Der Widerstand wächst

von Eva Löbau

Rom, Juni 2011. Jeden Abend gegen 20 Uhr öffnet sich zur Zeit das Tor des Teatro Valle mitten im historischen Zentrum Roms und eine Menge von Leuten strömt heraus, die man vorher hier nicht eintreten gesehen hat. Denn hinein ging's über den Bühneneingang, auf der anderen Seite des Häuserblocks, nachmittags ab halb fünf. Jetzt verstopfen diese Leute die enge, befahrene Via del Teatro Valle. Sie verstreuen sich nicht. Im Gegenteil, noch mehr kommen dazu, lungern herum, bis kurz nach neun sich das Tor wieder öffnet und den Eintretenden das Programm des Abends in die Hand gedrückt wird, das umseitig ein Flugblatt ist.

Viele Häuser und ein aufgelöster Dachverband

Das Teatro Valle ist besetzt, seit dem 14. Juni, aus Protest gegen die geplante Privatisierung. Das Theater war seit 60 Jahren der staatlichen Behörde Ente Teatrale Italiano (ETI) unterstellt. Die Uraufführung von Luigi Pirandellos Stück "Sechs Personen suchen einen Autor" begründete 1921 den Ruf des Valle als Ort experimentellen Theaters. In letzter Zeit diente es der Nachwuchsförderung und war jungen Theatergruppen ein Sprungbrett zu internationalen Festivals. Die regional verstreute Szene des kontemporären Tanzes wurde hier vereint.

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Ein Protestabend im Teatro Valle © Martin Löbau

Jetzt bricht diese günstige Entwicklung ab. Die Privatisierung wurde im Dezember 2010 mit dem letzten Finanzplan der Ente Teatrale Italiano beschlossen, bevor die Behörde selbst aufgelöst wurde. Seither gibt es keinen Dachverband des italienischen Theaters mehr, und die Theater, die direkt dieser Institution unterstellt waren, stehen vor der Schließung oder Privatisierung.

Das Teatro Valle ist für ein Übergangs-Jahr dem nationalen Theater Roms angehängt. Das Budget dafür wird nicht benannt. Die öffentliche Ausschreibung läuft, um ein privates Management zu finden. Inhaltliche Kriterien sind nicht bekannt. Der Vorgang ist nicht transparent und lässt eine Kommerzialisierung des Theaters befürchten.

Geistiges Aushungern

Die Besetzer, Arbeiter und Arbeiterinnen des Theaters, Lavoratrici e Lavoratori dello Spettacolo, wie sie sich nennen, fühlen sich von keiner politischen Instanz mehr vertreten. Sie sehen die Vorgänge am Teatro Valle als emblematisch für den Zustand der Kultur, der Schulen und Universitäten Italiens.

Die finanziellen Kürzungen in diesen Bereichen scheinen, wie in allen Europäischen Ländern, der wirtschaftlichen Krise geschuldet. Aber die Besetzer sehen darin das Aushungern einer Bevölkerungsgruppe, in der viele Kritiker der gegenwärtigen Regierung zu vermuten sind. Die Aktion im Teatro Valle stemmt sich gegen die geistige Verarmung Italiens. Die droht. Zum Beispiel soll der in der Nachbarschaft des Teatro Valles beheimatete Bestand der historischen Theaterbibliothek Burcardo an den Stadtrand ausgelagert und die prächtigen Räumlichkeiten gewinnbringend vermietet werden. Auch die Cinecittà steht ohne staatliche Subvention vor dem Konkurs. In Zukunft könnte sie als Kulisse eines Spa für Besserverdiener herhalten.

Theaterleute würde man dort eher nicht antreffen. Denn in Italien besteht auch an etablierten Häusern die Praxis, dass vertraglich festgelegte Honorare oft jahrelang nicht ausgezahlt werden.

Versammeln, reden, neupositionieren

Seit Dezember organisieren die etwa 30 Besetzer Protestaktionen. Nun haben sie im Foyer des Theaters ihr Büro eingerichtet, wo sie Kontakt zu den politischen Entscheidungsträgern und zur Presse suchen und die Veranstaltungen vorbereiten.

Nachmittags laden sie im Theatersaal zu öffentlichen Versammlungen. Vorschläge für die Zukunft des Theaters werden gesammelt, um sie als Forderungen an die Politik weiter leiten zu können. Ein ethischer Code soll formuliert werden. Kulturschaffende aller Sparten aus ganz Italien reisen an. Zehn Minuten Zeit erhält jeder gelistete Redner, um seine Position zu vertreten.

