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26. Juli 2011. "Das Beste am ganzen Tag, das sind die Pausen", sangen einst Roy Black und Anita. Das ist schon in der Schule so, und das ist auch bei den Bayreuther Festspielen nicht anders. Denn in der Pause, da beginnt das Pausengespräch, und das dreht sich in Bayreuth mit einer Ausschließlichkeit um die Bayreuther Festspiele, wie es andernorts bei vergleichbaren Festivals wohl nur höchst selten der Fall ist.

In der Pause nach dem ersten Akt der "Tannhäuser"- Eröffnungspremiere wird das Pausengespräch hinter mir ziemlich sofort und sehr entschlossen begonnen: "Grauenvoll! So a Scheißinszenierung!", meint die Dame zu ihrem mutmaßlichen Ehemann. Während dann alles hinausströmt, um die traditionell einstündige Unterbrechung in voller Länge zu begehen, bleibe ich vorerst noch im Saal, da Sebastian Baumgarten, der "Tannhäuser"-Regisseur, ja eine Pausen-Bespielung der Bühne versprochen hat (der Mann schreckt auch vor dem Allerheiligsten nicht zurück). Gute zehn Minuten zeigt ein Film, wie das Biogas-Bühnenbild von Joep van Lieshout funktioniert, ein anderer, wie Sebastian Baumgarten mit Schauspielern und einem im Schleef-Sound skandierenden Chor den "Tannhäuser"-Text performt. Dann beginnt auch meine Pause.

Zuerst kann ich noch lauschenderweise ein paar fundierte Meinungen über den ersten Akt erhaschen. Mein Favorit: "Ich bin nicht entsetzt, ich bin nur amüsiert." An anderer Stelle höre ich, was der Grund allen Übels ist. "Der Schlingensief ist von der Volksbühne, der hier [gemeint: Sebastian Baumgarten] ist auch von der Volksbühne, und der Castorf ist auch von der Volksbühne. In zwei Jahren lässt der dann Grane [das Ross aus dem "Ring"] auf die Bühne pissen, das ist halt modern. So leicht geht das." Das erinnert mich sofort an ein anderes Pausengespräch, dessen Zeuge ich bereits am frühen Morgen, kurz nach der Pressekonferenz, vor dem Bücherstand wurde. Da war zwar noch keine Pause, aber im Grunde ist in Bayreuth ja auch zwischen zwei Aufführungen Pause, und die längste Pause ist halt zwischen dem Vorjahresfestspiel und dem diesjährigen. Ganz gegen Ende dieser letzteren Pause höre ich also das Pausengespräch zweier sehr alter und sehr böser, besser: erboster Männer vor dem Bücherstand: "Die Politik ist schuld. Die sind alle korrupt. Korrupt. Alle korrupt. Die haben Angst, dass sie keine Karten mehr kriegen, und deswegen lassen sie der Katharina jeden Schmarren durchgehen. Alle korrupt. Die Politiker." Und apropos Bücherstand: In der ersten richtigen Pause (also in der ersten "Tannhäuser"-Pause) verlebt der ehemalige Bayreuth-Star René Kollo hier eine recht einsame Signierstunde. Immerhin hat sich ein Herr erbarmt und verhilft auch dem Herrn Kammersänger zu einem hoffentlich anregenden Pausengespräch.

Ebenfalls am Morgen nach der Pressekonferenz lerne ich zwei Engländer kennen, die sich für Karten anstellen. Hoffnung, dass es für die Eröffnung noch welche geben könnte, haben sie nicht, aber vielleicht gibt es ja welche für die "Meistersinger" am nächsten Tag. Beide Engländer treffe ich in der ersten "Tannhäuser"-Pause wieder. Der eine ist happy, denn er hat, wie der andere auch, eine Karte für "Meistersinger" bekommen. Nun ist er noch da, weil er – ich traue meinen Ohren nicht – ein Autogramm von Angela Merkel zu ergattern hofft. Mit meiner Bemerkung "That's funny" kann er sichtlich nichts anfangen. Ob er sein Ziel erreicht hat, weiß ich nicht zu berichten, denn das Prominenz-Auflauern am roten Teppich macht wenig Spaß, wenn man die meisten Prominenten gar nicht erkennt.

Der andere Engländer – er heißt David – ist noch nicht wirklich zufrieden, weil er immer noch in die "Tannhäuser"-Vorstellung hinein möchte, um Camilla Nylund als Elisabeth zu hören. Ich stimme ihn zuversichtlich, indem ich ihm von der missgelaunten Dame in der Reihe hinter mir berichte. "Oh, hast Du ihre Telefonnummer?", fragt er mich. Davids große Stunde schlägt aber erst in in der zweiten Pause – Sebastian Baumgarten lässt im Rahmen seiner Pausenbespielung auf der Bühne gerade eine Art Light-Version von Schlingensiefs "Kirche der Angst" veranstalten –, denn nun haben die ersten Premierenbesucher die Nase voll. David hat also eine Karte für den dritten Akt geerbt. Ein Isländer, der hinzukommt, fragt ihn, ob er dafür bezahlen musste. "Nein, der Mann hat mir noch 20 Euro dazugegeben, damit ich sie auch wirklich nehme."

Besonders eindrucksvoll finde ich den Typus des Pausengesprächlers, der gar nicht die jeweilige Vorstellung besucht. Es drücken sich ja bei der Eröffnung sehr viele in Festspielhaus-Nähe herum, um den in schwarzen Karossen einherfahrenden Politiker-Reigen freudig zu beklatschen. Doch das ist nicht der gemeinte Typus. Der ist vielmehr auf der Jagd nach Inszenierungs-Informationen, nach Insider-Sprech, er will dran sein am Geschehen. Er lungert kurz am Rande eines konventionellen Pausengesprächs ("So a Scheißinszenierung!") herum und klinkt sich dann überraschend ein: "Stimmt es, dass das Bühnenbild so dominant ist?" "Wie dirigiert der Hengelbrock? Ich schneide ja gerade zu Hause aus dem Radio mit." Um dann zu allgemeineren Themen zu kommen: "Der Schlingensief-Parsifal, wissen Sie … und der da übrigens hat über Katharinas Meistersinger das und das geschrieben …"

In diesen Pausengesprächs-Trubel wird man unweigerlich hineingezogen. Man müsste sich taub und blind stellen, wollte man ihm entrinnen. Es hilft nicht einmal, sein Festspieldomizil 30 km außerhalb Bayreuths zu wählen. Während ich etwa um 8 Uhr in der Frühe noch schlaftrunken nach einem Brötchen hangele, ist gleich die erste Frage des Herrn vom Tisch nebenan: "Sind Sie auch wegen der Festspiele da?" Im weiteren Verlauf dieses morgendlichen (Pausen-)Gesprächs verblüfft und erfreut mich dieser Herr übrigens noch mit einem dieser typischen Pausengesprächs-Apercus. Als ich nämlich durchblicken lasse, dass ich zu den Leuten gehöre, die Schlingensiefs "Parsifal" sehr geschätzt haben, kontert er mit der Antwort: "Ich habe auch davon gehört, dass es solche Leute geben soll."

Die letzte Pause beginnt naturgemäß direkt nach der Vorstellung. Am Parkplatz steht ein Mann mit dem Schild "2 Meistersinger-Karten zu verkaufen". Wenn das meine beiden Engländer wüssten, denke ich noch, und fliehe in mein Hotel außerhalb Bayreuths, um beim Feierabend-Bier mit der Kellnerin noch lange über die Bayreuther Festspiele zu reden.

(wb)

Mehr über Sebastian Baumgartens Tannhäuser in der nachtkritik.

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