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Mein Gold, Dein Gold, kein Gold

von Michael Laages

Dresden, 28. Mai 2011. Der Herr im Haus hat fertig. Er hat seine Lieblingsoper zu Ende dirigiert, mit Kopfhörern auf den Ohren, Partitur vor der Nase und den ganzen Wagner im Sinn, räumt jetzt auf im Wohnzimmer, das gerade eben noch die Traum- und Alptraum-Figuren seiner Musik-Phantasie bevölkert haben, für die er der magische Über-Dirigent und Geschichten-Beschwörer war, haut Knicks in die Kissen auf dem Sofa, füttert schnell noch die Fische zur Nacht im Aquarium, setzt sich und macht das Licht aus. Ende.

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© David Baltzer

Diese kleine Rahmenhandlung (sie erinnert von Ferne an eine zauberhafte Loriot-Szene aus dem Paläozoikum des deutschen Fernsehens) hatte am Anfang des außerordentlichen Theaterabends, von dem hier die Rede ist, zwar gar nicht so richtig begonnen, und sie mag auch nicht existenziell wichtig sein für das neue Musiktheater des ungarischstämmigen Regisseurs David Marton – aber der Abendgruß des Hobby-Dirigenten verschafft dem "Rheingold" am Dresdner Staatsschauspiels nach über zwei weithin mitreißenden Stunden ein angenehm klar, klug pointiertes Finale – so geht's zu, wenn sich einer tief, zu tief verstrickt hat in die eigene Passion. Schlapp hängt er im Sessel nach so viel Vergnügen.

Hexenküche der Klänge

Zuvor hatte dieser Hausherr (der Schweizer Tenor Christoph Homberger, Weggefährte vieler Abende von Christoph Marthaler) aus einer Art Tonstudio im ersten Stock der Bühne von Alissa Kolbusch herab "seinen" Wagner kreiert, sein ganz persönliches "Rheingold" dirigiert: Mein Gold, Dein Gold, kein Gold – die schönsten Stellen aus Wagners Vorspiel zum Bühnenweihfestspiel vom "Ring des Nibelungen".

Eine munter und schräg gestylte Party-Gesellschaft oder Groß-Familie im Erdgeschoss hatte nach seinen, des Dirigenten Anweisungen diese Einzelstücke lebendig werden lassen, begleitet von einem Pianisten (Jan Czajkowski), der per rotem Telefon in regem Dauerkontakt mit dem Dirigenten stand und in wirbelnder Geschwindigkeit auf's Dirigentenwort die Wagner-Motive aneinanderreihte, und einem Klangzauberer zudem am linken Bühnenrand, der Cello spielte und eine Art Hexenküche der elektronischen Klänge höchst kreativ am Köcheln hielt. Martin Schütz begegnen wir hier wieder, vor Jahren schon ein eigenwilliger Begleiter auch des Musiktheater-Unikums Ruedi Häusermann.

Erst kommt die Spurensuche

Teile der Marton-Familie, die berückende Jazz-Sängerin und Stimm-Artistin Yelena Kuljic vor allem, aber auch der singende Schauspieler Max Hopp und Yuka Yanagihara, deren starke Stimme schon bei Martons Lulu am Schauspiel Hannover auffiel, bereichern das extrem musikalische Dresdner Ensemble: Mila Dargies, Cathleen Baumann und Olivia Grigolli, Benjamin Höppner, Stefko Hanushevsky und Wolfgang Michalek. Mit diesem aufregenden Personal gerät (fast) nichts an diesem durchaus risikoreichen Abend angestrengt oder aufgeblasen und überdreht. Mit so einem Team war auch Wagner zu knacken.

Die Marton-Methode hat sich ja nicht verändert – zuerst kommt die Spurensuche, in diesem Fall naturgemäß orientiert an der Motiv-Struktur, die auch Wagner selber dem eigenen Werk eingezogen hat. Dann werden die Fundstücke in neue, aber möglichst nicht beliebige Bild-Lösungen ummontiert. Wenn alles gut gegangen ist und die Montage-Stückchen quasi Muskeln und Sehnen miteinander entwickelt haben, zeigt die Hybrid-Variante womöglich sogar ein wenig mehr an Wahr- und Klarheit, als das Original selber noch mit sich herüber trägt aus seiner jeweiligen Vergangenheit.

Wunderwerk an Überraschungen

Und da an der Macht der Musik im Falle Wagner kaum zu zweifeln ist, kann sich Marton sogar fast ohne Risiko allerlei Fremdtext gestatten: aus Wagners eigenen, schwerst kontaminierten Schriften etwa über "Das Judentum in der Musik" oder Otto Weinigers kaum weniger kruden Anschauungen von Welt und Weib und Sexualität, Mutter und Hure. Ein paar kryptisch schöne Heine-Gedichte mittendrin führen und verführen für Momente in ganz andere Richtungen – der Abend selber ist ein Wunderwerk aus Überraschungen.

