Soldaten. Ein szenisch-musikalischer Einsatzbericht (UA) - In Göttingen beeindruckt Julia Roesler mit einem Projekt über den Afghanistan-Krieg
Krieg macht Krüppel. Aus allen.
von Michael Laages
Göttingen, 24. Juni 2011. Das fühlt sich fast an wie zu Hause – wenn im Kasino Rauchverbot herrscht, und keiner hat den Mumm und setzt es durch. Und es fühlt sich ganz und gar nach fremder Hölle an – wenn draußen Menschen als lebende Zeitbomben herum laufen und sich mit allem in die Luft sprengen wollen, was deutsch aussieht und nach Soldat. Krieg herrscht in Afghanistan, Deutsche sind seit zehn Jahren dabei.
Wie auch schon in Bosnien-Herzegovina und im Kosovo, am Horn von Afrika und vor dem Libanon. Serbien wurde vor 15 Jahren "nur" deutsch-rot-grün aus der Luft bombardiert.
Manchmal sterben Deutsche am Einsatzort. Die zurückkehren, sind auch nie ganz unverletzt – leiden zum Beispiel an PTBS, an "post-traumatischen Belastungsstörungen". Amerikaner kannten die schon länger, und ihrer Wissenschaft verdanken inzwischen auch deutsche Ex-Soldaten das Wissen um die Krankheit, die zum Tode führen kann: um den Krieg, der Krüppel macht. Aus allen.
Salzsohle in Stahlpfannen
Für das Deutsche Theater in Göttingen (und mit dessen tatkräftiger Beteiligung durch Technik und Ensemble) hat die werkgruppe 2, eine freie Gruppe vor Ort, in Befragungen von noch aktiven und aus dem Dienst geschiedenen Soldaten Eindrücke vom Einsatz gesammelt. Die in Göttingen bereits mit einem Projekt über das nahe gelegene Grenzdurchgangslager Friedland nachhaltig aufgefallene Regisseurin Julia Roesler hat daraus einen ebenso eindrucksvollen wie beunruhigenden, in mancherlei Hinsicht schwer erträglichen Theaterabend geformt – in grandiosem Ambiente, dem leeren Magazin von Luisenhall, der letzten noch arbeitenden "Pfannensaline" weltweit, wo nebenan die aus 500 Metern empor strömende Sole voller Salz und Mineralien in riesigen Stahlpfannen zu Salz geköchelt wird. Aus vielen Ecken dieses rätselhaften Ortes rufen und raunen die Soldaten, unterstützt von einem kleinen Knabenchor, wie Untote hervor: 100 Mann und ein Befehl. Und ein Weg, den keiner will.
In Göttingen versammeln sich Nikolaus Kühn und Andreas Jeßing, Martin Schnippa, Karl Miller und Leif Scheele mit der Zeit (und wie zu einer Voodoo-Beschwörung) im Kreis des Publikums, das um einen Patronenhülsenhaufen herum hockt. Sie erklären uns, was diese Hülsen sind, führen Gasmasken vor, teilen Bier aus, wenn gleich die Lager-Fete beginnt, einer bittet die Damen im Kreise zum Tanz. Hundsgemütlich können sie sein, diese Soldaten – aber Monstren sind sie eben auch, die das eigene Tun reflektieren bis jenseits der Schmerzgrenze.
Fleischgewordenes Videokillerspiel
Sie sehen und kennen den Tod und die eigene Hilflosigkeit vor ihm, sie töten ohne Unterschied und Bedenken, wenn sie es für nötig halten; sie sind krank seit dem Einsatz, eingestandener- und erklärtermaßen. Sie haben sehr viele Motive parat für das, was sie tun: olle Kamellen zum Teil (wie: Bundeswehr bringt Ausbildung, schnell gutes Geld und berufliche Perspektiven), aber auch neuere Sehnsüchte (wie: fremde Länder kennen lernen und Lust auf Abenteuer, auf Bewährung als Mann). Und sie haben (was das mit Abstand Beunruhigendste ist) einen politischen Horizont, der derart deformiert ist, dass er von offener Schizophrenie kaum zu unterscheiden ist.
Sie glauben "der Politik" und "den Politikern" jede Propaganda – und beschweren sich hinterher, dass sie im Einsatz und danach "von oben" im Stich gelassen werden. Sie werfen "Frau Doktor Merkel" Ahnungslosigkeit vor und bewegen sich selbst in der Fremde martialisch wie die Axt im Walde, wie das fleischgewordene Videokillerspiel.
