Berlin, 11. Juni 2011. Sarrazin wird Schullektüre – und am Heimathafen Neukölln abermals Theaterstoff. In Nurkan Erpulats Clash schwebte "der Meister" in Puppengestalt von Zeit zu Zeit aus dem Schnürboden herab und flüsterte den machthabenden "Affen" seine Dogmen ein. Auch eine 8. Hauptschulklasse der Neuköllner Alfred-Nobel-Schule nutzt "Deutschland schafft sich ab" nun als Vorlage für ein "Theaterstück zur Integrationsdebatte". Pappnase und Brillengestell - fertig ist der falsche Sarrazin (der echte sagte ab, und so liest ein Schüler aus dem Pamphlet). Die Szenenfolge "Arab Queen & Thilo Sarrazin", die sie am Heimathafen zeigen, haben die Schüler selbst entwickelt. Und außerdem den Roman "Arab Queen" von Güner Balci gelesen, zusammen mit Maike Plath, Lehrerin für Darstellendes Spiel.

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© Heimathafen Neukölln

Hoch her ging es, als die Autorin sie besuchte und provokant fragte: "Bin ich eine Schlampe für euch?". Ja, sagten offenbar nicht wenige der Schüler, denn Balci lebt mit Kind und Freund – unverheiratet. Anschaulich beschreibt der Programmzettel, wie sich die Fronten zwischen deutschen und muslimischen Schülern nach dem Besuch verhärteten: Uncool, schwach und streberhaft seien die Deutschen; faul, asozial und gewalttägig die "Ausländerkinder". Zur lieblichen Musik von Bach, halten die Darsteller "Schimpf-Schilder" in die Höhe - in der Klasse gesammelte Beleidigungen wie "Fotzenkind", "Hartz IV-Schlampe" oder "Knecht".

Wie in Erpulats Verrücktem Blut ist es ausgerechnet ein deutscher Klassiker, der einen Ausweg aus dem dialogischen Patt ermöglicht: Die Klasse liest "Emilia Galotti". Ein deutscher Autor schildert einen Ehrenmord! Das löst die religiöse Zuschreibung "Islam = Ehrenmord" und die damit verbundenen Stigmatisierungen auf. Nun sind es die muslimischen Mädchen, die sich wundern, dass "Emilia sich das gefallen ließ" – Emanzipation mit Umweg über Lessing. Ob sich die guten alten Aufklärer das hätten träumen lassen?

PS: Als Entgegnung auf Sarrazins Thesen von den integrationsunwilligen und -unfähigen Muslimen hat Ahmed Ejazali, einer der Schüler, einen Rap geschrieben: "Du sprichst so, als wärst du das Beste. / In meinen Augen bist du aber nur das Letzte. / Sei doch mal ehrlich: Was willst du denn erreichen? / Blond, Blau – sollen wir uns alle gleichen? / Es ist, wie es ist: Ich muss dich akzeptieren. / Du mich auch, denn sonst kann's nicht funktionieren."

(Elena Philipp)

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