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Cowboys kennen keine Kapitulation

von Sarah Heppekausen

NRW, 1./2.Juli 2011. Hossa! Allerdings sehen Stimmungskanonen der anbiedernd-fröhlichen Art normalerweise anders aus als diese fünf Frauen aus der Steiermark. Die Rabtaldirndln fokussieren ihre Zuschauer mit gnadenlos strengem Blick, während sie Schnaps und Wurst reichen oder den Poklapser herausfordern. Ihre gute Laune ist nicht mitreißend, sondern manipulativ. Ihre Diashow über das glückverheißende Lebenskonzept auf dem Land soll nicht lustig, sondern informativ sein.

Der Heimatabend als Psychostudie

Da sieht man dann Renate, Sonja, Eva, Marianne und Toni im Dirndl vor ihrer Schänke, bei den Kühen, beim Nachbarn, mit dem Hund, beim Theaterspielen, beim Schlachten und Schießen, am Autounfallort und wie sie in Altenheimbetten liegen – mal Idylle, mal idyllisch inszenierter Wahnsinn. So verstören die österreichischen Performerinnen, indem sie bekannt-beliebte Bilder zur Kuriositätensammlung anhäufen, Live-Jodeln und Tanzen inklusive. "Aufplatzen" zeigt nicht den Blick hinter, sondern auf die Fassade. Der Heimatabend entpuppt sich als Tourismusfalle, die Bildbeschreibung als Psychostudie. Charmant ist das nicht, aber das wollen die fünf Frauen auch gar nicht sein. Ihr Herz tragen sie an diesem Abend bloß als Lebkuchen auf der Brust.

rabtaldirndln 5_impulse 2011_foto franz sattlerDie Rabtaldirndln. © Franz Sattler

 

Bei der Jubiläumsausgabe des Festivals des Freien Theaters Impulse, das zum ersten Mal im Sommer und zum letzten Mal unter der Leitung von Tom Stromberg und Matthias von Hartz stattfindet, schaut das Publikum in viele ernste Gesichter. In die unerbitterlichen der Rabtaldirndln, ins tränenreiche einer Umweltaktivistin, in die nachdenklichen von Stadtplanern und die gefühlsverleugnenden von Cowboys. Die Gesichter machen die Musik: Es sind Gegenstimmen, Anti-Atmosphäre-Erzeuger, sie sorgen für Brüche und Reibungen, wo sonst Eindimensionalität und Langeweile droht.

Gegenstimmen der Gesichter: The Host

Zum Beispiel bei der Tanzinstallation "The Host". Der amerikanische Choreograf Andros Zins-Browne und seine beiden Mittänzer beherrschen eindrucksvoll die Cowboy-Attitüde: Sie halten die Hände am Gürtel, den Hut auf dem Kopf, die Beine gespreizt und verziehen keine Miene. Wenn es darum geht, auch im aussichtslosesten Kampf noch Haltung zu bewahren, sind Cowboys wahre Helden, und diese drei Männer auf der Bühne ihr glaubwürdigstes Abbild.

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Dabei hat ihr Posieren etwas Absurdes. Die drei besteigen, bezwingen, bändigen Luftkissen. Cowboys kennen keine Kapitulation, nicht einmal wenn ihre Gegner aufgeblasene Plastikhügel sind. Sie ermächtigen sich ihrer wie die echten Cowboys der echten Natur, um sie nutzbar zu machen. In diesem Fall tritt die Zivilisation als Folkloretanz auf die platt gemachte Fläche, standfest, bis sich die Naturgewalten wieder aufbäumen und als riesige Welle den freien Fall herausfordern. Die Katastrophe bringt den Menschen aus dem Gleichgewicht, da hilft auch kein Taktgefühl.

