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Pappkameraden beim Gedankenlesen

von Esther Slevogt

Berlin, 17. Juni 2011. Ja, sie haben es schwer, unsere Künstler. Private Schicksalsschläge. All die vielen unverdauten Lektüreerlebnisse. Die Relevanzkonkurrenz aus der Wissenschaft, wo heutzutage die Wesensfragen unserer Existenz so viel präziser gestellt werden. Und Kunst will dann ja auch noch gemacht sein. Da muss man sich ganz schön abstrampeln. Kaum hat man Zeit, seine Sachen überhaupt fertigzustellen. Nicht mal Zeit zum Tagebuchschreiben bleibt. Alles muss immer auf offener Bühne verhandelt werden.

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Eben noch in Berlin, ruft schon ein Theater aus Wien, Freiburg, Zürich oder Stuttgart an. Am Schlimmsten fürs Ego ist, dass der Künstler inzwischen zur paradigmatischen Figur des Kapitalismus geworden ist. Wo jeder das System sozusagen dauernd in sich selbst verwirklichen muss – in unaufhörlichem Kreativzwang. Obwohl da manchmal gar kein Selbst ist, das sich zu verwirklichen lohnt. Wo ist es überhaupt hin, dieses Selbst? Kommt es eines Tages wieder? Was in uns ist es dann, das fühlt, liebt und am Ende stirbt? Die ewigen Fragen eben.

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Schaurig schöne Pappkulissen in Berlin.
© Thomas Aurin

Ein Museumsstück aus Meiningen

Und so versammelt René Pollesch für sein neuestes Stück "Die Kunst war viel populärer als ihr noch keine Künstler wart!" in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz fünf Schauspieler in einem Theater im Theater. Eigentlich hätten es sechs Schauspieler sein sollen. Aber Volker Spengler ist krank und da waren es nur noch fünf: Marlen Dieckhoff, Christine Groß, Marc Hosemann, Silvia Rieger und Catrin Striebeck. Wir blicken auf schaurig schöne Pappkulissen (Bert Neumann), die schönste Trash-Erwartungen wecken: ein playmobilhaftes (aber gemaltes!) Mittelalterreich samt finsterer Gebäude und mehreren Waldschichten davor.

Ein echtes Museumsstück aus Meiningen, von wo einst der Authentizitätswahn des Theaters seinen Ausgang nahm: der Nachbau einer Hamlet-Kulisse von 1866 nämlich, als es mit der Illusion noch so einfach war und die Leute den Künstlern einfach alles glaubten. Im Orchestergraben stehen Instrumente. Aber natürlich wird hier niemals ein Musiker erscheinen. Jede echte Harfenistin schließlich, die hier an ihr Instrument sich setzte und zu spielen begänne, würde Polleschs Kunstbegriff sofort torpedieren, der keine Unmittelbarkeit mehr kennt. Und dass darf natürlich nicht passieren.

Die Anforderungszwänge der Diven

Deswegen hören wir Maria Callas (?) als Tonkonserve, derweil die megärenhafte Volksbühnendiva Silvia Rieger sich in expressionistischen Verrenkungen der Bühnenrampe nähert. Alsbald tauchen die anderen auf und spielen fragmentarisch eine Opernprobe nach, die kurz das Problem exponiert, das hier verhandelt werden soll: Wo hört der Künstler auf, wann fängt der Mensch an? Spielen wir nicht immer bloß eine Rolle? Ist einer wieder er (oder sie) selbst, wenn er/sie daheim und vor den Anforderungszwängen der allgegenwärtigen Ökonomie in Sicherheit ist? Hektisch fahren Kulissen rauf und runter. Keine Illusion hält dem Druck ihrer Befragung stand. Alles Pappe eben. Kino, Theater, Oper, Wirklichkeit. Alles ununterscheidbar miteinander verklebt, ineinander geschoben. Da soll einer noch durchblicken. Marc Hosemann als Sänger, Impressario und anderweitig an der Ausübung der Künste schwer tragend, dreht mehrfach sehr bühnenwirksam durch.

Und während zwischen den nachgebauten Meininger Hamletkulissen die schon recht durchgesetzten und nicht mehr wirklich bewegenden Pollesch-Einsichten von der illusionshaften Verlogenheit aller Repräsentation ein wenig angerissen, in plötzlichen Anflügen von ganz unpolleschhafter Innerlichkeit (und Sentimentalität) angedacht (und angekratzt) werden, sinkt das Zuschauervolk ringsum in den Schlaf. Selbst sonst hartgesottene und leidensfähige Kritiker und Kritikerinnen lassen die schwer gewordenen Köpfe nach vorne (oder auf die Schultern des jeweiligen Nachbarn) fallen. So ein lahmer Pollesch war nie!