Nur in Ausnahmen kommt es zu Tumulten, wenn zum Beispiel der Direktor des nationalen Teatro di Roma, Gabriele Lavia, anhebt, sich mit den Besetzern zu solidarisieren und sich gleichzeitig weigert, als künftiger Interims-Leiter seine Vorstellung einer Zukunft des Teatro Valles zu konkretisieren. Er erklärt sich dann, scheinbar spontan, bereit, sofort den Kulturbeauftragten Roms, Dino Gasperini, anzurufen, um ihn mit einer Delegation der BesetzerInnen an den Verhandlungstisch zu bringen.

Jeden Abend Vorstellung

Nach den Versammlungen wird das Valle jeden Abend ab 21 Uhr bespielt. Eintritt ist frei. Und jeden Abend füllt sich das 1724 erbaute Theater aufs Neue bis zum Vierten Rang direkt unter dem gemalten Decken-Himmel. Moderiert von den Besetzern treten unterschiedlichste Bühnenkünstler mit kurzen Ansprachen, Lesungen, Shows, Musik auf. Manchmal entstehen Diskussionen, dann geht im Saal das Licht an. Technisch verläuft alles fast reibungslos. Denn unter den Besetzern befinden sich auch angestammte Techniker dieses Theaters.
Wenn der Publikums-Andrang zu groß wird, schließen Ordner für kurze Zeit den Saal. Es herrscht ein Kommen und Gehen, aber mit größtem Respekt gegenüber den Künstlern auf der Bühne.

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Auftakt war vor zwei Wochen das Gespräch zwischen Elio Germano, dem Shooting Star des italienischen Kinos, und Andrea Camilleri, dem weisen alten Mann des Theaters. Der sprach von nationaler kultureller Identität und leitete über zur Wertschätzung eines jeden auf Lampedusa ankommenden Flüchtlings als kulturellen Boten. Camilleri rief, mottogebend, eine Kultur-Revolte aus, die sich als ansteckend erweisen solle.

Jenseits einer Partisanen-Romantik

In den folgenden Tagen gab es Momente von Selbstdarstellung und Partisanen-Romantik. Doch dem wirken die Besetzer entgegen. Das Niveau ist steigend. Sie wollen als Gemeinschaft Theaterschaffender wahrgenommen werden. Was die Presse nicht hindert, einzelne, berühmte Persönlichkeiten unter ihnen zu Anführern zu stilisieren. Ansonsten ist Publicity erwünscht.

Stars des Italienischen Kinos und des Theaters kommen, um sich zu solidarisieren. Bernardo Bertolucci ruft an. Die 91-jährige Franca Valeri erzählt von ihrem Debüt 1947 am Teatro Valle. Das Orchester "Roma Sinfonietta" spielt die Schlussmelodie von "Il Caimano", dem Film über Berlusconi, und der Regisseur Nanni Moretti tritt dazu und spricht den Epilog. Selten war ich Teil eines glücklicheren Publikums.

Gegen zwei Uhr endet für uns Zuschauer die Nacht im Theater. Die letzte Zugabe einer Pop-Band und dann Rauswurf durch die gähnenden, zähneputzenden Okupanten, die nun endlich in einem der Balkone schlafen wollen. Aus den oberen Rängen, unsichtbar, aber mit seinem deutschen Akzent unverkennbar, segnet der Papst per Megaphon die ganze Aktion.

Zusammenschluss der bildenden Künstler

Die Besetzung des Teatro Valle ist nicht die erste in der Stadt. Seit April ist das große Cinema Palazzo besetzt, und obwohl ihnen schon der Strom abgeschaltet wurde, harren dort noch immer Menschen aus, um zu verhindern, dass dieses alte Programmkino im Stadtteil San Lorenzo als Casino umgenutzt wird. In allen Bereichen der Kultur und der Lehre hat sich nach Veröffentlichung der letzten Haushaltspläne Widerstand formiert. Nun beginnt er, sich zu vereinen.

Am Wochenende fand im Museum für Gegenwartskunst MACRO die größte Zusammenkunft Bildender Künstler seit 20 Jahren statt, um gemeinsame Forderungen an die Politik zu artikulieren. Eine Delegation des Teatro Valle kam, um mit dem Geist der Revolte anzustecken. Bleibt zu hoffen, dass sich die Revolte nicht erschöpft, bevor die nächste Spielzeit beginnt.

 

Eva Löbau, Jahrgang 1972, Schauspielerin, ist zur Zeit Stipendiatin der Kulturstiftung der Länder in Rom. Seit Mitte Juni hat sie mehrere Tage und Abende im Teatro Valle verbracht.


Mehr zur Besetzung des Teatro Valle? Bitteschön, hier auf der eigens eingerichteten Webseite.

Noch mehr in unserer Presseschau: Die taz hat eine der Besetzerinnen interviewt, Eva Clausen hat für die NZZ über die Besetzung berichtet.