Die ernsten Gesichter der Tänzer tragen das sonst eher dünne Stück. Ihre Entschlossenheit ist bei dieser wackeligen Angelegenheit der sichere Boden für Komik und für Tragik. Die liegt im Beherrscherdrang der tapferen Männer, deren oberstes Ziel selbst im Stolpern die richtige Haltung ist.

the host_.robinjunickejpgAndros Zins-Browne und "The Host" © Robin Junicke

Kommunikationsproblem in der Designstadt: tagfish

Mit verschiedenen Perspektiven experimentiert die Antwerpener Künstlergruppe Berlin in ihrer dokufiktionalen Filmperformance "Tagfish", die im vergangenen Jahr beim Festival "Theater der Welt" in Mülheim uraufgeführt wurde. Sieben Videoleinwände sitzen an einem Tisch. Zu sehen und hören sind Beteiligte des immer noch aktuellen Projekts, eine Designstadt auf dem Gelände der Zeche Zollverein zu bauen. Bart Baele und Yves Degryse fügen zusammen, was im realen Leben ein Wunschtraum bleibt. Das echte Tischgespräch scheitert an Kommunikationsproblemen. Auch wenn die eingestreuten Performance-Einlagen wie automatisiertes Wassereinschenken ziemlich überflüssig sind, die bizarre Mischung aus wunderschönem Bildmaterial und interessengeleiteter Schwätzerei ist witzig, klug und informativ.

Klimawandel & Selbstfindung: Anna Mendelssohn

Aus Zitaten formt sich auch Anna Mendelssohns "Cry Me a River". Die Soloperformance der Wiener Künstlerin ist ein Diskursbatzen aus politischer Rede, wissenschaftlicher Analyse und poetischer und persönlicher Selbstreflexion. Sie zitiert zum Beispiel die Aktivistin Naomi Klein, den Philosophen Peter Sloterdijk, den Dichter Gary Snyder – und sich selbst.

Zu unterscheiden ist das kaum, Mendelssohn spricht ohne große Pausen, sie sitzt an einem langen Konferenztisch, vor ihr ein Glas Wasser und das Mikro. Es ist Sprachrohr für ernsthafte Anliegen zu Klimawandel und Selbstfindung, die seltsamerweise gerade deshalb nicht im Bedeutungslosen verhallen, weil sich die Performerin sichtbar aus der Illusionskiste der Theatertricks bedient: Tränenstift, Kunstblut und elegische Musik. Das ist angenehm unaufgeregt, kommt ohne jeden interaktiven Schnickschnack der Publikumsinteraktion aus und betrifft trotzdem. Kein spektakulärer Wurf, aber durchdacht und bedenkenswert.

mendelssohn 1 au2011_foto timtom"Cry me a River" von Anna Mendelssohn © Timtom

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wo wohnt sie, die Innovation?

Anna Mendelssohns Tränen sind nicht echt und all die ernsten Gesichter sicherlich kein Kommentar zur desolaten Lage, in die immer mehr Theater in Deutschland durch die kommunale Finanzkrise geraten. Die Freie Szene hatte noch nie viel Geld. Trotzdem – und das betonen Stromberg und von Hartz, seit sie 2007 die Leitung des Festivals übernommen haben, das sich als wichtigste Werkschau des Freien Theaters versteht – kämen die Innovationen im Theater, eben die Impulse, nicht aus Staats- und Stadtbetrieben, sondern aus der Freien Szene und dem Ausland. Rimini Protokoll und René Pollesch werden in diesem Zusammenhang immer wieder gerne genannt.

Mit dem dritten Teil seiner Ruhrtrilogie, der als Koproduktion vom Mülheimer Ringlokschuppen und der Berliner Volksbühne zur Kulturhauptstadt 2010 uraufgeführt wurde, ist Pollesch sicher auch deshalb als (gern gesehener) Special Guest eingeladen worden. Der Fabian-Hinrichs-Glanzstück-Abend auf der Industriebrache bringt das Theater als Ort der Erfindung, der Täuschung und des Scheins zur erstaunlich gemäßigten Pollesch-Sprache. Und: Der perfekte Tag ist ein Höhepunkt des Festivals, der nicht im Wettbewerb ist, aber doch einige der insgesamt neun Wettbewerbsbeiträge noch schwächer erscheinen lässt.

Innovativ oder bloß anstrengend?

