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Phantasien erregen und dafür gehasst werden

von Alice Natter

Würzburg, 11. Juni 2011. Sie spielen ganz in schwarz-weiß. Weiß gekleidet die Schauspieler, schwarz beanzugt die Musiker und Sänger. Weiß die Stühle, weiß der Bühnenraum, weiß die paar wenigen Requisiten. Ein Setting in schwarz-weiß – ob sie auch schwarz-weiß spielen?

Seit drei Spielzeiten ist der Schauspieler Issaka Zoungrana festes Ensemblemitglied am Würzburger Mainfranken Theater. Das unterfränkische Publikum tut sich nicht immer leicht mit dem agilen Zoungrana, dem das Schiller- und Kleist -Deutsch durchaus Mühen bereiten kann. Aber in "Soliman", Ludwig Fels’ Theaterstück um einen Afrikaner am Wiener Kaiserhof, würde der Schauspieler aus Burkina Faso sicher verdient die Titelrolle spielen. Hätte man denken mögen. Aber so schwarz-weiß denken sie am Mainfranken Theater nicht.

Sonderpreis für couragierte Theaterarbeit

In der Nacht vor der Premiere war das Schauspielensemble des Mainfrankentheaters auf den Bayerischen Theatertagen in Bamberg mit einem Sonderpreis ausgezeichnet worden. Einem eigens von der Jury ausgelobten Preis für couragierte Theaterarbeit. Und an die gewürdigte mutige Art ,Theater zu machen, fügte sich am Samstagabend "Soliman" in der Inszenierung der gebürtigen Würzburgerin Eva-Maria Höckmayr sogleich an.

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Denn von wegen. Der Afrikaner Issaka Zoungrana spielt Soliman – und alle anderen auch. Kostümbildnerin Angela Löwen hat für die Inszenierung überdimensionierte, großartige Masken geschaffen, die menschliche Eigenschaften vergrößern  und karikieren. Und so wie die Masken wechseln die sieben Schauspieler auch die Rollen. "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?" Niemand? Also werfen sie sich den schwarzen Riesenkopf zu, und jeder spielt mal Soliman, jeder spielt mal jede Figur.

Verbotene Hochzeit

Es ist ein simpler, aber feiner Kniff von Regisseurin Eva Maria Höckmayr, aus dem im Historischen verhafteten Stück von Ludwig Fels Grundsätzliches herauszuarbeiten. Wo liegen die Mechanismen von Ausgrenzung? Wo und wie geschieht Diskriminierung – damals und heute? Angelo Soliman, schwarzer Fürstensohn, war von Kaiser Joseph II. an den Wiener Hof gekauft worden, um als exotisches Prunkstück Karriere als Hofmann zu machen. Der Afrikaner diente dem absolutistischen Aufklärer auf dem Habsburger-Thron als lebender Toleranzbeweis. Doch Häme, Argwohn und Neid der lüsternen, dekadenten Hofgesellschaft vergällten dem Schwarzen das Leben.

Als Angelo die Witwe Magdalena heiratet, verbinden sich Sexismus und Rassismus der Wiener Gesellschaft unheilvoll. Und immer bedrohlicher zeichnet sich das historisch verbürgte Schicksal Solimans ab: Er wird nach seinem Tod präpariert und ausgestopft als exotisch-prunkvolles Ausstellungsstück im kaiserlichen Naturalienkabinett landen.

Wienerisch klassisch untermalt

Der in Wien lebende Schriftsteller Ludwig Fels hat mit "Soliman" ein beklemmendes, bitteres Stück geschaffen. Soliman mag noch so oft "Ich bin ein freier Mann" rufen. Er, der Fremde, der Exot, erregt die Phantasien der Gesellschaft und wird dafür gehasst. Eindrucksvoll zeigen die Schauspieler mit den Riesenmasken im szenischen Wechsel-Spiel das Fiese, Feindselige, Heuchlerische der Hofgesellschaft.

Zur couragierten Würzburger Theaterarbeit mit unbequemeren Stücken, die die Theatertage-Jury gerade würdigte, gehört unter Schauspieldirektor Bernhard Stengele stets die Musik. Auch Eva Maria Höckmayr bearbeitet den Stoff spartenübergreifend: Das Concerto Würzburg und Gesangsstudierende der Würzburger Hochschule für Musik setzen mit Werken von Mozart und Joseph Martin Kraus, arrangiert von Barbara Rucha, das Spiel in Verbindung zur Soliman-Zeit. Virginia Mukwesha schließlich bringt mit der Mbira afrikanische Klangfarben in die Produktion. Ja, sie bringen da sehr viel zusammen am Mainfrankentheater in sehr kurzweiligen 70 Minuten. Dass das Ensemble einen Dank an Intendant Hermann Schneider skandiert, dafür dass ein Afrikaner am Haus engagiert ist – geschenkt. Dieser gelungene Theaterabend allein ist Aussage genug.


Soliman
von Ludwig Fels
Regie: Eva-Maria Höckmayr, Bühne und Kostüme: Angela Loewen, Dramaturgie: Kai Tuchmann, Musikalische Leitung: Barbara Rucha, Bühnenmusik: Concerto Würzburg.
Mit: Edith Abels, Klaus Müller-Beck, Robin Bohn, Christina Theresa Motsch, Philipp Reinheimer, Christian Taubenheim, Issaka Zoungrana.

www.theaterwuerzburg.de


Kritikenrundschau

"Fels' Aussage ist klar: Als Wilder wird man nicht geboren, zum Wilden wird man von einer ignoranten Gesellschaft gemacht", schreibt Jürgen Strein in den Fränkischen Nachrichten (14.6.2011). Das Stück könnte "Vorlage für Agit-Prop-Theater sein"; aber die Inszenierung entgehe dieser Gefahr, indem sich die "holzschnittartige Charakterisierung der Personen" in "körperbetontes Theater" mit "Maskenspiel" auflöse, wobei "das Maskenspiel auf der Bühne durch Musik (arrangiert von Barbara Tucha) kommentiert und ironisiert wird." Es gebe "viel zu entdecken in der Inszenierung von Eva-Maria Höckmayr, vieles, was in dem Text von Ludwig Fels nicht drinsteckte."

Eine "packende Inszenierung für alle Sinne, die die Besucher fordert, aber auch mitnimmt auf eine Reise in neue, ungewöhnliche, aufregende Theatergefilde" hat auch Manfred Kunz für die Mainpost (14.6.2011) gesehen. Die überlebensgroßen Masken, durch die die Akteure wie "im Kinderspiel" die ihnen zugewiesene Rollen weiterreichten, würden "gängige Klischees und Zuschreibungen optisch ins Groteske übersteigern" und zudem "die Künstlichkeit der Rollen-Konstruktion" hervorheben. Die Inszenierung arbeite die "Mechanismen von Ausgrenzung und Diskriminierung" heraus, wobei das "geschickt" eingerichtete musikalische Arrangement (in dem u.a. Werke Mozarts mit Elementen Neuer Musik und afrikanischer Klangkunst kombiniert würden) die "Überzeitlichkeit des Rassismus-Themas" zusätzlich "dokumentiert".



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