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Komik und Krise

von Simone Kaempf

Berlin, 25. Juni 2011. "Make me laugh". Unter diesem Titel hatte Jurorin Elke Schmitter um die Einsendung von Stücken gebeten – und dann für die Lange Nacht der Autoren aus beachtlichen 140 eingeschickten Stücken auswählen können. Schmitter wertet das ganz klar als Erfolg: "Unsere Ausschreibung wäre nicht so erfolgreich gewesen, wenn es die Komödie nicht mehr geben würde", sagte sie am vergangenen Wochenende während der Autorentheatertage am DT, die auch dieses Mal, wie früher am Thalia Theater Hamburg, mit der Langen Nacht der Autoren endeten.

Vier Werkstattinszenierungen von vier ausgewählten Stücken, für die jeweils zwölf Tage geprobt wurde, sechs Stunden Theater, und nach denen ist man ein bisschen schlauer: Komik sucht die Krise, und wenn man lange genug hinschaut, ist überall Krise. Das Problem mit der Komik ist allerdings, dass vieles trainiert wirkt, wirkliche Überraschungen sind selten. Und doch, ja, es gibt ihn, den aufschließenden, zu Erkenntnis führenden Witz, der die Machtverhältnisse nicht nur abwertend karikieren will, sondern die Verhältnisse aufwertend auf Augenhöhe bringt. Aber selten ist er schon.

"Ein Mädchen namens Elvis"

Im Auftaktstück der jungen Autorin Julia Wolf geht es um ein eigentlich sehr humorfähiges Thema: Alzheimer. Die demente Bertold, ihre Enkelin, die polnische Pflegerin und ein Fahrer von Essen auf Rädern kommen zusammen. Gleich die erste Szene entwickelt sich als skurriler Schlagabtausch zwischen dem Fahrer und der alten Frau, samt verschobener Logik und der Aushebelung der Kommunikation.

Bald aber gerät die alte Frau in den Hintergrund, und "Ein Mädchen namens Elvis" entpuppt sich als Problemstück über Identität, Zugehörigkeit und die Rollenhaftigkeit der jüngeren Generation. "Ich bin die Pflegekraft aus Polen, das sagt doch schon alles", zu dem Satz schaut Isabel Schosnig trotzig ins Publikum. Solch Unterspielen der Rollen bekommt seine Lacher, und das Stück strotzt vor Selbstkommentaren. Christoph Franken spielt in einer schönen Nummer bekannte Komödiengags nach: den Tortenwurf und das Ausrutschen auf der Bananenschale. Das Theater nimmt sich selbst auf die Schippe, aber die Inszenierung bekommt die existenziellen Probleme der Alten und die der Jungen nicht zusammen. Wobei der Text auch wenig Hilfe dafür bietet.

"Paradiesvögel"

Mit dem ersten Stück war bereits klar, dass das Labeling 'Komödie' die Aufmerksamkeit vom Text eher weglenkt hin zur Regie, ihren Einfälle und ihren Ideen für Slapstick und Komik. Aber manchmal braucht es nicht mal richtigen Text: Zu Beginn der Inszenierung von Judith Kuckarts "Paradiesvögel" quetscht sich ein Mann durch aufgestapelte Plastikstühle auf die Bühne, er trägt einen Geigenkoffer, sagt "Guten Abend" – und erntet fette Lacher. Später ist es der Kampf mit der Dingwelt, den Regisseurin Alize Zandwijk ausschlachtet: mit einem Mikrofonständer wird umständlich hantiert, eine Regenplane wird mühsam aufgespannt und daraus schöner Slapstick gewonnen.

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Die Handlung: eine Laientheatergruppe trifft sich, um eine "Carmen"-Variation zu probieren. Der Autor ist eigentlich Polizist, der seine Marie mit der Hauptdarstellerin betrogen hat, und die Geschichte in sein Stück einarbeitet. Oder ist es das Stück, das ihn erst dazu verführte? Das bleibt offen, Kunst und Leben sind in der herausstechenden Inszenierung von Zandwijk aus einer Natur. Aus den Plastikstühlen, Brettern und bunten Glühbirnen-Dekos entsteht eine Sommer-Straßenabend-Atmosphäre. Witz und Melancholie verzahnen sich ineinander, und man fühlt sich sogar ein wenig an Zandwijks großartige Inszenierung von "Meiskes en jongens" erinnert, in der ihr ständiger Bühnenbildner Thomas Ruppert einen Swimmingpool baute, versteckt hinter einer Mauer, und doch ständig die Atmosphäre bestimmend.

