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Kennedy-Sein oder Nicht-Sein

von Steffen Becker

Schwäbisch-Hall, 15. Juli 2011. Im Urteil der Geschichte kann sich ein Attentat als Geschenk erweisen. John F. Kennedy starb im November 1963 als populärer Präsident, auf dem große Hoffnungen ruhten. Sein Schicksal machte ihn zum Mythos JFK – der Held in einer Familien-Saga um Macht, Liebe und Intrigen, die das Publikum seit Jahrzehnten fasziniert. Im Stück "Boston Princes", uraufgeführt im Globe Theater der Freilichtspiele Schwäbisch Hall, formuliert es sein Bruder Robert "Bobby" Kennedy (Christian Baus) weniger schmeichelhaft: "Du hast Glück gehabt".

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© Jürgen Weller

Da ist sein Bruder Jack (Christoph Schüchner) gerade als Untoter aus dem Grab geklettert. Bobby feiert in diesem Moment Erfolge auf dem Weg zur Präsidentschaftskandidatur 1968, als der Geist seines Bruders ihn zwingt, seinen bisherigen Lebensweg zu hinterfragen. Der Auftakt erinnert nicht von ungefähr an eine Shakespeare'sche Konstruktion. Der Spielort in Schwäbisch Hall ist dem Globe Theatre nachempfunden und das Stück von Werner A. Hofer Sieger des Wettbewerbs "Schreiben wie Shakespeare".

Die schönen Playboy-Jahre sind nun zu Ende

Der Kennedy-Clan eignet sich dafür wunderbar. Ein Königsdrama verwoben mit einer tragischen Familiengeschichte. Regisseur Christoph Biermeier lässt es hauptsächlich auf einem gepflegten Friedhof zwischen den Grabsteinen der Familienmitglieder stattfinden (Bühne: Simone Manthey). Eine gelungene Idee – Tote sind wichtige Cliffhanger in der Kennedy-Saga. In deren Zentrum steht zunächst Vater Joseph, der seinem Sohn Jack mit heruntergelassenen Hosen und mit der Krankenschwester im Arm verkündet, dass dessen Playboy-Jahre vorbei seien. Für die Präsidentschaft brauche er eine vorzeigbare Frau – die er ihm vermitteln werde.

Reinhold Ohngemach verkörpert diesen Königsvater so souverän, als wäre er einer amerikanischen Kult-Serie entsprungen. Wie er politische Mehrheiten am Telefon organisiert, Kirche und Mafia gleichermaßen einspannt und als "Papa Joe" die unglückliche Jackie Kennedy tröstet (stilecht: Simone Stahlecker): Genau so stellt man ihn sich vor, den hungrigen Self-Made-Patriarchen ohne Skrupel, aber mit gewinnendem Charme. Eigentlich schade, dass er die späteren Szenen nur historisch korrekt als Schlaganfall-Patient verfolgen kann – von der obersten Empore als trotzdem immer anwesender Übervater, dessen Ansprüchen die Söhne zu genügen haben.

JFK als Weltraum-Kakerlake

Das rechte Maß an Stilisierung gelingt der Inszenierung nicht immer so gut wie in diesem Fall. Gemäß dem Untertitel des Stücks "ein amerikanischer Alptraum" will sie den Mythos Kennedy ad absurdum führen. Die Zombie-Version von JFK gerät Christoph Schüchner jedoch arg Slapstick-artig – er stakst umher, als hätte er sich die Weltraum-Kakerlake aus "Men in Black" zum Vorbild genommen. Entlarvend und witzig geraten schon eher die Rückblenden mit dem noch lebenden Präsidenten. Kindlich fasziniert lassen sich die Kennedy-Jungs von vier Marilyn-Monroe-Versionen eines Generals die Bedienung des Nuklearkrieg-Mechanismus erläutern – als wäre das Oval Office nur ein weiteres Spielzimmer.

Was aber fehlt, ist zumindest eine Ahnung davon, warum dieser JFK die Hoffnungen so perfekt verkörperte, die im Bühnenbild die Wahlkampf-Plakate ("a new leader for the 60s") und die Spruchbänder symbolisieren ("Wann wenn nicht jetzt, wo wenn nicht hier"). Der Mythos JFK ist zwar Thema, wird im Haller Globe-Theater aber nicht greifbar, auch nicht in Szenen, die den offiziellen Präsidenten zeigen sollen. Dazu bleibt Schüchner zu sehr in der Untoten-Rolle hängen.

Graue Schläfen, gutes Gewissen

Die Geschichte des Stücks geht aber dann auf, wenn man die Stück-Figuren Jack und Bobby als die zwei Seiten eines jeden der Kennedy-Brüder begreift. Christian Baus verkörpert als Bobby den Typus eines menschlichen Führers wie man ihn sich wünscht – graue Schläfen, gutes Aussehen, ein Gewissen. In der Auseinandersetzung mit dem Geist des Bruders zeigt die Inszenierung kammerspielartig die Wandlung vom Machtspieler zum Sozialreformer.

Christian Baus' Bobby verliert sich aber nicht im "Alles wird gut"-Klischee eines Geläuterten. In den Szenen zuvor – von der Invasion in der Schweinebucht bis zur Kuba-Krise – lässt Baus bereits die Unruhe des zweiten Kennedy anklingen angesichts seiner Rolle hinter dem eigentlich weniger starken Bruder. In der Rahmenhandlung, die die Rückblicke umklammert, will er nun seine Chance nutzen, es besser als er zu machen und die an den Bruder geknüpften Hoffnungen erfüllen. Stattdessen gebiert der Schuss eines Attentäters einen neuen Mythos. Auch der Bobby hat also vor der Geschichte Glück gehabt.

Was ohne dieses Glück aus Hoffnungsträgern wird, deutet der Schlussvorhang an. Darauf prangt die neueste, schon schal gewordene Verheißung: "Yes, we can!"

 

Boston Princes. Die Kennedys: ein amerikanischer Alptraum
von Werner A. Hofer
Regie: Christoph Biermeier, Bühne und Kostüme: Simone Manthey.
Mit: Clarissa Herrmann, Stephanie Kämmer, Laura Quarg, Simone Stahlecker, Christian Baus, Tim Kalhammer-Loew, Reinhold Ohngemach, Daniel Pietzuch, Christoph Schüchner.

www.freilichtspiele-hall.de




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