dich so an, Elfriede?", scheint er zu fragen. Damit aber ergibt sich ein Abend, dessen abgespulte Konflikte in sich selbst zusammenfallen und niemanden mehr etwas angehen – den Zuschauer am allerwenigsten. Das bisschen Orgasmus macht das nicht wett.


Prinzessinnendramen
von Elfriede Jelinek
Regie: Patrick Wengenroth, Bühne und Kostüme: Mascha Mazur, Playbacks und Arrangements: Matze Kloppe, Dramaturgie: Katrin Breschke
Mit: Nientje Schwabe, Martina Struppek, Klaus Lembke, Hans-Werner Leupelt, Raphael Traub

www.staatstheater-braunschweig.de

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Kritikenrundschau

Wengenroth nehme Jelinek beim (im Programmheft zitierten) Wort und inszeniert die "Prinzessinnendramen als derbe Satire bis hin zur Comedy, schreibt Florian Arnold in der Braunschweiger Zeitung (27.5.2011). Streckenweise sei das durchaus amüsant. "Mit der Zeit allerdings erschöpft sich der komödiantische Schwung." Zudem werde keine Haltung zu Jelineks Feminismus klar. Arnolds Fazit: "Wer seit je die Bildungslücke Jelinek schließen wollte, aber vor der Anstrengung ihrer Bücher kapitulierte (kommt in den besten Familien vor), wird in der Hausbar zumindest ordentlich unterhalten. Viel klarer wird die Sache mit den Männlein und den Weiblein aber nicht."

Kommentare  
Prinzessinnendramen, Braunschweig: erst spannend, dann öde
Ich habe den Abend wiederum ein bisschen anders erlebt. Für mich war die erste halbe Stunde mit Schneewittchen und dem Tod sehr spannend und unterhaltsam (tolles Zusammenspiel von Martina Struppek und Hans-Werner Leupelt!). Danach wurde es eigentlich nur noch langweilig. Klaus Lemkes Rolle (oder hatte er keine Lust auf die Rolle?) war ermüdend. Dem Regisseur ist da gar nichts mehr eingefallen. Er hat sich nur noch versucht zu retten. Auch die Lieder waren eher versuchte Pointen aus Hilflosigkeit als nur ansatzweise den Abend unterstützend. Die einrahmenden Texte, die Raphael Traub aufzusagen hatte, hätte man sich besser ganz gespart.
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