Schwarzes Traumspiel

von Christoph Fellmann

Luzern, 20. Oktober 2007. "So." Ein kurzer Antritt von Prospero, und der Abend läuft wie geschmiert. Die Labormenschen rennen von ihren Stühlen los, einmal kurz Sturm, und schon gehen sie aus dem Leim und zeigen, wozu sie fähig sind, wenn die Zivilisation mal eben nicht hinguckt. Nach dreieinhalb Stunden sieht sich Prospero in seiner Vermutung darüber bestätigt, wie die Welt funktioniert.

Genau, "so": Alle greifen sie nach dem gerade greifbaren Thron. Das ginge ja noch. Aber da ist auch "keine Seele, die nicht verrückt spielt, auf die nicht ein Fieber fällt wie Wahnsinn". Christina Friedrich zeigt das in Luzern auf ihrer schwarzen, leeren Bühne ganz schonungslos: Die sich da in einem grotesken Raufen um Macht und Herrschaft streiten, sind zutiefst derangierte Figuren: Nachhaltig beleidigte, jähzornige, rachsüchtige Zeitgenossen. Ganz zu schweigen von den zu kurz Gekommenen, den Dummköpfen und natürlich den Opportunisten.

Aus allen Poren brechende Glut

Friedrich zeigt das Personal von seinen Ticks und Neurosen getrieben: Prospero (Henry Meyer), den die Vertreibung vom Mailänder Thron noch zwölf Jahre danach zur Weißglut bringt; eine Glut, die dem braven Zauberer und Lehrmeister immer wieder aus allen Poren bricht. Seine Tochter Miranda (Annika Meier), die noch nie einen fremden Menschen gesehen hat und in ihrer kleinen Welt kreiselt wie ein Kätzchen, das seinem Schwanz hinterher rennt. Der von Prospero versklavte Caliban (Jörg Dathe), der als Mischung aus Monster und Ballerina über die Insel geht, ­ was sein Potential ganz trefflich beschreibt.

Und der Luftgeist Ariel natürlich, der bei Anja Schweitzer ganz einfach herzzerreißend ist: In langer Gefangenschaft traurig geworden, staubtrocken und ein bisschen flugfaul. Das ist alles mit Bravour auf den Punkt gespielt, ist bisweilen ergreifend, und führt immer wieder durch schöne Tableaus. So dass man nach eineinhalb Stunden noch an den großen Theaterabend glaubt. Dann aber vertraut Christina Friedrich plötzlich nicht mehr darauf, dass es reichen könnte, das starke Ensemble mit seinen tiefenscharfen Figuren diese Parabel subtil und unaufgeregt zu Ende spielen zu lassen.

Ab sofort nur noch Deppen 

Vermutlich dachte sie, das Stück vertrage an dieser Stelle nun ein wenig Auflockerung, einen Pfiff Entertainment. Jedenfalls treten ab sofort nur noch Deppen auf. Alonso, immerhin König von Neapel, ist eine begriffsstutzige und zu Tode verängstige Null. Seine hart angetunteten Begleiter Sebastian und Antonio singen "How Deep Is Your Love?" von Take That, üben sich in Dummsprech und Dummlach, und ihr Versuch, den König zu ermorden, ist die erste missglückte Slapsticknummer des Abends.

Der Abend hat als brillantes schwarzes Traumspiel, als Nachtmahr über den geistigen Zustand der vermeintlich besten Köpfe begonnen. Jetzt gibt die Regie dem Sturm den Trubel bei und stürzt so selber in die Verwirrung. Und in die Langeweile (denn: was soll man im Sturm mit Trubel). Klar, es gibt noch einzelne schöne und gescheite Bilder: Ferdinand etwa, der für Prospero, um Miranda zu gewinnen, einen riesigen Stein rollen muss, ein Sisyphus des Liebesbeweises. Oder Miranda, die sich für ihren ersten Fremden aufdonnert (mit einem goldenen Höschen).

Gags und Lieder 

Sonst aber will Christina Friedrich eher nicht mehr das Stück zu Ende erzählen, sondern stattdessen die aktuelle Terrorismusdebatte streifen, ein paar Gags und Lieder einschieben sowie eine Satire auf die Hippies: Als ob Shakespeare nicht schon im Originaltext, nämlich mit der Figur des Gonzalo, ­ die Utopie einer friedlich geeinten Welt entlarvt hätte, lässt die Regie nach zirka drei Stunden anstelle der Geister nun das Ensemble in Langhaarperücken und mit Tambourins antreten. Und als man vor Scham über das Gesehene längst durch Sessel und Parkett im Boden versinken möchte, singen die Hippies auch noch John Lennons "Imagine".

Selten wurde ein so gut angelegter Abend dann noch so gründlich vergeigt. Am Schluss ist da nur noch Kitsch mit Kindern und Kerzen. Wer diesen Abend in guter Erinnerung behalten will, sollte ihn zur Pause verlassen.


Der Sturm
von William Shakespeare
Regie: Christina Friedrich, Bühne: Petra Maria Wirth, Kostüme: Susanne Uhl, Musik: Shinya Kiyozuka, Licht: Gérard Cleven, Dramaturgie: Caroline Weber.
Mit: Peter Waros, Andreas Storm, Henry Meyer, Jürgen Sarkiss, Simon Reimold, Christoph Künzler, Jörg Dathe, Manuel Kühne, Dominik Krawiecki, Annika Meier, Anja Schweitzer.

www.luzernertheater.ch

 

Kritikenrundschau 

Von "Theatermagie pur" weiß Urs Bugmann in der Neuen Luzerner Zeitung (22.10.2007) zu berichten, denn Regisseurin Christina Friedrich entfalte das ohnehin reichhaltige Stück "mit der ganzen Magie des Theaters" selbst, indem sie "einen Traum im Wachen zu inszenieren" verstanden habe. Das Spiel wirke "leicht und absichtslos und ist voller Pointen." Vor allem Christoph Künzler als Gonzalo gelinge es dabei, beides darzustellen, "den Traum und das Wachen". Und so sei die gesamte Inszenierung: "fassbar und nicht zu fassen, ein Theaterzauber voll schöner Momente und witziger Einfälle, gedrängt auf die kleine Szene und dann wieder gedehnt im weiten Raum der stillstehenden Zeit." Theatermagie pur eben.

 

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