"Getränk Hoffnung"

Aber auch Matthias Kaschig kann mit David Lindemanns "Getränk Hoffnung" eine Menge anfangen. Es ist die Zeit nach der Finanzkrise, ein Herr Bond trifft die Sparkassenberaterin Frau Merkel, die nicht mehr das Geld der Kunden will, sondern ihr Vertrauen, um das sie mit den alten Versprechungen wirbt.

Was ein well-made-play über die Mechanismen im Finanz- und Bankensystem sein könnte, ist von Lindemann recht wortreich aufgeplustert. Wobei Matthias Kaschig der Inszenierung einen abstrahiert-künstlichen Touch gibt, der passt: Die Anzüge sind nicht mehr grau, sondern bunt. Die Bühne bleibt kahl und weiß. Man wandelt sanft über Bühnennebel, wenn Bond von dem Berater eingelullt auf Wolke sieben schwebt. Die Botschaft, dass der Mensch die Illusionen sucht, die er gleichzeitig flieht, kommt spielerisch und unpädagogisch rüber, ganz im Sinne von Elke Schmitter, die in ihrer Eröffnungsrede beschrieb, dass es Probleme gibt, die man nur durch Überspitzung erkennen kann.

"Krauses Erzählungen"

Auch in "Krauses Erzählungen" von Daniel Gurnhofer herrscht Krise. Krause hat eine große Klappe, aber keine Arbeit. Seit neun Monaten hockt er in der Wohnung. Eine Figur, mit der ein Dramatiker zu tragikomischen Höhenflügen ansetzen könnte, wenn man denn Krause pfiffigen Strategien zuschauen könnte, wie er sich sein Leben zurückerobert. Stattdessen nimmt dieser Krause ein paar Pillen, trifft auf eine Theatergruppe, auf drei Zwerge und dann auf Gott höchstpersönlich. Jeder sagt ihm ein Stück Wahrheit: die Theatergruppe, warum ihn seine Frau verließ; Gott, dass er bald sterben wird. All das prasselt auf Krause ein, der damit wenig erhellend umgeht.

Landet der Text zumindest noch einige Pointen, ist die verunglückte Inszenierung von Sascha Hawemann eine Blödelei, die inmitten einer Box voll mit Pizzaschachteln spielt und vollends zur Peinlichkeit gerät, wenn Gott in einem Silberkostüm auftritt, einen Hanfblatt schwenkenden Engel an der Seite. Die Komödie war nie tot, und falls sie es doch war, möchte man sie auf diese Weise nicht reanimiert wissen. Sie braucht schon mehr Weltanschauungsmaterial, um Fallhöhe zu gewinnen.

 

Lange Nacht der Autoren 2011

Ein Mädchen namens Elvis
von Julia Wolf
Regie: Anne Sophie Domenz, Bühne: Andreas Kriegenburg, Kostüme: Merle Vierck, Video: Marlene Blumert, Dramaturgie: Meike Schmitz.
Mit: Margit Bendokat, Katrin Wichmann, Christoph Franken, Isabel Schosnig.

Paradiesvögel
von Judith Kuckart
Regie: Alize Zandwijk, Bühne: Thomas Ruppert, Kostüme: Karin Rosemann, Dramaturgie: John von Düffel.
Mit: Ingo Hülsmann, Inga Busch, Peter Moltzen, Olivia Gräser, Harald Baumgartner, Verena Reichhardt, Helmut Mooshammer, Paul Schröder, Beppe Costa.

Getränk Hoffnung
von David Lindemann
Regie: Matthias Kaschig, Bühne: Juliane Grebin, Kostüme: Camilla Daemen, Musik: Tobias Vethake, Dramaturgie: Anika Steinhoff.
Mit: Maren Eggert, Arnd Klawitter, Peter Jordan, Jürgen Huth, Bernd Stempel.