Mit Chloroform getränkt

Nur gelegentlich kichert es noch aus den Reihen. Bei einem kleinen szenischen Exkurs über die Wirkung des Chloroforms zum Beispiel, der uns mit der Tatsache bekannt macht, dass die Empfindungsfähigkeit unter der Betäubung nicht aufhört. Dass also auch der Schmerz niemals aufhört, sondern die Betäubung lediglich die Erinnerung daran löscht. Dass Körper sogar nach dem Tod noch fühlen, wenn ihnen längst die Organe entnommen, sie zu Asche verbrannt worden sind. Das ist natürlich nur unfreiwillig komisch. Denn eigentlich ist es Pollesch damit bitter ernst.

Und schließlich tritt, als postdramatische Mater Dolorosa, Silvia Rieger mit einem Monolog über den Tod an die Rampe: über das Sterben einer Mutter und die ernüchternde Erfahrung des dabeisitzenden (erwachsenen) Kindes, dass der Tod ganz und gar undramatisch, ja, eigentlich als Ereignis sogar ziemlich langweilig ist. Das sich in dieser Undramatik aber plötzlich so etwas wie Wahrheit (Echtheit?) zeigt. Darüber hätten wir nun gerne mehr erfahren. Aber als hätte Pollesch Angst, sich festlegen zu müssen, soetwas wie Wahrheit überhaupt an sich heranzulassen, turnen in einem letzten aberwitzigen Slapstick Marc Hosemann und Catrin Striebeck uns eine Szene über das Gedankenlesen vor. Dann ist das Theater zu Ende.


Die Kunst war viel populärer als ihr noch keine Künstler wart! (UA)
von René Pollesch
Regie: René Pollesch, Bühne: Bert Neumann, Kostüme: Nina von Mechow, Licht: Frank Novak, Dramaturgie: Aenne Quinones.
Mit: Marlen Dieckhof, Christine Groß, Marc Hosemann, Silvia Rieger, Carein Striebeck und ohne Volker Spengler (der erst nach seiner Gesundung dazustoßen wird).

www.volksbuehne.de


Wie sieht es am Meininger Theater tatsächlich aus? nachtkritik.de sah am traditionsreichen Ort die Peter-Hacks-Uraufführung Der Maler des Königs.

 

Kritikenrundschau

"Man verheddert sich in den rauf und runter fahrenden Prospekten, man wälzt sich in Körperknäueln übereinander, man rennt wie wild um die rot gepolsterten Stühle auf der Vorderbühne herum, vor denen Notenständer aufgebaut sind", berichtet Eberhard Spreng im Deutschlandfunk (18.6.2011). Überrascht haben ihn die phasenweise melancholischen Züge: "Es geht um mehr als nur um die Frage des Künstlertums, seiner Professionalisierung und Popularität. Es ist ein Manifest des Schmerzes als einer Grundgröße allen Daseins. Pollesch ist überraschend persönlich aber noch ist all das in der schützenden Hülle der Albernheit verpackt."

Für Cord Riechelmann in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (19.6.2011) hat seit Hubert Fichte niemand mehr so stark und schön den Sachverhalt in Szene gesetzt, dass die Empfindungsfähigkeit sich niemals betäuben läßt, nicht durch Chloroform und auch nicht im Paradies. Dass der Körper letzlich immer sprachlos bleibt. "Oder anders gesagt: Wenn das Wort Fleisch geworden ist, beginnt es sofort saumäßig schlecht zu laufen." Allerdings hielt Polleschs neuer Theaterabend für den Kritiker, der lediglich von gelungenen Momenten spricht, auch manche Enttäuschung bereit. Darunter das Fehlen des erkrankten Volker Spengler. Es wurde ihm aber auch klar, "dass Pollesch im Liebesdiskurs noch hinterherhinkt. Was Pollesch noch nicht weiß, ist, dass die Liebe neu erfunden werden muss."