Oft wird sehr leicht mit Wagner gespielt – wenn Wotan zu Beginn aus dem mittelhochdeutschen "Nibelungenlied" rezitiert; wenn der Gesang der Rheinnixen zum morgendlichen Lach-Training in der Wellness-Plantage taugt und Kuss-Übungen folgen, die in fröhlich-kindlichem Händeklatschen enden immer ums Aquarium herum. Den Gold-Hort sucht und versenkt darin (und ertrinkt fast dabei) Zwerg Alberich. Mit dem heiteren Maschinenspiel von der Flaschenabfüllung des Tranks der ewigen Jugend ist Über-Alchimist Schütz beschäftigt; und das große Treffen der Götter mit Alberich und den Riesen ist ein heftiges Sauf- und Freß- und Gesangsgelage. Gerade wenn's besonders lustig wird, treibt's Marton auch mal aus der gedanklichen Kurve – aber Alberichs Überwältigung mit dessen eigenen Zaubertricks ist dann schon sehr witzig.

Randvoll mit Theaterglück

Der Abend wirkt sehr entspannt und ist zugleich hoch kompliziert. Gerade wenn Schütz ins Freie des Jazz ausbricht und Kuljic die Grenzen der eigenen Stimme und die zu Soul und Blues ausmisst, übertrifft der Abend jede Wagner-Erwartung. Es kann auch sein, dass Marton diesmal kein wirklich neuer Zugriff aufs musikalische Werk gelang. Aber sein ganz früher Zugriff auf Alban Bergs Wozzeck vor Jahren an der Volksbühne (auch mit Kuljic und Hopp) blieb halt gedanklich schwer zu toppen. Und wer Lust hat, kann ja auch noch Die Krönung der Poppea in Hamburg erleben: noch so ein Marton-Unikat.

Für hier und heute genügt es, dass dieses Rheingold das vermutlich aufregendste seiner Art seit langem und für lange ist – und dass in Dresden (und demnächst auch in Wien und Hannover) ein Abend zu erleben ist randvoll mit Theaterglück.

 

Rheingold
Musiktheater nach Richard Wagner
Regie: David Marton, Musikalische Leitung: Christoph Homberger, Jan Czajkowski und Martin Schütz, Bühne und Kostüme: Alissa Kolbusch, Dramaturgie: Felicitas Zürcher.
Mit: Cathleen Baumann, Jan Czajkowski, Milka Dargies, Olivia Grigolli, Stefko Hanushevsky, Christoph Homberger, Max Hopp, Benjamin Höppner, Yelena Kuljic, Wolfgang Michalek, Martin Schütz, Yuka Yanagihara.

www.staatsschauspiel-dresden.de



Kritikenrundschau

"Bereicherung und Spaß" sei Martons "Rheingold" für jene, die sich auf Wagners altdeutsch-schräge Sprache und durchkomponierte, motivlastige Partitur einließen und nicht zum Jünger mutiert sind, schreibt Bernd Klempnow in der Sächsischen Zeitung (30.5.2011). Getreulich werde die Geschichte mit stets überraschenden szenischen Lösungen erzählt: "Komödie, Drama, Volkstheater, Bombast und Verlierer-Zitate wie aus Andreas-Dresen-Filmen – alles ist vertreten und meistens stimmig arrangiert." Dabei habe Wagner immer das letzte Wort. "Und gewimmt sogar noch. So ist etwa das Liebessehnen der Riesen nach der reizenden Freia durch die Reduktion aufs Klavier poetischer als in der lauten Orchesterfassung."

"Aus einer Vielzahl von Szenen und Klängen setzt sich dieses Theater zusammen und bezieht am Ende seine Kraft aus der Zerbrechlichkeit seiner kläglich, zärtlich oder auch ganz gemein scheiternden Heldinnen und Helden", beschreibt Boris Michael Gruhl in den Dresdener Neuesten Nachrichten (30.5.2011) den Abend. Dazu erschaffen die Musiker "einen Sound, der mitunter verschreckt, dann aber erstaunt, weil das scheinbar Bekannte dieser Musik doch längst nicht in allen Facetten bekannt ist". Gruhls Fazit: "Nach etwas verhaltenem Beginn nimmt der Abend an Intensität zu, wenn das Spiel der gebrochenen Typen an Stärke gewinnt und die belehrende Redundanz mancher hinzugefügter Texte überwunden ist, kann man sich diesem assoziationsreichen Vorspiel aus Klängen, Aktionen und Bildern schwer entziehen."

Marton ist derzeit einer der Spitzenvertreter im schmalen Segment eines Musikspieltheaters, das nicht Oper verschauspielert, sondern das Schauspiel in experimentelles Operngelände entführt, beschreibt Dirk Pilz den Regisseur in der Berliner Zeitung (3.6.2011). Allerdings ist der Kritiker mit dieser "Rheingold"-Inszenierung nicht einverstanden. Kaum etwas an diesem Zweistundenabend sei mehr als das, was es zeigt. Marton schraube die Oper auseinander - und finde nichts. "Also stellt er karikierend die illustrierenden musikalischen Motive aus und führt die derbe Wagner-Symbolik vor." Fazit: "Marton hat weder einen musikalischen noch einen deutenden Zugriff auf 'Rheingold'. Er hat an diesem Abend alles das nicht, was seine große Kunst sonst auszeichnet. Insofern: eine Enttäuschung, wenn auch auf hohem Niveau."


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