Wo also sind die neuen Impulse? Die Grenze zwischen Bühne und Publikum wird selbstverständlich wieder gerne durchbrochen oder gleich ganz aufgelöst. Wenn die Hamburger Performer von HGich.T (Hammer Geil ich Tattoo) "Hauptschule"-schreiend und Körperkontakt suchend auf die Zuschauer losgehen. Wenn Punk-Elektro-Sängerin Peaches (außerhalb des Wettbewerbs) den ersten (längst nicht mehr sitzenden) Zuschauerreihen ihre Schaumstoff-Brüste ins Gesicht reibt oder den Sekt über ihnen ausspritzt. Oder wenn die Verliererzuschauer in God's Entertainments "Trans-Europa-Bollywood" die Gewinnerzuschauer mit Schnaps abgefüllt und in indischen Gewändern tanzend auf einem Basar begrüßen. Das alles ist – trotz großer Show – leider mehr anstrengend als innovativ.

hgich.t 17_impulse 2011_foto bjrn jansenDie Ladies von HGich.T (Hammer Geil ich Tatoo) © Björn Jansen

Brücke zur Stadttheaterszene: längst geschlagen

Die spannenderen Produktionen sind zurückhaltender, eröffnen Zwischenräume, zeigen verschiedene Gesichter, auch wenn die Miene nicht verzogen wird, sind amüsant und tragisch zugleich, bleiben auch mal im Vagen und verwirren.

Und es gibt Testament von She She Pop. Keine der Arbeiten ist (bis jetzt) so beeindruckend, berührend und anschlussfähig. Auf der Grundlage von "King Lear" und mit den eigenen Vätern auf der Bühne proben die Schauspieler den Generationswechsel, persönlich und kunstvoll. Die Erfolgsproduktion ist bereits vielfach beschrieben, ausgezeichnet und zu Festivals eingeladen worden.

Aber auch sie hat die Brücke zur etablierten Stadttheaterszene schon geschlagen: "Testament" wurde zum Theatertreffen 2011 eingeladen, noch bevor sie beim Impulse Festival den Preis dafür gewinnen könnte.

 

Festival Impulse 2011

Aufplatzen
von den Rabtaldirndln
Konzept/Darsteller: Barbara Carli, Rosi Degen, Bea Dermond, Gudrun Maier, Gerda Strobl
Dramaturgie: Monika Klengel, Marcus Dross

The Host
von Andros Zins-Brown
Konzept/Choreografie: Andros Zins-Browne
Mit: Sidney Leoni, Jaime Llopis, Andros Zins-Browne

Tagfish
von Berlin
Konzept/Regie: Bart Baele, Yves Degryse
Mit: Hans-Jürgen Best, Christoph Finger, Rolf Heyer, Wolfgang Kintscher, Kaspar Kraemer, Thomas Rempen, Kostas Mitsalis.

Cry Me A River
von Anna Mendelssohn
Konzept/Performance: Anna Mendelssohn
Künstlerische Zusammenarbeit: Yosi Wanunu, Musik: Jorge Sánchez-Chiong.

Der perfekte Tag - Ruhrtrilogie Teil 3
von René Pollesch
Regie: René Pollesch, Bühne: Bert Neumann, Kostüme: Nina von Mechow, Musik: Vredeber Albrecht, Kamera: Ute Schall, Licht: Frank Novak, Dramaturgie: Aenne Quiñones, Tricktechnische Beratung: Manuel Muerte.
Mit: Fabian Hinrichs, Volker Spengler

endzeit 2
von HGich.T
Konzept/Performance: Tutenchamun, Maike, Anna-Maria Kaiser, dj hundefriedhof (Sascha Schreibvogel), Dr. Diamond (Paul Geisler), Igor Amore (Mark Kempken), Shmayn (Michael Wilke), Karla Knyh (Katharina Fischer), Kacko, Marc Alexander, Zwölffingermann (Felix), Frau Kadu.

Trans-Europa-Bollywood
von und mit God's Entertainment

Testament – Verspätete Vorbereitungen zum Generationswechsel nach Lear
von She She Pop und ihren Vätern
Konzept: She She Pop, Bühne: She She Pop und Sandra Fox, Kostüme: Lea Søvsø, Musik: Christopher Uhe.
Von und mit: Sebastian und Joachim Bark, Fanni und Peter Halmburger, Mieke und Manfred Matzke, Lisa Lucassen, Ilia Theo Papatheodorou, Berit Stumpf, Johanna Freiburg.

www.festivalimpulse.de


Mehr lesen? Matthias von Hartz über Wege aus der Krise des Stadttheaters.

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