"Vorindustrielle Zeiten – davon zu träumen, erwartet man eigentlich nicht von René Pollesch", schreibt Katrin Bettina Müller im Berlin-Teil der taz (20.6.2011). In seinem neuen Stück mehrten sich allerdings "die Zeichen der Sehnsucht": illusionistisches Bühnenbild, Opernzitate, Hosemanns Geschichte von der Opernsängern-Suche. Auf dieser Bühne sehne man sich nach dem Rückzugsort, dem "Feierabend von der Rolle". Zwischendurch scheine an diesem Abend der "typische Pollesch-Humor" auf, sehe man die gewohnten "Konzeptpapiere auf zwei Beinen". "Die Texte sind klug, die Sprache ist elaboriert, aber ganz drin stecken die Sprecher nicht, staunen eher den Worten hinterher" – und für den Zuhörer werde es "zunehmend anstrengend". Pollesch baue seine Themen weiter aus, "in seinen Inszenierungen aber war schon mal mehr Schwung. Das Niveau der Reflexion ist zwar gleichbleibend hoch, die Ausweitung der Zone der Anwendung, die ihm zuletzt mit filmbezogenen Stücken sehr schön gelang, fällt diesmal aber enttäuschend mager aus."

Dirk Pilz von der Berliner Zeitung (20.6.2011) hat in einen vor allem "mit sich selbst beschäftigten Kunstkosmos" geschaut. Man erlebe Schauspieler, "die sich in eine Oper verirren und nicht mehr hinaus finden", als "die Stellvertreter einer gesamtgesellschaftlichen Wirklichkeit, die in Selbst- und Fremdbildern gefangen sind". Durch die "Gedankenschnipsel gebe es allerdings "keine inszenatorische Linie", "alle schauspielern drauf los. Die eine im Innerlichkeitston, der andere im Irrsinnsmodus. So schludrig war schon lange kein Pollesch mehr. Er plappert zwar immer ziemlich viel ziemlich unverdaute Theoriehappen nach, diesmal aber ist es kaum mehr als Worte- und Szenenmachen." Und diesmal scheine Pollesch "selbst nicht zu begreifen, was er seinen Text behaupten lässt". Am Ende blitze plötzlich dann aber doch noch "ein Funken der Welt jenseits des engen Pollesch-Kosmos auf: Silvia Rieger spricht von Tod und Mutterliebe (...), als gäbe es das, was Pollesch bestreitet: Wahrheit und Wirklichkeit, Seele, Liebe. Sie spricht wie Schauspieler früher gesprochen haben. Und seltsam - alles wacht auf im Parkett."

Pollesch jage "einen neuen Text durchs diskursive Dorf", das Ganze erinnert Rüdiger Schaper vom Tagesspiegel (20.6.2011) jedoch stark "an einen inszenierten Bühnenunfall in der Dekoration eines romantischen Hamlet-Schlosses aus dem Meininger Theatermuseum". Einst rauschte Pollesch "wie eine Droge durchs Hirn", machte "sein Sozio-Rap süchtig". Hier hingegen "hakt die Rhythmusmaschine, das Chaos hat keinen Kern".

In der Süddeutschen Zeitung (21.6.2011) schreibt Peter Laudenbach: Das "fröhlich rumpelnde Spiel" sei ein "spöttisches Zitat des ganz alten Theaterpathos". Der "lustig überdrehte" Marc Hosemann gebe "mit Karacho den Schmieranten, wie nur ein toller Schauspieler den Schmieranten geben kann, ohne in der Schmiere zu ertrinken", Marlen Dieckhoff, Christine Groß, Silvia Rieger und Catrin Striebeck reckten ihre Arme "feierlich gen Bühnenhimmel, dass es eine sinnfreie Freude ist". Der Text formuliere aber auch "strukturkonservative Gegenpositionen". Wenn sich die modernen Angestellten und prekären Freiberufler "dauernd als ganze Menschen" verkaufen müssten, statt einfach für ihre Kompetenz und Arbeitsleistung bezahlt zu werden, werde "die Vorstellung der ganz altmodisch sauber entfremdeten Arbeit plötzlich ungemein attraktiv". Sei doch "der Künstler, der nichts zu verkaufen hat als seine Subjektivität, das Role Model der aufstiegsorientierten Angestellten": Das "alte Avantgarde-Theater, das von Castorf vorneweg," werde "in dieser Perspektive" zum "Vorreiter der kapitalistischen Innovationsschübe". Bei Pollesch sei "diese Selbstkritik an den Freiheitsversprechen der alten Avantgarde, … und die Polemik gegen das am Markt ausgerichtete Persönlichkeitsdesign" … lustig und lässig".


