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Gram, Grant und Copy-and-Paste

von Sabine Leucht

München, 3. Juni 2011. Was passt alles in ein Leben? Und von wo kriegt man das Ganze her? In einer Zeit, in der die Copy-and-Paste-Methode sich selbst beim Anfertigen von Doktorarbeiten durchgesetzt hat, lohnt ein kritischer Blick auf die eigene Biografie. Fehlt hier womöglich ein Quäntchen Originalität, eine Prise Großartigkeit – oder ist gar eine Generalüberholung fällig? Die Rabtaldirndln machen's schon mal vor, und weil sie das erstens auf einer Bühne tun und zweitens schon das Rabtal eigentlich nicht existiert, sind sie dabei so frei, wie es eben gerade denkbar ist. Nur komisch, dass die fünf Damen aus der Steiermark dabei so überaus mies gelaunt ausschauen. Ist doch prima, wenn man sich selbst permanent neu erfinden kann! Wo ist das Problem?

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Bereit zur Werkschau: die Rabtaldirndln mit "Berge versetzen". © Kai Schmidt

Präsentation eines verhinderten Buches

Das Problem ist, dass sich das Theaterkombinat aus Graz für seine neueste Produktion als Brachialfeministinnen-Kollektiv aus der Traufe gehoben hat und dass dieses beim Scheidungen-Vorantreiben und Solidarischsein mit Frauen, die Männer erschießen (mussten), so erfolgreich war, dass nun sein angekündigtes neues Buch mit dem Titel "Berge versetzen" nicht erscheinen darf. "Plagiatsvorwürfe", murren sie. "Totgeglaubte leben länger", mucken sie auf. Von Drohungen und dem Glauben an die österreichische Rechtsprechung ist so bedröppelt bis genervt die Rede, als hätten die fünf ein für alle Male genug – auch voneinander. Was sich zwar am Ende als richtig erweist, aber erst mal aussieht wie der Grant der Zu-Unrecht-Verfolgten oder schmählich Verkannten.

Und schon muss die Kritikerin diese Erstbegegnung mit der seit 2003 theatral aktiven Truppe als Gewinn verbuchen: Wie hier ein Outlaw-Lebensgefühl simuliert und mit kleinen, spitzen Einwürfen flugs wieder durchlöchert wird, wie fiktive Gefühle gegen scheinbare innere Widerstände herausgepresst und mit einem plötzlichen "Heidulio" oder "I'm still standing" zugleich überhöht und gedeckelt werden, das ist etwas Besonderes. Was auch das Festival Impulse entdeckt hat, bei dem die Truppe demnächst mit ihrer Produktion "aufplatzen" zu Gast ist.

Das Lebenswerk der Rabtaldirndln

Auf dem Transport-Festival des Pathos München läuft die Premiere von "Berge versetzen", die Nacherzählung des nicht erschienenen Buches. Ein ziemlich cooler Junge empfängt die Gäste mit einem fast marktschreierischen Hinweis auf "das Lebenswerk der Rabtaldirndln", das auf der Bühne in Form einer Zeittafel (2008: Politik, Aktien, Thailand, Hörspiel), zu Rabtaldirndl-Geschichten umformulierten Buchtiteln etwa von Stephen Hawking oder Stefan Zweig und mit bunter Wolle umwickelten Pokalen zu besichtigen ist. Er stört mit seinem losplärrenden Handy und keckem Zweifel das feierliche Selbstvergewisserungs-Geschäft der Damen, das mit einem Ritual beginnt. Astgeweihe und bunte Wollschals gehören dazu, "Achill, du Sau"- und Brunftrufe, die an eine orgiastische Geburt, Voodoo- oder Schlachtopfer denken lassen. Und mittendrin schießt eine der fünf mit scharfem Blick ins Publikum: "Penthesilea, Amazonen, Kleist setzen wir voraus." Brüche über Brüche – und Seltsamkeiten ohnegleichen.

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Frauencombo mit Trophäensammlung. "Berge versetzen". © Kai Schmidt

Von der Gründung einer Schenke bis zum Begleitclub der besonderen Art führt die Erfolgsgeschichte der Rabtaldirndln, die auf der Bühne jedenfalls nicht Rosi Degen, Bea Dermond, Barbara Carli, Gudrun Maier und Gerda Strobl heißen. Bunte Trophäen beweisen, dass sie einst die zweitschönsten Balkonblumen, den drittoriginellsten Wagen beim Faschingsumzug in Weiz und einen LKW-Führerschein hatten und in Sachen glücklicher Sterben und Anti-Tetrapack aktiv sind. Was alles vor ihren strengen Augen als gleich herzeigenswert durchzugehen scheint, wirft nicht nur ein erhellendes Licht auf den Multitasking-Dschungel des ganz normalen (weiblichen) Alltags, die Mädels reflektieren auch stets den unbarmherzigen Blick von außen mit: Ist, wenn man seine Arbeit gerne macht, jeder Tag ein Feiertag oder keiner, weil man zwar nie richtig frei hat, aber manchmal dabei spazierengeht oder gar lacht? "Alles Arbeit", sagen sie trotzig. Und man spürt den immerwährenden Selbstzweifel auf der Szene lasten.

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In den Dirndln, die sie schlampig über ihre mit einem Skelett bemalten Trikots geworfen haben, kokettieren die jungen Grazerinnen bald mit der Landei-Pose der buchtelnbackenden Wirtin mit "weggemachtem" behinderten Kind, bald mit dem Weltstar-Gestus derer, die Uhren von Michael Ende und Komplimente von Klaus Kinski bekommen. Obwohl Kokettieren nicht das richtige Wort ist. Eher ist es so, dass eine Art Superbewusstsein all diese Optionen verinnerlicht hat und jede von ihnen mit jeder anderen für frei kombinierbar hält. Und das durchaus glaubhaft.


Berge versetzen. Eine Buchpräsentation (UA)
Von und mit: Die Rabtaldirndln
Regie: Monika Klengel, Mit den Rabtaldirndln: Rosi Degen, Bea Dermond, Barbara Carli, Gudrun Maier und Gerda Strobl, Gast: Felix Klengel.

www.pathosmuenchen.de
www.dierabtaldirndln.wordpress.com


Mehr zu den Rabtaldirndln finden Sie im Lexikon. Die Auswahl des Festivals Impulse 2011, zu dem die Gruppe eingeladen ist, steht hier.



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