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Gruppendynamisch für's Gemeingut

von Katrin Ullmann

Hamburg, 17. August 2011. Rohstoffe, Fischbestände, die Erdatmosphäre: alles Gemeingüter. Sie wurden – vor allem von den Industrienationen – in der Vergangenheit so sehr beansprucht und missbraucht, dass ihre natürliche Regeneration mittlerweile kaum mehr möglich ist. Das ist der Stand der Dinge. Gibt man sich jetzt die Kugel? Oder gibt man seinem Handeln eine Richtung?

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© Ellen Coenders

Eine Frage der Alternativen

Mit diesen Fragen eröffnet der bildende Künstler und Theoretiker Armin Chodzinski auf Kampnagel seine Revue "Ressource Baby!". In einem hässlich weißen Anzug steht er da und blinzelt durch seine Hornbrille aufmunternd seinen Gästen zu. Einige hat er eingeladen, aus ihrem Leben, ihren Erfahrungen mit Gütern zu erzählen. "Gut für alle" – so lautet schließlich auch der Schwerpunkt des diesjährigen Sommerfestivals.

Chodzinskis Gäste sind seine Mitakteure, sind Michael Schieben, Milan Matull, Karen Köhler und Claudia Plöchinger. In kurzen spielerischen Sequenzen lesen sie "Das Gleichnis der Liegestühle", erklären das TINA- (There Is No Alternative) und das TATA-Prinzip (There Are Thousand Alternatives), treten als Eisbär auf und überlegen laut, was passiert, wenn ein dauerhafter Besitzanspruch entsteht.

Die Akteure dieser Lecture Performance sitzen entweder auf einer Showtreppe und reichen sich freundlich die Mikros zu oder rasen durch den Raum, singen und skandieren "Gemeingut ist nicht, Gemeingut wird gemacht".

Von Ton, Steine, Scherben zu Bandmaster Fresh

Das alles ist tatsächlich – zumindest während der ersten Halbzeit – recht unterhaltsam und kurzweilig, was sicherlich vor allem daran liegt, dass die freundliche, musikalische Untermalung durch die Live-Band Bandmaster Fresh nicht abebbt. Doch inhaltlich richtig spannend oder gar zwingend wird dieser Abend nicht. Da werden (anhand von Wikipedia) Begriffe geklärt, kurze Definitionen an die Wand projiziert und auch mal krankengymnastische Übungen vollführt. Und es werden gute Beispiele für richtungweisendes Handeln gezeigt: Karen Köhler sammelte tageweise Grundwasser verseuchende Zigarettenkippen und präsentiert das Ergebnis in einer Vitrine; das Video der WDR-Talkshow von 1971, in der der Ton-Steine-Scherben-Schlagzeuger Nikel Pallat einen Tisch zertrümmert wird, auf ein Betttuch projiziert.

Doch allzu zusammengesucht und zusammengewürfelt wirkt diese Nummernshow. Allzu unscharf sind die Thesen, allzu unklar die Haltung dieser Performance-Gruppe. Sind sie zu Beginn noch relativ nah dran an den Fragestellungen rund um Ressourcen, "Nutzen, Brauchen und Handeln", so entfernen sie sich im Laufe des Abends immer mehr von ihrem Kern. Immer wieder referieren sie auf die dynamischen Gruppenprozesse, suchen nach einem neuen "Wir" und thematisieren ihre Angst, sich in der Gruppe aufzulösen und ihre Abscheu von der nahezu eigendynamisch entstehenden Kirchentagsatmosphäre.

Papierschiffchenfalten als Open-Source-Aktivität

Vielleicht verweisen diese inhaltlich Hakenschläge auf die stagnierende Gesellschaft, die es ebenfalls nicht vermag, als geschlossene Gruppe zu handeln. Doch tatsächlich wird man das Gefühl nicht los, dass die Performer viel zu sehr um sich und ihr (Nicht)-Gefühl als Gruppe kreisen, was sie zunächst ironisch, später permanent thematisieren und damit mehr und mehr den inhaltlichen Faden verlieren.

Zwei Highlights seien jedoch noch genannt: wenn Michael Schieben das Publikum reihum Papierschiffchen falten lässt und daran in weniger als fünf Minuten das Prinzip des Open-Source-Bereichs bei der Softwareentwicklung erklärt und wenn einer der Bandmitglieder die Ballade vom "Gemeingut Günter" rezitiert. Immerhin zwei klug gebaute und gut gedachte Beiträge in einer insgesamt eher wahllosen und recht eitel wirkenden Nummernrevue.

 

Ressource Baby! Eine Revue über Nutzen, Brauchen und Handeln
von Max Clement Movement
Von und mit: Bandmaster Fresh (Matthias Friedel, Nis Kötting, Jan Rimkeit), Michael Schieben, Milan Matull, Karen Köhler, Claudia Plöchinger und Armin Chodzinski.
Inhaltlich und formal eskortiert von: Frank Egel, Stephanie Töwe, Jochen Bader und vielen anderen.

www.kampnagel.de
www.maxclementmovement.de


Mehr vom Sommerfestival 2011 auf Kampnagel Hamburg? Katrin Ullmann besprach auch The Nowness Mystery von Cuqui Jerez.

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