Kommentare  
Die Kunst..., Berlin: durchgesetzt, aber nicht umgesetzt
Wenn Pollesch Thesen so "durchgesetzt und nicht mehr wirklich bewegend" sind dann frage ich mich, wieso man immer noch so viel unreflektiertes Theater zu sehen bekommt, das tut, als hätte es die letzten zehn, zwanzig Jahre nicht gegeben ...
Die Kunst..., Berlin: intellektuell in H&M-Garderobe
"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen." Das Elend des identifizierenden Denkens ist es, dass es nie etwas sieht, was es nicht schon weiss. Wie der Pawlowsche Hund reagiert es auf Schlagworte und weiss gerade welcher Diskurs gemeint ist. Aber einen eigenen Zusammenhang zu finden verlangte Phantasie. Wo Radikalität anfängt, da hört der Spaß auf insbesondere bei Frau Slevogt. Wenn bei Pollesch nicht gelacht wird, muss etwas faul sein. Der neue Trend liest man, ist das postmigrantische Theater und Herbert Fritsch, da kann man lachen. Pollesch setzt bei diesem Abend da an, wo Frau Carstensen in "Schmeiß dein Ego weg" aufgehört hat. Er stellt radikale Fragen zu Schmerz und Tod. Das macht die Zeitgemäßen nervös. Deshalb wird als Innerlichkeit und Sentimentalität denunziert, was Reflexion ist. "Dont look back" ist die Parole die auf einem der Prospekte steht. Frau Slevogt steht im falschen Bühnenbild, das nicht zu ihrer intellektuellen H&M Garderobe passt. Sie guckt immer nur nach vorn. Das macht sie nicht klüger.
Die Kunst..., Berlin: traurig und in keiner Weise radikal oder neu
Auch ich war dort, während draußen hinter der Volksbühne die NPD demonstrierte. Das war die erste Enttäuschung des Abends, dass darauf nicht reagiert wurde, dass da, wo der Pollesch-Theaterkörper aufhört, gerade die NPD anfängt. Ansonsten war dieser Abend traurig und in keiner Weise radikal oder neu, da hilft auch keine Fantasie oder das doppelte Nicht-Zurück-Gucken. Stellenweise dachte ich, die hören jetzt gleich auf, weil es nicht mehr weitergeht, und das hätte ich radikaler gefunden, als den Abend so dahin-plätschern zu lassen. Gerade weil die Texte so sehr im Mittelpunkt standen und es kaum szenisch wurde, hätte ich mir mehr Intimität gewünscht, mehr Nähe zu den Schauspielern. Ich muss bei Pollesch nicht alles „weglachen“, sondern liebe seine Dringlichkeit (die er meiner Meinung nach schon immer hatte) gerade in den stillen Momenten sehr, aber gestern kamen die Texte einfach kaum in meine Ohren, so sehr ich sie auch aufsperrte.
Die Kunst..., Berlin: der Chloroform-Klau
Das mit dem Chloroform ist doch nur aus Chris Kraus' "Poll" geklaut. Passt zu Polleschs Dauerthema, dass es keinen Unterschied zwischen Kunst und Wirklichkeit gibt und eh alles konstruiert ist. Aber, ist jetzt der Baum konstruiert oder nur der Begriff des Baums als "Baum", also unsere Vorstellung davon? Jedenfalls kann ich so einen Baum auch wahr-nehmen und anfassen, ohne gleich wissen zu müssen, ob das jetzt ein Ahorn, eine Birke, eine Buche oder eine blöde Ku'damm-Platane ist.
Die Kunst..., Berlin: Warum muss es radikal neu sein?
Was mir so wahnsinnig auf die Nerven geht ist das insisitieren auf "radikal oder neu" - Wenn jede Woche alles immer "radikal und neu" sein muss, kommt man da hin, wo man bei den Postings auf dieser Seite schon ist: Dann wird auch jede Woche eine neue Sau durchs Dorf getrieben - heute hochgejubelt, morgen nieder gemacht, einfach aus Langeweile. dabei lohnt eine längere Auseinandersetzung ... die inhaltlichen Kritikpunkte an diesem Abend mögen ja stimmen - aber die Grundanahme...?
Die Kunst..., Berlin: Pollesch-Premiere unter Polizeischutz