Krauses Erzählungen
von Daniel Gurnhofer
Regie: Sascha Hawemann, Bühne und Kostüme: Annegret Riediger, Dramaturgie: Karolin Trachte.
Mit: Jörg Seyer, Claudius Franz, Sebastian Grünewald, Anna Blomeier.

www.deutschestheater.de



Kritikenrundschau

"Es war ein trauriger, aber auch aufschlussreicher Abend", klagt ein merklich verärgerter Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (27.6.2011). "Keiner der vier Lange-Nacht-Texte fällt durch besondere Liebe zur Sprache auf"; stattdessen sei "das Meta- oder Postdrama schwer in Mode", das heißt: "Jedes der präsentierten Stücke glaubt, das Drama als solches und die Komödie im Besonderen in eine besserwisserische Theaterproblematisierungsschlaufe verwickeln zu müssen." Zumindest "Ansätze von Poesie" macht Pilz in "Paradiesvögel" von Judith Kuckart aus; die Regie von Alize Zandwijk wird hier ebenso positiv hervorgehoben wie diejenige von Matthias Kaschig in David Lindemanns "Getränk Hoffnung". Im Ganzen beweise dieser laue Abend, den Jurorin Elke Schmitter allein zu verantworten habe, "die Gegenwartskomödie ist heikles Krisengebiet".

Auch Patrick Wildermann vom Tagesspiegel (27.6.2011) hat die vermutete "Lachsalven-Offensive" tatsächlich nur mäßig erheitert. "Völlig zu Recht" stehe die Gegenwartsdramatik im Ruf "so humorvoll zu sein wie ein Soziologenkongress", lautet sein Befund nach der Langen Nacht, die "die Untrennbarkeit von Leben und Kunst, Alkoholmissbrauch und Geldsorgen" als Leitmotive besaß. David Lindemanns "Getränk Hoffnung" in der Regie von Matthias Kaschig sei der "bescheidene Höhepunkt des Abends" gewesen, der ansonsten von Stoßseufzern geprägt war: "Hoffentlich wird das nächste Stück keine Qual."

In einem für taz-Verhältnisse sehr langen Artikel (28.6.2011) setzt sich Tobi Müller mit der Komödie, ihrer idealen Machart, den Komödienautoren und ein wenig auch mit der Langen Nacht der Autoren auseinander (wir fassen das in der Presseschau zusammen). Über die Lange Nacht schreibt Müller: Bei den vier Werkstattproduktionen sei viel dafür getan worden, "um davon abzulenken, dass drei dieser vier Texte auf einer großen Bühne keine Chance haben". Drei Stücke handelten vom Theaterspielen, was nur jemand interessant finden könne, der nicht mehr ins Theater gehe. Wie Elke Schmitter, die 1990 "mit dem Theaterbetrieb abgeschlossen" habe, aber trotzdem "Generalthesen zum [beklagenswerten] Stand des Theaters zum Besten" gebe – ohne Belege zu präsentieren. Allein David Lindemanns Groteske "Getränk Hoffnung" gebe in der Inszenierung von Matthias Kaschig ein "schönes Abbild der Finanzmärkte, von der puren Esoterik und latenten Gewalt des Kreditwesens". Bei diesem einzigen Lichtblick der Langen Nacht der Autoren hätten allerdings Spitzenkräfte wie Arnd Klawitter, Maren Eggert und Peter Jordan gezeigt wie "zentral sprachliches Timing und körperliche Präzision im Humorgeschäft" seien.

Auch Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (28.6.2011) findet allenfalls bei David Lindemann ein Auskommen des kritischen Gemütes, das bei den anderen drei Präsentationen zu verletzender Schärfe aufläuft. In dieser langen Nacht der "Humortristesse und des Elends der Gegenwartsdramatik" sei Lindemanns 'Getränk Hoffnung' der einzige Lchtblick gewesen. "Pointensicher" die Regie von Mathias Kaschig, "schnell, unverschmockt und mit einem bestens gelaunten Ensemble". Der Plot sei "simpel, aber wirkungsvoll", "nicht tiefsinniger als ein Sketch von Dieter Hallervorden", aber wenigstens "nicht so peinlich und talentfrei bemüht wie die drei anderen Humorzumutungen". Die seien, hier raffend zusammengefasst, allenfalls "Werklein", "Schreibversuche", im Falle von Daniel Gurnhofer sei überdies die in zwei Probenwochen entstandene Aufführung "werkgerecht", weil an "Peinlichkeit" dem Text "völlig ebenbürtig". Julia Wolf verstünde es, "Humor- und Intelligenzniveau des Privatfernsehens mühelos zu unterbieten", ihre Figuren seien "mühsam ausgedachte Klischeeansammlungen". Selbst Judit Kuckarts Stück merke man nicht an, dass seine Autorin "keine Anfängerin mehr" sei. "Auch hier wieder: Klischees … und ein ziemlich klemmiger Sexualhumor". Vielleicht, rät Laudenbach post festum, "hätte der Autorin ein gnädiger Dramaturg verraten sollen, dass es noch keine Komödie ist, wenn ein Autor seine Figuren nicht ernst nimmt".

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