Sie verstehen nie den mörderischen Widerstand, der ihnen entgegen steht und beschweren sich über die hasenherzige Blümchenkaffeepolitik aus Berlin. In diesen neuen Deutschen brodelt obendrein unterschwellig ein Maß an politisch unterstützter Selbstüberschätzung und privat forciertem Fremdenhass, der allemal ausreichen würde, um sie in Friedenszeiten unter strenge Beobachtung zu stellen, von Polizei, Psychiatrie und Verfassungsschutz.
So traurig und tragisch das ist – aber immer wieder hat der tote Tucholsky recht: Soldaten sind Mörder, potenziell; und Mitleid mit ihnen fällt wirklich schwer. Aber trotz allem sind sie doch auch die netten Jungs von nebenan, die seit einiger Zeit in der Öffentlichkeit Uniform tragen sollen, sogar den Kampf-Dress, und freitags wie Sonntags immer wieder neben uns im ICE sitzen. Womöglich wäre jeder von ihnen eine Zeitbombe wie Frank und Bernd, Matthias, Klaus und Hendrik – wer fühlt sich "sicher" mit ihnen?
Arme Schweine im Globalisierungsgefüge
Und wo ist der politische Militär (oder mit militärischer wie kommunikativer Klugheit begabte Politiker), der in diesem neuen Krieg wieder nachdenken wollte über den "Bürger in Uniform"; der dafür sorgen hilft, dass die in diesem Einsatz lebensgefährdeten jungen Männer nicht zugesülzt werden mit gefährlichen Polit-Phrasen wie "Deutschland wird am Hindukusch verteidigt"; der hilft bei der Unterscheidung zwischen Landesverteidigung und Weltmachtambition. Die Göttinger "Soldaten" sind ja nur so krank wie Gesellschaft, die sich ihrer bedient, um eine politisch strittige Rolle zu spielen im Gefüge der globalisierten Welt; sie sind arme Schweine, und manchmal sind sie selbst schuld daran.
Gegenüber vom Ausgang der Salinenhalle liegt ein einsamer Kranz: von einem Veteranen-Verein; für einen, der vor zwei Jahren in Afghanistan starb.
Soldaten – ein szenisch-musikalischer Einsatzbericht
Recherche Anna Gerhards, werkgruppe 2
Inszenierung: Julia Roesler, Musikalische Leitung: Insa Rudolph, Bühne: Nicola Antonia Schmid, Kostüme: Julia Schiller, Dramaturgie: Anna Gerhards, Textfassung: Julia Rosler, Isabelle Stolzenburg.
Mit: Andreas Jeßing, Nikolaus Kühn, Karl Miller, Leif Scheele, Martin Schnippa, Bernhard Mewyer (Musik) und einem Knabenchor.
www.dt-goettingen.de
neu.werkgruppe2.de
Mehr lesen? Am Potsdamer Hans-Otto-Theater untersuchte Clemens Bechtel im Januar 2011 in Potsdam - Kundus Hintergründe und Fallout des Afghanistan-Krieges. Alles über Julia Roesler auf nachtkritik.de im Lexikon.
Von einem intensiven, beunruhigend ruhigen und konzentrierten Abend spricht Hartmut Krug in der Sendung Kultur heute vom Deutschladfunk (25.6.2011). Dazu trägt aus Kritikersicht auch die bedrückend-uneindeutige Atmosphäre bei, in der die Inszenierung angesiedelt ist. Die verhandelten Themen und Fragen um das Soldat-sei werden, so Krug, "nicht anklagend, nicht effekthascherisch, nicht mit äußerlicher Beeindruckungsgestik" vorgestellt, sondern "in einem ruhigen szenischen Nachdenken". Auch liefere das "Inszenierungsmaterial" kein uniformes, "sondern ein vielfarbiges Soldatenbild". Mal setzten "sich die Schauspieler zwischen die Zuschauer, dann wieder wandern sie durch den Raum, ziehen sich Uniformen an und denken über den Sinn und den Erfolg von sogenannten Hilfseinsätzen nach. Zwischen die Erzählungen der rohen Kriegserfahrungswelt werden als Kontrapunkt einige Lieder gestreut, gesungen von zarten Knabenstimmen."
Nicht minder beeindruckt zeigt sich Telse Wenzel im Göttinger Tageblatt (27.6.2011). Die Arbeit sei "nicht nur künstlerisch bemerkenswert, sie leistet auch gesellschaftspolitisch einen herausragenden Beitrag". Wie eine "Therapiesitzung" sei das Geschehen arrangiert; das Publikum rücke nah an die Figuren heran. "Dass die Männer Schauspieler sind, gerät in der 90-minütigen Vorstellung in Vergessenheit. Ihr Spiel ist naturalistisch und das ist eine der Stärken der Inszenierung." Sie sprächen "(e)motionslos, hart und monoton". Zu den "verdrängten und verschütteten Gefühlen" der Soldaten dringe die "musikalische Parallel-Ebene vor"; wobei das Mitwirken einiger "Mitglieder des Göttinger Knabenchors" einem "Geniestreich" gleichkäme.