radikal und neu war, dass eine pollesch premiere unter polizeischutz stattfand. NPD demonstrierte: "wir sind keine künstler!"
Die Kunst..., Berlin: Unterhaltungskunst ist Chloroform
Die Texte mit dem Chloroform thematisieren doch den Verlust der Erinnerung. Die Frage ist doch, wie unser Körper auf die verdrängte Qual, die Zurichtungen reagiert, denen wir ihm täglich ausseten. Nur wenn wir unsere Bedürfnisse, unsere Leidenschaften vergessen, können wir doch bestehen. Es doch darum, dass wir empfindungslos werden und blind gegen die Qual anderer. Die Unterhaltunsgkunst ist doch auch nur so eine Narkose ein Chloroform, dass uns vergessen machen soll. In seinem Interview in der Zeit sagt Herbert Fritsch, dass er das Publikum in den Zustand versetzen wolle, dass es mit dem Elend in der Welt viel besser umgehe. Das will Pollesch eben nicht.
Die Kunst..., Berlin: nur Ernst, das will ja auch keiner
@ Max: Gut, Max. Aber was heisst jetzt Unterhaltungskunst? Warum muss Unterhaltung pauschal schlecht sein? Ich denke da jetzt auch an andere Formen und Ästhetiken. Nur Ernst, das will ja auch keiner, und das verhindert manchmal sogar die Erkenntnis, weil man in der Tragödie des "Elends der Welt" ertrinkt. Ausserdem, meinen Sie wirklich, dass Herbert Fritsch das "Elend in der Welt" vermindert, wenn er von der Frau als Luder schwärmt? Sorry, aber da muss ich widersprechen.
Die Kunst ..., Berlin: Bewußtsein für die eigenen Lebenszusammenhänge
Inga, sie wollten sagen: "ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst"? Und wieso verhindert der Ernst die Erkenntnis? Herbert Fritsch will ja auch ara nicht das Elend vermindern, sondern die Menschen erheitern. Interessant wäre doch eine Bewusstheit für die eigenen Lebenszsammenhänge zu haben und sie zumindest zu reflektieren. Nur damit man nicht dümmer wird als man notgedrungen sein muss. Und vielleicht ist die Erkenntnis ja viel erheeiternder als ein dummer Scherz.
Die Kunst..., Berlin: Notwendigkeit des Vergessens
Unterhaltende Kunst und die Kunst der Tragödie widersprechen sich nicht. (auch seichte)Komödie und das Tragische (Tragödie und das Bürgerliche Trauerspiel usw...)
Wer möchte schon für immer im Elend der Welt ertrinken, und wer möchte ständig in seinem Tod-Ernst versinken? - Wie wir unsere
Körper andauernd zurichten-zugrunderichten, und von verdrängter Qual weiß ich nichts. Wie jeder seine Verdrängungen durch Ausdrücken (Ausdruck) befreien kann, ein Ventil findet für sein Qual, und die Notwendigkeit des Vergessen, so wie die Notwendigkeit des Erinnerns.
Und doch: Wie könnten wir unsere Bedürfnisse und unsere Leiden-
schaften vergessen! Nur durch ständige Erinnerung an sie, können wir bestehen, sind wir lebendig. Viele, aber nicht alle
(Männer viel mehr als Frauen) - sind empfindungslos und
abgestumpft worden gegen die schmerzliche Qual anderer.
So hat man sich zu schützen! in diesen Zeiten.
Unterhalte dich, und vergiss für ein paar Stunden die Tragödien des Lebens (vergiss deine Tragödie und die der Anderen), damit du wieder besser mit dem Elend der Welt umgehen kannst.
Die Kunst ... Berlin: Fritsch oder Pollesch?
@ Max: In dem ZEIT-Interview sagt Fritsch genau: "Ich kann doch einem Anwalt oder Arzt nichts von Armut und Elend erzählen, das wissen die im Zweifel besser. Aber ich kann ein Publikum in einen Zustand versetzen, dass es mit dem Elend in der Welt viel besser umgeht." Frage: Ging es dem Theater, egal ob Komödie oder Tragödie, denn jemals um die Vermittlung von Fachwissen? Oder ging/geht es nicht vielmehr darum, über das Theater unser Wissen bzw. unsere Vorstellungen von der Welt zu erweitern bzw. zu verändern? Meint Fritsch das?

