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Düsteres Mysterienspiel

von Tobias Prüwer

Dresden, 27. Mai 2011. Eros und Thanatos, so sagt man, sind die Grundbausteine aller großen dramatischen Stoffe. "The Dybbuk" zehrt allein von dieser Basis – und diese trägt gut. Der unheimliche Theaterabend im Festspielhaus Dresden-Hellerau gestaltet sich als (ok)-kultischer Reigen um unmögliche Liebe und ihre Erlösung. Das Gastspiel in deutscher Erstaufführung wird vom Itim Theatre aus Tel Aviv gegeben, das für seine experimentelle Zugriffe au Stoffe bekannt ist. Ensemblegründerin Rina Yerushalmi obliegt die Regie dieser, in einer Weise doch erstaunlich klassisch ausgefallenen Inszenierung.

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© Itim Theatre

Ein Dibbuk ist im ostjüdischen Volksglauben ein Dämon, der sich im Körper eines Lebenden einnistet. Im Totenreich, (dem Scheol, wie es die hebräische Bibel nennt), darf das leiblose Wesen keine Ruhe finden, wenn es sich eines Frevels wie des Suizids schuldig gemacht hat. So schlüpft der heimatlose Geist als Parasit in vitale Hüllen.

Schwarz-magisches Ritual

Viele Geschichten und Bühnenstücke haben das Dibukk-Thema aufgegriffen, es wurde mehrfach verfilmt. Die berühmteste Version stammt vom russisch-jüdischen Autor Salomon An-Ski, ein Klassiker der jiddischen Literatur, auf dem auch die Fassung des Itim-Theatres beruht.

Dort findet sich der Dibbuk-Stoff in einen einfachen Plot eingebettet. Channan und Lea sind verliebt, können aber nicht zu einander finden. Denn die junge schöne Frau ist einem reichen Trottel versprochen. Der liebeskranke und mittellose Channan kann von ihr nicht lassen und greift zum schwarz-magischen Ritual aus der Kabbala. Zum körperlosen Dämon verwandelt, ergreift er Besitz von seiner Amour fou und beide finden auf diese Weise ihre Vereinigung. Eine solch gottlose Vermählung ruft den Rabbi auf den Plan, der seinerseits den Weg des Rituals beschreitet, um die böse Macht auszutreiben. Dass es beim Exorzismus nicht gerade sanftmütig zugeht, liegt auf der Hand – ein Happy End scheint unwahrscheinlich.

Wie aus Ebenholz gezimmert

Schlicht in der Story, wird "The Dybbuk" als finsteres, den Zuschauer vereinnahmendes Märchen erzählt. Das düstere Mysterienspiel ist magisch-religiös bis zur äußersten Potenz aufgeladen, nimmt Eros und Thanatos absolut. Von Beginn an schlägt es den Betrachter in einen Bannkreis, der manchmal auch auf kryptisch-komische Art fasziniert. Für diese fesselnde Wirkung sind dreierlei Dinge verantwortlich: Das besondere Setting, die Raumsituation und beeindruckendes Bewegungstheater.

Schwarz und leer liegt der Bühnenraum da. Wie aus Ebenholz gezimmert schwebt das Spielbrett mehrere Zentimeter über dem Boden. Das Rechteck, welches die Handlungsfläche markiert, ragt tief nach hinten in den Raum hinein. Dicht daran sitzt das Publikum, befindet sich fast mittendrin in dieser gähnenden Schwärze. Damit die Nähe zu Dibukk-Wüten und Dämonenaustreiben nicht zu intensiv und unmittelbar ausfällt, treten am Bühnenrand ein altes Pärchen und ein Solist hinzu, die auf Jiddisch und Hebräisch die Funktion von Erzählern und Kommentatoren übernehmen.

Die inszenierte Beobachterrolle dieser Spielerzuschauer macht eine Spur Ironie möglich und schafft etwas Distanz zum todernsten Bühnengeschehen. Ihr Bericht und der Text der Protagonisten werden mittels Beamer auf Deutsch eingeblendet, damit man der Handlung im Detail folgen kann. Nicht immer notwendig ist die Übersetzung aber, denn dem intensiven Spiel reichen wenige Worte, um verständlich zu werden. Ihr sinnlicher Zugang bestimmt diese Inszenierung. Und diese kann man in einem Sinn sehr traditionell nennen. Dem Chorischen Element kommt einiges Gewicht zu, rahmt die versammelte Gemeinschaft die individuellen Handlungen der Protagonisten in fast jedem Moment ein.

Extatisch-vibrierender Industrial-Sound

Dicht wirkt dieses Wechselspiel zwischen Gruppe und Einzelnem allein schon durch die Anzahl der insgesamt zwölf Darstellenden. Bestechende Bilder entstehen durch ihr raumgreifendes Körpertheater, ihre ausladende Gesten und expressionistische Mimik. Zu Industrialsound ekstatisch vibrierend, scheint sich Lea die gerade in sie gedrungene zweite Seele aus dem Leib zu schütteln. In einer episch anzusehenden Szene dienen mit Spiegelfolie überzogene Balken einer maliziösen Horde wie luzide Speere und Lichtlanzen dazu, Channan alles Leben auszutreiben. Akustische Effekte, (Toten-)Tanzintermezzi, eingewebte Figurentheaterfetzen und ein kleiner Illusionszauber sowie das Spiel mit Licht und Schatten reichern den sinnlich-überwältigenden Abend an.

So hüllt Regisseurin Rina Yerushalmi dieses klassische Erzähltheater mit nicht minder klassischem Stoff in ein eigentümlich-ansprechendes Gewand. Zusammen mit hypermoderner Geräusch- und Musikkulisse verdichtet sie alle Tradition zur ansehnlichen Parabel auf die Verstrickungen von Liebe und Tod.

 

The Dybbuk (DEA)
von Leon Katz (nach Salomon Anski)
Adaption und Regie: Rina Yerushalmi, Bühne: Uri On, Kostüme: Yehudit Aharon.
Mit: Dina Limon, Avraham Yanai, Zeev Shimshoni, Noam Ben Azar, Emanuel Hannun, Iyar Volpe, Elchai Levit, Gazit Kolton, Liron Bitton, Roy Shulberg, Guy Hermon, Rotem Levy, Miki Barkan, Sharon Lipkin, Shira Alfandari.

http://www.itimtheatre.com

http://www.hellerau.org

 

 

Kritikenrundschau

Eine schwermütige und überladen mystische Inszenierung hat Bistra Klunker gesehen, wie in den Dresdner Neuesten Nachrichten (30.5.2011) zu lesen ist. In textlastigen Szenen werde das Mitlesen der Übertitel zur Hauptbeschäftigung, auch falle es manchmal schwer, "monotone Rituale mit Interesse zu verfolgen oder spirituelle, choristisch vorgetragene Beschwörungsformeln über das eine Land Israel nicht als befremdliche Parole aufzufassen." Die traurige Liebesgeschichte pendele zwischen mimischer Stummfilm-Pathetik, Groteske und Bewegungsminimalismus. Immerhin gäbe es eine kleine Rahmenhandlung, die "eine feine Note Witz und Lebensweisheit in sich trägt".

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