"Karg ist das Bühnenbild (...), dezent, aber wirkungsvoll die Musik (...), was den starken Texten umso mehr Wirkung verleiht", schreibt Udo Angerstein (Hessische/Niedersächsische Allgemeine Zeitung, 27.6.2011). Und das seien keine Texte, "die sich jemand ausgedacht hat, das sind reale Erlebnisse". Manchmal merke man selbst den Schauspielern an, "wie schwierig es ist, Distanz zu wahren". Als der Beifall einsetzte, sei es fast wie eine Erlösung gewesen. "Beklemmend, berührend und sehr beeindruckend" sei dieser Abend.
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Wenn eine Ergänzung erlaubt ist: die jungen Sänger haben ihre "musikalische Heimat" im Göttinger Knabenchor, den die Autorin und Regisseurin Julia Roesler und die Komponistin und Arrangeurin Insa Rudolph für diese Kooperation gewonnen haben und dessen Chorleiter und Stimmbildnern die sehr professionelle Ausbildung der Knabenstimmen zu verdanken ist. Die Einbindung der 11 bis 14 Jahre Sänger in dieses Projekt barg Risiken für das Gelingen, aber auch für die Kinder selbst. Das Geschehen an den Kriegsschauplätzen hat die Soldaten traumatisiert, derem schrecklichen Erleben durch die Schauspieler Stimmen verliehen wird. Was könnte die drastische Schilderung in den Kindern anrichten? Es ist dem Einfühlungsvermögen und der Umsicht von Julia Roesler und Insa Rudolph und dem so partnerschaftlichen Umgang der Schauspieler mit ihren jungen Gesangskollegen zu danken, dass sie vor Schaden bewahrt bleiben und alle hier Genannten zu einem einzigartigem Team zusammengewachsen sind, das dieses schwere Stück meistert und zu einem Erfolg macht.
Die Täter (sie sehen sich ja selbst als Opfer) sind freundliche Menschen wie Du und ich. Weder wirken sie unnormal noch krank und
trotzdem sind sie bereit im Notfall zu töten.Das macht mir richtig Angst.
wir Soldaten. Wir haben einen Auftrag und den haben wir zu erfüllen, ohne wenn und aber. Und wenn uns jetzt irgendwelche Leute dafür anmachen oder uns Blödheit vorwerfen, sollten sie bitte überlegen, wer uns in diese Einsätze schickt oder geschickt hat. Nämlich die von ihnen gewählte Regierung.
"Ich will nicht mehr sterben. Ich will nicht mehr töten. [...] Ich breche mein versiegeltes Fleisch auf. Ich will in meinen Adern wohnen, im Mark meiner Knochen, im Labyrinth meines Schädels. Ich ziehe mich zurück in meine Eingeweide. Ich nehme Platz in meiner Scheiße, meinem Blut. Irgendwo werden Leiber zerbrochen, damit ich wohnen kann in meiner Scheiße. Irgendwo werden Leiber geöffnet, damit ich allein sein kann in meinem Blut. Meine Gedanken sind Wunden in meinem Gehirn. Mein Gehirn ist eine Narbe. Ich will eine Maschine sein. Arme zu greifen Beine zu gehn kein Schmerz kein Gedanke."
(Heiner Müller)
"Es gilt, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist." (Karl Marx)
Nein, in Deutschland. Darum darfst Du auch so idealistisch denken.Aber glaube mir, die Taliban interessieren sich weder für Heiner Müller noch für Karl Marx.
Die Flugzeuge, die später das noch intakte Militärgerät zurückholen, können auf dem Hinweg auch gleich die Ausrüstung für den folgenden Papierkrieg mitbringen, dann gibt es dort keine Leerflüge. Ist ja auch sehr wirtschaftlich gedacht.
Dann kann auch fleißig mit Papier weitergeschossen werden.
Den Idealismus können Sie allerdings im Einsatz entdecken. Besonders bei den jungen Kameraden. Nur leider meist falschverstanden.
Von der ersten Minute an wird das Publikum infiltriert, umzingelt, eingelullt, zermürbt, zur Ortung gezwungen und kameradschaftlich aufgenommen...
...trotz Ernsthaftigkeit des Themas auch eine sehr lustige und listige Inszenierung.