Meines Erachtens verhindert Ernst nicht per se die Erkenntnis, sondern nur dann, wenn er mir völlig unverfremdet in der Form des psychologisch realistischen Einfühlungstheaters gleichsam aufgedrängt wird, was weder Fritschs noch Polleschs Art zu arbeiten entspricht.

Was Sie mit der Entgegensetzung von Erkenntnis und einem dummen Scherz meinen, das müssten Sie nochmal genauer erklären, wird mir nicht ganz klar, worauf Sie da hinaus woll(t)en. Meines Erachtens ist Fritsch eher der Komiker der Sorte "dummer Scherz". Ich kenn auch intelligentere Scherze.
Die Kunst..., Berlin: nicht dieselbe Kraft wie sonst
die zweite Aufführung war noch viel besser als die Prämiere. Vieles liegt anscheinend auch an dem Ausfall des Volkers am letzten Moment (und vielleicht auch an diesem speziell zusammengesetzten "Ensamble"). Allerdings auch dann ist die Magie hat nicht dieselbe Kraft wie bei anderen Produktionen. Aber sie wird wiedererlangt
Die Kunst...:, Berlin: Belanglosigkeit des Stücks
Offen gestanden habe ich den Abend nicht genossen. Die Schauspieler vermochten nicht ihre Angst an die Wand zu spielen. Und die Belanglosigkeit des Stücks rettet auch keine Metadiskussion. Vornehm ausgedrückt liest sich das so: http://generatoren-der-irrelevanz.de/pollesch
Die Kunst..., Berlin: Problem Pathos
Korrektur zu 11.: Nicht das psychologisch realistische Theater ist das Problem, sondern das unverfremdet überzogene Pathos. Wenn schon Pathos, dann in der Form des Kitsches, also ganz großes Kino.

Die Kunst der Komödie liegt im Wechselspiel zwischen Tragik und Komik. Wenn es die Suche nach der Wahrheit bzw. das Scheitern an derselben nicht geben würde, dann bräuchten wir auch kein Theater mehr. Dann können wir uns auch gleich alle darauf verlegen, nur noch gemeinsam Pornos zu schauen, was die vollendete Form der Selbst- bzw. Fremdvermarktung wäre. Leicht konsumierbare Ware. Voll durchkommerzialisiert. Wie traurig ist das denn?
Die Kunst..., Berlin: Aphrodites Lächeln
Aber nein fällt mir gerade ein - nicht gemeinsam Pornos
anschauen sondern wieder getrennt, sonst fängt diese kleinbürgerliche Eifersucht-Krankheit wieder an, oder sind wir schon zu abgebrüht dafür - und zum Ab-brühen ist gemeinsam Pornos schauen eine gute Übung, so zwischen Tragik und Komik ohne Pathos - wie traurig ist das? -
Aphrodite trauert dabei nicht, sondern sieht lächelnd darüber hinweg, und der Satyr freut sich über das plumpe Spiel -
und Mephistopheles ruft Faust zu: - hab`ich doch meine Freud`
daran! - und Sieg-Mund Freud analysiert umsonst - die Schau ist gar nicht kompliziert...
Die Kunst..., Berlin: die Gottheit dient nicht
@ Sporn-ho: Ja. Genau. Aphrodite sieht lächelnd über diese Pornodarsteller hinweg, weil sie weiss, dass sie so etwas nie im Leben tun würde - jedenfalls nicht freiwillig. Sich in diese Vorrichtung zu begeben. Sich dermaßen zurichten und dressieren zu lassen, um allein dem Konsum des verzweifelten Solitärs zu dienen.
Die Kunst war viel populärer, Berlin: Zustimmung
@ 2. Die Kunst..., Berlin: intellektuell in H&M-Garderobe

Großartig!!
Die Kunst war viel populärer, Berlin: H&M und Intellekt?
Ich versteh gerade nicht, warum Frauen in H&M-Garderobe als intellektuell identifiziert werden bzw. was das Eine mit dem Anderen zu tun haben soll. Geht's hier nicht vielmehr um die Frage, warum Frauen in der freien Wirtschaft UND im Theater/auf der Bühne immer nur ihr Äußeres zur Schau stellen sollen? Anstatt dass auf ihr Wissen, ihre Schlagfertigkeit und ihren Charme gesetzt wird? Warum identifizieren wir einen Menschen über (dessen) Klamotten?
Mann Mann Mann, ich würde jetzt echt viel lieber darüber diskutieren, was Dietmar Dath jetzt eigentlich damit meint, mit dieser Frage: "Wer ist hier das Schwein, Herr Wolf?" Ja ja ja, das Leben des Einen ist eingestandenermaßen stets jemandes Tod. Nee nee nee. Das muss man sich mal vorstellen.
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